European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0060OB00613.85.0627.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Akten werden dem Bezirksgericht Salzburg als Pflegschaftsgericht mit der Verständigung übermittelt, daß sich nach dem Ergebnis des Sachverständigenbeweises (ON 86 und 91) bei der klagenden Partei mit Beziehung auf den Rechtsstreit Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben. Der Rechtsstreit wird bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes unterbrochen.
Begründung:
Von den Vorinstanzen wurde das Begehren der Klägerin, ihre der D E am 12. Dezember 1978 erteilte Verkaufsvollmacht und den Kaufvertrag zwischen den Streitteilen vom 14. November 1979 als unwirksam aufzuheben und die Beklagten schuldig zu erkennen, in die Einverleibung des Eigentumsrechtes an der Liegenschaft EZ. 874 Katastralgemeinde A für die Klägerin einzuwilligen, abgewiesen. In ihrer gegen das zweitinstanzliche Urteil erhobenen, auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs. 1 Z. 1, 2 und 4 ZPO gestützten Revision brachte die Klägerin vor, dem ihr im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt sei erst kurz vor Ablauf der Revisionsfrist zur Kenntnis gelangt, daß die Klägerin zufolge eines Gutachtens des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Salzburg an akuter Manie mit paranoiden Vorstellungen leide und diese Geisteskrankheit mit hoher Wahrscheinlichkeit bis in das Jahr 1978 zurückreiche. Die Klägerin hätte deshalb schon bei Erteilung der Prozeßvollmacht der Vertretung durch einen gesetzlichen Vertreter bedurft, sodaß das gesamte Verfahren an einer Nichtigkeit gemäß § 477 Abs. 1 Z. 4 und 5 ZPO leide.
Auf Grund des über Ersuchen des Obersten Gerichtshofes vom Erstgericht eingeholten und mit den Parteien erörterten Gutachtens des gerichtsärztlichen Sachverständigen Univ.‑Prof. Dr. Werner F ist anzunehmen, daß die Klägerin zumindest seit 1973 an einer schweren manischen Geisteskrankheit leidet; seither bestanden bei ihr bereits paranoid wirkende Vorstellungen. Aus gerichtsärztlicher Sicht ist zu schließen, daß ihre geistige Störung auch schon im Zeitpunkt der Erteilung der Prozeßvollmacht an den Klagevertreter (4. April 1980) vorhanden war und sie daher an der Abschätzung der Tragweite des Prozeßführungsauftrages gehindert war.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 6 a ZPO ist es dem Prozeß- bzw. Rechtsmittelgericht seit dem Inkrafttreten des Sachwaltergesetzes (1. Juli 1984) verwehrt, die Prozeßfähigkeit geistig behinderter Personen, für die kein Sachwalter bestellt ist, zu prüfen und zu verneinen. Es hat in solchen Fällen vielmehr das Pflegschaftsgericht zu verständigen, wenn bei einer der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegenden Person Anzeichen für eine die Prozeßunfähigkeit bewirkende Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ('psychische Krankheit oder geistige Behinderung') vorliegen. Solche Anzeichen sind nach dem Gutachten des vom Erstgericht vernommenen Sachverständigen umsomehr gegeben, als die Prüfung der Prozeßunfähigkeit nicht etwa bloß die Fähigkeit zur Abschätzung der Tragweite der Erteilung einer Vollmacht an den für die Prozeßführung ausersehenen Rechtsanwalt, sondern der Tragweite des Prozeßführungsauftrages und damit - im vorliegenden Fall - der Chancen der Anfechtung privatrechtlicher Verträge wegen Willensmängeln und der damit verbundenen finanziellen Folgen betrifft. Nach dem Gutachten des Sachverständigen liegen zweifellos Anzeichen einer psychischen Krankheit der Klägerin im Sinne des § 273 ABGB vor. Deshalb war das Pflegschaftsgericht gemäß § 6 a ZPO hievon zu verständigen.
Bis zu der das Prozeßgericht und die Rechtsmittelgerichte in dieser Frage bindenden Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes ist das Verfahren auszusetzen (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 349; Maurer, Sachwalterrecht 100).
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