OGH 6Ob503/90

OGH6Ob503/9029.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karin Elisabeth K***, geboren am 22. Februar 1964 in Waidhofen an der Ybbs, Studentin, 3331 Kematen an der Ybbs, 1. Straße 35, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Jakob Georg K***, geboren am 4. April 1961 in Jelenia Gora, Polen, Student, 1030 Wien, Wassergasse 36/15, vertreten durch Dr. Martin Prohaska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 14. September 1989, GZ. 43 R 2036, 2037/89-66, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 19. April 1989, GZ. 5 C 523/87-41, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 617,70 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin, der Beklagte polnischer Staatsangehöriger. Die Streitteile haben am 28. Dezember 1985 vor dem Standesamt Sonntagberg die beiderseits erste Ehe geschlossen. Ihr entstammt die am 28. Dezember 1986 geborene Tochter Judith. Beide Parteien hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt - auch während des Ehescheidungsverfahrens - in Österreich; ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz hatten sie in Wien. Die Klägerin begehrte mit der am 13. Mai 1987 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Sie brachte vor, der Beklagte habe sie in äußerstem Maße lieb- und interesselos behandelt. Er habe sie auch beschimpft und herabgesetzt sowie den Versuch unternommen, sie "nervlich völlig fertig zu machen". Alles habe nach seinem Willen geschehen müssen, wobei er offen erklärt habe: "Ich muß dich dressieren, du bist mein Sklave". Der Beklagte habe sie wiederholt zum Verlassen der Ehewohnung aufgefordert und auch die Äußerung abgegeben, daß er aus diesem "Scheiß-Österreich" auswandern werde. Dazu habe er angekündigt: "Du wirst uns (gemeint: ihn und die gemeinsame Tochter) nicht mehr sehen". Es sei somit akut zu befürchten gewesen, daß der Beklagte die Tochter nach Polen verbringe. Die Klägerin sei daher aus diesem Grunde - und weil sie es beim Beklagten nicht mehr ausgehalten habe - am 25. April 1987 mit dem Kind zu ihren Eltern gezogen.

Am 25. Juni 1987 trat Ruhen des Verfahrens ein. Das Verfahren wurde jedoch über Antrag der Klägerin (eingelangt am 2. Oktober 1987) fortgesetzt. Sie brachte vor, der Beklagte sei am 3. Juli 1987 gegen sie tätlich geworden und habe sie auch "mit dem Umbringen" bedroht. Aus Angst vor dem Beklagten und weiteren Mißhandlungen sei sie mit dem Kind (abermals) vorübergehend zu ihren Eltern gezogen. Der Beklagte leiste weder ihr noch dem Kind Unterhalt.

Der Beklagte bestritt die ihm zur Last gelegten Eheverfehlungen. In der Folge stellte er für den Fall der Scheidung den Antrag, das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen (ON 30, AS 109). Er brachte vor, er habe zwar der Klägerin keinen Unterhalt mehr geleistet, doch sei deren Unterhaltsanspruch verwirkt, weil sie die Ehewohnung böswillig und grundlos verlassen und beim Dienstgeber des Beklagten mit dem Ziel interveniert habe, daß er seinen Posten verliere. Die Klägerin sei trotz zahlloser Versuche des Beklagten nicht zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bewegen gewesen. Sie habe ihm monatelang jeden Besuchskontakt zur Tochter verweigert und auch bei der Gendarmerie in Kematen interveniert, damit er Schwierigkeiten mit seinem Visum bekomme. Die Klägerin habe sich zum Beklagten insgesamt lieb- und interesselos verhalten. Sie habe die Freizeit größtenteils mit dem Kind und ohne ihn verbracht, dies auch an den Wochenenden und obwohl ihr bekannt gewesen sei, daß ihre Eltern den Beklagten ablehnten. Demgegenüber habe die Klägerin die Eltern des Beklagten und dessen Schwester grundlos abgelehnt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Verschulden beider Teile.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Beklagte hatte bereits zwei Jahre hindurch das Priesterseminar in St. Pölten besucht, als er die Klägerin kennenlernte, die ihn zum Austritt aus dem Priesterseminar und zur Heirat bewog. Nach der Eheschließung übersiedelte das Paar nach Mattsee, wo es im Haus eines Verwandten der Klägerin Wohnung fand. Den Mietzins bezahlten die Eltern der Klägerin. Die Ehegatten kamen überein, daß vorläufig - bis zum Studienabschluß des Beklagten - die Klägerin eine Arbeit annehmen und für den gemeinsamen Lebensunterhalt aufkommen solle. Die Klägerin war daher auch von Oktober 1985 bis Mai 1986 berufstätig und erzielte dabei einen Monatsnettoverdienst von ca. 8.000 S.

