Spruch:
Die Pflegschaft wird mit dem Tode des Pflegebefohlenen aufgehoben
Das dem Pflegebefohlenen und seinen nächsten Angehörigen von der Rechtsprechung ungeachtet der Verpflichtung des Gerichtes, von Amts wegen einzuschreiten, in besonders gelagerten Fällen eingeräumte Rekursrecht fällt mit dem Tod des Pflegebefohlenen weg. Der Erbe kann daher weder als Vertreter der Verlassenschaft noch als naher Angehöriger im eigenen Namen Rechtsmittel gegen Beschlüsse über Pflegschaftsrechnungen erheben, die noch zu Lebzeiten - des Pflegebefohlenen rechtskräftig wurden
OGH 12. Feber 1976, 6 Ob 510 - 518/76 (LGfZRS Wien 43 R 1030- 1037/75; BG Hietzing 1 P 317/56)
Begründung:
In der Pflegschaftssache der beschränkt entmündigten Franziska Philomena K wurden vom Erstgericht mit den angefochtenen, in der Zeit vom 5. April 1966 bis zum 8. Mai 1973 fallenden Beschlüssen die Pflegschaftsrechnungen des seinerzeitigen Beistandes Franziska K jun. (der Adoptivtochter des verstorbenen Gatten der Pflegebefohlenen) für die Jahre 1965 bis 1972, die teilweise einen Minussaldo aufwiesen, der per 31. Dezember 1972 bereits insgesamt 338.702.05 S erreicht hatte, genehmigt. Mit rechtskräftigem Beschluß vom 22. April 1974, ON 84, wurde Franziska K jun. als Beistand enthoben und Dr. Ingrid R zum neuen Beistand bestellt, Am 13. November 1974 verstarb die Pflegebefohlene. Die von den erblasserischen Nichten und nunmehrigen Rekurswerbern auf Grund des Gesetzes je zur Hälfte des Nachlasses abgegebenen bedingten Erbserklärungen wurden mit Beschluß des Verlassenschaftsgerichtes vom 1. April 1975, 1 A 752/74-5, angenommen und den erbserklärten Erben mit Beschluß vom 4. Juni 1975 die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen. Während die Schlußrechnung des Beistandes Dr. R über die Zeit vom 22. April 1974 bis 13. November 1974 genehmigt und dem Beistand die Entlastung erteilt wurde, ist über die vom Beistand Franziska K jun. für das Jahr 1973 gelegte Rechnung bisher noch nicht entschieden worden. Für die Zeit vom 1. Jänner 1974 bis 21. April 1974 wurde überhaupt noch keine Rechnung gelegt. Mit der Eingabe vom 25. Juni 1975 beantragten die erbserklärten Erben unter anderem die Überprüfung der Verwaltungsabrechnungen für die Jahre 1966 bis 1973 und die Zustellung der Beschlüsse mit denen die Verwaltungsrechnungen für die Jahre 1966 bis 1972 genehmigt wurden. Am 16. Juli 1975 (abgefertigt am 18. August 1975) verfügte das Pflegschaftsgericht die Zustellung der Beschlüsse ON 67, 71, 75, 76, 78, 80 und 81 über die Genehmigung der Pflegschaftsrechnungen an den Vertreter der erbserklärten Erbinnen. Mit der am 3. September 1975 zur Post gegebenen Vorstellung, allenfalls Rekurs, beantragten diese, Genehmigungsbeschlüsse aufzuheben und einen Sachverständigen zur Überprüfung der Pflegschaftsrechnungen für die Jahre 1966 bis 1972 zu bestellen, wobei offensichtlich übersehen wurde, daß der Beschluß ON 67 die Pflegschaftsrechnung bereits für das Jahr 1965 betrifft. Mit Beschluß vom 15. September 1975 gab das Erstgericht der Vorstellung zufolge erworbener Rechte dritter Personen nicht Folge und verfügte die Vorlage des Rekurses.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß wies das Rekursgericht den Rekurs der erbserklärten Erbinnen zurück. Es vertrat die Rechtsansicht, aus Schutzrechten im Interesse des Kuranden könne eine Rekurslegitimation weder der erbserklärten Erbinnen noch der Verlassenschaft abgeleitet werden, da ein Interesse des Pflegebefohlenen mit dessen Ableben weggefallen sei. Zur Wahrung ihrer eigenen Vermögensansprüche komme den Erben und der Verlassenschaft aber ein solches Rekursrecht keineswegs zu. Diese könnten vielmehr ungeachtet der Genehmigung der Pflegschaftsrechnungen den erlittenen Schaden gegen den Beistand geltend machen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der erbserklärten Erbinnen nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Zustellung eines Beschlusses begrundet für sich allein noch kein Recht für den Empfänger. Sie verleiht ihm weder Parteistellung noch das Recht der Beteiligung am Verfahren, wie etwa die Legitimation zur Einbringung von Rechtsmitteln (EvBl. 1969/187; SZ 45/50 u.a.).
