Spruch:
Keine Interessenklage wegen Nichterfüllung der Zug um Zug-Verpflichtung.
Entscheidung vom 9. Dezember 1964, 6 Ob 324/64. I. Instanz:
Bezirksgericht St. Pölten; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.
Text
Die Streitteile schlossen am 10. Oktober 1960 zu 1 Cg 290/60 des Kreisgerichtes St. Pölten einen Vergleich, in dem die jetzige Klägerin das alleinige Eigentum des Beklagten an der Wohnbaracke in St. P., T.strand 44, anerkannte und sich verpflichtete, diese Baracke dem Beklagten binnen 14 Tagen bei Exekution Zug um Zug gegen eine von ihm im Stadtgebiet von St. P. zur Verfügung zu stellende angemessene Ersatzwohnung geräumt zu übergeben.
Mit der vorliegenden, auf § 368 EO. gestützten Klage begehrt die Klägerin Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 20.000 S samt Anhang, welcher Betrag ihrem Interesse an der Erfüllung des Vergleichs entspreche; der Beklagte habe trotz Urgenz bisher keine Ersatzwohnung bereit gestellt.
Das Erstgericht wies dieses Begehren mit der Begründung ab, daß selbst dann, wenn man in Umkehrung des Exekutionstitels eine Verpflichtung des Beklagten zur Beistellung einer Ersatzwohnung bei Freimachung der Baracke durch die Klägerin annehme, das Klagebegehren verjährt wäre. Die Interessenklage nach § 368 EO. sei eine Entschädigungsklage, die gemäß § 1489 ABGB. in 3 Jahren verjähre. Nach dem Standpunkt der Klägerin wäre der Beklagte zur Ersatzstellung binnen 14 Tagen nach Vergleichsabschluß, also bis längstens 25. Oktober 1960 verpflichtet gewesen. Von da ab hätte die Klägerin die Interessenklage erheben können. Die vorliegende am 23. Juli 1964 eingebrachte Klage wäre daher verjährt.
Verstehe man aber den Vergleich nur als Verpflichtung der Klägerin zur Räumung der Baracke, wenngleich unter der Bedingung der Beistellung einer Ersatzwohnung durch den Beklagten, dann fehle der Klägerin der materielle Rechtsgrund. Die Beistellung einer Ersatzwohnung durch den Beklagten könne exekutiv nicht erzwungen werden. Stellt er keine bei, so könne er seinen Räumungsanspruch gegen die Klägerin nicht durchsetzen. Die Klägerin habe jedoch keinen vollstreckbaren Anspruch auf eine Ersatzwohnung und daher auch keinen Anspruch auf Ersatz ihres Interesses.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und fügte den Rechtsausführungen des Erstgerichtes noch hinzu, falls die Parteienabsicht darin übereinstimmte, daß der Beklagte zur Beistellung einer Ersatzwohnung verpflichtet sei, so könne die Klägerin bei Nichterfüllung dieser Verpflichtung allenfalls Schadenersatzansprüche erheben. Exekutiv erzwingbar sei eine solche Verpflichtung des Beklagten nach dem Vergleich jedenfalls nicht, daher fehle die Grundlage für eine Interessenklage.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Nach einheitlicher Rechtsprechung (SZ. XXIV 344, XXIII 74, JBl. 1962 S. 614 u. a.) sind die Gerichte dann, wenn die Klage ausdrücklich auf einen bestimmten Rechtsgrund gestützt wird, an diesen gebunden; sie sind nicht berechtigt, der Klage aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben.
Die vorliegende Klage ist ausdrücklich auf den Rechtsgrund des § 368 EO. gestützt und damit begrundet, daß der Beklagte der ihm laut gerichtlichen Vergleich obliegenden Verpflichtung, der Klägerin binnen 14 Tagen eine angemessene Wohnung zu verschaffen, trotz Urgenz nicht nachgekommen sei. Deswegen sei die Klägerin gezwungen, das Interesse einzuklagen.
Anders als in dem der Entscheidung SZ. XXIV 344 zugrundeliegenden Fall ist daher nicht zu prüfen, ob der Klägerin etwa ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 368 EO. ein Anspruch auf Ersatz des durch die Nichterfüllung entstandenen Schadens zustehe. Vielmehr ist zu untersuchen, ob der geltend gemachte Anspruch nach § 368 EO. zu Recht besteht. Nach dieser Gesetzesstelle werden die dem betreibenden Gläubiger zustehenden Ansprüche auf Leistung des Interesses wegen Nichterfüllung der dem Verpflichteten obliegenden Verbindlichkeit oder auf Ersatz des dadurch verursachten Schadens durch die Bestimmungen des 3. Abschnittes der EO. nicht berührt. Hieraus wie auch aus dem Wortlaut des 2. Absatzes dieser Gesetzesstelle ergibt sich zweifelsfrei, daß die ausdrücklich auf § 368 EO. gegrundete Klage nur dem betreibenden Gläubiger zusteht, somit einen vollstreckbaren Anspruch voraussetzt. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend dargelegt und wird auch in der Revision als richtig zugegeben.
Im Gegensatz zu den Revisionsausführungen kann aber dem gerichtlichen Vergleich vom 10. Oktober 1960 ein solcher Anspruch der Klägerin nicht entnommen werden. Aus diesem Vergleich ergibt sich nur eine vollstreckbare Verpflichtung der Klägerin zur Räumung der Wohnbaracke binnen 14 Tagen, allerdings nur Zug um Zug gegen Beistellung einer angemessenen Ersatzwohnung durch den Beklagten. Gemäß § 8 EO. ist der Nachweis der Erfüllung der Zug um Zug-Verpflichtung nicht einmal eine Voraussetzung für die Bewilligung der Exekution zugunsten der Hauptverpflichtung. Zur Hereinbringung der Zug um Zug-Verpflichtung kann nicht Exekution geführt werden (SZ. XXIII 265). Daß der Vergleich keine vollstreckbare Verpflichtung des Beklagten dieses Inhaltes enthält, ergibt sich nicht bloß aus dem Wortlaut seines Punktes 2, sondern auch aus seinem Punkte 4, in dem sich die Beklagte für den Fall, als sie nach dem 31. März 1961 noch in der Baracke wohnen sollte, verpflichtete, dem Beklagten einen monatlichen Mietzins von 100 S zu bezahlen. Es ist somit für den Fall Vorsorge getroffen, daß der Beklagte keine Ersatzwohnung beistellt, von seinem Exekutionstitel keinen Gebrauch macht und die Klägerin weiter in der Baracke wohnen läßt.
Punkt 3 des Vergleiches, in dem sich der Beklagte verpflichtete, der Klägerin Zug um Zug gegen Räumung der Baracke einen Betrag von 3.000 S als Abfindung der von ihr für die Baracke erbrachten Arbeitsleistungen zu bezahlen, gibt der Klägerin allenfalls bei Räumung der Baracke einen Exekutionstitel auf Zahlung von 3.000 S, nicht aber einen solchen auf Beistellung der Ersatzwohnung, zu der der Beklagte nur verpflichtet ist, wenn er seinen Räumungsanspruch geltend macht.
Da somit der allein geltend gemachte Klagsgrund, daß der Beklagte einen vollstreckbaren Anspruch der Klägerin nicht erfülle, nicht zu Recht besteht, kann die Klägerin auch nicht gemäß § 368 EO. das Interesse wegen Nichterfüllung eines solchen Anspruchs begehren.
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