OGH 6Ob575/87

OGH6Ob575/8730.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jolan T***, Private, Harrachgasse 5/133, 1220 Wien, vertreten durch Dr. Thomas Höhne, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** G*** UND U*** reg. Genossenschaft mbH,

Bahnstraße 8, 2230 Gänserndorf, vertreten durch Dr. Walter Papis, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 70.000,-- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3. Februar 1987, GZ 11 R 13/87-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg vom 10. Dezember 1986, GZ 3 Cg 180/86-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Bezirksgericht Donaustadt als Pflegschaftsgericht zu dem bezüglich der Klägerin zu AZ. 17 SW 1/87 anhängigen SW-Verfahren mit der Verständigung übermittelt, daß sich nach der Mitteilung der Beklagtenvertreter bei der Klägerin mit Beziehung auf den Rechtsstreit Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben.

Der Rechtsstreit wird bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes unterbrochen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte von der beklagten Partei den Betrag von S 70.000,-- samt Nebengebühren, welchen diese der - der Klägerin unbekannten - Überbringerin eines von der Klägerin mit dem Losungswort "S***" versehenen Sparbuches ohne Nennung des exakten Losungswortes ausbezahlt habe.

Das Erstgericht gab der Klage statt, das Berufungsgericht änderte über Berufung der beklagten Partei in die Klageabweisung ab und ließ die Revision gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zu. Nach Erstattung der Revisionsbeantwortung teilte der Vertreter der beklagten Partei dem Obersten Gerichtshof mit, daß bezüglich der Klägerin beim Bezirksgericht Donaustadt zu 17 SW 1/87 ein SW-Verfahren anhängig sei und auch in einem Strafverfahren, in welchem "der prozeßgegenständliche Fall in strafrechtlicher Hinsicht geprüft werde", die Zurechnungsfähigkeit der Klägerin überprüft werde, so daß auch Bedenken an ihrer Prozeßfähigkeit vorlägen. Eine Anfrage des Obersten Gerichtshofes beim Bezirksgericht Donaustadt ergab, daß zu dg. 17 SW 1/87 ein SW-Verfahren bezüglich Jolan T*** im Zusammenhang mit einer von ihr erhobenen Klage gegen die Republik Österreich auf Schadenersatz wegen gesetzwidriger Anhaltung in einem psychiatrischen Krankenhaus anhängig, in diesem Verfahren ein psychiatrisches Gutachten eingeholt worden sei, welches den Mangel einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung der Jolan T*** nicht ausschließen lasse, und eine Entscheidung über die Bestellung eines Sachwalters (oder Einstellung des Verfahrens) noch nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 a ZPO ist es dem Prozeß- oder Rechtsmittelgericht seit Inkrafttreten des Sachwaltergesetzes mit 1. Juli 1984 verwehrt, die Prozeßfähigkeit der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterliegenden Partei, für die kein Sachwalter bestellt wurde, selbständig zu prüfen (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 349; EvBl. 1986/162; 8 Ob 700/86; 2 Ob 14/88). Es hat in solchen Fällen vielmehr das Pflegschaftsgericht zu verständigen und ist dann gemäß § 6 a dritter Satz ZPO an die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes gebunden.

Aus den Gesetzesmaterialien (RV 742 BlgNR XV. GP 23) ergibt sich eindeutig, daß der Zweck der neu geschaffenen Bestimmung darin besteht, die Beurteilung der Prozeßfähigkeit von der inländischen Pflegschaftsgerichtsbarkeit unterworfenen psychisch erkrankten oder geistig behinderten Personen ausschließlich dem Pflegschaftsgericht zuzuweisen.

Es ist daher dem Obersten Gerichtshof verwehrt, im Sinne der Anregung der beklagten Partei die Prozeßfähigkeit der Klägerin selbständig zu prüfen und etwa sodann auf Grund der Aktenlage zu beurteilen. Vielmehr hat er gemäß § 6 a ZPO die Akten dem zuständigen Pflegschaftsgericht mit der in dieser Gesetzesstelle vorgesehenen Verständigung zu übermitteln. Dieses wird, wenn es die Prozeßfähigkeit der Klägerin aus den im § 273 Abs. 1 ABGB vorgesehenen Gründen verneinen sollte, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um die ordnungsgemäße Vertretung der Klägerin in diesem Rechtsstreit sicherzustellen. Andernfalls wird es einen Einstellungsbeschluß nach § 243 AußStrG zu fassen haben, dem nach § 6 a dritter Satz ZPO bei Beurteilung der Frage der Prozeßfähigkeit der Klägerin (nach Eintritt seiner Rechtskraft) Bindungswirkung zukommt (8 Ob 700/86; 2 Ob 14/88).

Bis zu der das Prozeßgericht und die Rechtsmittelgerichte in dieser Frage bindenden Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes ist das Verfahren auszusetzen (Fasching, aaO; Maurer, Sachwalterrecht, 100; EvBl. 1986/162; 8 Ob 700/86; 2 Ob 14/88).

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