OGH 6Ob37/14f

OGH6Ob37/14f13.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. E. Solé als weitere Richter in der Übernahmesache der Bieterin L***** S.A., *****, vertreten durch Mag. Slavica Vanovac, Rechtsanwältin in Wien, betreffend die Zielgesellschaft H***** AG, *****, über den Rekurs der Bieterin gegen den Bescheid der Übernahmekommission vom 27. Jänner 2014, GZ 2013/2/4‑74 (HSAG), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Bieterin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Begründung

Die Zielgesellschaft ist eine österreichische Aktiengesellschaft mit Sitz in G*****. Ihr Grundkapital beträgt 3.635.000 EUR und ist in 500.000 Stück Aktien unterteilt, die zum Handel im geregelten Freiverkehr der Wiener Börse zugelassen sind und im Segment Standard Market Continuous notiert werden.

Die Rekurswerberin zeigte am 23. 12. 2013 bei der Übernahmekommission an, 255.000 Stück Aktien (51 % des Grundkapitals) der Zielgesellschaft erworben zu haben. In diesem Schriftsatz wird ausgeführt, dass die Bieterin gemäß § 22 Abs 1 ÜbG ein Übernahmeangebot zu stellen haben werde. Am 27. 12. 2013 informierte die Rekurswerberin den Markt von der Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft. In dieser ad hoc‑Mitteilung erklärte sie unter anderem, sie gehe „vorläufig und vorbehaltlich der Prüfung des Sachverhalts durch die Übernahmekommission davon aus, dass ein Pflichtangebot zu stellen ist und keine Ausnahme von der Angebotspflicht gemäß § 25 Abs 1 Z 2 ÜbG (Sanierungsausnahme) vorliegt“.

Entgegen der Ankündigung in der ad hoc‑Mitteilung zeigte die Rekurswerberin am 20. 1. 2014 den Erwerb von Aktien zu bloßen Sanierungszwecken an.

Mit dem angefochtenen Bescheid ordnete die Übernahmekommission ‑ nach öffentlicher mündlicher Verhandlung ‑ gemäß § 25 Abs 2 ÜbG ein Pflichtangebot an und verpflichtete die Rekurswerberin zur Entrichtung einer Gebühr von 21.400 EUR. Sie stellte unter anderem fest:

Die Rekurswerberin erwarb nach einem Bieterverfahren durch den Aktienkaufvertrag am 23. 12. 2013 von der Mehrheitsaktionärin 255.000 Stück Aktien der Zielgesellschaft zu einem Preis von 3,92 EUR je Aktie. Zudem erwarb sie mit demselben Kaufvertrag Projektansprüche der Mehrheitsaktionärin gegenüber der Zielgesellschaft, die zum Zeitpunkt des Verkaufs von der Mehrheitsaktionärin der Zielgesellschaft noch nicht in Rechnung gestellt worden waren. Diese Ansprüche beliefen sich auf 600.000 EUR (netto, zuzüglich 20 % USt). Am selben Tag schloss die Rekurswerberin einen Vertrag („Investorenvereinbarung“) mit den die Zielgesellschaft finanzierenden Kernbanken. Inhalt dieser Vereinbarung war im Wesentlichen die Gewährung eines gegenüber den Gläubigern der Zielgesellschaft nachrangig gestellten, unbesicherten Gesellschafterdarlehens in Höhe von 5 Mio EUR. Von dieser Summe gelangten 4.280.000 EUR zur Auszahlung an die Zielgesellschaft selbst und 720.000 EUR (brutto, inklusive 20 % USt) zur Abgeltung der Projektansprüche für Rechnung der Zielgesellschaft an die Mehrheitsaktionärin. Die auf dieses Darlehen entfallenden Zinsen in Höhe von 5 % werden bis auf weiteres gestundet, ohne dass darauf Zinseszinsen entfallen. Eine Zinszahlung oder Tilgung des Darlehens an die Rekurswerberin durch die Zielgesellschaft ist frühestens ab dem 1. 7. 2015 zulässig, sofern für ein bestimmtes Geschäftsjahr der Zielgesellschaft ‑ im Einzelnen festgestellte ‑ Kriterien erfüllt sind. Sollten diese Bedingungen erfüllt sein, ist eine Zahlung oder sonstige Befriedigung nur soweit zulässig, als bei einer auf den relevanten Stichtag des Jahresabschlusses zurückbezogenen Zahlung oder sonstigen Befriedigung die Eigenkapitalquote der Zielgesellschaft von zumindest 39 % sowohl auf Grundlage des geprüften konsolidierten Jahresabschlusses nach IFRS wie auch des geprüften Jahresabschlusses nach UGB immer noch erfüllt ist. Weiters hat die Rekurswerberin durch diese Investorenvereinbarung von den Kernbanken Kreditforderungen gegenüber der Zielgesellschaft und ihren Konzerngesellschaften in Höhe von insgesamt 24 Mio EUR um einen symbolischen Preis von einem Euro je Kernbank übernommen. Diese Forderungen wurden gegenüber den Gläubigern der Zielgesellschaft nachrangig gestellt. Zudem sieht die Investorenvereinbarung genaue Kriterien vor, ab welchem Zeitpunkt eine Rückzahlung und Zahlung von Zinsen an die Rekurswerberin aus den übernommenen Forderungen zulässig sind. Die Abtretung der 24 Mio EUR sollte das Aktienpaket im Rahmen der Auktion attraktiver machen. Im Fall einer erfolgreichen Sanierung stellt die ‑ dann werthaltige ‑ Forderung einen Zuschuss an den Bieter zum Kaufpreis für das Aktienpaket dar. Schließlich erklärte der Rechtsvertreter der Rekurswerberin in einem Schreiben vom 19. 1. 2014 an den Vorstand der Zielgesellschaft, namens seiner Mandantin auf 5 Mio EUR der von den Banken erworbenen Forderungen in Höhe von 24 Mio EUR vorläufig zu verzichten. Die diesem Verzicht zugrundeliegenden Forderungen lebten dann wieder auf, wenn die Zivilgesellschaft in ihren geprüften konsolidierten Jahresabschlüssen nach IFRS einen Gewinn ausweisen kann.

