Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur Prüfung des Einflusses von müllverfüllten Kiesabbaugruben auf das Grundwasser beauftragte das klagende Institut einer Universität am 21. 8. 1986 die Beklagte mit der Herstellung einer Hausmülldeponieanlage. Bei deren Errichtung traten verschiedene technische Probleme auf, vor allem ein nicht vorhergesehener umfangreicher Gasaustritt, der zur Errichtung einer Gasentsorgungsanlage zwang, ohne die die Müllanlage nicht in Betrieb hätte gehen können. Die Parteien trafen im August 1990 ergänzende Vereinbarungen zum Werkvertrag aus dem Jahr 1986, insbesondere über die Errichtung einer Entgasungsanlage. Am 9. 3. 1992 vereinbarten die Parteien, dass die Beklagte der Klägerin 1,2 Mio S in sechs Jahresraten als Ersatz für die 1990 vereinbarten, aber noch nicht erbrachten Leistungen bezahlt. Die erste Rate wurde entrichtet. Die zweite Rate von 200.000 S war Gegenstand des Vorprozesses 27 Cg 197/94p des Landesgerichtes Klagenfurt. Die Beklagte wandte gegen die Klageforderung die von ihr getragenen Kosten der Errichtung der Gasanlage von 6,720.000 S als Gegenforderung ein. Die Klägerin sei nach dem Werkvertrag verpflichtet gewesen, sämtliche rechtlichen Voraussetzungen für den Betrieb der Mülldeponie (der Versuchsanlage) zu schaffen. Die Beklagte habe sich zur Errichtung der Anlage verpflichtet. Eine Entgasung sei nicht vorgesehen gewesen. Die Zusatzvereinbarung vom August 1990 sei unter der Voraussetzung geschlossen worden, dass die Kosten der Errichtung aus der Gasverwertung gedeckt werden könnten. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Die Beklagte sei über den Umstand fehlender Verwertungsmöglichkeiten in Irrtum geführt worden. Die Klägerin bestritt im Vorprozess die zur Gegenforderung geltend gemachten Rechtsgründe, insbesondere einen von ihr veranlassten Irrtum oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Ob eine Gasverwertung möglich sein werde, sei in das Unternehmerrisiko der Beklagten gefallen. Das Erstgericht stellte im Vorprozess fest, dass die Klageforderung zu Recht bestehe, die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und gab dem Leistungsbegehren statt. Es bejahte eine vereinbarte Selbsttragung der Errichtungskosten der Entgasungsanlage durch die Beklagte und verneinte die von ihr relevierten Rechtsgründe. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es wies einen mit der ordentlichen Revision der Beklagten verbundenen Antrag auf Änderung seines die Zulässigkeit der ordentlichen Revision verneinenden Ausspruchs ab. Die dennoch erhobene Revision der Beklagten wurde vom erkennenden Senat als absolut unzulässig zurückgewiesen (6 Ob 261/98w).
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin vier weitere Jahresraten auf Grund der Vereinbarung vom 9. 3. 1992 unter Wiederholung ihres Vorbringens im Vorprozess. Auch die Beklagte machte nur den Sachverhalt geltend, wie sie ihn schon im Vorprozess behauptet hatte. Sie wandte auch hier die Kosten der Errichtung der Entgasungsanlage als Gegenforderung ein.
