OGH 6Ob545/86 (6Ob546/86)

OGH6Ob545/86 (6Ob546/86)24.4.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Hon.Prof.Dr. Griehsler, Dr. Gamerith und Dr. Schlosser als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Wolfgang R***, Schlosser, 9530 Bad Bleiberg, vertreten durch Dr. Kuno Ther, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte und widerklagende Partei Annemarie R***, Hausfrau, 9530 Bad Bleiberg, vertreten durch Dr. Heinz Napetschnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten und widerklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 5. November 1985, GZ 6 R 162,169/85-22, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 16. April 1985, GZ 27 Cg 361/83-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 5.657,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 514,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 20.10.1949 geborene Wolfgang R*** und die am 7.3.1947 geborene Annemarie R*** geborene S*** sind beide österreichische Staatsbürger und schlossen am 7.10.1972 vor dem Standesamt Bleiberg die beiderseits erste Ehe, die kinderlos blieb. Mit der am 27.7.1983 eingebrachten Ehescheidungsklage beantragte der Kläger und Widerbeklagte (künftig kurz Kläger genannt) die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten und Widerklägerin (künftig kurz Beklagte genannt). Er stützte sich auf Eheverfehlungen gemäß § 49 EheG, und zwar auf Alkoholismus der Beklagten, die infolgedessen den Kläger und den Haushalt vernachlässige, den Kläger beschimpfe und den ehelichen Verkehr verweigere. Der Kläger gab seinerseits ehebrecherische Beziehungen zu Joanna A*** zu, behauptete jedoch, diese seien erst nach Zerrüttung der Ehe aufgenommen worden.

