OGH 6Ob627/95

OGH6Ob627/9512.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Redl, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing.Hans-Jürgen S*****, vertreten durch Dr.Grosch & Co Partner, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Ines S*****, vertreten durch Dr.Klaus Reisch, Dr.Anke Reisch, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen Ehescheidung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 1.März 1995, AZ 4 R 38, 40/95 (ON 20), womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 9. November 1994, GZ 1 C 72/93-14, abgeändert und die Klage abgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird stattgegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Parteien haben am 30.3.1972 vor dem Standesamt in München die Ehe geschlossen. Sie sind österreichische Staatsbürger. Die Ehe blieb kinderlos. Der letzte gemeinsame Wohnsitz war in Kitzbühel. Seit 1.10.1990 hat der Kläger einen Arbeitsplatz in München. Seit 10.3.1991 lebt er dort mit einer anderen Frau zusammen. Die Parteien lebten aufgrund des überdurchschnittlichen Einkommens des Klägers in gehobenen Verhältnissen. Sie sind gemeinsam Eigentümer eines Hauses in Kitzbühel. Die Beklagte war während aufrechter Ehegemeinschaft nicht berufstätig.

In der Tagsatzung vom 4.5.1994 stellten die Parteien außer Streit, daß die eheliche Gemeinschaft seit mehr als drei Jahren aufgehoben ist.

Der Kläger begehrte mit seiner am 22.10.1993 beim Erstgericht eingelangten Klage, gestützt auf die Bestimmung des § 55 EheG die Scheidung der Ehe. Er sei berufsbedingt nach München gezogen, was eine völlige Entfremdung der Eheleute bewirkt habe. Die Beklagte habe auch alles unternommen, um eine Aussöhnung zu verhindern. Sie "überziehe" den Kläger mit Gerichtsverfahren, verwehre ihm den Zutritt zum gemeinsamen Haus und habe nur noch ein Interesse an den finanziellen Ressourcen, um ihr weiteres Leben in Luxus zu verbringen. Der von der Beklagten betriebene Lebensaufwand sei geradezu ruinös. Letztlich sei dadurch eine unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten. Die Beklagte halte nur aus wirtschaftlichen Gründen an der Ehe fest. Sie habe vor Jahren auch die Ehe gebrochen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die eheliche Gemeinschaft habe bis März 1991 bestanden, die auf § 55 EheG gestützte Klage sei daher verfrüht. Die Entfremdung zwischen den Parteien sei einzig auf den Umstand zurückzuführen, daß sich der Kläger einer anderen Frau zugewandt habe. Er habe erst im April 1992 die Beziehungen zur Beklagten abgebrochen. Der Kläger habe die Beklagte im wirtschaftlichen Bereich völlig im Stich gelassen, weshalb es zu Rechtsstreitigkeiten gekommen sei. Der Kläger habe keinen Unterhalt mehr bezahlt und auch die Annuitäten und sonstigen Kosten für das gemeinsame Haus nicht mehr geleistet. Bei einer Scheidung müsse es zu einer Vermögensaufteilung kommen. Der Beklagten würde dadurch die "so geschätzte Umgebung" entzogen werden. Für die Beklagte wäre die Scheidung mit einer besonderen Härte im Sinne des § 55 Abs.2 EheG verbunden. Die Parteien hätten jahrelang eine "tolle Ehe" geführt. Die Scheidung würde mit den damit verbundenen Depressionen eine gesundheitliche Katastrophe für die Beklagte bringen. Durch das Imstichlassen in wirtschaftlicher Hinsicht sei die Gesundheit der Beklagten schwer angegriffen worden. Es seien noch nicht alle seelischen Bande zum Kläger zerrissen. Bei einer Scheidung verlöre die Beklagte ihre bisherige Umgebung, insbesondere das Haus samt Garten. Die Beklagte sei vom Kläger wirtschaftlich völlig abhängig.

Für den Fall der Stattgebung des Scheidungsbegehrens stellte die Beklagte den Antrag auf Ausspruch des Verschuldens gemäß § 61 Abs.3 EheG (S.3 in ON 8).