Das Erstgericht stellte die Klageforderung als zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im Wesentlichen den schon im Vorprozess festgestellten Sachverhalt neuerlich fest und wiederholte auch die dort vorgenommene rechtliche Beurteilung.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es bejahte zwar die gerügten Verfahrensmängel erster Instanz (das Erstgericht hatte keinen Beweisbeschluss gefasst und seine Feststellungen nur nach Verlesung der Vorakten getroffen, ohne den Parteien die Möglichkeit zum Widerspruch nach § 281a ZPO zu geben), verneinte aber die Wesentlichkeit der Mängel. Wegen der Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess sei im Folgeprozess keine andere Entscheidung als die angefochtene möglich. Nach Lehre und neuerer Rechtsprechung werde eine inhaltliche Bindungswirkung des Vorprozesses auf den Folgeprozess auch dann bejaht, wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den neuen Anspruch sei oder aber, wenn ein im Gesetz begründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren bestehe und dieser inhaltliche Zusammenhang so eng sei, dass die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben in beiden Fällen zu entscheidenden Rechtsfrage nicht gestatteten. Im Folgeprozess sei der bereits rechtskräftig entschiedene Anspruch ohne Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung der neuen Entscheidung zugrunde zu legen. Das Ausmaß der Bindungswirkung werde durch den Urteilsspruch bestimmt, die Entscheidungsgründe seien zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen. Nur dann, wenn eine bestimmte Tatsache im Vorprozess nicht den Hauptgegenstand des Verfahrens gebildet habe, sondern nur als Vorfrage zu beurteilen gewesen sei, komme der Entscheidung keine bindende Wirkung im Folgeprozess zu. Auch die Entscheidung über den Bestand oder Nichtbestand einer vom Beklagten eingewendeten Gegenforderung begründe die Einrede der Rechtskraft. Hier bestehe ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen den beiden Begehren, sodass aus Gründen der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie von einer Bindungswirkung ausgegangen werden müsse. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Beklagten im Vorprozess die Anrufung des Obersten Gerichtshofs verwehrt geblieben sei. Der Oberste Gerichtshof habe zwar schon ausgesprochen (JBl 1990, 52 und EFSlg 79.218), dass die Bindungswirkung bei teilbaren Ansprüchen dann ihr Ende finde, wenn in der ersten Klage nur ein verhältnismäßig kleiner Teil eines Anspruchs geltend gemacht werde. Dann solle es dem Beklagten nicht verwehrt sein, bei der Einklagung des größeren Teils mehr Verteidigungsmittel vorzutragen. Auf diese Judikatur könne sich die Beklagte aber nicht berufen, weil sie nicht gehindert gewesen sei, hier ein neues Vorbringen zu erstatten. Bei Beibehaltung des Vorbringens müsse eine Bindung aber angenommen werden.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Nach den zuletzt zitierten Entscheidungen sei jedenfalls für den Obersten Gerichtshof von keiner Bindungswirkung des Vorprozesses (gemeint: bei Teileinklagung) auszugehen.
Mit ihrer ordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise die Aufhebung der Berufungsentscheidung zur Verfahrensergänzung.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Die Revisionswerberin verweist zu der vom Berufungsgericht für erheblich erachteten Rechtsfrage nur auf die im Zulässigkeitsausspruch zitierte Judikatur und weiters auf die im Zurückweisungsbeschluss 6 Ob 261/98w gegebene Begründung. Im Übrigen behauptet die 27-seitige Revisionsschrift Verfahrensmängel sowohl des vorliegenden Verfahrens als auch desjenigen des Vorprozesses, Aktenwidrigkeiten bei der Wiedergabe der erstinstanzlichen Feststellungen durch das Berufungsgericht sowie die unrichtige rechtliche Beurteilung in beiden Prozessen zu den Themen der Vertragsauslegung, der Anfechtung wegen Irrtums und des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Die erheblichen Rechtsfragen zur Bindungswirkung werden von der Revisionswerberin nicht näher erörtert. Im Revisionsverfahren ist es nicht strittig und durch den Akteninhalt gedeckt, dass das Vorbringen beider Parteien im Wesentlichen identisch mit dem im Vorprozess ist.