Der Beklagte erlebte von Anfang an sein Verhältnis zur Familie der Klägerin "als äußerst unbefriedigend und problematisch". Seine Schwiegereltern gaben ihm sehr deutlich zu verstehen, daß ein ausländischer Schwiegersohn nicht ihren Vorstellungen entspreche. Sie ließen ihm den Umstand, daß er Student und vermögenslos war, fühlbar werden. Auch die anfangs häufig, nämlich ein- bis zweimal im Monat, stattgefundenen Besuche der Ehegatten bei den Eltern der Klägerin änderten nichts an deren reservierter Haltung zum Beklagten. Zu einer ersten Krise zwischen den Ehegatten kam es im Gefolge eines Besuches der Schwester des Beklagten aus Polen. Diese blieb mehrere Wochen lang bei ihnen und verschärfte so deren angespannte finanzielle Lage und die Wohnsituation. Dabei kam es auch zu Interventionen der Eltern der Klägerin, was wiederum das Verhältnis des Beklagten zur Familie der Klägerin belastete.

Am 7. Mai 1986 erhielt der Beklagte eine Anstellung als Religionslehrer an einer Schule in Mödling. Dies machte eine Übersiedlung des Ehepaares nach Wien notwendig. Die damals bereits schwangere Klägerin gab ihre Anstellung auf, ohne Mutterschutz und Karenzgeld in Anspruch zu nehmen. Zur Finanzierung der geforderten Wohnungsablöse mußten die Ehegatten zunächst ein Privatdarlehen von 100.000 S aufnehmen. Als dann aber der Darlehensgeber die vorzeitige Rückzahlung verlangte, nahmen die Ehegatten einen Bankkredit über 87.000 S mit dreijähriger Laufzeit, rückzahlbar in Monatsraten von

2.600 S, auf. Seit seiner Anstellung als Religionslehrer trug der Beklagte die Fixkosten für die Wohnung. Er kam auch sonst für den Lebensunterhalt der Familie auf, weil die Klägerin kein Einkommen mehr hatte.

Im März 1987 übersiedelten die Mutter und die Schwester des Beklagten von Polen nach Österreich. Seine Mutter hielt sich einige Tage in der Wohnung der Ehegatten auf, bis der Beklagte für sie eine Wohnung gefunden hatte. Ab diesem Zeitpunkt begann sich die Beziehung der beiden Gatten rapide zu verschlechtern. Der Beklagte, der sich von der Familie der Klägerin abgelehnt fühlte, versuchte nunmehr, auch deren Kontakte zu ihrer Familie dadurch zu unterbinden, daß er der Klägerin verbot, nach Kematen zu fahren. Die Klägerin fuhr aber dennoch regelmäßig, zumindest einmal im Monat, gegen seinen Willen zu ihren Eltern. Jede tatsächliche oder von der Klägerin auch nur angekündigte Heimreise wurde vom Beklagten als schwere Bedrohung und als gegen ihn gerichtete Maßnahme gedeutet. Er entfernte sich zusehends von seiner eigenen Familie, indem er sich häufig bei seinen polnischen Verwandten aufhielt. Der Beklagte verbrachte den Großteil seiner Freizeit allein und verhielt sich der Klägerin und dem Kind gegenüber lieb- und interesselos. Das ging so weit, daß er tagelang nur mehr zum Schlafen nach Hause kam, auf Äußerungen der Klägerin gereizt reagierte oder diese gänzlich ignorierte, indem er jedes Gespräch verweigerte und mit ihr bis zu zwei Wochen kein Wort wechselte. Die Klägerin nahm ihrerseits eine ablehnende Haltung gegenüber den Verwandten des Beklagten ein. Sie gab ihnen einen Großteil der Schuld dafür, daß der Beklagte die eigene Familie vernachlässigte. In dieser allgemein angespannten Situation kam es zum Eklat, als die Klägerin dem Beklagten vor Ostern 1987 erklärte, sie wolle sich scheiden lassen und mit dem Kind zu ihren Eltern fahren. Der Beklagte reagierte darauf äußerst heftig. Er erklärte, die Klägerin könne hinfahren wohin sie wolle, das Kind müsse jedoch dableiben. Er deutete an, daß sie das Kind und ihn nicht mehr wiedersehen werde. Als der Beklagte anschließend mit dem Kind wegfuhr, verständigte die Klägerin in ihrer psychischen Ausnahmesituation die Polizei, welche das Auto des Beklagten anhielt und ihn samt Kind wieder in die Wohnung zurückbrachte.

