OGH 6Ob684/90

OGH6Ob684/9020.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Gerhard T***, Kaufmann, und 2.) Helmtraud T***, Hausfrau, beide Merangasse 81, 8010 Graz, vertreten durch Dr. Gerald Kleinschuster, Dr. Hans Günther Medwed und Dr. Gerhard Hackenberger, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Dr. Reinhold S***, Arzt, Lessingstraße 10, 8010 Graz, vertreten durch Dr. Kurt Klein und Dr. Paul Wuntschek, Rechtsanwälte in Graz, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 22. Juni 1990, GZ 3 R 190/90-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 21. März 1990, GZ 7 C 357/89i-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.985,34 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 664,22 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind Eigentümer des Hauses in Graz, Lessingstraße 10. Der Beklagte ist Hauptmieter der im ersten Stock dieses Hauses gelegenen, aus Küche, fünf Zimmern und Nebenräumen bestehenden Wohnung mit einer Nutzfläche von 152,5 m2.

Die Kläger kündigten das Bestandverhältnis zum 31. August 1989 auf, beriefen sich auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG und brachten vor, der Beklagte sei im Sommer 1988 aus der Wohnung ausgezogen und wohne nunmehr in seiner Eigentumswohnung in Graz, Naglergasse 35. Die aufgekündigte Wohnung habe sein Sohn Dr. Peter S*** mit seiner Familie bezogen, so daß der Beklagte jeglichen Wohnbedürfnisses an dieser Wohnung ermangle. Er benütze lediglich ein Zimmer dieser Wohnung für Ordinationszwecke.

Der Beklagte erhob Einwendungen. Er behauptete, er sei zwar in letzter Zeit von der Wohnung öfters abwesend gewesen, jedoch ausschließlich, um seine schwerkranke Tochter zu betreuen. Die Eigentueswohnung in der Naglergasse 35 sei vermietet, sodaß er diese Wohnung nicht benützen könne. Die aufgekündigte Wohnung werde auch von seinem eintrittsberechtigten Sohn samt dessen Familie bewohnt. Schließlich diene ihm die Wohnung vertragsgemäß auch als Ordination. Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung als wirksam und verurteilte den Beklagten zur Räumung der Wohnung. Es stellte fest:

Die vom Beklagten gemietete Wohnung umfaßt das gesamte erste Stockwerk des Hauses. Von einem kleinen Vorraum aus erreicht man einerseits die Wohnung und andererseits einen Raum, in dem der Beklagte seine Arztordination führt.

Bis 1987 benützte der Beklagte auch die neben dem Ordinationsraum gelegene Wohnung. Sein Sohn, Dr. Peter S***, wohnte bis zu seiner Verehelichung am 15. November 1980 gleichfalls dort, doch blieb ihm auch danach ein Zimmer vorbehalten, das er allerdings nicht als Wohngelegenheit, sondern bloß gelegentlich für Studienzwecke beziehungsweise zur Aufbewahrung persönlicher Gegenstände benützte. Nachdem in der Wohnung Umbauarbeiten durchgeführt worden waren, bezog sie Dr. Peter S*** mit seiner Familie am 1. November 1987. Seit er dort wohnt, lebte der Beklagte bei seiner Tochter in seiner Eigentumswohnung in der Uhlandgasse 8. Am 21. November 1989 starb seine Tochter. Die in der Naglergasse 35 gelegene Eigentumswohnung des Beklagten wird von dessen Freundin bewohnt. Die aufgekündigte Wohnung wird vom Beklagten zumindest seit 1. November 1987 als solche nicht mehr benützt, lediglich die Ordination führt er auch derzeit noch im Mietobjekt. Ein gemeinsamer Haushalt des Beklagten und seines Sohnes und dessen Familie ist nicht erweislich.

Rechtlich meinte das Erstgericht, der Beklagte, der seit 1987 nicht mehr dort gewohnt habe, werde diese Wohnung in naher Zukunft für sich nicht benötigen, weil ihm seine Eigentumswohnung in der Uhlandgasse 8 zur Verfügung stehe und er zudem eine weitere Eigentumswohnung in der Naglergasse 35 besitze. Sein Sohn habe mit ihm keinen gemeinsamen Haushalt unterhalten. Da der Mietgegenstand überwiegend zu Wohnzwecken verwendet worden sei, schließe auch die Führung einer Arztordination in einem der Zimmer den Kündigungsgrund gemäß § 30 Abs 2 Z 4 MRG nicht aus.