Rechtlich beurteilte die Übernahmekommission den Sachverhalt dahin, dass der Erwerb der kontrollierenden Beteiligung an der Zielgesellschaft zu bloßen Sanierungszwecken erfolgt sei, weil bei der Zielgesellschaft hinreichender Sanierungsbedarf bestehe und die Sanierungsabsicht der Rekurswerberin glaubhaft dargelegt worden sei. Trotzdem müsse gemäß § 25 Abs 2 ÜbG ein Pflichtgebot angeordnet werden. Eine Gefährdung der Aktionäre im Rahmen einer Sanierung und die Notwendigkeit der Anordnung eines Pflichtangebots komme nämlich trotz Vorliegens der Kriterien der Sanierungsausnahme (§ 25 Abs 1 Z 2 Fall 1 ÜbG) insbesondere dann in Betracht, wenn bloß einzelnen Aktionären der Ausstieg aus der Gesellschaft ermöglicht wird. Denn sei ein Bieter von der Stellung eines Pflichtangebots an alle Aktionäre mit dem Zweck befreit, Liquidität vordringlich der Gesellschaft und eben nicht deren Gesellschaftern zur Verfügung zu stellen, solle er im Gegenzug grundsätzlich auch nicht die Möglichkeit erhalten, einzelne (lästige) Aktionäre auszukaufen. Dadurch würde das in § 3 Z 1 ÜbG normierte Gleichbehandlungsgebot verletzt. Nach diesem solle allen Aktionären nach den dem ÜbG zugrundeliegenden Wertungen der Ausstieg aus der Gesellschaft zu denselben Bedingungen wie einem veräußernden Paketaktionär ermöglicht werden. Die Minderheitsaktionäre sollten dadurch an der dem aussteigenden Paketaktionär in der Regel bezahlten Kontrollprämie partizipieren. Darin liege freilich auch der Zweck der Preisbildungsvorschrift in § 26 Abs 1 ÜbG. Die Frage der Gleichbehandlung ziele daher darauf ab, dass der Bieter die Streubesitzaktionäre im Vergleich zum veräußernden Kernaktionär wirtschaftlich gleich behandle und ihnen einen Ausstieg zu denselben Konditionen ermögliche. Wie er den Kaufpreis finanziere und ob ihm die Banken Forderungen als Anreiz für die Durchführung der Übernahme abgetreten haben, die als „Entschädigung“ dafür dienen sollen, sei für die Frage der Gleichbehandlung dagegen unerheblich. Der veräußernde, damals kontrollierende Altaktionär habe einen Gesamtpreis von 999.600 EUR für die verkauften Aktien erhalten. Zusätzlich habe die Rekurswerberin dem Altaktionär 600.000 EUR zur Abgeltung von Ansprüchen im Zusammenhang mit der Entwicklung von Projekten, welche der Altaktionär bisher gegenüber der Zielgesellschaft noch nicht in Rechnung gestellt habe bezahlt. In Anbetracht des zum Zeitpunkt der Transaktion geltenden Börsekurses von 4,90 EUR (22. 12. 2013) habe die von der Rekurswerberin an den Altaktionär gezahlte Gegenleistung keinesfalls bloß symbolischen Charakter. Dem Altaktionär werde ein Ausstieg aus der Zielgesellschaft zu einem nicht bloß unwesentlichen Abfindungsbetrag ermöglicht. Dadurch werde genau jene Fallkonstellation verwirklicht, die nach den Gesetzesmaterialien explizit als Beispiel für eine für die Anordnung eines Pflichtangebots in Betracht kommende Gefährdung qualifiziert werde. Ob diese Abfindung als Gegenleistung für die Aktien bzw Kontrollprämie oder als „Körberlgeld“ für den Altaktionär, damit sich dieser aus der Gesellschaft zurückziehe, bezeichnet werde, sei dabei ohne Belang. Zudem bestehe eine Ungleichbehandlung darin, dass die Aktionäre weiterhin das Risiko eines Misserfolgs einer Sanierung tragen müssen ‑ ohne zumindest die Möglichkeit eines Ausstiegs aus der Zielgesellschaft im Wege eines Pflichtangebots zu haben ‑, während der ehemals kontrollierenden Hauptaktionärin ein sofortiger Ausstieg gegen eine namhafte Barabfindung gewährt worden sei. Dass die vom Bieter in einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung entrichtete Gegenleistung an den Altaktionär für die von ihm erworbenen Aktien aus dessen Sicht de facto Null sein könne, weil ihm die Banken Forderungen abgetreten hätten, die nach erfolgreicher Sanierung der Zielgesellschaft werthaltig sind, sei aus übernahmerechtlicher Sicht unbeachtlich. Mit Bedingungen und/oder Auflagen wie denen in § 25 Abs 4 ÜbG genannten könne im zu entscheidenden Fall nicht das Auslangen gefunden werden, um die Gefährdung der Minderheitsaktionäre hintanzuhalten.

