Spruch:
Bei der Prüfung der rechtzeitigen Geltendmachung eines Kündigungsgrundes durch die Miteigentümer kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen die kundigenden Miteigentümer sich nicht früher über die Kündigung einigen konnten, und ob einzelne Miteigentümer stets die Kündigung wollten
Entscheidung vom 17. März 1965, 6 Ob 63/65
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz
Text
Im Zeitpunkt des Ablebens der am 10. Dezember 1956 verstorbenen, wegen Geisteskrankheit voll entmundigten Friederike Sch. waren Eigentümer des Hauses Graz, K.-Straße 61, Maria N. zu 3/12-Anteilen, Friederike Sch. zu 3/12-Anteilen, Josef Sch. zu 3/12-Anteilen, Josefine Sch. zu 1/12-Anteil, Franz Sch. zu 1/12-Anteil und Angelika K. zu 1/12-Anteil.
Im Verlassenschaftsverfahren nach Friederike Sch. wurden Erbserklärungen abgegeben von Maria N. am 7. Dezember 1957 zu 1/3 des Nachlasses, Josef Sch. am 27. Februar 1957 zu 1/3 des Nachlasses, Franz Sch. am 9. Dezember 1957 zu 1/6 des Nachlasses und Angelika, K. am 9. Dezember 1957 zu 1/6 des Nachlasses.
Das Verlassenschaftsverfahren ist noch anhängig.
Im Konkursverfahren über das Vermögen des Josef Sch. wurde sein 3/12-Anteil an dieser Liegenschaft zwangsversteigert und dem Ersteher Walter O. am 28. Juni 1961 zugeschlagen, dessen Eigentumsrecht am 23. Dezember 1961 einverleibt wurde.
Mit gerichtlicher Aufkündigung vom 20. Februar 1962, 6 C ... /62 des Bezirksgerichtes für ZRS. Graz, haben die 9/12-Anteile an der Liegenschaft repräsentierenden Mehrheitseigentümer, nämlich Maria N. (3/12), Walter O. (3/12), Franz Sch. (1/12), Josefine Sch. (1/12) und Angelika K. (1/12), der Verlassenschaft nach Friederike Sch. und dem Josef Sch. die im ersten Stockwerk des Hauses Graz, K.-Straße 61, rechts straßenseitig gelegene Wohnung, bestehend aus einem Zimmer und einer Küche samt Zubehör, unter Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 19 (2) Z. 11 MG. zum 31. März 1962 aufgekundigt. Gegen diese Aufkündigung haben die gekundigten Parteien fristgerecht Einwendungen erhoben. Da in dieser Aufkündigung offensichtlich irrtümlich als zweitgekundigte Partei Josef Sch. angeführt worden war, statt richtigerweise als der die Verlassenschaft mitvertretende erbserklärte Erbe, wurde diese Aufkündigung am 14. September 1962 zurückgezogen.
Bereits am 23. August 1962 haben die gleichen Mehrheitseigentümer die gegenständliche Aufkündigung eingebracht, in welcher als Kündigungsgegner nur mehr die Verlassenschaft nach Friederike Sch. allein, diese vertreten durch die erbserklärten Erben i. Maria N. (1/3), 2. Franz Sch. (1/6), 3. Angelika K. (1/6) und 4. Josef Sch. (1/3) angeführt ist. Da die unter 1., 3. und 5. angeführten Vertreter der Verlassenschaft gleichzeitig kundigende Miteigentümer sind, wurde für sie als Vertreter der Verlassenschaft ein Kollisionskurator bestellt. Diese Kündigung wurde gleichfalls auf § 19 (2) Z. 11 MG. mit der Begründung gestützt, daß sich Friederike Sch. seit Jahren bis zu ihrem Tod in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt A. befunden und mit keiner nach dem Mietengesetz eintrittberechtigten Person in der aufgekundigten Wohnung im gemeinsamen Haushalt gelebt habe.
Das Abhandlungsgericht hat mit seinem Beschluß vom 8. November 1962 diese von den Miteigentümern des Hauses Graz, K.-Straße 61, gegen die Verlassenschaft nach Friederike Sch. eingebrachte Aufkündigung hinsichtlich der Repräsentanten dieser Verlassenschaft als kundigende Parteien verlassenschaftsbehördlich genehmigt.
Mit Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS. Graz vom 4. Dezember 1962 hat ferner der Außerstreitrichter die von der Mehrheit der Miteigentümer eingebrachte Aufkündigung als wichtige Veränderung als wichtige Veränderung im Sinne der §§ 833 ff. ABGB. genehmigt.
Das Erstgericht hat die Aufkündigung für wirksam erkannt.