Das Berufungsgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte aus, der allein geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG setze die gänzliche Weitergabe des Mietgegenstandes sowie den Mangel eines dringenden Bedarfes an diesem voraus. Die teilweise Weitergabe sei der gänzlichen gleichgestellt, sofern der Mieter oder eintrittsberechtigte Personen die nicht weitergegebenen Teile nicht zur Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendeten, was anhand von § 30 Abs 2 Z 6 MRG zu beurteilen sei. Der Beklagte führe die im Bestandobjekt befindliche Ordenktion nach wie vor, sodaß der Tatbestand der gänzlichen Weitergabe ausscheide. Die Ausnahme einer teilweisen Weitergabe setze zunächst einmal die offensichtlich regelmäßige Verwendung des Ordinationsraumes durch den Beklagten als Befriedigung seines Wohnbedürfnisses voraus. Da nur ein Raum des Mietgegenstandes, der insgesamt etwa 150 m2 groß sei und fünf Zimmer aufweise, als Arztordination geschäftlichen Zwecken diene, wogegen die übrigen Teile stets zu Wohnzwecken verwendet würden, seien gerade bei Berufen, die üblicherweise in der Wohnung ausgeübt würden, wie zum Beispiel bei Ärzten und Rechtsanwälten, die der Berufsausübung dienenden Räume als Teil der Wohnung und somit der Mietgegenstand einheitlich als Wohnung anzusehen. Der Geschäftszweck überwiege nur dann erheblich, wenn der Wohnzweck nicht ins Gewicht falle. Im übrigen erblickten die Kläger selbst im Mietgegenstand bloß eine Wohnung. Der Wohncharakter des als Ordination verwendeten Raumes könne nicht dadurch verloren gehen, daß gerade dieser Raum von der Weitergabe des Bestandobjektes ausgenommen sei. Es müsse daher unterstellt werden, daß zumindest an dem zur aufgekündigten Wohnung gehörigen Ordinationsraum ein Wohnbedürfnis des Beklagten bestehe. Schon deshalb müsse die den gesamten Mietgegenstand umfassende Aufkündigung erfolglos bleiben, ohne daß noch erörtert werden müsse, ob der Sohn des Beklagten, bezogen auf den Zeitpunkt seines Einzuges, eintrittsberechtigt sei, der Beklagte die übrigen Teile des Bestandgegenstandes regelmäßig benütze oder im Falle der Verneinung in naher Zukunft einen dringenden Bedarf an diesen Räumlichkeiten habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Parteien ist nicht berechtigt. Die Revisionswerber kündigten das Mietverhältnis aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG unter Bedachtnahme auf den zweiten Satz dieser Gesetzesstelle auf, behaupteten sie doch, der Beklagte habe die Wohnung seinem Sohn Dr. Peter S*** überlassen, habe sich lediglich den schon bisher zu Ordinationszwecken verwendeten Raum zur Fortsetzung seiner freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit vorbehalten und entbehre deshalb jedweden Wohnbedürfnisses an der aufgekündigten Wohnung. Aus dem geltend gemachten Kündigungsgrund kann der Vermieter das Bestandverhältnis (erfolgreich) aufkündigen, wenn der Mieter den Mietgegenstand weitergegeben hat und ihn offenbar in naher Zukunft nicht für sich oder eintrittsberechtigte Personen dringend benötigt. Die teilweise Weitergabe der Wohnung kommt der gänzlichen Weitergabe gleich, sofern die nicht weitergegebenen Teile der Wohnung nicht zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen regelmäßig verwendet werden. Das Erstgericht stellte unbekämpftermaßen fest, daß der Beklagte die im Mietobjekt befindliche Arztordination im gleichen Umfang wie vor der Überlassung der übrigen Teile der gemieteten Wohnung an seinen Sohn zu diesem Zweck weiterhin benützt. Der Beklagte verwendete demgemäß das Mietobjekt bis zu seinem Auszug aus jenem Teil des Bestandgegenstandes, den er bis dahin bewohnt hatte, teils als Wohnung, teils als Arztordination.

Nach § 16 Abs 1 Z 1 MRG darf in solchen Fällen nur der für Wohnungen zulässige Hauptmietzins angerechnet werden, es sei denn, daß die Verwendung zu Geschäftszwecken jene für Wohnzwecke bedeutend überwiegt. Diese Regelung kann ganz allgemein als Grundsatz für die Abgrenzung der Wohnungs- von der Geschäftsraummiete herangezogen werden (vgl RdW 1986, 241 mwN). Wird der Bestandgegenstand teils als Wohnung, teils als Arztordination verwendet, sind auch die zur Berufsausübung verwendeten Räume als Wohnraum und nicht als Geschäftsräumlichkeiten anzusehen, weil sich in solchen Fällen das Wohnbedürfnis und der geschäftsorientierte Bestandzweck im Zweifel die Waage halten (vgl SZ 47/4). Benützt der Mieter - wie im vorliegenden Fall - gar nur einen Raum seiner aus fünf Zimmern und den üblichen Nebenräumen bestehenden Wohnung als Arztordination, kann von einem "bedeutenden" Überwiegen der Verwendung zu Geschäftszwecken keine Rede sein. Das bezweifeln selbst die Kläger nicht.