Die Rekurswerberin beantragt in ihrem Rechtsmittel, zu dem sich die Übernahmekommission äußerte, den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, dass kein Pflichtangebot angeordnet wird und eine Gebühr gemäß Punkt 3.1 der Gebührenordnung für das Verfahren vor der Übernahmekommission in Höhe von 10.700 EUR vorgeschrieben wird. Hilfsweise beantragt sie, anstelle eines Pflichtangebots der Rekurswerberin die befristete Auflage zu erteilen, an die Hauptversammlung der Zielgesellschaft über die Sanierungsmaßnahmen zu berichten; schließlich stellt sie noch hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Die Rekurswerberin bringt in ihrem Rechtsmittel vor, die Aktienverkäuferin habe nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor der Übernahmekommission mit Schreiben vom 24. 1. 2014 die Nichtigkeit und Anfechtung des Aktienkaufvertrags geltend gemacht. Es drohe ein Anfechtungsverfahren, dessen Ausgang nicht verlässlich absehbar sei.

Dieses Vorbringen ist eine im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof gemäß § 66 Abs 2 AußStrG iVm § 30a Abs 2 ÜbG unbeachtliche Neuerung. Nach der bezogenen Norm können neue Tatsachen und Beweismittel nur zur Unterstützung oder Bekämpfung der Revisionsrekursgründe vorgebracht werden. Solche Neuerungen sind denknotwendigerweise solche, die bei Beschlussfassung bereits vorhanden waren, aber nicht früher geltend gemacht werden konnten. Die Vorschrift ist nur selten anwendbar, weil sie sich nur auf die Revisionsrekursgründe in § 66 Abs 1 AußStrG bezieht. Neuerungen, die die Beweiswürdigung betreffen, sind daher ausgeschlossen. Zur Rechts‑ oder Aktenwidrigkeitsrüge kommen Neuerungen schon begrifflich nicht in Frage. Gegenstand der rechtlichen Überprüfung kann immer nur der festgestellte oder trotz entsprechender Behauptung ungeprüft gebliebene Sachverhalt sein; mit neuen Tatsachen oder Beweisen kann die Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung durch die Vorinstanzen nicht dargetan werden. Ob eine Aktenwidrigkeit vorliegt, kann nur aufgrund der Aktenlage beurteilt werden (vgl Schramm in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 66 Rz 37 und 39 mwN).