Das Erstgericht gab der Scheidungsklage statt und stellte das alleinige Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe fest. Es stellte neben dem schon wiedergegebenen Sachverhalt noch fest, daß die finanziellen Mittel für den Ankauf der Liegenschaft der Parteien im Jahr 1982 von der Mutter des Klägers beigesteuert worden seien. Zur Errichtung des Hauses sei ein Kredit über S 2,8 Mill. aufgenommen worden. Dieser sei noch im Februar 1991 über denselben Betrag prolongiert worden. Der Kredit sei mit 10 % zu verzinsen. Überdies müsse für das Haus ein Betrag von S 12.000,-- jährlich an Grundsteuer sowie ein Betrag von S 40.000,-- an Versicherung aufgewendet werden. Monatlich müsse darüber hinaus an Annuitäten für ein Bauspardarlehen ein Betrag von S 9.320,--, für Strom- und Heizkosten ein Betrag in der Höhe von S 5.000,--, an Kosten für eine Putzhilfe ungefähr S 3.000,-- bis S 5.000,-- sowie an Wasser-, Kanal- und Klärgebühren ein Betrag von S 1.350,-- aufgewendet werden. Seit Oktober 1990 verdiene der Kläger rund S 55.000,-- monatlich netto. Darüberhinaus habe der Kläger von seiner Mutter nach dem Hausbau im Jahr 1986 immer wieder größere Beträge in der Größenordnung von S 200.000,-- bis S 300.000,-- jährlich erhalten.

Der Versuch der Parteien, in München eine kleine Wohnung zu erwerben und gemeinsam nach München zu ziehen, sei gescheitert. Die Beklagte sei zu einer gemeinsamen Wohnungsnahme in München bereit gewesen.

Die Ehe der Parteien sei zuerst harmonisch verlaufen, in den Jahren 1974 bis 1976 hätten beide jedoch Beziehungen zu einer anderen Frau bzw. zu einem anderen Mann aufgenommen. Diese Eheverfehlungen seien jedoch verziehen worden. Bis zur Übersiedlung des Klägers nach München sei die Ehe im wesentlichen harmonisch verlaufen. Die Parteien hätten einen luxuriösen Lebensstil geführt. Erhebliche finanzielle Mittel seien für Fernreisen sowie für Schmuck und Bekleidung der Beklagten und auch für das Haus in Kitzbühel aufgewendet worden. Seit 10.3.1991 lebe der Kläger mit einer anderen Frau zusammen. Seit damals sei er nicht mehr in das gemeinsame Haus der Parteien in Kitzbühel zurückgekehrt. Seinen Entschluß zur Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft habe der Kläger der Beklagten am 2.2.1991 mitgeteilt.

Der Kläger sei seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten hinsichtlich der genannten Zahlungsverpflichtungen nur noch teilweise nachgekommen, sodaß die Beklagte gegen ihn in der Folge auch Exekution habe führen müssen. Ab Juli 1991 habe der Kläger der Beklagten statt bisher DM 6.000,-- nur noch DM 3.000,-- (monatlich) überwiesen. Seit Dezember 1991 zahle der Kläger regelmäßig S 14.000,-- monatlich an Unterhalt.