Ist demnach - in einheitlicher Beurteilung des Bestandverhältnisses als Wohnungsmiete - auch der als Arztordination gewidmete und benützte Raum "Wohnraum", so stellt sich die Frage, ob dann das Bedürfnis des Mieters an der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit an dem auch schon bisher hiezu verwendeten "Wohnraum" dem zur Entkräftung des Kündigungsgrundes ausreichenden Wohnbedürfnis des Mieters gleichkommt. Während die Nichtbenützung der Wohnung und jene der Geschäftsräume unter vergleichbaren Voraussetzungen (§ 30 Abs 2 Z 6 und 7 MRG) zur Kündigung berechtigen und die gänzliche Weitergabe des Mietgegenstandes als wichtiger Kündigungsgrund zwischen Wohnungs- und Geschäftsraummiete erst gar nicht unterscheidet, ist die Gleichstellung der teilweisen Weitergabe mit der gänzlichen Weitergabe nach dem Wortlaut des § 30 Abs 2 Z 4 zweiter Satz MRG bloß auf die Wohnungsmiete beschränkt. Demnach kann die teilweise Weitergabe des als Geschäftsräumlichkeit gemieteten Bestandgegenstandes in Verbindung mit der Nichtbenützung der vorbehaltenen Räume nur nach Maßgabe der Generalklausel des § 30 Abs 1 MRG zur Kündigung berechtigen, weil der Gesetzgeber auf die Geschäftsräume bei der teilweisen Weitergabe nicht Bedacht genommen hat (vgl EvBl 1952/227; Würth-Zingher, Miet- und Wohnrecht, § 30 MRG Rz 33). Bei

der - zugegebenermaßen - seltenen Fallkonstellation, bei welcher der Mieter, der einzelne Räume einer (großen) Wohnung als Arztordination verwendet, den als Wohnung benützten Teil des Mietgegenstandes weitergegeben hat, hat sich der Mieter zwar "Wohnräume" vorbehalten, benötigt diese jedoch nicht zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses, sondern zu der im Vertrag bedungenen geschäftlichen Betätigung (vgl den Wortlaut des § 30 Abs 2 Z 7 MRG). Auch diesen Fall hat der Gesetzgeber nicht berücksichtigt, sodaß eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit angenommen werden muß, die im Wege der Analogie zu schließen ist (vgl. Bydlinski, Methodenlehre, 472 ff; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft5, 354 ff):

Aus dem Vergleich der Kündigungstatbestände nach § 30 Abs 2 Z 6 und 7 MRG ergibt sich einerseits, daß die im Vertrag bedungene oder gleichwertige geschäftliche Betätigung vom Gesetz selbst dem dringenden Wohnbedürfnis - welcher Grad des Bedürfnisses bei der teilweisen Weitergabe der Wohnung zur erfolgreichen Abwehr der Kündigung nach dem Wortlaut des Gesetzes gar nicht erforderlich ist - gleichgehalten wird. Andererseits ist die Voraussetzung für die Gleichstellung der teilweisen Weitergabe der Wohnung mit der gänzlichen Weitergabe - daß die vorbehaltenen Wohnräume "nicht zur Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses" verwendet werden - nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG zu beurteilen (Würth-Zingher, aaO mwN). Die Verknüpfung dieser gesetzlichen Wertungen nötigt zu dem Schluß, daß das Bedürfnis an der Benützung der vorbehaltenen "Wohnräume" zur bedungenen geschäftlichen Betätigung - was bei der Weiterführung einer Arztordination nicht zweifelhaft sein kann - dem Wohnbedürfnis im Sinne des § 30 Abs 2 Z 4 zweiter Satz MRG gleichzuhalten ist. Wohl liegt somit im vorliegenden Fall eine teilweise Weitergabe der Wohnung vor, doch benötigt der Beklagte den vorbehaltenen Raum nach wie vor für seine ärztliche Berufstätigkeit. Es ist ihm daher ein dem Wohnbedürfnis gleichwertiges Interesse an dem nicht weitergegebenen Raum zuzubilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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