OGH 6Ob590/85

OGH6Ob590/859.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch, Dr.Schobel, Dr.Riedler und Dr.Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Astrid A, Schülerin, 6020 Innsbruck, Kranebitter-Allee 97, vertreten durch DDr.Armin Santner und Dr.Peter Lechner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Josef B, Kraftfahrzeugmechaniker, 6020 Innsbruck, Tschiggfreystraße 42, vertreten durch Dr.Klaus Schärmer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterhaltes (Streitwert S 118.800), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 8. November 1984, GZ 1 a R 398/84-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 19. Juni 1984, GZ 2 C 23/83-9, teilweise als nichtig aufgehoben und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das in seinem das Klagebegehren abweisenden Teil als unangefochten unberührt bleibt, wird in seinem dem Klagebegehren stattgebenden Teil und im Kostenpunkt ebenso aufgehoben, wie das Urteil des Erstgerichtes, soweit letzteres nicht durch den Beschluß des Berufungsgerichtes für nichtig erklärt wurde. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 21.7.1964 geborene Klägerin ist ein eheliches Kind des Beklagten, dessen Ehe mit der Mutter der Klägerin im Jahre 1971 aus seinem Verschulden geschieden wurde. Die Klägerin wohnt bei ihrer Mutter. Sie besuchte im Schuljahr 1983/84 die dritte Klasse der Handelsakademie. Laut Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 27.1.1981, 2 P 352/80-35, wurde der Beklagte zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 950,-- an die Klägerin verpflichtet. Eine Aufhebung oder Abänderung dieser Unterhaltsverpflichtung wurde bisher nicht verfügt.

Mit ihrer am 21.12.1983 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten ab 1.12.1983 einen monatlichen Unterhalt von S 3.300,-

-. Sie brachte unter anderem vor, ihre bisherige Berufsausbildung (Praktikantin mit Abschlußprüfung in einer Steuerberatungskanzlei) entspreche weder ihren geistigen Fähigkeiten noch ihren Vorstellungen, zumal damit keine Aufstiegschancen verbunden seien. Die Mutter der Klägerin führe ein Transportunternehmen, welches die Klägerin später einmal weiterführen werde.

Dazu sei die Ausbildung auf der Handelsakademie Voraussetzung. Es könne der Klägerin auch nicht zugemutet werden, ganztägig berufstätig zu sein und die Ausbildung an der Handelsakademie in Abendkursen zu absolvieren.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, die Klägerin habe ihre Selbsterhaltungsfähigkeit bereits im Sommer 1981

erlangt, indem sie in einer Steuerberatungskanzlei ihre Lehrausbildung abgeschlossen habe. Obwohl sie der Arbeitgeber weiter beschäftigt hätte, habe sie ihr Arbeitsverhältnis aufgelöst und mit dem Schulbesuch an der Handelsakademie begonnen, wozu jedoch keine Notwendigkeit bestanden habe. Auch die Lebens- und Einkommensverhältnisse des Beklagten ließen eine höhere Ausbildung der Klägerin nicht zu. Der Klägerin könne zugemutet werden, die Handelsakademie für Berufstätige zu besuchen. Seit ihrem Ausscheiden aus der Steuerberatungskanzlei habe die Klägerin im Transportunternehmen ihrer Mutter gearbeitet. Der Beklagte verdiene als Kraftfahrzeugmechaniker monatlich lediglich S 15.492,67 einschließlich der Familienbeihilfe, einen Nebenverdienst habe er nicht. Mit diesem Einkommen müsse er für den Unterhalt seiner nicht berufstätigen Ehefrau und seiner beiden Kinder aus zweiter Ehe aufkommen, die 7 und 10 Jahre alt seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Klägerin absolviert derzeit die dritte Klasse der fünfklassigen Handelsakademie in Innsbruck, die sie nach dem Schuljahr 1985/86 mit der Matura abschließen wird. Sie stand in der Zeit vom 3.9.1979 bis 31.8.1981 beim Steuerberater Philipp C in Innsbruck in einer Art Lehrverhältnis als Praktikant und erzielte zuletzt ohne Prüfung ein Nettoeinkommen von S 2.436,75

monatlich, 'was einem Lehrling im zweiten Lehrjahr entspricht'. Dieses Lehrverhältnis hat die Klägerin am 31.8.1981 einseitig beendet, um im Schuljahr 1981/82 in die erste Klasse der Handelsakademie einzutreten.

Trotzdem hat sie das letzte Praktikantenjahr nachgeholt und im Dezember 1981

die noch ausständige Praktikantenprüfung abgelegt. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin eine abgeschlossene Berufsausbildung und hätte damit die konkrete Möglichkeit besessen, ein monatliches Nettoeinkommen zwischen S 7.000 bis S 8.000 zu erzielen, zumal der Steuerberater Philipp C mit ihr einen Dienstvertrag mit dem erwähnten Monatsbezug abgeschlossen hätte. Mit dieser Berufsausbildung besteht die Chance, bis zum Bilanzbuchhalter mit einem Nettoeinkommen von ca.20.000 S aufzusteigen. Die Klägerin besucht die Handelsakademie allein deshalb, um später das Unternehmen ihrer Mutter zu übernehmen, weil die Führung des Betriebes der Mutter das Ausbildungsniveau einer Handelsakademie erfordert. Sie verfügte bis zum Zeitpunkt der Klagseinbringung über kein eigenes Einkommen und hat auch keine eigene Wohnung. Der Beklagte hat seit Sommer 1982 an die Klägerin keinen Unterhalt mehr bezahlt. Er erzielt als Mechaniker ein Durchschnittseinkommen von S 15.508,11 plus S 2.200,-- Familienbeihilfe, sohin zusammen S 17.708,11. Er hat für eine nicht berufstätige Frau und zwei eheliche Kinder im Alten von 7

und 10 Jahren zu sorgen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Klägerin sei selbsterhaltungsfähig und habe den neuen Bildungsgang nur deshalb angetreten, um einen Vorteil für ihre Mutter zu erreichen. Ihre weitere Berufsausbildung sei vorwiegend im Interesse ihrer Mutter gelegen.

Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung des Beklagten das Ersturteil insoweit als nichtig auf, als ein Teilbegehren von S 950,--

monatlich ab 1.12.1983 abgewiesen wurde, erklärte das diesbezügliche Verfahren für nichtig und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Im übrigen gab es der Berufung teilweise Folge, erkannte den Beklagten schuldig, außer dem ihm mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck aufgetragenen Unterhalt von monatlich S 950,-- ab 21.12.1983 einen weiteren Unterhalt von S 1.200,-- monatlich zu bezahlen. Das Mehrbegehren wies es ab. Gleichzeit sprach das Berufungsgericht aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat die Rechtsansicht, dem Klagebegehren stehe, soweit ein Betrag von S 950,-- monatlich begehrt werde, die Rechtskraft des Beschlusses im Pflegschaftsverfahren entgegen. Im übrigen sei die Berufung jedoch teilweise berechtigt. Die Unterhaltspflicht der Eltern könne auch gegenüber einem Kind mit abgeschlossener Berufsausbildung wieder aufleben, wenn sich das Kind einer ihm zuzubilligenden weiteren Berufsausbildung unterziehe. Da die Mutter der Klägerin ihr Transportunternehmen dereinst der Klägerin übergeben wolle und die Führung eines solchen Unternehmens das Ausbildungsniveau einer Handelsakademie erfordere, sei die diesbezügliche Weiterbildung zu billigen, zumal die Klägerin das neue Studium ernsthaft und bereits durch zwei Jahre hindurch erfolgreich anstrebe und die Einkommensverhältnisse und Sorgepflichten des Beklagten weitere Unterhaltsleistungen des Beklagten nicht ausschlössen. Allerdings sei ihm nur ein Unterhalt von insgesamt S 2.150,--

monatlich zumutbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde, oder es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob bei abgeschlossener Berufsausbildung ein Weiterstudium auch ohne besondere Eignung hiefür allein aus dem Grunde, dereinst ein bestimmtes Unternehmen fortzuführen, das Wiederaufleben der Unterhaltspflicht des Vaters bewirkt - soweit überblickbar - bisher eine oberstgerichtliche Rechtsprechung fehlt.

Die Revision ist auch berechtigt.

