OGH 6Ob561/92

OGH6Ob561/929.7.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Robert Ö*****, Kaufmann, ***** vertreten durch Dr.Georg Krasser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Adolf P*****, ***** vertreten durch Dr.Karl Katary, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge der Rekurse beider Streitteile gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes v1om 11.Oktober 1991, GZ 41 R 490/91-39, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Döbling vom 29.März 1991, GZ 5 C 878/90g-33, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird dem Rekurs der klagenden Partei Folge gegeben, der angefochtene Beschluß behoben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.874,56 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Umsatzsteuer S 805,76 und Barauslagen S 40,-- sowie die mit S 2.899,20 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin Umsatzsteuer S 483,20) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger kündigte Adolf P***** die Wohnung Nr 27 im Haus *****, gemäß § 30 Abs 2 Z 6 MRG mit dem Vorbringen auf, der bereits mehr als 90jährige Beklagte sei am 10.April 1990 in ein Altersheim übersiedelt und beabsichtige nicht mehr, in die Wohnung zurückzukehren. Adolf P***** erhob Einwendungen gegen die Aufkündigung und brachte vor, der Aufenthalt im Altersheim sei nur vorübergehend; er beabsichtige, nach Rückkehr, seiner auf Urlaub befindlichen Pflegeperson im Herbst 1990 wieder in die Wohnung zurückzukehren. Sein Sohn Ing.Erhard P***** sei gemeinsam mit ihm in die Mietrechte nach dem 1952 verstorbenen Vormieter eingetreten und nach wie vor Mitmieter; es fehle daher an der Passivlegitimation.

Adolf P***** ist im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens verstorben.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die beklagte Partei unter Zugrundelegung des folgenden wesentlichen Sachverhaltes zur Räumung: Der Kläger ist Eigentümer des Hauses *****. Der Vater des Adolf P*****, der Mieter der aufgekündigten Wohnung war - ein schriftlicher Mietvertrag ist nicht vorhanden -, verstarb 1952. Zu diesem Zeitpunkt wohnten Adolf P*****, seine Ehefrau und deren 1937 und 1930 geborenen Söhne Ing.Erhard und Dr.Helmut P***** mit ihm im gemeinsamen Haushalt. Aus Anlaß des Todes des Vaters von Adolf P***** wurde kein Mietvertrag errichtet. Die Mietzinse wurden ab diesem Zeitpunkt nur Adolf P***** vorgeschrieben, der sie auch bis zu seinem Tode allein bezahlte. Ing.Erhard P***** war dies bekannt; er zahlte niemals Zins und verlangte auch nie, daß ihm Mietzinse vorgeschrieben werden.

Der Helmut P***** zog ca 1960 aus der Wohnung aus. Ing.Erhard P***** heiratete und nahm ab 1.Juli 1960 eine Stelle in Salzburg an, wo er mit seiner Ehefrau ein möbliertes Zimmer bezog. 1961 kehrte er mit ihr nach Wien zurück und bewohnte bis ca. 1963/64 mit ihr und nach der erfolgten Scheidung allein mit seinem Vater die aufgekündigte Wohnung. 1966 heiratete er wieder. Er bewohnte mit seiner zweiten Ehefrau deren Eigentumswohnung in der E*****gasse. Nach der Scheidung mietete er ein Objekt in der T*****gasse, das aus einem 20 m2 großen Büroraum, einem 12 bis 14 m2 großen Raum, der unter anderem auch mit einem Bett ausgestattet war, sowie aus Bad und Kochnische bestand. Er betrieb dort seine selbständige Tätigkeit als Bauplaner bis 1987. 1981 erwarb er eine Liegenschaft in Langenlois und begann 1984 mit dem Bau eines Hauses, das noch nicht fertiggestellt ist.