Die Klägerin fuhr dann über die Osterfeiertage zu ihren Eltern nach Kematen. Dort faßte sie nach einiger Zeit den Entschluß, die Scheidungsklage einzubringen. Der Beklagte besuchte sie daraufhin mehrmals in Kematen, um sie zur Rückkehr zu bewegen. Am 4. Mai 1987 entluden sich die Spannungen zwischen dem Beklagten und der Familie der Klägerin, die diese in ihrem Trennungsbeschluß bestärkt hatten, in einer Auseinandersetzung, welche zu einer Gendarmerieintervention führte. Der Beklagte ist jedoch im anschließenden Strafverfahren freigesprochen worden.

Etwa Mitte Mai 1987 fand eine Aussprache der Ehegatten statt. Mit dem Versprechen, sich zu ändern, gelang es dem Beklagten, die Klägerin zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bewegen. Nach dieser Versöhnung kehrte sie wieder in die Ehewohnung nach Wien zurück. Eine Verbesserung der ehelichen Beziehung gelang aber nicht. Am 25. Mai 1987 fand die Taufe der Tochter statt. Der der Taufe eher ablehnend gegenüberstehende Beklagte machte seine Zustimmung von der Bedingung abhängig, daß von der Familie der Klägerin niemand anwesend sein dürfe. An der Taufe nahm dann aber die Schulklasse, deren Klassenvorstand der Beklagte war, teil. Dies empfand die Klägerin als Provokation. Der Beklagte setzte sein vor der Versöhnung gegenüber der Klägerin an den Tag gelegtes lieb- und interesseloses Verhalten fort. Dazu kam, daß er häufig leicht alkoholisiert nach Hause kam, in diesem Zustand leicht reizbar war und die Klägerin mit "Unfreundlichkeiten" bedachte. Am 3. Juli 1987 fand aus nichtigem Anlaß eine heftige Auseinandersetzung statt, in deren Verlauf die Klägerin erklärte, sie werde mit dem Kind nach Kematen fahren. Dies ließ den Streit weiter eskalieren. Es folgte ein "Kampf um das Kind", bei dem der Beklagte zuerst das Kind an sich riß und die Wohnung verließ. Die Klägerin folgte ihm aber und es gelang ihr, das Kind wieder an sich zu nehmen. Diesen Streit, bei dem auch ein Glas zerbrach, empfand die Klägerin als so bedrohlich, daß sie davon überzeugt war, sie könne ohne eigene Gefährdung und diejenige des Kindes nicht mehr weiter in der Ehewohnung verbleiben. Demgegenüber waren aber ihre Befürchtungen, der Beklagte könne das Kind nach Polen verbringen oder es sonstwie konkret gefährden, "nicht objektivierbar". Die Klägerin wurde von einem Familienangehörigen aus Wien abgeholt und hält sich seither in Kematen auf.

Ab diesem Zeitpunkt verweigerte der Beklagte jede Unterhaltsleistung nicht nur für die Klägerin, sondern auch für die Tochter. Er stellte sich auf den Standpunkt, die Klägerin habe den Unterhaltsanspruch verwirkt. Der Beklagte fuhr auch jetzt mehrmals nach Kematen, um sein Kind zu besuchen und die Klägerin zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bewegen. Diese verweigerte ihm aber längere Zeit hindurch mit der Begründung, er habe keine Beziehung zum Kind und sich auch früher "nicht sehr stark für dieses interessiert", eine Besuchsmöglichkeit.