Die Beklagte bestritt zunächst nur, daß sie Eheverfehlungen begangen habe, erhob jedoch am 1.2.1985 eine Widerklage, in der als Scheidungsgründe das ehebrecherische Verhältnis des Klägers zu Joanna A*** und Vernachlässigung der Beklagten durch den Kläger geltend gemacht wurden. Die Beklagte behauptete, ihr vermehrter Alkoholkonsum sei auf das lieblose Verhalten des Klägers zurückzuführen, der sich seit ca. zwei Jahren nur im betrunkenen Zustand der Beklagten sexuell zu nähern versucht und sie auch beschimpft habe.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden der Streitteile. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Beklagte arbeitete bis September 1978 vor allem nachmittags und abends als Serviererin, während der Kläger eine Arbeitszeit zwischen 6 Uhr und 14 Uhr hatte. Auf Grund dieser Arbeitszeiten hatten die Eheleute miteinander wenig Kontakt. Über Wunsch des Klägers gab die Beklagte im September 1978 ihren Beruf auf und war nur noch Hausfrau, langweilte sich jedoch und vernachlässigte die Haushaltsarbeit. Auch nach Einstellung ihrer Berufstätigkeit richtete sie dem Kläger nicht das Frühstück. Er mußte sich auch am Abend "aus dem Kühlschrank" selbst versorgen. Die Beklagte bereitete aber das Mittagessen zu, mit dem der Kläger nicht immer einverstanden war. Obwohl bis 1982 nur die Streitteile im Haushalt lebten, vernachlässigte die Beklagte auch die übrigen Haushaltsarbeiten. Sie bettete die Betten in der Regel nicht auf. Meist mußte der Kläger erst beim Schlafengehen die Leintücher und die Decken gleichziehen. Er sah sich auch öfter veranlaßt, staubzusaugen. Die Wäsche wurde grundsätzlich von den beiden Müttern der Eheleute gebügelt und ausgebessert. Der Kläger führte von jeher ein geselliges Leben. Er hatte sich Vereinen angeschlossen und war in diesem Rahmen öfter im Gasthaus. Im Sommer kegelte er gern, im Winter betätigte er sich mit Eisschießen mitunter drei- bis viermal wöchentlich. Er nahm an den ein- bis zweimal monatlich stattfindenden Kameradschaftsbundsitzungen teil, war bei der Feuerwehr und in diesem Zusammenhang zwei- bis dreimal im Monat auch abends auswärts. Hin und wieder ging er mit der Beklagten aus, die aber dabei mitunter zuviel Alkohol zu sich nahm, weshalb ihr der Kläger Vorhaltungen machte. Während ihrer Berufsarbeit hatte die Beklagte geringfügig getrunken. Als sie nur noch Hausfrau war und der Haushalt sie offenbar sehr langweilte, griff sie im verstärkten Ausmaß zu alkoholischen Getränken und war auch meist - für Außenstehende allerdings nicht leicht erkennbar - leicht betrunken. Sie lag tagsüber meist am Divan und stellte sich krank. In den beiden letzten Jahren vor Einbringung der Scheidungsklage durch den Kläger trank die Beklagte wöchentlich zwischen ein und zwei Liter Schnaps. Im Jahre 1981 war sie wegen Funktionsstörungen der Bauchspeicheldrüse im Krankenhaus. Im April und Mai 1983 stand die Beklagte wegen eines Leberschadens vier bis fünf Wochen im Krankenhaus Villach in stationärer Behandlung. Anschließend hat sie sich etwa drei Wochen daheim zurückgehalten. Als sie offenkundig Grund zur Eifersucht hatte, nahm sie Tabletten und im größeren Ausmaß Alkohol zu sich, sodaß sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte, aus dem sie nach drei Tagen entlassen wurde. Im Sommer und Herbst 1983 trank die Beklagte "mittelmäßig". Wieweit sie seither dem Alkohol zuspricht, konnte nicht festgestellt werden. Durch die mangelnde Haushaltsführung und die oftmalige, mitunter fast ständige leichte Alkoholisierung der Beklagten verlor der Kläger allmählich die innere Bindung zu und jedes Interesse an ihr. Eine Zerrüttung der Ehe hatte zumindest schon im Jahre 1981 begonnen und sich bis zum Beginn des Jahres 1983 zu einer tiefgreifenden Zerrüttung entwickelt. Ab ca. Mitte 1982 bestand zwischen den Parteien - zumindest im nüchternen Zustand - kein sexuelles Interesse mehr. Der Kläger wendete sich ab Februar 1983 einer anderen Frau zu, mit der er schon vor der Klagseinbringung vom 27.7.1983 Ehebruch beging. Nach dem kurzen Krankenhausaufenthalt der Beklagten im Juni 1983 schlief der Kläger nur noch zeitweise in der ehelichen Wohnung und gab sich mit der Beklagten fast überhaupt nicht mehr ab. Im November 1983 war der Kläger selbst im Krankenhaus und kehrte anschließend nicht mehr in die eheliche Wohnung zurück, sondern wohnt nunmehr bei seinen Eltern. Als sich der Kläger einer anderen Frau zuwandte, war die Zerrüttung der Ehe der Streitteile zumindest schon sehr weit fortgeschritten.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, ein erheblich schwereres Verschulden eines der beiden Ehegatten könne noch nicht angenommen werden, wenngleich nicht zu übersehen sei, daß das einleitende und zeitlich nicht enden wollende Fehlverhalten auf Seite der Beklagten liege. Andererseits könne aber selbst bei einer sehr fortgeschrittenen Zerrüttung der Ehe ein Ehebruch durch den bis dahin zumindest weitgehend schuldlosen Teil nicht bagatellisiert werden.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, welche seiner Ansicht nach auf einem mangelfreien Verfahren beruhten. Rechtlich vertrat es die Auffassung, die Namhaftmachung von neuen Zeugen durch die Beklagte in ihrer Berufung verstoße gegen das nunmehr auch im Ehescheidungsverfahren bestehende Neuerungsverbot. Der Beklagten sei als Eheverfehlung vorzuwerfen, daß sie den Haushalt nicht in üblichem Maße versorgt, sich in steigendem Maße dem Alkoholkonsum hingegeben habe und immer häufiger alkoholisiert gewesen sei. Der Kläger habe durch eine deutliche Verständnislosigkeit gegenüber den seelischen Problemen der Beklagten zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zu deren Alkoholmißbrauch beigetragen und er habe die Ehe gebrochen, was auch nach eingetretener Zerrüttung einen Scheidungsgrund darstelle, zumal im vorliegenden Fall die Ehe hiedurch endgültig zerrüttet worden sei. Es könne jedoch bei Abwägung der beiderseitigen Eheverfehlungen nicht gesagt werden, daß das Verschulden eines Teiles fast völlig in den Hintergrund trete, weshalb der Ausspruch des gleichteiligen Verschuldens gerechtfertigt sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten mit den Anträgen, das Begehren des Klägers abzuweisen und die Ehe (auf Grund der Widerklage) aus dem alleinigen, allenfalls aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers zu scheiden, oder das Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Soweit die Beklagte eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens darin erblickt, daß das Berufungsgericht die von ihr in der Berufung angebotenen Zeugen nicht vernommen hat, übersieht sie, daß nunmehr gemäß § 483 a Abs 2 ZPO das Neuerungsverbot des § 482 ZPO nur mehr im Verfahren über die Nichtigerklärung oder die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe nicht gilt, während es im Ehescheidungsverfahren besteht. Vom Neuerungsverbot ausgenommen sind zwar Tatsachen und Beweismittel zur Dartuung oder Widerlegung der geltend gemachten Rechtsmittelgründe. Diese Ausnahmevorschrift ermöglicht aber keine Neuerungen zur Stützung oder Widerlegung des Sachantrages, sondern nur solches Vorbringen, das den konkreten Rechtsmittelgrund selbst betrifft (Fasching Zivilprozeßrecht Rdz 1730). Zur Unterstützung des Berufungsgrundes der unrichtigen Tatsachenfeststellung und unrichtigen Beweiswürdigung dürfen dagegen neue Beweismittel nicht vorgebracht werden (JBl 1968, 89; JBl 1958, 150; EFSlg. 41.719 uva). Die Zeugen wurden jedoch von der Beklagten zum Beweis dafür beantragt, daß sie entgegen den Feststellungen des Erstgerichtes den Haushalt nicht vernachlässigt habe und kein Alkoholmißbrauch vorgelegen sei.