Seit mindestens 20 Jahren bewohnt Ing.Erhard P***** die aufgekündigte Wohnung, in der er nur polizeilich gemeldet ist, nicht mehr regelmäßig. Es stand ihm zwar noch ein Kabinett, in welchem er gelegentlich übernachtete, zur Verfügung, doch kam er nur mehr fallweise, um seinen Vater zu besuchen. Seit dem Tod seines Großvaters hatte er keinen Kontakt mit der Hausverwaltung. Er schrieb an diese lediglich nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 1978, er sehe aus diesem Anlaß keinen Grund, wie dies sein Vater getan habe, eine neue polizeiliche Anmeldung vorzunehmen, weil in der strittigen Wohnung "ohnehin eine aufrechte polizeiliche Meldung bestehe und er bekannterweise nach dem Tod seines Großvaters gemeinsam mit seinem Vater in die Mietrechte eingetreten sei und sich an dieser Situation nichts geändert habe". Die Hausverwaltung, die auf dieses Schreiben nicht reagierte, wird seit 1974 von Franz K***** geführt, dem über ein Mitmietrecht des Ing.Erhard P***** keine Unterlagen zur Verfügung standen. Als alleiniger Hauptmieter schien nur Adolf P***** auf, mit welchem alle das Mietobjekt betreffenden Agenden bis zu seinem Tod geführt wurden. Adolf P***** lebte bis zum Tode seiner Frau mit dieser und dann allein in der aufgekündigten Wohnung. In den letzten Jahren war er auf fremde Betreuung angewiesen, die eine im Haus wohnende Frau leistete. Seine beiden Söhne kamen nur fallweise zu Besuch. Adolf P***** hatte sich bereits vor Jahren für die Aufnahme in ein Altersheim vormerken lassen, wollte dort aber nur im Notfall einziehen. Während der Urlaubsabwesenheit seiner Betreuungsperson nahm er in den letzten Jahren jeweils für einige Wochen befristeten Aufenthalt in einem möblierten Zimmer des Altersheimes. Nachdem im Frühjahr 1990 wieder eine längere Abwesenheit seiner Pflegefrau bevorstand und nachdem diese sich nicht mehr bereit erklärt hatte, nach ihrer Rückkehr die Betreuung wieder aufzunehmen, zog Adolf P***** im April 1990 in das Altersheim und richtete dort sein Zimmer mit seinen Möbeln ein. Er hoffte allerdings noch immer, eine Pflegeperson zu finden und dann in die Wohnung zurückkehren zu können. Eine konkrete Aussicht bestand allerdings damals noch nicht. Wenige Wochen nach einem Sturz im Juni 1990 im Altersheim verstarb Adolf P*****. Erst nach seinem Tode begann Ing.Erhard P***** die Wohnung zu benützen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, nach dem Tod des Vaters von Adolf P***** sei dieser mit seinen beiden Söhnen gemeinsam in die Hauptmietrechte eingetreten. Ziehe einer von mehreren Mitmietern aus der Wohnung aus, sei der objektive Erklärungswert dieses Verhaltens als Verzicht auf sein Mitmietrecht anzusehen, ohne daß es einer besonderen Aufkündigung bedürfe. Da seitens des Vermieters immer nur Adolf P***** als alleiniger Hauptmieter behandelt worden sei und die Söhne, die sich niemals als Mieter deklariert und auch niemals Mietzins bezahlt hätten, nach erreichter Volljährigkeit und Gründung eigener Familien aus der Wohnung ausgezogen seien, könne deren Verhalten nur als Verzicht auf ein Mitmietrecht gewertet werden. Das erst 12 Jahre nach der zweiten Eheschließung an die Hausverwaltung gerichtete Schreiben, in welchem Ing.Erhard P***** auf sein Eintrittrecht aus dem Jahre 1952 verwiesen habe, sei nicht geeignet gewesen, den schlüssig erklärten Verzicht nachträglich unwirksam zu machen. Die Passivlegitimation sei daher gegeben.

Auch der geltend gemachte Kündigungsgrund liege vor. Eine Befristung des Aufenthaltes des alleinigen Mieters im Altersheim sei nicht vorgesehen gewesen. Bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedarfes sei auch die Entwicklung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung zu beachten. Durch den Tod des Gekündigten sei dessen Wohnbedarf endgültig weggefallen. Eine Benützung der Wohnung durch seinen Sohn sei im Zeitpunkt der Aufkündigung nicht vorgelegen, der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG daher gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Der Ansicht des Erstgerichtes, daß Ing.Erhard P***** auf seine Mitmietrechte, die ihm nach dem Tode seines Großvaters zugestanden seien, schlüssig verzichtet habe, sei zuzustimmen. Dieser habe zumindest seit seiner zweiten Hausstandsgründung im Jahr 1966 seinen Lebensschwerpunkt auf Dauer aus der aufgekündigten Wohnung verlagert und habe diese nur mehr besuchsweise benützt. Die seinen Eltern bekannten Umstände, die zu seinem Auszug führten, sowie die Tatsache, daß er weder von seinem Vater noch von Seiten des Vermieters jemals als Mitmieter angesehen oder gar in Pflicht genommen worden sei und selbst nicht zu erkennen gegeben habe, daß er solche Rechte in Anspruch nehme, ließen keinen Zweifel darüber offen, daß Ing.Erhard P***** mit stillschweigender Zustimmung seines Vaters sowie im Einverständnis mit dem Vermieter auf seine Mitmietrechte verzichtet habe. Diese seien daher erloschen. Die Passivlegitimation sei somit gegeben.