Am 30. November 1987 wurde der Beklagte vom erzbischöflichen Schulamt gekündigt, weil ihm die missio canonica entzogen worden war. Letzteres ist deshalb geschehen, weil sich herausgestellt hatte, daß der Beklagte bei seinem Anstellungsgespräch unrichtige Angaben über das Anstellungserfordernis einer kirchlichen Trauung gemacht hatte. Die Klägerin hat zwar mit dem Direktor der Mödlinger Schule des Beklagten Gespräche geführt und auch Anfragen des erzbischöflichen Ordinariates wahrheitsgemäß beantwortet, doch war dies für seine Kündigung nicht kausal.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß beide Ehegatten gleichteilig das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Beide hätten sich schwere Eheverfehlungen zuschulden kommen lassen. Der Beklagte habe die Klägerin auch in der Freizeit überwiegend allein gelassen, häufig tagelang beharrlich geschwiegen, sich andauernd lieblos und feindselig verhalten und sei bestrebt gewesen, jeden Kontakt der Klägerin mit ihren nächsten Angehörigen zu unterbinden. Schließlich habe er auch nach der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft seine Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind verletzt. Die Klägerin habe demgegenüber durch ihre monatlichen Besuche in Kematen, von denen der Beklagte wegen des gespannten Verhältnisses zu ihrer Familie ausgeschlossen gewesen sei, sowie dadurch, daß sie die eheliche Gemeinschaft grundlos aufgegeben und entgegen den Bitten des Beklagten nicht wiederhergestellt, ihm vielmehr die Besuchsrechte zum Kind verweigert bzw. erschwert habe, schwere Eheverfehlungen begangen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile trete nicht augenscheinlich hervor. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil in seinem Ausspruch auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden beider Teile, änderte es aber in teilweiser Stattgebung der Berufung der Klägerin dahin ab, daß es das überwiegende Verschulden des Beklagten aussprach. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens sowie einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Das Berufungsgericht führte aus, entgegen der Meinung des Erstgerichtes könnten die monatlichen Besuche der Klägerin bei ihren Eltern, auch wenn diese gegen den Willen des Beklagten erfolgt seien, nicht als schwere Eheverfehlung gewertet werden. Ebensowenig habe die Klägerin den Beklagten "grundlos verlassen", weil sich ihr endgültiger Auszug aus der Ehewohnung nur als Schlußpunkt einer langen und negativen Entwicklung darstelle, an der den Beklagten das überwiegende Verschulden treffe. Demgegenüber trete das nicht zuletzt deshalb schuldhafte Verhalten der Klägerin, weil sie danach getrachtet habe, das Besuchsrecht des Beklagten zum Kind zu unterbinden, deutlich in den Hintergrund. Der Beklagte habe nämlich die Klägerin in der Freizeit allein gelassen, beharrlich geschwiegen, sich andauernd lieblos und feindselig verhalten, ihren Kontakt mit den nächsten Angehörigen unterbinden wollen und seine Unterhaltspflichten sowohl gegenüber dem Kind als auch der Klägerin gegenüber verletzt.

Nur gegen den Ausspruch seines überwiegenden Verschuldens richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Urteiles im Sinne eines Ausspruches des überwiegenden Verschuldens der Klägerin, hilfsweise auf Wiederherstellung des Ersturteiles oder auf Urteilsaufhebung.