2. Die Rekurswerberin vertritt die Ansicht, dass im Umfeld einer Sanierung ein Pflichtangebot nur dann gerechtfertigt sei, wenn bloß einzelnen Aktionären ein Ausstieg aus der Zielgesellschaft ermöglicht werde, ohne dass ein solcher Ausstieg für die Sanierung der Zielgesellschaft erforderlich wäre. Die von den Kernbanken nicht nur erzwungene, sondern durch einen Forderungsverzicht zudem massiv subventionierte Paketveräußerung und das mit dieser Paketveräußerung bezweckte Ausscheiden des Altaktionärs als Mehrheitsaktionär zu einer dieser von den Kernbanken zugebilligten unverhandelbaren Gegenleistung sei conditio sine qua non für die Sanierung der Zielgesellschaft gewesen. Deshalb und weil ein ernsthafter Sanierungsbeitrag, der das höchstmögliche Transaktionsvolumen eines Pflichtangebots von rund 1,5 Mio EUR bei weitem übersteige, geleistet worden sei, sei im Hinblick auf die wirtschaftliche Bedeutung der Sanierung für die Zielgesellschaft und deren Anteilsinhaber wie auch im Hinblick auf das allgemeine Interesse an der Erhaltung funktionsfähiger Unternehmenseinheiten und der damit zusammenhängenden Arbeitsplätze von einem Vorrang des Sanierungsinteresses des Bieters auszugehen und kein Pflichtangebot anzuordnen.

Unter Verweis auf die deutsche Rechtslage und die Spruchpraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht behauptet die Rekurswerberin zudem, in Sanierungsfällen müsse jede Interessenabwägung eindeutig zu Gunsten der Zielgesellschaft und zu Lasten der Beteiligungspapierinhaber ausgehen, könnte doch sonst dem mit Sanierungen stets angestrebten Unternehmens‑ und Arbeitsplatzerhalt nie ausreichend Rechnung getragen werden. Wären Investoren gezwungen, Liquidität teilweise in ein Pflichtangebot zu investieren, anstatt die bereit stehende Liquidität ungekürzt der Zielgesellschaft zukommen zu lassen, stünde sie nicht oder nicht mit dem erforderlichen frischen Kapital zur Verfügung. Regelmäßig liege eine Sanierung auch im vitalen Interesse der übrigen Beteiligungsinhaber, die ohne Mitteleinsatz an der Wertsteigerung einer sanierten Zielgesellschaft partizipieren können, anstatt bei einer Insolvenz der Zielgesellschaft ihr Investment zu verlieren.

Hierzu wurde erwogen:

3. Die Bestimmungen des ÜbernahmeG sind dem Gesetz nach Ausdruck unter anderem folgender „allgemeiner Grundsätze“ (vgl Art 3 Abs 1 lit a RL 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 4. 2004 betreffend Übernahmeangebote).

4. Alle Inhaber von Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft, die sich in gleichen Verhältnissen befinden, müssen gleich behandelt werden, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist. Die Pflicht zur Gleichbehandlung gilt insbesondere für Inhaber von Aktien, die der gleichen Gattung angehören (§ 3 Z 1 ÜbG).

5. Die Inhaber von Beteiligungspapieren müssen geschützt werden, wenn die Kontrolle über eine Gesellschaft erlangt wird (§ 3 Z 1a ÜbG).

6. Werden Aktien zu bloßen Sanierungszwecken erworben, so besteht keine Pflicht zur Stellung eines Pflichtangebots (§ 25 Abs 1 Z 2 erster Fall ÜbG). Dieser Tatbestand soll Sanierungen erleichtern. Das Vorhaben soll nicht durch die zusätzliche Belastung durch das Pflichtangebot erschwert oder verhindert werden, weil durch Sanierungen häufig betriebswirtschaftlich funktionsfähige Einheiten und die damit zusammenhängenden Arbeitsplätze erhalten werden können und die wertzerstörende Zerschlagung von Unternehmen verhindert wird (ErläutRV 1276 BlgNR 20. GP 43). Eine Sanierung liegt schließlich auch im Interesse der Minderheitsaktionäre.