Nachdem der Kläger die Beklagte verlassen habe, leide diese öfters unter Angstzuständen. Es könne nicht festgestellt werden, daß die Beklagte unter Depressionen leide. Für sie sei es "schrecklich", daß sie das gemeinsame Haus in Kitzbühel verlassen werde müssen. Es bestehe noch eine geringe emotionale Bindung zum Kläger. Aus seiner Sicht sei die Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft unmöglich.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß das Verschulden an der eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe dem Kläger anzulasten sei, weil er eine Beziehung zu einer anderen Frau eingegangen sei und seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr ausreichend nachkomme. Es könne aber nicht davon ausgegangen werden, daß die Scheidung die Beklagte härter treffen würde als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten statt und wies das Scheidungsbegehren ab. Es behandelte die gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens (wegen Unterlassung der Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Gesundheitszustand der Beklagten) und die Beweisrüge aus rechtlichen Erwägungen nicht und führte in Behandlung der Rechtsrüge auf der Basis des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts im wesentlichen aus, daß wegen der völligen Entfremdung auf seiten des Klägers von einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe ausgegangen werden müsse. Der Widerspruch der Beklagten gegen das Scheidungsbegehren sei gemäß § 55 Abs.2 EheG jedoch berechtigt. Es sei auf alle Umstände des Falles, besonders auf die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Alter und die Gesundheit der Ehegatten, das Wohl der Kinder und auf die Dauer der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft Bedacht zu nehmen. Der Sinn der Härteklausel liege darin, daß der schuldlose Teil nicht plötzlich mit der vollen Härte der Scheidung konfrontiert werden solle. In Ausnahmsfällen müsse eine Anpassungsfrist gewährt werden. Die festgestellte gesundheitliche Beeinträchtigung der Beklagten, die beinahe 20jährige Dauer der häuslichen Ehegemeinschaft, die emotionale Bindung der Beklagten an den Kläger und der Umstand, daß die Beklagte nie einen Beruf erlernt habe und von ihrem Gatten finanziell abhängig gewesen sei, stellten in ihrer Gesamtheit einen besonderen Härtefall dar, zumal sich die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft noch nicht der im § 55 Abs.3 EheG normierten sechsjährigen Frist genähert habe.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Mit seiner außerordentlichen Revision strebt der Kläger die Stattgebung der Scheidungsklage an; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, der Revision nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Gemäß § 55 Abs.2 EheG ist einem nach Abs.1 gestellten Scheidungsbegehren auf Verlangen des beklagten Ehegatten dann nicht stattzugeben, wenn der Ehegatte, der die Scheidung begehrt, die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet hat und den beklagten Ehegatten die Scheidung härter träfe als den klagenden Ehegatten die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Bei dieser Abwägung ist auf alle Umstände des Falles, besonders auf die Dauer der ehelichen Gemeinschaft, das Alter und die Gesundheit der Ehegatten, das Wohl der Kinder sowie auf die Dauer der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft Bedacht zu nehmen. Nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung sind diese im Gesetz demonstrativ aufgezählten Umstände für sich allein noch kein ausreichender Grund für die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Damit die Interessenabwägung zugunsten des beklagten Ehegatten ausfällt, müssen weitere konkrete Tatsachen vorliegen, die einen Schluß auf eine besondere Härte zulassen. Nach § 55 Abs.3 EheG ist eine Ehe nach einer Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft über einen Zeitraum von mehr als sechs Jahren auch bei Vorliegen der größten Härte für den in die Scheidung nicht einwilligenden Ehepartner zu scheiden. Daraus wird in ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgeleitet, daß der Widerspruch gegen die Scheidung gemäß § 55 Abs.2 EheG nur dann berechtigt ist, wenn konkrete Umstände vorliegen, aus denen im Einzelfall eine gegenüber dem Normalfall besondere Härte für den der Scheidung widersprechenden Ehegatten hervorgeht. Der Sinn der Härteklausel liegt darin, daß der schuldlose Ehegatte nicht plötzlich mit der vollen Härte der Scheidung konfrontiert, sondern ihm in Ausnahmefällen eine Anpassungsfrist gewährt wird (EvBl 1981/10; EFSlg 43.655, 60.225; 4 Ob 542/94).

Die Beklagte hat für ihren Widerspruch gegen die Scheidung folgende vom Berufungsgericht anerkannten Gründe ins Treffen geführt:

Eine bis zur Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft am 10.3.1991 währende 19jährige Lebensgemeinschaft; eine Abhängigkeit der Beklagten vom Kläger, weil sie nie einen Beruf ausgeübt habe; den drohenden Verlust des gehobenen Lebensstils, insbesondere des Hauses in Kitzbühel; das Vorliegen oder zumindest die konkrete Erwartung von gesundheitlichen Schädigungen der Beklagten bei einer Scheidung der Ehe.