Dem Erstgericht sei jedoch ein primärer Verfahrensmangel unterlaufen:

Die beklagte Partei habe vor Schluß der mündlichen Verhandlung die Vernehmung einer weiteren Zeugin zum Beweise dafür beantragt, daß der Gekündigte nur vorübergehend in das Altersheim mit der Absicht gezogen sei, im Herbst 1990 wieder in seine Wohnung zurückzukehren und daß dann auch eine geeignete Pflegeperson zur Verfügung gestanden wäre. Die vom Erstgericht hiezu getroffenen Feststellungen beruhten daher auf einer vorgreifenden Beweiswürdigung und könnten vom Berufungsgericht nicht übernommen werden. Daß im vorliegenden Fall der Wohnbedarf des alleinigen Hauptmieters durch dessen Tod endgültig weggefallen sei, könne für sich allein nicht ausschlaggebend dafür sein, ob der geltend gemachte Kündigungsgrund vorliege, weil es sich dabei um ein nachträgliches, erst im Zuge des Prozesses vorgefallenes Ereignis handle.

Der Rekurs sei zulässig, weil nach der Beurteilung des Berufungsgerichtes eine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage eines konkludenten Verzichtes auf Mietrechte bei vorbehaltslosem Auszug eines Mieters unter Verlegung seines Lebensschwerpunktes aus der mitgemieteten Wohnung nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Während dem Rekurs der beklagten Partei, die eine Abweisung des Klagebegehrens anstrebt, weil ein schlüssiger Verzicht nicht anzunehmen sei, keine Berechtigung zukommt, ist der Rekurs des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteiles berechtigt.

Ob ein stillschweigender Verzicht auf Mitmietrechte anzunehmen ist, muß nach den allgemeinen Grundsätzen des § 863 ABGB beurteilt werden. Er setzt somit ein Verhalten aller Beteiligten voraus, das bei Überlegung aller Umstände keinen Zweifel an ihrer Absicht, den bisherigen Mietvertrag in diesem Sinne zu novieren, übrig läßt. Die besonderen Umstände müssen also für die Annahme eines konkludenten Verzichtes sprechen (SZ 44/106; MietSlg. 18.126 ua). Diese besonderen Umstände müssen aber im jeweils vorliegenden Einzelfall geprüft und abgewogen werden. Den Vorinstanzen ist zuzustimmen, daß die hier gegebenen Umstände und das Verhalten aller Beteiligten keinen Zweifel offen lassen, daß Ing.Erhard P***** zum Zeitpunkt der Aufkündigung kein Mitmietrecht an der aufgekündigten Wohnung zustand (§ 510 Abs 3 ZPO) und daß er auch im Sinne des § 14 Abs 3 MRG nach dem Tode seines Vaters nicht eintrittsberechtigt war.

Zutreffend aber hat das Erstgericht auch das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG bejaht, ohne daß ihm ein Verfahrensmangel unterlaufen ist. Dieser Kündigungsgrund setzt das vom Vermieter zu beweisende Fehlen einer regelmäßigen Verwendung zu Wohnzwecken voraus sowie den Mangel eines dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen. Das Vorliegen dieses schutzwürdigen Interesses trotz fehlender Benützung hat der Mieter nachzuweisen (MietSlg. 31.428; Würth in Rummel Rz 31 zu § 30 MRG). Hat der Vermieter die nicht (regelmäßige) Benützung nachgewiesen, ist es somit Sache des Mieters, zu beweisen, daß er in nächster Zukunft in die Wohnung zurückkehren wird, die Nichtbenützung also eine absehbare nur vorübergehende Unterbrechung darstellt. Wenn auch ein Kündigungsgrund grundsätzlich zum Zeitpunkt der Aufkündigung gegeben sein muß, so sind doch in jenen Fällen, in denen eine Zukunftsprognose erforderlich ist, nicht nur die Umstände im Zeitpunkt der Aufkündigung, sondern auch die während des Verfahrens eingetretenen Entwicklungen zu berücksichtigen. Da der Mieter schon während des Verfahrens erster Instanz verstorben ist, kann der Beweis, daß er in nächster Zukunft in die Wohnung zurückkehren wird, nicht mehr erbracht werden. Die Einvernahme einer Zeugin zu diesem Beweisthema erweist sich somit als zwecklos. Es steht auch fest, daß zum Zeitpunkt des Todes des Mieters keine eintrittsberechtigten Personen vorhanden waren. Das Erstgericht hat daher ohne Verfahrensverstoß zu Recht die Aufkündigung für rechtswirksam erklärt. Das Ersturteil war daher wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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