7. Trotz Verwirklichung des Tatbestands dieser Norm (oder jenes nach § 25 Abs 1 Z 1 [mittelbarer Kontrollerwerb] oder nach § 25 Abs 1 Z 2 zweiter Fall [Erwerb zur Sicherung von Forderungen] ÜbG) kann die Übernahmekommission auch die Stellung eines Pflichtangebots an die Inhaber von Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft anordnen, wenn dies erforderlich ist, um nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls eine Gefährdung der Vermögensinteressen der Inhaber von Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft zu vermeiden (§ 25 Abs 2 erster Satz ÜbG). Sieht die Übernahmekommission von der Anordnung eines Pflichtangebots ab, so kann sie ihre Entscheidung von Bedingungen oder Auflagen abhängig machen; dafür kommen insbesondere das Verbot des Hinzuerwerbs von Anteilen, der Verkauf von Anteilen, das Ruhen von Stimmrechten, die Wahl einer Mehrheit unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder oder Berichtspflichten gegenüber der Hauptversammlung bzw der Übernahmekommission in Betracht (§ 25 Abs 2 zweiter Satz ÜbG). Bei Entscheidungen nach § 25 Abs 2 ÜbG hat die Übernahmekommission insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, ob die Möglichkeit, einen beherrschenden Einfluss auf die Zielgesellschaft auszuüben, in zuverlässiger und dauerhafter Weise abgesichert ist, ob der Erwerbsvorgang vorrangig auf die Erlangung eines beherrschenden Einflusses über die Zielgesellschaft gerichtet war, ob der Erwerber oder ein konzernmäßig mit ihm verbundener Rechtsträger eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an einem Unternehmen mit gleichem oder verwandtem Unternehmensgegenstand hält, ob eine einheitliche Leitung besteht oder angestrebt wird, ob für die Kontrollerlangung eine Prämie im Vergleich zum durchschnittlichen Börsekurs (§ 26 Abs 1 ÜbG) bezahlt wurde (§ 25 Abs 4 ÜbG).

8. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 16) kommt bei der Sanierung „die Angebotspflicht zB in Betracht, wenn bloß einzelnen Altaktionären der Ausstieg aus der Gesellschaft ermöglicht werden soll“. Der Übernahmekommission ist vor dem Hintergrund der Motive des Gesetzgebers für das Sanierungsprivileg darin zuzustimmen, die Sanierungsausnahme bezwecke, dass der Bieter Liquidität, die er für die Sanierung aufwenden will, vordringlich der Zielgesellschaft und nicht deren Gesellschaftern zur Verfügung stellt. Der Oberste Gerichtshof billigt auch die mit dem Willen des historischen Gesetzgebers übereinstimmende Auffassung der Übernahmekommission, dass das in § 3 Z 1 ÜbG normierte Gleichbehandlungsgebot verletzt würde, wenn es dem Bieter gestattet wäre, bloß einzelnen Aktionären zu einem nicht bloß symbolischen Kaufpreis den Ausstieg aus der Zielgesellschaft zu ermöglichen. Dadurch wären die Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre gefährdet, die nicht im Weg eines Pflichtangebots aussteigen können und weiterhin das Risiko eines Misserfolgs einer Sanierung tragen müssen. Das Gleichbehandlungsgebot zielt darauf ab, dass der Bieter die Minderheitsaktionäre im Vergleich zum veräußernden Kernaktionär wirtschaftlich gleich behandelt und ihnen einen Ausstieg zu denselben Kondition ermöglicht.

9. Der Ansicht der Rekurswerberin, in Sanierungsfällen müsse jede Interessenabwägung eindeutig zu Gunsten der Zielgesellschaft und zu Lasten der Beteiligungspapierinhaber ausgehen, könnte doch sonst dem mit Sanierungen stets angestrebten Unternehmens‑ und Arbeitsplatzerhalt nie ausreichend Rechnung getragen werden, kann nicht gefolgt werden. Sie nähme § 25 Abs 2 ÜbG seine Anwendbarkeit bei einer Sanierung. Der Gesetzgeber berücksichtigt die Interessen des Bieters, der Aktien zu Sanierungszwecken erwirbt, bereits dadurch, dass er die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots per se entfallen lässt, ermächtigt aber zugleich die Übernahmekommission, auch in diesem Fall nach pflichtgemäßem Ermessen ‑ als letztes Mittel (ErläutRV 1334 BlgNR 22. GP 16; Huber in Huber , Übernahmerecht § 25 Rz 95) ‑ die Stellung eines Pflichtangebots anzuordnen, wenn dies erforderlich ist, um nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls eine Gefährdung der Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre der Zielgesellschaft zu vermeiden.

