OGH 6Ob536/87

OGH6Ob536/872.4.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Schlosser und Mag. Engelmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth G***, Hausfrau, 1090 Wien, Währinger Gürtel 110/3/17, vertreten durch Dr. Beatrice Strnad, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Anton G***, Maschinenschlosser, 1070 Wien,

Zollergasse 25/20, nunmehr 1160 Wien, Nauseagasse 11/1/27, vertreten durch Dr. Eugen Radel, Rechtsanwalt in Mattersburg, wegen Scheidung der Ehe, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20. November 1986, GZ. 18 R 284/86-35, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 2. September 1985, GZ. 17 Cg 7/85-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 2.Jänner 1951 geborene Klägerin, deren erste Ehe geschieden worden war, und der am 17.Jänner 1948 geborene ledige Beklagte haben miteinander am 14.Dezember 1973 vor dem Standesamt Wien-Penzing die Ehe geschlossen. Sie sind Österreicher, römisch-katholisch und hatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in 1070 Wien, Zollergasse 25/20. Ihr einziges gemeinsames Kind, Martin, wurde am 15.Juni 1975 geboren. Ehepakte wurden nicht errichtet.

In der am 11.Jänner 1985 erhobenen Klage behauptete die Klägerin, der Beklagte schlage sie immer wieder und verletze sie dabei auch, zahle ihr keinen Unterhalt und habe den Sohn fast drei Wochen zu sich genommen. Die Klägerin begehrte deshalb die Scheidung der unheilbar zerrütteten Ehe wegen Verschuldens des Beklagten. Der Beklagte beantragte nicht die Abweisung des Begehrens auf Scheidung der auch nach seiner Meinung unheilbar zerrütteten Ehe, erklärte aber, daß die Klagebehauptungen "zu 90 % unrichtig" seien und wendete ein, daß die Klägerin seit etwa drei Jahren übermäßig Alkohol trinke, daß ihr seine Arbeitslosenunterstützung zu wenig gewesen sei und sie ihn deswegen sogar zweimal ausgesperrt habe und daß sie sich nicht um den Sohn gekümmert und diesen geschlagen habe. Auch durch diese Eheverfehlungen sei die Ehe unheilbar zerrüttet. Die Klägerin bestritt dies und machte als weitere Eheverfehlung geltend, daß sie der Beklagte vor dem Kind mit "Hure" beschimpft habe.

Das Erstgericht schied die Ehe wegen Verschuldens beider Parteien.

Dabei ging es im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Die Parteien kamen durch den Erwerb eines Reihenhauses in der Steiermark und durch Arbeitslosigkeit des Beklagten in finanzielle Schwierigkeiten. Deshalb konnten sie das Reihenhaus nicht halten und zogen nach Wien. Der Beklagte bezog bis September 1984 eine monatliche Notstandsunterstützung von zuletzt S 3.500,-- und verdient seither ohne Familienbeihilfe monatlich etwa S 9.000,--. Seit November 1984 stellt er der Klägerin weder Natural- noch Geldunterhalt zur Verfügung, weshalb er am 26.Juni 1985 verurteilt wurde, ihr ab 18.Dezember 1984 monatliche Unterhaltsbeiträge von S 2.500,-- zu leisten. Die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, ging mit Ausnahme eines kurzen Probearbeitsverhältnisses als Hilsfarbeiterin keiner Beschäftigung nach und wurde von ihrer Familie unterstützt. Sie wurde vom Beklagten nie schwer mißhandelt, wohl aber einmal geohrfeigt. Als sie ihn Anfang Dezember 1984 gegen die Wade trat, faßte der Beklagte in Abwehr ihren Fuß, wodurch sie stürzte und sich dabei kleine Verletzungen zuzog. Einmal erlitt die Klägerin während einer Auseinandersetzung in den Ehebetten Kratzer am Unterarm. Die Klägerin spricht fallweise übermäßig dem Alkohol zu und trinkt öfters schon in der Früh Likör. Sie begann mit dem Trinken, als die Spannungen zwischen den Ehegatten im Jahre 1982 immer größer wurden. Am 18.April 1985 sprach das Pflegschaftsgericht auf Antrag des Beklagten gegen den Antrag der Klägerin dem Beklagten alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich des ehelichen Kindes allein zu, doch wurde diese Entscheidung auf Rekurs der Klägerin zwecks Verfahrensergänzung aufgehoben. Die Parteien leben nicht völlig getrennt, doch hält sich die Klägerin vorübergehend in der Wohnung ihrer Mutter auf, wo sie auch sehr häufig nächtigt. Den gemeinsamen Haushalt führte sie so lange, als der Beklagte ausreichende Mittel zur Verfügung stellte. Sie verlangte von ihm nicht mehr, als er leisten hätte können. die Klägerin verhält sich zum gemeinsamen Sohn nicht stets als liebevolle Mutter. Der Beklagte spielt als Bezugsperson des Sohnes eine größere Rolle und versucht auch teilweise, das Kind der Klägerin zu entfremden. Die Parteien haben sich vollkommen auseinandergelebt.