Im vorliegenden Fall bekämpfen die Rekurswerberinnen ausschließlich Beschlüsse des Pflegschaftsgerichtes über weit zurückliegende Pflegschaftsrechnungen, die alle noch zu Lebzeiten der Pflegebefohlenen gefaßt wurden. Derartige, bereits erledigte Pflegschaftsrechnungen können von den Erben der Pflegebefohlenen nicht einmal im Rahmen der noch offenen Schlußrechnung mit Erfolg bekämpft werden (JBl. 1936, 282 = RZ 1936, 139; 1 Ob 217/65 = EFSlg. 6002). Dagegen kann nicht eingewendet werden, daß die Rechtsprechung sowohl dem Pflegebefohlenen (JBl. 1970, 206; SZ 43/36 u.a., zuletzt 1 Ob 175/75) als auch seinen nächsten Verwandten (SZ 42/48, EvBl. 1974/57 u.a.) in besonders gelagerten Fällen - wenn es im Interesse des Pflegebefohlenen erforderlich war - ein Rekursrecht zugebilligt hat, denn der Grund hiefür lag ausschließlich darin, die Interessen des Pflegebefohlenen ungeachtet der Verpflichtung des Gerichtes, von Amts wegen einzuschreiten (§ 2 Abs. 1 AußStrG), in möglichst umfassender Weise zu schützen. Durch den Tod der Pflegebefohlenen ist jedoch der Grund für diesen besonderen Schutz weggefallen. Die Rekurswerberinnen sind daher weder im eigenen Namen (als nahe Verwandte der Pflegebefohlenen) noch als Vertreter der Verlassenschaft nach der verstorbenen Pflegebefohlenen berechtigt, Rechtsmittel gegen Beschlüsse über Pflegschaftsrechnungen zu erheben, die noch zu Lebzeiten der Pflegebefohlenen rechtskräftig wurden. § 216 AußStrG sagt auch, daß nach geendigter Vormundschaft und erledigter Schlußrechnung Streitigkeiten über Vormundschaftsgeschäfte nicht mehr von Amts wegen, sondern nur im Wege des- Prozeßverfahrens erörtert und entschieden werden können. Die Pflegschaft wird mit dem Tode des Pflegebefohlenen aufgehoben (Wentzel-Piegler in Klang 2 I/2, 550; Andreas, Die Aufhebung der Kuratel durch den Tod des Kuranden in NZ 1949.26 SZ 32/106; NZ 1934, 118). Da die Schlußrechnung nur die Abrechnung über die letzte Periode der Pflegschaft darstellt (JBl. 1936/282 = RZ 1936, 139; 1 Ob 217/65 = EFSlg. 6002) und die früheren Pflegschaftsrechnungen durch sie nicht berührt werden, ergibt sich auch aus § 216 AußStrG die mangelnde Rekurslegitimation der erbserklärten Erbinnen. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Erben Schadenersatzansprüche gegen den seinerzeitigen Beistand geltend machen können, ist dabei ohne Bedeutung.
Da somit kein zulässiges Rechtsmittel vorliegt, kann auch nicht geprüft werden, ob jene Genehmigungsbeschlüsse gesetzwidrig oder allenfalls sogar mit Nichtigkeit behaftet waren.
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