10. Der Oberste Gerichtshof billigt die Beurteilung der Übernahmekommission und deren Begründung, dass nach den festgestellten Verhältnissen des zu entscheidenden Falls, in dem die Rekurswerberin nur dem Kernaktionär zu einem nicht unwesentlichen Abfindungsbetrag (Aktienkaufpreis zuzüglich 600.000 EUR für noch nicht in Rechnung gestellte Projektansprüche) den Ausstieg aus der Zielgesellschaft ermöglichte, die Anordnung der Stellung eines Pflichtangebots zur Vermeidung der Gefährdung der Vermögensinteressen der Minderheits-aktionäre erforderlich ist. Die angefochtene Entscheidung nimmt auch darauf Bedacht (§ 25 Abs 4 ÜbG), dass der beherrschende Einfluss der Bieterin auf die Zielgesellschaft durch eine Beteiligung von 51 % zuverlässig und dauerhaft abgesichert ist und der Erwerbsvorgang vorrangig auf die Erlangung eines beherrschenden Einflusses auf die Zielgesellschaft gerichtet war. Wie mit Auflagen oder Bedingungen, insbesondere der von der Rekurswerberin begehrten, das Auslangen gefunden werden könnte, um eine Gefährdung der Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre zu vermeiden, wird im Rekurs nicht konkret dargelegt und ist nicht ersichtlich.

11. Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin kommt es für die Anwendbarkeit des § 25 Abs 2 ÜbG nicht darauf an, ob der Ausstieg einzelner Aktionäre für die Sanierung der Zielgesellschaft erforderlich war. Eine Förderung der Abfindung sanierungsunwilliger oder -widerstrebender Gesellschafter ist nicht die Intention des Gesetzgebers und nicht im Sinn der Gleichbehandlung aller Aktionäre.

12. Der Anordnung eines Pflichtangebots steht auch nicht entgegen, dass die Höhe der Gegenleistung für das Aktienpaket nicht verhandelbar war. Es war nämlich die privatautonome Entscheidung der Rekurswerberin, die von der Verkäuferseite vorgegebenen Bedingungen zu akzeptieren. Dass die Kernbanken die Transaktion durch die Abtretung von Forderungen unterstützten, die nach erfolgreicher Sanierung der Zielgesellschaft werthaltig sind, sodass die von der Rekurswerberin der Altaktionärin entrichtete Gegenleistung aus ihrer Sicht de facto null sein kann, ist im gegebenen Zusammenhang unbeachtlich, ändert dies doch nichts daran, dass die Bieterin der Kernaktionärin, nicht aber den Minderheitsaktionären den Ausstieg aus der Zielgesellschaft ermöglichte.

13. Der Rüge der unvollständigen Sachverhaltsfeststellung aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung ist zu erwidern, dass die ersten drei in der Aufstellung der vermissten Feststellungen angeführten Umstände von der Übernahmekommission ohnehin festgestellt wurden und die übrigen für die Entscheidung nicht wesentlich sind. Für die Bejahung der Gefährdung der Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre und der ‑ unter dem Blickwinkel des Gleichbehandlungsgebots - Erforderlichkeit eines Pflichtangebots ist es nämlich unerheblich, ob der Aktienkaufpreis nicht dem zum Zeitpunkt der Transaktion aktuellen Börsenkurs oder dem gewichteten Börsenkurs (§ 26 Abs 1 ÜbG) entsprach, ob das Transaktionsvolumen eines allfälligen Pflichtangebots maximal 1,5 Mio EUR beträgt, der geleistete Sanierungsbeitrag dieses maßgeblich übersteigt, ob die Beteiligung der Minderheitsaktionäre nicht verwässert oder diese keinen finanziellen Sanierungsbeitrag leisten mussten.

14. Die Rekurswerberin bekämpft den Bescheid im Gebührenpunkt nur mit der Begründung, dass die Stellung eines Pflichtangebots nicht hätte angeordnet werden dürfen. Da dies nicht zutrifft, ist dem Rekurs auch insoweit der Erfolg zu versagen.

15. Die Rekurswerberin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen. Abgesehen davon, dass sie nicht erfolgreich war, steht ihr im Rekursverfahren kein Kostenschuldner gegenüber, ist doch die Übernahmekommission nicht Partei im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof.

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