Die weiteren behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens liegen ebenfalls nicht vor (§ 510 Abs 2 ZPO).

Die Vorinstanzen haben die Rechtssache rechtlich richtig beurteilt.

Es ist zwar richtig, daß der Kläger durch seine häufige Sportausübung und die Tätigkeit in diversen Vereinen die Beklagte vernachlässigt hat und damit an der beginnenden Zerrüttung der Ehe mitschuldig war. Es kann aber nicht übersehen werden, daß die Beklagte den Haushalt vernachlässigte, obwohl dieser nur aus zwei Personen bestand, vor allem aber seit der Aufgabe ihrer Berufstätigkeit in zunehmendem Maß Alkohol zu sich nahm, sodaß sie meist leicht betrunken war. Dieses Verhalten war zweifellos nicht allein durch die Handlungsweise des Klägers bedingt und stellte zumindest eine krasse Überreaktion dar. Von einem Alleinverschulden des Klägers kann daher keine Rede sein.

Aber auch ein überwiegendes Verschulden des Klägers liegt nicht vor. Ein solches ist nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (EFSlg. 20.503, 46.243 uva). Zur Zerrüttung der Ehe hat aber vor allem der Alkoholmißbrauch der Beklagten entscheidend beigetragen. Der sicher nicht entschuldbare Ehebruch des Klägers fällt in eine Zeit, in der die Ehe der Streitteile schon weitgehend - und hier vor allem durch das Verhalten der Beklagten - zerrüttet war. Wenn unter diesen Umständen die Vorinstanzen ein gleichteiliges Verschulden der Streitteile angenommen haben, liegt darin keine unrichtige rechtliche Beurteilung.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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