European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00058.22F.1118.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.842,63 EUR (darin enthalten 473,77 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Beklagte ist die mit Bundesgesetz überdie Einlagensicherung und Anlegerentschädigungbei Kreditinstituten (Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz – ESAEG, BGBl I Nr 117/2015) geschaffene Einrichtung zur Sicherung von Einlagen. Die Klägerin war Kundin eines Kreditinstituts, über dessen Vermögen am 28. 7. 2020 das Insolvenzverfahren (Konkursverfahren) eröffnet wurde. Dessen Masseverwalterin beteiligt sich als Nebenintervenientin auf Seite der Beklagten am Verfahren.
[2] Die Versicherungsgesellschaft der Klägerin überwies rund vier Monate vor Konkurseröffnung (am 26. 3. 2020) einen aus der Auflösung deren Lebensversicherungsvertrags herrührenden (beträchtlichen) Erlös auf das vom Kreditinstitut für sie geführte Konto. Aus Sorge, dass der bei diesem Konto (im Weiteren: Konto 1) mögliche Telebanking‑Zugriff eine Gefahr für die Sicherheit der Gutschrift darstellen könnte, überwies die Klägerin den Großteil des Erlöses auf ein neu eingerichtetes, aber schlechter verzinstes Konto (im Weiteren: Konto 2) beim selben Kreditinstitut.
[3] Von dort entnahm die Klägerin bis zur Konkurseröffnung lediglich einen Teilbetrag zum Ankauf von Gold. Ein den Klagsbetrag weit übersteigender Betrag (von fast 1 Mio EUR) verblieb weiterhin (ohne weitere Kontobewegungen) bis zur Konkurseröffnung unangetastet am Konto 2.
[4] Die Beklagte deckte den Endstand am Konto 1 in Höhe von 220.458,05 EUR (auf dem ja ein Teil der Versicherungsleistung verblieben war) und ersetzte der Klägerin in Bezug auf das Konto 2 (nur mehr) einen Betrag von 100.000 EUR im Rahmen der allgemeinen Einlagensicherung.
[5] Die Klägerin begehrt die Zahlung von weiteren 179.541,95 EUR als den ihr gemäß § 12 ESEAG zustehenden Fehlbetrag auf die in dieser Bestimmung verankerte Privilegierung von (bestimmten) erstattungsfähigen Einlagen bis zu einer Höhe von 500.000 EUR.
[6] Die Beklagte und die Nebenintervenientin bestritten nicht, dass es sich bei der Gutschrift des von der Versicherungsgesellschaft ausbezahlten Erlöses um eine privilegierte Einlage iSd § 12 Abs 1 lit b) ESEAG handelt(e) und der Betrag der Klägerin innerhalb von 12 Monaten vor Konkurseröffnung des Kreditinstituts gutgeschrieben worden war. Sie stehen aber – auch noch in der Revision – auf dem Standpunkt, die Klägerin habe mit dem Kontowechsel eine Veranlagungsentscheidung getroffen. Der auf dem Konto 2 bei Konkurseröffnung erliegende (aus der Versicherungsleistung herstammende und den Klagsbetrag übersteigende) Betrag sei daher nicht mehr iSd § 12 ESEAG privilegiert. Diese Bestimmung sei als Ausnahmebestimmung eng auszulegen.
[7] Das Erstgericht sprach den Klagsbetrag zu.
[8] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und erklärte die ordentliche Revision mit der Begründung für zulässig, dass der Oberste Gerichtshof zur Erstattung von gemäß § 12 ESEAG zeitlich begrenzt gedeckten Einlagen noch nicht Stellung genommen habe.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revisionen der Beklagten und der Nebenintervientin sind entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[10] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn sie vor der Erledigung des Rechtsmittels bereits durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs geklärt wurde (RS0112921 [T5]).
[11] 2. Zu einem gleichgelagerten Sachverhalt (Überweisung einer privilegierten Einlage auf ein anderes Konto bei derselben Bank) und den in den Revisionen dazu aufgeworfenen Fragen hat der 1. Senat jüngst in seiner Entscheidung vom 6. 10. 2022, 1 Ob 241/21d, wie folgt Stellung genommen:
„2.1. Die [auch hier] Beklagte und die Nebenintervenientin vertreten (zusammengefasst) den Standpunkt, dass der Schutz nach diesen Bestimmungen verloren gegangen sei (und damit Einlagen nach den allgemeinen Grundsätzen nur bis 100.000 EUR gedeckt seien), weil der Kläger nach Erhalt der Abfertigung durch Überweisung von Konto eins auf Konto zwei darüber disponiert habe; der Schutz des § 12 ESAEG setze voraus, dass die privilegierten Gelder noch unterscheidbar auf jenem Konto vorhanden seien, auf das sie eingezahlt wurden.