Infolge Berufung der beklagten Partei wurde mit dem unter Rechtskraftvorbehalt ergangenen Beschluß des Berufungsgerichtes vom 2. Mai 1963 das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und die Streitsache zur fortgesetzten Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hatte nämlich mit Rücksicht darauf, daß Friederike Sch. bereits am 10. Dezember 1956 gestorben war, die Kündigung aber erst am 23. August 1962 engebracht worden ist, von Amts wegen die Frage der Rechtzeitigkeit der Aufkündigung aufgeworfen und, da sich das Erstgericht mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt hatte, die Klärung des Umstandes, warum die Aufkündigung erst fünf Jahre nach dem Tod der Hauptmieterin eingebracht worden ist, für notwendig erachtet.
Dieser Aufhebungsbeschluß blieb trotz des Rechtskraftvorbehaltes unbekämpft.
Hierauf hat das Erstgericht das Verfahren fortgesetzt und nach Ergänzung in der aufgetragenen Richtung die Aufkündigung neuerlich für wirksam erklärt.
Das Berufungsgericht fand die Rechtsrüge in bezug auf die vom Erstgericht verneinte verspätete Geltendmachung des Kündigungsgrundes für gerechtfertigt und hob die Kündigung auf.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Rechtlich ist davon auszugehen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes Kündigungsgrunde ehestens geltend gemacht werden müssen. Soweit das Gesetz keine Frist bestimmt, kann jedoch ein Kündigungsgrund so lange geltend gemacht werden, als nicht die Nichtgeltendmachung gemäß § 863 ABGB. mit Überlegung aller Umstände im Hinblick auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln übrig läßt, daß der Vermieter den Mietvertrag ungeachtet des Kündigungsgrundes fortsetzen will (MietSlg. 9079, 8273, 8222, 6666 u. v. a.).
Wenn nun in der Revision darauf hingewiesen wird, daß das Verlassenschaftsverfahren nach Friederike Sch. bisher noch nicht beendet ist und ausgeführt wird, die Kläger hätten auch die Einantwortung des Nachlasses abwarten können, ohne deshalb ihres Kündigungsrechtes verloren zu gehen, so sind diese Ausführungen in dieser allgemeinen Form nicht zutreffend. Es ergibt sich vielmehr aus den Entscheidungen SZ. XXI 122, MietSlg. 4058, 4680, daß einerseits die Tatsache der Einantwortung des Nachlasses die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19 (2) Z. 11 MG. gegenüber den Erben nicht hindert und daß andererseits trotz des Umstandes, daß auch dieser Kündigungsgrund ohne unnötigen Verzug geltend gemacht werden muß, der Vermieter die Einantwortung abwarten kann, wenn sie nicht allzu lange ausbleibt. Auf keinen Fall kann aber bei einem Verlassenschaftsverfahren, das wie jenes nach Friederike Sch. sich infolge verschiedener Zwischenfälle immer wieder verzögert und nach einer mehr als achtjährigen Dauer noch immer nicht abgeschlossen ist, gesagt werden, daß auch in einem solchen Fall die Vermieter für die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19 (2) Z. 11 MG. noch immer die Beendigung eines solchen Verlassenschaftsverfahrens abwarten können.
Entscheidend ist im vorliegenden Fall, ob die Kläger dadurch, daß sie eine auf § 19 (2) Z. 11 MG. gestützte Aufkündigung erst im Jahre 1962, sohin erst rund fünf Jahre nach dem Tode der Friederike Sch. eingebracht haben, einen Sachverhalt gesetzt haben, der unter Überlegung aller Umstände im Hinblick auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln übrig läßt, daß die Kläger den Mietvertrag ungeachtet des erwähnten Kündigungsgrundes fortsetzen wollen.
Nun wird in der Revision die Auffassung vertreten, daß die Kläger (richtig nur die 6/12 der Liegenschaftsanteile repräsentierenden Erst-, Dritt-, Viert- und Fünftkläger) durch Einleitung des Verfahrens 17 Nc ... /56 und die in diesem Verfahren immer wieder unter Hinweis auf die widerrechtliche Benützung der nunmehr aufgekundigten Wohnung durch Josef Sch. von ihnen gestellten Anträge wegen Benützungsregelung und ihren Antrag im Verlassenschaftsverfahren, im Wege einer einstweiligen Verfügung dem erblasserischen Bruder Josef Sch. die weitere Benützung der Wohnung der verstorbenen Friederike Sch. zu untersagen und ihm aufzutragen, die Räume dem Nachlaß bzw. den Miteigentümern des Hauses zur Verfügung zu stellen, eindeutig zu erkennen gegeben haben, daß sie die Benützung der Wohnung durch Josef Sch. nicht dulden wollen und ihr Bestreben immer dahin gegangen sei, das Verfügungsrecht über die von Josef Sch. widerrechtlich benützte Wohnung zu erhalten. Daraus ergebe sich, daß sie keinen Sachverhalt gesetzt hätten, aus welchem auf einen Kündigungsverzicht ihrerseits geschlossen werden könnte. Dazu würden noch die verschiedenen Zwischenfälle kommen, die sich durch die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Josef Sch., die Versteigerung seines Liegenschaftsanteiles und die Schwierigkeiten, die Josef Sch. jeder Maßnahme der genannten Miteigentümer entgegengesetzt habe, ergeben haben. Dies sei auch der Grund dafür gewesen, daß die Kündigung erst eingebracht worden sei, als sich auf Seite der kundigenden Parteien eine Mehrheit von 9/12 Anteilen ergeben habe.