Die Klägerin stellt in ihrer Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Einleitend ist darauf hinzuweisen, daß im Hinblick auf den gewöhnlichen Aufenthalt jedes der beiden Streitteile in Österreich zum Zeitpunkt der Ehescheidung die Anwendung des österreichischen Ehegesetzes durch die Vorinstanzen gemäß den §§ 20 Abs 1, 18 Abs 1 Z 2 IPR-Gesetz keinen Bedenken begegnet.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch die gemäß § 60 Abs 3, letzter Satz, EheG vorzunehmende Verschuldensabwägung im Sinne des Abs 2 dieser Gesetzesstelle. Der Beklagte vertritt hiezu zusammenfassend die Ansicht, daß die primäre und überwiegende Ursache für die Ehezerrüttung im schuldhaften Verhalten der Klägerin liege, weil sie offenbar nicht in der Lage oder nicht gewillt gewesen sei, den bei jungen Eheleuten erforderlichen Lernprozeß gemeinsam mit ihm zu bewältigen. Obwohl sie gewußt habe, daß der Beklagte dies als Belastung empfinde, sei sie monatlich mindestens einmal zu ihren Eltern gefahren und habe sich damit deren Einfluß ausgesetzt. Sie habe die Ehe erst durch ihren grundlosen Auszug mit dem Kind und durch ihre Weigerung, trotz entsprechender Aufforderungen zu ihm zurückzukehren, sowie durch Unterbindung seines Kontaktes zu dem Kind unheilbar zerrüttet. Keinesfalls könne es dem Beklagten aber als Verschulden angerechnet werden, daß er der Klägerin nach deren Auszug keinen Geldunterhalt mehr geleistet habe.

Dem ist jedoch folgendes entgegenzuhalten:

Der Beklagte übersieht zunächst, daß nach den maßgeblichen Feststellungen die Ehe am 3. Juli 1987, als die Klägerin nach dem letzten Streit von einem Familienangehörigen aus Wien abgeholt und mit der Tochter nach Kematen gebracht wurde, bereits unheilbar zerrüttet war. Unheilbare Ehezerrüttung liegt nämlich immer dann vor, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg. 48.763, 51.601, 54.385, 57.129 ua.). Dabei ist die Bereitwilligkeit des schuldigen Ehegatten zur Fortsetzung der Ehe unerheblich (EFSlg. 48.767, 51.606, 54.389, 57.136 ua.), denn es genügt, daß der klagende Ehegatte die eheliche Gesinnung verloren hat (EFSlg. 48.764, 51.602, 54.388, 57.130 ua.). Wesentlich ist daher nur, ob das Verhalten des schuldigen Ehegatten geeignet war, dem anderen die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen und ob es diese Wirkung gehabt hat (EFSlg. 48.765, 51.603, 54.386, 57.135 ua.), wobei in der Regel schon die Erhebung der Scheidungsklage dafür spricht, daß die als Scheidungsgrund geltend gemachten Eheverfehlungen auch tatsächlich als ehezerstörend empfunden wurden (EFSlg. 27.438, 34.024, 51.605 ua.).

Im vorliegenden Fall hat aber der Beklagte nach den Feststellungen sein grob ehewidriges Verhalten, das bereits zu Ostern 1987 zum erstmaligen vorübergehenden Verbleiben der Klägerin samt Tochter bei ihren Eltern in Kematen und zur Einbringung ihrer Scheidungsklage geführt hatte, auch nach der Versöhnung der Streitteile im Mai 1987 entgegen seinem Versprechen fortgesetzt und überdies die Klägerin im Zusammenhang mit seiner Vorgangsweise bei der Taufe der Tochter schwer verletzt. Es bedurfte daher nur mehr des heftigen Streites vom 3. Juli 1987 und des anschließenden "Kampfes um das Kind", um für die Klägerin durch dieses - objektiv hiezu geeignete - Verhalten des Beklagten die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen.