2.2. Richtig ist, dass der Kläger nach den Feststellungen am 30. 9. 2019 einen Betrag, der die Abfertigung überstieg, von seinem Girokonto eins auf das Girokonto zwei überwiesen hat und dass es auch in der Folge zu Transaktionen zwischen diesen Konten kam. Zutreffend hat dazu aber bereits das Berufungsgericht erkannt, dass weder § 12 ESAEG noch Art 6 der Richtlinie anordnet, dass Überweisungen zwischen Konten beim selben Kreditinstitut zum Ende der temporären Höherdeckung führen.
2.3. Das ergibt sich auch aus Systematik und Zweck der Regelungen zur Einlagensicherung:
2.3.1. Kernaufgabe des Einlagensicherungssystems nach der Richtlinie 2014/49/EU ist der Schutz der Einleger vor den Folgen der Insolvenz eines Kreditinstituts (Entschädigungsfunktion 'paybox' [EG 14]). Die mit der Richtlinie harmonisierte Obergrenze von 100.000 EUR gilt grundsätzlich pro Einleger und nicht pro Einlage. Der Österreichische Gesetzgeber hat Art 6 Abs 1 der Richtlinie in § 7 Abs 1 Z 5 ESAEG um‑ und die Höhe der gedeckten Einlagen, der Richtlinie folgend, mit bis zu 100.000 EUR festgesetzt. Dazu halten die Materialien fest, dass diese Obergrenze unabhängig von der Anzahl, der Währung und der Belegenheit der Einlagen in der Union zum Tragen kommt (686 BlgNR 25. GP 6).
Das mit dem ESAEG umgesetzte System der Einlagensicherung stellt damit ganz grundsätzlich auf den Einleger und die ihm als dem Inhaber zugeordneten Einlagen ab. Dabei gilt die (allgemeine) Haftungsobergrenze von 100.000 EUR für die Gesamtheit der Einlagen eines Einlegers im Sinn des § 7 Abs 1 Z 3 ESAEG. Die Anzahl der Einlagen bleibt damit ohne Einfluss auf den Haftungshöchstbetrag. Dem Zweck des Einlagensicherungssystems entspricht es vielmehr, im Interesse des Einlegers alle Einlagen beim Kreditinstitut zu erfassen.
2.3.2. Damit ist es aber nicht von Bedeutung, ob der Einleger ein Guthaben auf ein anderes, ebenfalls ihm zugeordnetes Konto bei demselben Kreditinstitut transferiert, gleich ob es sich dabei um ein Giro-, Festgeld- oder Sparkonto handelt. Es liegen in jedem Fall Einlagen vor, die im Rahmen der allgemeinen Einlagensicherung unabhängig von ihrer Anzahl zugunsten eines Inhabers bis zu einem Gesamtbetrag von 100.000 EUR geschützt sind.
2.3.3. Ergänzend dazu sieht Art 6 Abs 2 der Richtlinie für bestimmte Einlagen eine zeitlich befristete Erhöhung des Erstattungsbetrags vor, trifft aber sonst keine vom Regime der allgemeinen Einlagensicherung abweichenden Regelungen. Diese Bestimmung bezweckt, dass der Schutz von Einlagen, die aus bestimmten Transaktionen resultieren oder bestimmten sozialen oder anderen Zwecken dienen, für einen vorgegebenen Zeitraum über dem Betrag von 100.000 EUR liegt.
2.3.4. Die Umsetzungsnorm des § 12 Z 1 ESAEG konkretisiert dazu die Fälle, in denen eine erstattungsfähige Einlage über eine Höhe von 100.000 EUR bis zu einer Höhe von 500.000 EUR als gedeckte Einlage gilt. Z 2 dieser Bestimmung begrenzt die Höherdeckung mit zwölf Monaten und setzt fest, wann diese Frist zu laufen beginnt. Auch die nationale Regelung erhöht daher lediglich die gesicherte Summe für Einlagen, die aus bestimmten Transaktionen resultieren oder (soweit hier relevant) an bestimmte Lebensereignisse des Einlegers anknüpfen, trifft aber sonst keine vom Normalfall abweichenden Regelungen.