Diesen Ausführungen kann aus folgenden rechtlichen Erwägungen nicht gefolgt werden: Den Anträgen, die wegen der streitgegenständlichen Wohnung im Verlassenschaftsverfahren gestellt wurden, kommt deshalb keine rechtliche Bedeutung zu, weil diese Anträge rechtskräftig abgewiesen wurden und seit damals bis zur Einbringung der Aufkündigung im Jahre 1962 rund vier Jahre, sohin ein so langer Zeitraum verstrichen ist, daß diese im Verlassenschaftsverfahren gestellten Anträge nicht mehr zur Rechtfertigung dafür herangezogen werden können, daß der Kündigungsgrund des § 19 (2) Z. 11 MG. erst im Jahre 1962 mit Kündigung geltend gemacht wurde.
Was aber das Verfahren 17 Nc 506/56 wegen Benützungsregelung betrifft, so ist davon auszugehen, daß in einem solchen Verfahren die einzelnen Miteigentümer einander als Beteiligte gegenüberstehen, während im Kündigungsprozeß die Gesamtheit oder Mehrheit der Miteigentümer dem Mieter als Partei gegenübersteht. Kommt es also nicht zu einer die Kündigung ermöglichenden Willensbildung und gelingt es bei Stimmengleichheit auch nicht, diese Willensbildung durch die Genehmigung des Außerstreitrichters zu ersetzen, dann müssen daraus dieselben Schlüsse gezogen werden wie in dem Falle, als ein Alleineigentümer eines Hauses, trotz Kenntnis von dem den Kündigungsgrund bildenden Sachverhalt, sich jahrelang nicht zur Kündigung entschließt.
Das bedeutet, daß die Anträge wegen Benützungsregelung, welche nur die die Hälfte der Liegenschaftsanteile repräsentierenden Miteigentümer beim Außerstreitrichter gestellt haben, gegenüber der Verlassenschaft nach Friederike Sch. und gegenüber dem Josef Sch. als den Benützern der streitgegenständlichen Wohnung den Eigentümern der anderen Hälfte der Liegenschaftsanteile keine rechtlich erhebliche Willensbildung der Hauseigentümer nach der Richtung darstellen, daß rechtswirksam das Bestandverhältnis hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnung nicht mehr fortgesetzt werden soll. Es kann daher die rechtzeitige Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 19 (2) Z. 11 MG. nicht unter Bedachtnahme auf die von der Hälfte der Miteigentümer gestellten Anträge auf Benützungsregelung beurteilt werden, sondern es muß diese Frage ebenso behandelt werden, wie sie zu beurteilen wäre, wenn die gekundigte Partei nicht Miteigentümerin wäre Erfolgt in einem solchen Fall jahrelang keine Kündigung, dann ist die Kündigung aufzuheben, ohne daß zu untersuchen ist, aus welchen Gründen die kundigenden Miteigentümer sich nicht früher über die Kündigung einigen konnten, und ob einzelne Miteigentümer stets die Kündigung wollten und alles taten, was in ihrer Macht stand, um ihren Willen, den Miteigentümer, der die Wohnung gemietet hatte, aus dieser zu entfernen, zum Ausdruck zu bringen. Die Hälfteeigentümer hätten auch im vorliegenden Fall die Möglichkeit gehabt, durch Stellung sachgemäßer Anträge die Genehmigung der Kündigung durch den Außerstreitrichter zu erreichen. Entscheidend ist hier lediglich, daß sie dies nicht bzw. erst im Jahre 1962 getan und damit das Erfordernis der Rechtzeitigkeit der Kündigung nicht geschaffen haben. Hingegen kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen dies nicht geschehen ist.
Das Berufungsgericht hat daher zutreffend erkannt, daß der Kündigungsgrund des § 19 (2) Z. 11 MG. nicht rechtzeitig geltend gemacht wurde, und hat daher zu Recht die nur auf diesen Kündigungsgrund gestützte Aufkündigung aufgehoben.
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