OGH 6Ob54/24w

OGH6Ob54/24w18.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen L*, geboren am * 2011, *, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter N*, ebendort, vertreten durch Mag. Manuela Prohaska, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 31. Jänner 2024, GZ 21 R 3/24a‑407, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00054.24W.0618.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Familienrecht (ohne Unterhalt)

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom 24. 11. 2023 verhängte das Erstgericht über die Mutter eine Geldstrafe zur Durchsetzung des Kontaktrechts des Vaters zu dem im Haushalt der Mutter lebenden Sohn. Den Antrag der Mutter auf Verhängung einer Zwangsstrafe gegen den Vater wegen Nicht-Abholung des Sohnes wies es ab.

[2] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter gegen beide Beschlusspunkte nicht Folge.

[3] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist nicht jedenfalls unzulässig nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO (RS0124331 [T1]; 8 Ob 18/20k). Da Beschwerdegegenstand nicht der Geldwert der verhängten Strafe, sondern die Bestrafung als solche ist (RS0008617 [T2]), ist der Revisionsrekurs wertunabhängig nach Maßgabe des § 62 Abs 1 AußStrG zu behandeln (RS0038625 [T2, T5, T6]; 8 Ob 18/20k).

Rechtliche Beurteilung

[4] Er ist jedoch mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

1. Zur Verhängung einer Geldstrafe über die Mutter

[5] 1.1. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen im Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung einer gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung des Rechts auf persönlichen Kontakt angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG anzuordnen (§ 110 Abs 2 AußStrG). Voraussetzung der Anwendung eines Zwangsmittels ist die Nichtbefolgung einer gerichtlichen Anordnung (8 Ob 63/23g), Verschulden ist hierfür nicht erforderlich (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 119 Rz 10; RS0007310; 8 Ob 71/16y).

[6] 1.2. Bei den Zwangsmaßnahmen nach § 79 Abs 2 iVm § 110 Abs 2 AußStrG zur Durchsetzung eines Kontaktrechts handelt es sich nicht um Strafen für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung. Vielmehr dienen sie dazu, dem Kontaktrecht für die Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RS0007310 [T2, T7, T10]; 5 Ob 230/21s [Rz 13]). Daher sind solche Zwangsmittel nicht zu verhängen, wenn die Leistung unmöglich geworden ist (RS0007310). Sie scheiden auch aus, wenn aufgrund geänderter Umstände zugleich eine neue Kontaktrechtsregelung rechtskräftig beschlossen wird, die die frühere Regelung nicht bloß erweitert, sondern deren Modalitäten wesentlich ändert (RS0007310 [T14]; 9 Ob 98/03g; 6 Ob 147/17m; 1 Ob 219/19s; 1 Ob 154/23p; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] § 110 Rz 7). Dies beruht auf der Erwägung, dass bei gleichzeitiger Erlassung einer neuen Kontaktrechtsregelung der Durchsetzung der zuvor geltenden Regelung die Grundlage entzogen ist.

[7] 1.3. Im vorliegenden Fall kam dem Vater nach der Kontaktrechtsregelung vom 18. 8. 2023 am 6. 11. 2023 ein näher geregeltes Kontaktrecht zum Sohn zu. Die Mutter war nach dieser Regelung verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Sohn sich zu Beginn der Kontaktzeit am vorgeschriebenen Ort eingefunden habe.

[8] Dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkam, ist unstrittig. Soweit die Mutter in ihrem Revisionsrekurs damit argumentiert, dass der Sohn – ausschließlich – am Nachmittag des 6. 11. 2023 krank gewesen sei, lässt sie außer Acht, dass sie die behauptete Erkrankung des Kindes im Verfahren gerade nicht beweisen konnte. Die Rechtsrüge ist daher, soweit sie mit der behaupteten Erkrankung des Kindes argumentiert, nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043312; RS0043603).

[9] 1.4. Die in der Rechtsprechung angesprochene Konstellation, dass gleichzeitig mit der Entscheidung über den Antrag auf Verhängung eines Zwangsmittels eine neue, rechtskräftige Kontaktrechtsregelung getroffen wurde, ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Vielmehr war zum Zeitpunkt der Auferlegung des Zwangsmittels mit Beschluss des Erstgerichts vom 24. 11. 2023 die verletzte Kontaktrechtsregelung vom 18. 8. 2023 unverändert aufrecht.

[10] Darüber hinaus ist die Neuregelung des Kontaktrechts mit Beschluss des Erstgerichts vom 30. 1. 2024 (ON 406) bislang aufgrund eines noch nicht erledigten Rekurses der Mutter nicht in Rechtskraft erwachsen.

[11] 1.5. Soweit der Revisionsrekurs eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung darin erblickt, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Verhängung von Zwangsstrafen zur Durchsetzung einer Kontaktrechtsregelung vorliegt, wenn eine Neuregelung nach Erlassung der Entscheidung erster Instanz getroffen wurde, liegt auch eine solche nicht vor:

[12] Nach ständiger Rechtsprechung herrscht im Revisionsrekursverfahren Neuerungsverbot (RS0119918). Dieser Grundsatz ist ausschließlich im Interesse des Kindeswohls insofern durchbrochen, als der Oberste Gerichtshof aktenkundige Entwicklungen, die die bisherige Tatsachengrundlage wesentlich verändern, auch dann berücksichtigen muss, wenn sie erst nach der Beschlussfassung einer der Vorinstanzen eingetreten sind (RS0119918 [T2]).

[13] Der Umstand, dass das Erstgericht zeitlich nach der Auferlegung der Geldstrafe eine neue Kontaktrechtsregelung traf (ON 406), ist keine im Interesse des Kindeswohls wahrzunehmende Neuerung. Dem Kindeswohl ist nämlich nicht gedient, wenn eine Geldstrafe, die zur Durchsetzung einer aufrechten Kontaktrechtsregelung verhängt wurde, aufgrund späterer Änderungen des Kontaktrechts aufgehoben wird. Vielmehr würde eine solche Vorgangsweise dem Kindeswohl zuwider laufen, weil damit die Durchsetzung von dem Kindeswohl dienenden Kontaktrechtsregelungen beeinträchtigt würde.

[14] 1.6. Die Beurteilung, ob es zur Durchsetzung einer Kontaktrechtsregelung notwendig ist, eine Zwangsmaßnahme zu verhängen, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0007330 [T6]; RS0007310 [T13]). Eine Überschreitung des den Vorinstanzen eingeräumten Ermessensspielraums wird im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.

2. Zur Abweisung des Antrags auf Verhängung einer Geldstrafe über den Vater

[15] Zur Abweisung des Antrags der Mutter auf Verhängung einer Geldstrafe über den Vater enthält der außerordentliche Revisionsrekurs kein Vorbringen.

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