Der Beklagte übersieht aber auch, daß es bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 Abs 2 EheG nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Verfehlungen ankommt, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg. 43.684, 46.231, 51.642, 57.211 ua.). Das überwiegende Verschulden eines Teiles ist nur auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen. Der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile muß augenscheinlich hervortreten (EFSlg. 43.691, 46.243, 51.660, 57.230 ua.), sodaß es subtiler Abwägungen nicht bedarf (Schwind, Eherecht2, 251; EFSlg. 51.662, 57.232 ua.). Vor allem ist darauf Bedacht zu nehmen, welcher Ehegatte die Zerrüttung der Ehe schuldhaft eingeleitet hat und wie weit spätere Eheverfehlungen des einen Ehegatten Folge der bereits durch das Verschulden des anderen Gatten heraufbeschworenen Zerrüttung der Ehe waren (EFSlg. 43.679, 46.234, 46.235, 48.818, 48.819, 51.645, 57.214 ua.). Die Ursächlichkeit der Verfehlungen für den Eintritt der unheilbaren Zerrüttung ist von ausschlaggebender Bedeutung (EFSlg. 43.677, 57.213 ua.). Eheverfehlungen, die in den Zeitraum nach dem Eintritt der völligen Zerrüttung der Ehe fallen, spielen bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle (EFSlg. 46.237, 48.829, 51.653, 57.220 ua.).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht entgegen der Meinung des Beklagten im Ergebnis zutreffend erkannt, daß er durch sein Gesamtverhalten die Zerrüttung der Ehe nicht bloß eingeleitet, sondern zu deren Eintritt auch den maßgeblichen Beitrag geleistet hat. Für das ihm von seinen Schwiegereltern allenfalls vermittelte Gefühl der Ablehnung konnte er nicht die Klägerin verantwortlich machen, die daran nicht den geringsten Anteil hatte und ihm auch sofort unter Aufgabe ihres Angestelltenverhältnisses nach Wien gefolgt ist, als er eine Anstellung als Religionslehrer erhielt. Sein Verlangen, Fahrten nach Kematen zu unterlassen und damit jeglichen Kontakt zu ihren Eltern abzubrechen, widersprach daher dem Wesen der Ehe und legte bereits den Keim für die spätere Ehezerrüttung. Wenn somit die Klägerin dennoch zumindest einmal im Monat zu ihren Eltern gefahren ist, so hat sie dadurch keine schwere Eheverfehlung begangen. Derartige Verfehlungen hat vielmehr der Beklagte in schuldhafter Weise gesetzt, wenn er sich daraufhin von Gattin und Kind zusehends entfernte, sie den Großteil seiner Freizeit allein ließ und sich ihnen gegenüber lieb- und interesselos verhielt (vgl. EFSlg. 57.099, 57.104 ua.). Noch gravierender ist aber die Tatsache, daß er der Klägerin sogar jedes Gespräch verweigerte und mit ihr bis zu zwei Wochen kein Wort wechselte (EFSlg. 57.100, 57.101 ua.). Dazu kommen noch seine Andeutungen in Bezug auf das Kind, die die Klägerin zutiefst beunruhigen mußten. Der Beklagte hat dieses Verhalten entgegen seinem Versprechen auch nach der Versöhnung mit der Klägerin nicht geändert und so jede weitere Vertrauensbasis zerstört. Er hat schließlich nach dem Auszug der Klägerin sogar Unterhaltszahlungen an seine Tochter verweigert.

Demgegenüber ist nach den Feststellungen dem Beklagten der Beweis der von ihm der Klägerin angelasteten Eheverfehlungen überwiegend nicht gelungen. Sie hat ihm lediglich nach Eintritt der unheilbaren Ehezerrüttung längere Zeit hindurch einen Besuchskontakt zur Tochter verweigert. Daß sie die Gemeinschaft mit dem Beklagten aufgelöst hat, muß jedenfalls, selbst wenn ihr dies überhaupt noch als Eheverfehlung vorwerfbar wäre, als Folge der durch sein eigenes schuldhaftes Verhalten herbeigeführten Ehezerrüttung in einem milderen Licht erscheinen. Wenn der Beklagte sie unter diesen Umständen erfolglos zu einer Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft zu bewegen versucht hat, so kann dies der Klägerin keinesfalls zum Vorwurf gereichen (vgl. EFSlg. 57.125). Bei Gegenüberstellung der den Streitteilen anzulastenden Eheverfehlungen waren daher diejenigen des Beklagten für die negative Entwicklung der Ehe überhaupt allein bestimmend und wesentlich bedeutsamer als diejenigen der Klägerin, die sich erst als Folge seines ehewidrigen Verhaltens nach Eintritt der unheilbaren Ehezerrüttung darstellen. Es kommt daher gar nicht mehr darauf an, ob der Beklagte durch seine Weigerung, der Klägerin nach deren Auszug aus der Ehewohnung Geldunterhalt zu leisten, noch eine weitere Eheverfehlung begangen hat. Vielmehr kann schon aus den bisher genannten Gründen in der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß das Verschulden der Klägerin gegenüber jenem des Beklagten weitgehend in den Hintergrund tritt und daher dessen überwiegendes Verschulden an der Scheidung der Ehe auszusprechen war, keine Fehlbeurteilung erblickt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte