Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels endgültig selbst zu tragen; die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Erstbeklagte ist die Eigentümerin und Verlegerin der Wochenzeitschrift "N*****"; die Zweitbeklagte ist die Komplementärin der Erstbeklagten.
In der Ausgabe der Wochenzeitschrift "N*****" Nr. 48 vom 1.12.1994 erschien auf den Seiten 76 bis 78 unter der großen Titelzeile "Die braune Beichte" (Untertitel: "BRIEFBOMBEN. Im N*****-Interview erhebt der Nazi-Aussteiger Ingo H***** schwere Vorwürfe gegen K*****, B***** & Co") ein Interview, welches der auf einem halbseitigen Foto unter der Überschrift "Im Untergrund" als "26-jähriger Ex-Nazi, lebt versteckt in Berlin" bezeichnete Interview-Partner zwei Reportern der Wochenzeitschrift gewährt habe. Darin heißt es - den Kläger betreffend - auszugsweise wie folgt:
"........
N*****: Und wer steckt Ihrer Meinung nach hinter der Briefbombenserie
vom Dezember 1993 ?
H*****: Fest steht, daß jene Leute, die jetzt bei euch verdächtigt
werden, immer wieder zu uns auf 'Bombenschulung' gekommen sind. Seit
Sommer 1990 wurden österreichische Neonazis in Deutschland planmäßig
ausgebildet.
N*****: Wer war da konkret dabei ?
H*****: In erster Linie Peter B*****, Franz R***** und H*****
S*****....... S***** ist erst Ende 1990 bei uns aufgetaucht.
Gemeinsam mit unseren Kameraden Bendix W***** und Roberto E***** hat S***** die weiteren Bombenkurse geplant. Das Trio war brandgefährlich: B***** war ein echter Psychopath, E***** ein guter Organisator und S***** war irgendwie immer gut drauf....
...........
N*****: Wer waren die Ausbildner ?
H*****: Den Hauptteil der Arbeit hat Bendix W***** gemacht. Später
war dann auch S***** dabei.
..........."
Im Rahmen einer Bildleiste im Text des Interviews auf Seite 77 befand sich auch ein Foto des Klägers mit folgendem Text:
"H***** über H.J.S*****: 'H***** S***** hat zuletzt bei der Planung der Bombenkurse mitgeholfen.'"
Mit der Behauptung, daß die von der Erstbeklagten verbreiteten ehrverletzenden und kreditschädigenden Tatsachenbehauptungen des angeblichen Interview-Partners unwahr seien, beantragt der Kläger zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, den Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, es zu unterlassen, die Behauptung zu verbreiten, daß a) feststehe, daß jene Personen, die hinter der Briefbombenserie vom Dezember 1993 stünden, und/oder die der Beteiligung an der Briefbombenserie vom Dezember 1993 verdächtigt werden, immer wieder nach Deutschland zur Bombenschulung gekommen seien und daß der Kläger dabeigewesen und erstmals Ende 1990 bei Bombenbastelkursen aufgetaucht sei und an der Planung von Bombenkursen teilgenommen habe; b) der Kläger einem brandgefährlichen Trio von Bombenbastlern angehört habe; c) der Kläger bei Bombenschulungen als Ausbildner fungiert habe, sowie d) sinngleiche Behauptungen.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag noch vor Ablauf der von ihm zur Anhörung der Beklagten gesetzten Äußerungsfrist ab. Die Unwahrheit der beanstandeten Angaben des Ingo H***** könne nicht als bescheinigt angenommen werden. Die diesbezügliche Bescheinigungslast treffe aber den Kläger, weshalb der Sicherungsantrag schon mangels Anspruchsbescheinigung abzuweisen gewesen sei.
Das Rekursgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000,-- S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die beanstandeten Äußerungen des Ingo H***** seien nicht nur rufschädigende, sondern auch ehrverletzende Tatsachenbehauptungen, werde doch dem Kläger "Brandgefährlichkeit" sowie die Teilnahme an "Bombenbastelkursen" und deren Leitung im Zusammenhang mit Personen vorgeworfen, welche der Briefbombenattentate verdächtig seien. Dem Kläger stehe daher nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes die Wahl zu, auch Ansprüche nach § 1330 Abs 2 ABGB geltend zu machen. In einem solchen Fall obliege aber entgegen der Meinung des Erstgerichtes dem Verbreiter der Beweis (die Bescheinigung) der Wahrheit der Tatsachenbehauptung. Eine derartige Bescheinigung hätten die Beklagten im vorliegenden Fall gar nicht angetreten, sodaß von der Unrichtigkeit der beanstandeten Tatsachenbehauptungen auszugehen sei. Die Erstbeklagte habe diese aber "verbreitet", sei doch das Interview in ihrer Wochenzeitschrift ohne ausreichende Distanzierung abgedruckt worden. Auf die Entscheidung SZ 64/36 = ÖBl 1991, 161 - Altöl-Skandal könnten sich die Beklagten schon deshalb nicht berufen, weil ein Einzelinterview jedenfalls noch kein "Meinungsforum" sei. Der Erstbeklagten komme auch nicht der Rechtfertigungsgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG zugute, sei dieser doch auf Entschädigungsansprüche nach Abs 1 und auf die objektiven Tatbestände der üblen Nachrede, der Beschimpfung, der Verspottung oder der Verleumdung unter der Voraussetzung beschränkt, daß ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der zitierten Äußerung bestanden habe. Letzteres müsse aber schon deshalb bezweifelt werden, weil an der Kenntnis der Meinung eines in der Öffentlichkeit weithin unbekannten "Nazi-Aussteigers" kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit bestehe. Im Falle einer ehrverletzenden und rufschädigenden unrichtigen Tatsachenbehauptung versage schließlich auch die Berufung auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Beklagten ist entgegen der Meinung des Klägers schon deshalb zulässig, weil zur Frage, ob der Rechtfertigungsgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG idF der MedienG-Novelle 1992 auf den Entschädigungsanspruch gemäß § 6 Abs 1 MedienG beschränkt ist oder auch auf die Beurteilung des Unterlassungsanspruches nach § 1330 ABGB durchschlägt, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; das Rechtsmittel ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.
Die Beklagten wenden sich nicht gegen die - zutreffenden - Ausführungen des Rekursgerichtes, wonach die in der Wochenzeitschrift der Erstbeklagten abgedruckten, vom Kläger beanstandeten Vorwürfe des Ingo H***** kreditschädigende und zugleich ehrverletzende Tatsachenbehauptungen waren, weshalb die Beklagten die - von ihnen aber gar nicht wahrgenommene - Bescheinigungslast für die Richtigkeit der Mitteilungen getroffen hätte (ständige Rechtsprechung: MR 1995, 16 - Sauerei mwN; zuletzt etwa 6 Ob 1007/95 ua); sie machen nur noch geltend, daß einerseits sämtliche Medien die gesetzlich anerkannnte Aufgabe (Pflicht) zur öffentlichen Information treffe, weshalb die vom Obersten Gerichtshof für das Fernsehen entwickelten Kriterien (SZ 64/36) auch auf die wertneutrale, nicht identifizierende Weiterverbreitung von Äußerungen Dritter durch ein Printmedium anzuwenden sei, welches dann aber ebensowenig als "Verbreiter" anspruchsbegründender Äußerungen angesehen werden könne. Andererseits müsse der Erstbeklagten jedenfalls der Rechtfertigungsgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG zugutekommen.
Hiezu hat der erkennende Senat folgendes erwogen:
Zur österreichischen Rechtslage ist nach herrschender Lehre und ständiger Rechtsprechung unbestritten, daß das "Verbreiten" einer Tatsache nach § 1330 Abs 2 ABGB das Mitteilen dieser Tatsache bedeutet, und zwar sowohl das Äußern eigener Überzeugung als auch das Weitergeben der Behauptungen eines Dritten, ohne sich mit dessen Äußerung zu identifizieren. Im Hinblick auf den Schutzzweck des § 1330 Abs 2 ABGB ist allein auf die Störung abzustellen, an der jemand beteiligt ist. Eine intellektuelle Beziehung des Verbreiters zu dem wiedergebenen Gedankeninhalt wird daher nicht für erforderlich gehalten; vielmehr wird schon das "technische Verbreiten" - etwa durch Zeitung, Rundfunk oder Fernsehen - grundsätzlich von § 1330 ABGB erfaßt. Nach § 1330 Abs 2 ABGB haftet demnach, wer verursacht, daß die Tatsache einem größeren Kreis von Menschen bekannt wird (MR 1993, 144 - Scientology; ÖBl 1993, 243 - Scientology II, jeweils mwH). In diesem Sinn ist nicht nur der Verleger eines Buches oder einer periodischen Druckschrift "Verbreiter" der darin veröffentlichten Behauptungen, sondern auch der Medieninhaber (Verleger), und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es sich um redaktionelle Artikel, einen Leserbrief (SZ62/20 = MR 1989, 61 = WBl 1989, 172 - Ideenfabrik) oder - wie hier - um ein Zeitungsinterview handelt. Abgesehen davon, daß die Erstbeklagte demnach "Verbreiterin" der beanstandeten Mitteilungen war und sich daher nur noch die Frage stellen kann, ob ihr Verhalten nicht doch aus besonderen Gründen gerechtfertigt war, können sich die Beklagten auch deshalb nicht mit Erfolg auf die Entscheidung SZ 64/36 berufen, weil ein Einzelinterview in einer periodischen Druchschrift keinesfalls einem "Meinungsforum" im Rahmen einer im Rundfunk ausgestrahlten Live-Sendung (vgl nunmehr § 6 Abs 2 Z 3 MedienG) gleichzustellen ist.
Es ist aber richtig, daß jeder Unterlassungsanspruch die Rechtswidrigkeit der begangenen oder drohenden Eingriffshandlung voraussetzt (ÖBl 1991, 23 = WBl 1990, 382 - Skiverleiher; MR 1994, 125 - Testleserangebot; ÖBl 1994, 118 = MR 1994, 198 = EvBl 1994/97 = WBl 1994, 314 = ecolex 1994, 464 - Exekutionsanträge; MR 1995, 97 - Rößlwirtin uva). Zwar ist der Angriff auf die absoluten Rechte der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes einer Person schon ein Indiz für die Rechtswidrigkeit, diese kann aber im Einzelfall dann ausgeschlossen sein, wenn für das Handeln oder Unterlassen ein besonderer Rechtfertigungsgrund vorlag. Ein solcher Rechtfertigungsgrund muß sich im Wege einer Interessenabwägung aus weiteren Geboten oder Verboten der gesamten Rechtsordnung gewinnen lassen (Koziol/Welser10 I 450; SZ 56/124 = ÖBl 1984, 18 - Lokomotivführer; ÖBl 1991, 23 - Skiverleiher; ÖBl 1994, 118 - Exekutionsanträge ua). Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung müssen den Interessen am gefährdeten Gut stets auch die Interessen des Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden; es kommt dabei auf die Art des eingeschränkten Rechts, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit am verfolgten Recht und den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses an (MR 1993, 57 - Katastrophenbudget; MR 1995, 97 - Rößlwirtin uva). Im Sinne dieser herrschenden Rechtsprechung kann es aber gar nicht zweifelhaft sein, daß dem Medieninhaber (Verleger) einer periodischen Druckschrift auch in Ansehung eines aus § 1330 ABGB abgeleiteten Unterlassungsanspruches der durch die MedienG-Novelle 1992 neu geschaffene Rechtfertigungsgrund (vgl die ErlBem zur RV 1992 [21], abgedruckt bei Foregger-Litzka, MedienG3 204; Zöchbauer, Das neue Medienrecht 110 f) des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG zugutekommen kann. So wie Koziol (in JBl 1993, 613 ff) schon für eine analoge Anwendung der in §§ 6, 7 MedienG normierten verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung auf Schadenersatzansprüche gemäß § 1330 ABGB eingetreten ist, weil sie der Verletzte sonst im Hinblick auf das Redaktionsgeheimnis wohl nur schwerlich durchsetzen könnte, sind aber auch beim Rechtfertigungsgrund des § 6 Abs 2 Z 4 MedienG die Interessen des Verletzten zu bedenken, die ja nach dem Willen des Gesetzgebers gegenüber dem Medieninhaber (Verleger) offenbar nur deshalb zurücktreten sollen, weil er sich immer noch gegen den Dritten zur Wehr setzen kann, dessen Äußerung, an deren Kenntnis ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit besteht, wahrheitsgetreu wiedergegeben wurde. Daraus folgt aber, daß jedenfalls dann, wenn der Verletzte für den Medieninhaber (Verleger) objektiv erkennbar aus einem anderen Grund als jenem der Z 1 des § 6 Abs 2 MedienG auch gegen den Urheber der Äußerung schutzlos bliebe, der Rechtfertigungsgrund nicht zum Tragen kommen kann. Das trifft im vorliegenden Fall zu, wurden doch in der periodischen Druckschrift der Erstbeklagten die Äußerungen eines zwar namentlich genannten (angeblichen) Interviewpartners wiedergegeben, von diesem aber zugleich bekanntgegeben, daß er "versteckt in Berlin ('Im Untergrund') lebt". In ihrer Äußerung haben die Beklagten überdies darauf verwiesen, daß Ingo H***** "nunmehr untergetaucht und auch nicht (mehr) bereit sei, weiterhin als Informant zur Verfügung zu stehen." Bei dieser Sachlage war und ist es aber dem Kläger - für die Erstbeklagte erkennbar - aus praktischen Gründen nicht möglich, gegen Ingo H***** selbst gerichtlich vorzugehen. Schon aus diesem Grund kann demnach das Verhalten der Erstbeklagten durch § 6 Abs 2 Z 4 MedienG nicht gerechtfertigt sein, sodaß auch nicht mehr näher geprüft werden muß, ob überhaupt ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der zitierten Äußerungen eines in Berlin im Untergrund lebenden "Nazi-Aussteigers" bestanden hat.
Diese Erwägungen führen bereits zur Bestätigung der angefochtenen einstweiligen Verfügung.
Der Ausspruch über die Rechtsmittelkosten der Beklagten gründet sich auf §§ 78, 402 Abs 4 EO und §§ 40, 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO, jener über die Kosten des Klägers auf § 393 Abs 1 EO.
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