2.3.5. Abgesehen von der zeitlich begrenzten Erhöhung der Deckungssumme gelten daher auch im Regime des § 12 ESAEG die Überlegungen zur allgemeinen Einlagensicherung. Der Schutz erfasst grundsätzlich alle Einlagen eines Einlegers. Es ist daher ohne Bedeutung, ob der Einleger ein Guthaben von einem (Giro-)Konto auf ein anderes (Giro-)Konto beim selben Kreditinstitut transferiert:
Das Girokonto dient ganz allgemein der Abwicklung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs (im Sinn des § 1 Abs 1 Z 2 BWG). Es bezeichnet im engeren Sinn die Forderung des einen Partners aus einem Girovertrag gegen den anderen, die sich aus der Verrechnung der gegenseitigen Forderungen und Leistungen, die buchhalterisch zusammengefasst werden sollen, als Saldo ergibt. Der positive Tagessaldo ist das für den Kunden verfügbare Guthaben, dem insoweit gegen die Bank eine Forderung zukommt (vgl 6 Ob 86/09d [Pkt 5.2.]).
Auf ein solches Guthaben und damit eine Forderung gegen das Kreditinstitut stellt auch § 7 Abs 1 Z 3 lit b ESAEG ab, der für den Anwendungsbereich dieses Gesetzes ganz allgemein die Einlage definiert. Auch bei den nach § 12 ESAEG privilegierten Einlagen ist damit das Guthaben (und nicht die individualisierbare Leistung an sich) geschützt, das sich unter Berücksichtigung der sonstigen Kontobewegungen aus einer solchen Überweisung ergibt. Es kommt daher nur darauf an, ob unter Berücksichtigung der Kontobewegungen ein Guthaben aus einer solchen Leistung bei Eintritt des Sicherungsfalls nachgewiesen werden kann. Abzustellen ist nach den allgemeinen Grundsätzen auf alle Einlagen eines Einlegers. Tritt – wie im vorliegenden Fall – ein weiteres (Giro-)Konto hinzu, sind zwar die Transaktionen zwischen diesen Konten in die Betrachtung miteinzubeziehen. Allein aus dem Umstand, dass es solche Kontobewegungen gegeben hat, kann aber weder auf eine Veranlagung im Sinn des 3. Teils des ESAEG mit dem Ziel, daraus einen Gewinn bzw Wertzuwachs zu lukrieren, geschlossen werden, noch geht schon deswegen der Schutz des § 12 ESAEG verloren.
2.3.6. Die Entscheidung zu 8 Ob 4/94, auf die sich die Beklagte bezieht, ist nicht einschlägig, weil es hier nicht um die Vindikation eines Geldbetrags, sondern um den Schutz von Einlagen als den am Konto (den Konten) verbliebenen Beträgen (Guthaben) aus bestimmten privilegierten Transaktionen geht.
3. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass auch im Anwendungsbereich des § 12 ESAEG grundsätzlich alle Einlagen eines Einlegers zu berücksichtigen sind. Es kommt darauf an, ob bzw in welcher Höhe ein Guthaben, das aus einer Zahlung resultiert, die eine der Voraussetzungen des § 12 Z 1 ESAEG erfüllt, bei Eintritt des Sicherungsfalls unter Berücksichtigung der übrigen Kontobewegungen noch als Einlage im Sinn des § 7 Abs 1 Z 3 ESAEG vorhanden ist. Führt der Kunde mehrere Konten und kam es zu Transaktionen zwischen diesen Konten, bedarf es zur Ermittlung, ob noch ein Guthaben (§ 7 Abs 1 Z 3 lit b ESAEG) aus einer solchen Einlage besteht, einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung dieser Kontobewegungen.
[…]
Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:
Verfügt ein Anleger über mehrere Konten bei einem Kreditinstitut, so führen Überweisungen zwischen diesen Konten nicht dazu, dass unter § 12 ESAEG fallende Einlagen nicht mehr von der Entschädigungspflicht erfasst wären. Vielmehr sind solche Einlagen weiterhin privilegiert, soweit sie bei einer Gesamtbetrachtung noch auf den Konten vorhanden sind.“
[12] 3. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Ein 500.000 EUR übersteigender Betrag, der aus der Versicherungsleistung herstammt, war im Zeitpunkt der Konkurseröffnung auf den bei von der konkursverfallenen Bank geführten Konten (1 und 2) der Klägerin in diesem Sinne „vorhanden“ und demnach von der Beklagten zu ersetzen.
[13] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin, der die erst unlängst ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs noch nicht bekannt sein konnte, hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf deren fehlende inhaltliche Berechtigung hingewiesen, sodass sie nach §§ 41, 50 ZPO Anspruch auf Ersatz ihrer Kosten hat (vgl auch RS0112921 [T6]).
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