Bei den drei erstgenannten Gründen wurde ein zusätzlicher konkreter Sachverhalt, aus dem sich eine vom Normalfall abweichende besondere Härte ableiten ließe, weder geltend gemacht noch von den Vorinstanzen festgestellt. Für sich allein betrachtet rechtfertigt die langjährige eheliche Gemeinschaft ebensowenig die Annahme einer besonderen Härte (EvBl 1981/10) wie der Umstand, daß die Beklagte keinen Beruf ausgeübt hatte und vom Kläger wirtschaftlich abhängig war. Wohl können bei der Interessenabwägung auch materielle Gesichtspunkte berücksichtigt werden (EvBl 1982/194), der drohende Verlust eines gehobenen Lebensstils während aufrechter Ehe im Vergleich zu dem nach der Scheidung nur mehr aufgrund der Unterhaltsverpflichtung des klagenden Ehegatten möglichen (geminderten) Lebensstil ist aber noch nicht als ein vom Normalfall abweichender Umstand zu beurteilen. Für eine solche Annahme hätte es der Behauptung und des Nachweises weiterer Umstände bedurft, beispielsweise etwa in die Richtung einer besonderen wirtschaftlichen Notlage, gesundheitlich bedingter höherer Lebenshaltungskosten uä.

Als vom Normalfall abweichend könnte allerdings der Umstand sein, daß durch die Scheidung eine Erkrankung des der Scheidung widersprechenden Ehegatten ausgelöst oder eine schon bestehende Erkrankung verstärkt wird. In einem solchen Fall könnte die Gewährung einer Anpassungsfrist nach den Umständen des Einzelfalls wegen Vorliegens einer vom Normalfall abweichenden besonderen Härte gerechtfertigt sein. Die Beklagte hat zu diesem Thema behauptet, daß die Scheidung "in diesem labilen Zustand mit den damit verbundenen Depressionen eine gesundheitliche Katastrophe bringen" würde (S.4 in ON 8) und dazu den Sachverständigenbeweis angeboten. Ihre Rüge in der Berufung, daß dieser Beweis nicht eingeholt wurde, hat das Berufungsgericht nicht behandelt und die festgestellten Angstzustände als Widerspruchsgrund anerkannt. Die Feststellungen des Erstgerichtes reichen allerdings für eine verläßliche Beurteilung nicht aus. Es wurde nur festgestellt, daß die Beklagte seit der Zeit, als sie der Kläger verlassen habe, öfters unter Angstzuständen leide und sich deswegen in Behandlung eines praktischen Arztes begeben habe. Das Vorliegen von Depressionen könne nicht festgestellt werden (S.9 in ON 14). Aufgrund derart kursorischer Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob bei der Beklagten eine durch die bevorstehende Scheidung ausgelöste seelische Erkrankung vorliegt oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit droht und ob (bei Feststellung solcher Umstände) ein Zuwarten mit der Scheidung durch Gewährung einer Anpassungsfrist auf den Krankheitsverlauf von positivem Einfluß wäre. Bloße Angstzustände ohne die Wertigkeit einer Krankheit, also etwa bloße Ängstigungen um die Erhaltung des bisherigen Lebensstils in der gewohnten Umgebung, könnten den Widerspruch gegen die Scheidungsklage nicht rechtfertigen.

Da die Feststellungen des Erstgerichtes zu den von der Beklagten behaupteten, schon vorhandenen oder bei einer Scheidung zu befürchtenden gesundheitlichen Schäden nicht ausreichen, ist das Verfahren noch nicht spruchreif. Das Erstgericht wird zu diesem Thema die Feststellungen zu ergänzen haben. Dabei wird sich die Ergänzung des Beweisverfahrens durch Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens als unumgänglich erweisen. Die Urteile der Vorinstanzen waren in Stattgebung der Revision des Klägers zur Verfahrensergänzung aufzuheben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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