Nach Lehre und Rechtsprechung kann einem bereits selbsterhaltungsfähigen Kind gegen den Willen seines Vaters eine zusätzliche Ausbildung die diesen zu weiteren Unterhaltsleistungen nötigt, nur bei besonderer Eignung für diesen Beruf und der sicheren Erwartung eines besseren Fortkommens gewährt werden (Pichler in Rummel ABGB I Rdz 12 zu § 140; SZ 51/90; SZ 42/9; JBl 1966,85; ÖA 1984,68 = EFSlg 43.179/2). Im vorliegenden Fall verfüge die Klägerin über eine abgeschlossene Berufsausbildung, die sie nicht nur befähigt hätte, derzeit ein monatliches Einkommen von S 7.000,-- bis S 8.000,-- zu erzielen, sondern auf Grund derer sie auch einen konkreten Arbeitsplatz zu diesen Bedingungen in Aussicht hatte. Daß die Klägerin über eine besondere Eignung für das aufgenommene Studium an der Handelsakademie verfügt, wurde von den Vorinstanzen nicht festgestellt. Das Berufungsgericht hat diesbezüglich (offenbar aus der Parteiaussage der Klägerin, aber ohne Feststellungen zu treffen), im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, die Klägerin habe die beiden ersten Klassen, wenn auch nicht mit sehr gutem, so doch mit positivem Erfolg zurückgelegt. Dies würde aber noch keine besondere Eignung der Klägerin für das gewählte Studium bedeuten. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß die Klägerin mit der Absolvierung der Handelsakademie nicht irgend einen Arbeitsplatz anstrebt, für den diese Ausbildung Voraussetzung ist, sondern diese Ausbildung gewählt hat, um dereinst den mütterlichen Betrieb zu übernehmen, dessen Führung nach den Feststellungen der Vorinstanzen das Ausbildungsniveau an einer Handelsakademie erfordert. Die übernahme des mütterlichen Betriebes könnte nämlich der Klägerin allenfalls bessere Berufschancen eröffenen, als ihre bisherige Ausbildung. Soweit der Beklagte in seiner Revision diese Feststellungen unter Hinweis darauf bekämpft, daß er sie als im Verfahren erster Instanz siegreiche Partei nicht habe bekämpfen können, kann ihm zwar nicht beigepflichtet werden. Im Rahmen einer außerordentlichen Revision kann die in erster Instanz siegreiche Partei eine für sie ungünstige Feststellung nicht mehr bekämpfen, wenn sie diese Feststellung nicht in ihrer Berufungsbeantwortung bekämpft hat (7 Ob 1501/85). Allerdings hat das Erstgericht diese unbekämpft gebliebene Feststellung im Rahmen der rechtlichen Beurteilung insofern eingeschränkt, als es ausführte, die angestrebte Matura an der Handelsakademie sei offenbar Voraussetzung für die gewerbliche Nachsicht von den Rechtserfordernissen der Gewerbeausübung. Die Feststellung, wonach die Führung des Betriebes das Ausbildungsniveau an einer Handelsakademie erfordere, bezieht sich daher möglicherweise nicht auf die Größe und Art des Betriebes der Mutter der Klägerin, sondern auf die rechtlichen Voraussetzungen der Betriebsübernahme. Diesbezüglich wäre daher eine Klarstellung erforderlich. In diesem Zusammenhang wären auch Feststellungen über das Ausbildungsniveau der derzeitigen Inhaberin des Betriebes, nämlich der Mutter der Klägerin, zweckmäßig. Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, daß die Führung des Betriebes der Mutter der Klägerin das Ausbildungsniveau eines Absolventen der Handelsakademie erfordert, wäre die Rechtssache noch nicht spruchreif. Vielmehr muß auch geprüft werden, ob die übernahme des Betriebes der erst 40 Jahre alten Mutter durch die Klägerin in absehbarer Zeit bevorsteht, welche Sicherheit für die übernahme besteht, welche Stellung die Klägerin in diesem Betrieb bis zur übernahme desselben bekleiden soll, welche Größe der Betrieb besitzt und wie seine wirtschaftliche Lage ist. Erst danach wird sich beurteilen lassen, ob die von der Klägerin in Aussicht genommene übernahme des mütterlichen Betriebes (ihre Mutter hat sich diesbezüglich als Zeugin nicht geäußert und auch in der Klage wurde dies zunächst nicht behautpet) der Klägerin mit Sicherheit ein besseres Fortkommen ermöglichen wird. Immerhin besaß die Klägerin auch mit ihrer bisherigen Berufsausbildung bedeutende Aufstiegsmöglichkeiten.

In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen, soweit das Klagebegehren nicht rechtskräftig abgewiesen oder zurückgewiesen wurde, aufzuheben. Die Rechtssache war in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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