Nach Meinung des Erstgerichtes haben beide Parteien die Ehe durch gleichschwere Eheverfehlungen unheilbar zerrüttet, und zwar die Klägerin durch ihren zu ständigen Auseinandersetzungen führenden Alkoholmißbrauch, der Beklagte durch die Unterhaltsverletzung. Nur gegen den Verschuldensausspruch erhob die Klägerin Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil (insoweit) aufzuheben, allenfalls den Mitverschuldensantrag des Beklagten abzuweisen. In der Rechtsrüge führte die Klägerin aus, das Erstgericht hätte die Ehe wegen alleinigen oder überwiegenden Verschuldens des Beklagten scheiden müssen.

Der Beklagte erstattete keine Berufungsbeantwortung. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge.

Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und verneinte ein erheblich schwerwiegenderes Verschulden des Beklagten deshalb, weil sich die Parteien nach und nach auseinandergelebt hätten, ohne daß hiefür das Verhalten eines Ehegatten als überwiegende Ursache angesehen werden könnte. Zwar seien die Eheverfehlungen des Beklagten etwas schwerer zu werten als der Alkoholmißbrauch der Klägerin, doch habe der Beklagte diese Eheverfehlungen begangen, als die Ehe schon zerrüttet gewesen sei. Deshalb könne von einem erheblichen Überwiegen des Verschuldens des Beklagten oder von einem fast völligen Zurücktreten des Verschuldens der Klägerin keine Rede sein.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das überwiegende Verschulden des Beklagten auszusprechen, allenfalls das Berufungsurteil zwecks Verfahrensergänzung und neuerlicher Entscheidung durch das Erstgericht aufzuheben.

Der Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung. Das Rechtsmittel ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 60 Abs.2 Satz 2 EheG, der nach Abs.3 Satz 3 der zitierten Gesetzesstelle bei einem Mitschuldantrag des Beklagten entsprechend gilt, ist nur dann auszusprechen, daß die Schuld eines Ehegatten überwiegt, wenn das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer ist als das des anderen.

Da alleiniges und überwiegendes Verschulden z.B. für die Unterhaltspflicht nach der Scheidung gleich behandelt werden (vgl. §§ 66 und 67 EheG), ist überwiegendes Verschulden nur auszusprechen, wenn das Verschulden eines Ehegatten fast völlig in den Hintergrund tritt (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 60 EheG; EFSlg. 48.832, 46.242, 43.692 ua), wobei der sehr erhebliche graduelle Unterschied offenkundig (augenscheinlich) hervortreten muß (Schwind, Eherecht 2 251; EFSlg. 48.833 bis 48.836, 46.243 bis 46.245, 43.691 ua). Bei der Verschuldensabwägung kommt es auf das gesamte Verhalten der Ehegatten im Zusammenhang, nicht so sehr auf eine Gegenüberstellung ihrer einzelnen Eheverfehlungen an (EFSlg. 48.815 bis 48.817, 46.231 bis 46.233 ua), wobei besonders wichtig ist, wer die schuldhafte Zerrüttung eingeleitet oder wer zur unheilbaren Zerrüttung entscheidend beigetragen hat (Schwind aaO, 252; EFSlg. 48.818 bis 48.825, 46.234 bis 46.236 ua). Deshalb spielen der völligen Zerrüttung nachfolgende Eheverfehlungen keine entscheidende Rolle (EFSlg. 48.827 bis 48.831, 46.237 ua).

Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen kann von einem erheblich schwereren Verschulden des Beklagten keine Rede sein. Die Klägerin übersieht nämlich, daß ihr übermäßiger Alkoholkonsum durch mehrere Jahre andauerte und sich immer wieder nachteilig auf die Beziehungen zwischen den Ehegatten, aber auch auf die Beziehungen der Klägerin zum gemeinsamen Sohn auswirkte. Hingegen fällt die Unterhaltsverletzung des Beklagten gegenüber der Klägerin in die letzten Ehemonate, in denen die Ehe, wenn schon nicht unheilbar so doch schwer zerrüttet war, und in denen von einer entsprechenden Führung des gemeinsamen Haushaltes und einer entsprechenden Betreuung des gemeinsamen Kindes durch die Klägerin ebensowenig gesprochen werden kann als davon, daß sie wegen der hohen Verschuldung durch Annahme wenigstens einer Teilerwerbstätigkeit nach ihren Kräften zur Deckung der Bedürfnisse der Familie beigetragen hätte.

Unter diesen Umständen liegt zwischen dem Verschulden der Parteien kein so erheblicher Unterschied, daß dies den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Beklagten rechtfertigen würde. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 40, 41 und 50 ZPO.

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