Zu der entscheidungswesentlichen Frage nach der Bindungswirkung eines Leistungsurteils über einen Teilanspruch hat die vom Berufungsgericht zitierte Vorentscheidung des 3. Senates JBl 1990, 52 (die Folgeentscheidung 4 Ob 574/94 = EFSlg 79.218 hat diese Entscheidung zwar zitiert, für die Zurückweisung der Revision mangels erheblicher Rechtsfragen waren aber andere Gründe maßgeblich) die Auffassung vertreten, dass eine Bindung immer nur dann bestehen könne, wenn die im Vorverfahren den Hauptgegenstand bildenden Tatsachen in engem Sachzusammenhang mit dem Streitgegenstand des Folgeprozesses stünden und keine Sachverhaltsänderung behauptet worden war. Wenn die Tatsachen im Vorprozess nur Vorfragen dargestellt hätten, käme der Vorentscheidung keine bindende Wirkung zu; ansonsten wäre das Rechtsinstitut des Zwischenantrags auf Feststellung obsolet. Bei teilbaren Ansprüchen könnte durchaus ein unterschiedlicher Verfahrensausgang über ein und dieselbe Forderung stattfinden. Dies müsse nicht als "besonders krasser Fall" beurteilt werden. Zahlreiche andere oberstgerichtliche Entscheidungen betonten demgegenüber die Bedeutung der Gebote der Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie, die eine widersprechende Beantwortung derselben in beiden Prozessen entschiedenen Rechtsfragen nicht gestatteten und gelangten damit im Ergebnis auch zur Bindungswirkung einer Vorentscheidung hinsichtlich entschiedener Vorfragen. Dies wurde von einem Teil der Lehre kritisiert und in einigen jüngeren oberstgerichtlichen Entscheidungen abgelehnt. Zum Stand der Lehre und Rechtsprechung kann auf die eingehende Darstellung in der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d = SZ 70/60 (S 423-426) verwiesen werden. Der verstärkte Senat lässt zwar durchblicken, dass die Bindung an eine Vorentscheidung, die (in der Entscheidungsbegründung) eine Vorfrage löste, durchaus möglich sein könne, eine den Obersten Gerichtshof bindende Rechtsmeinung wurde damit aber noch nicht ausgesprochen. Der erkennende Senat hat bisher im Einklang mit der zitierten wohl überwiegenden Literatur und oberstgerichtlichen Rechtsprechung der Vorfragenentscheidung im Vorprozess keine Bindungswirkung zuerkannt und dazu auf die in der Lehre und Rechtsprechung immer wieder vorgetragenen Argumente verwiesen, dass bei gegenteiliger Auffassung der Zwischenfeststellungsantrag überflüssig wäre und dass die bloße Entscheidungsbegründung der Vorentscheidung, soweit diese nur eine Vorfrage behandelte, für sich allein nicht in Rechtskraft erwachsen könne (6 Ob 59/99s mwN). An dieser Auffassung ist hier schon deshalb festzuhalten, weil die Bejahung einer Bindungswirkung der Entscheidung im Vorprozess über den Nichtbestand der Gegenforderung der Beklagten in unlösbarem Widerspruch zu der ständigen oberstgerichtlichen Judikatur zur Frage der Rechtskraft der Entscheidung über die Gegenforderung stünde. Im Falle der prozessualen Einwendung einer Gegenforderung sieht § 545 Abs 3 Geo ein mehrgliedriges Urteil vor. Die Entscheidung über den Bestand oder den Nichtbestand der Klageforderung sowie der Gegenforderung hat zwar feststellenden Charakter (Fasching, ZPR2 Rz 1293), erwächst aber für sich alleine nicht in Rechtskraft. Nur die sich aus den beiden Feststellungen ergebende Konsequenz, nämlich die im dritten Teil des Urteils ausgesprochene Entscheidung über das Klagebegehren ist der Rechtskraft fähig (4 Ob 2342/96g mwN; 4 Ob 242/99p mwN). Von der Rechtskraft umfasst ist daher nach dem insofern wohl eindeutigen Wortlaut des § 411 ZPO nur die Entscheidung über den Nichtbestand der Gegenforderung der Beklagten im Ausmaß von 200.000 S. Eine darüber hinausgehende bindende Wirkung entfaltet die Entscheidung des Vorprozesses über die Gegenforderung nicht. Die Beklagte könnte die restliche Gegenforderung selbständig einklagen (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 12 zu § 411) oder - wie hier - in einem Folgeprozess neuerlich prozessual einwenden. Die Vorinstanzen durften daher nicht von einer bindenden Vorentscheidung über den Nichtbestand der gesamten Gegenforderung ausgehen.
Das Berufungsgericht hat den gerügten Verfahrensmangel erster Instanz bejaht, dass das Erstgericht bei Verneinung einer Bindungswirkung seine Feststellungen mangels Einholung des Einverständnisses der Parteien nicht ausschließlich auf Grund der Verlesung der Vorakten treffen durfte. Dieser Ansicht ist zu folgen. Das Verfahren ist daher noch nicht spruchreif. Das Erstgericht wird im zweiten Rechtsgang gemäß § 281a ZPO vorzugehen haben. Wenn die Beklagte auf die neuerliche Beweisaufnahme besteht, sind die beantragten Beweise durchzuführen. Der unökonomische neuerliche Prozessaufwand hätte nur vermieden werden können, wenn die Parteien im Vorprozess von der ihnen eingeräumten Möglichkeit eines Zwischenfeststellungsantrages (§§ 236, 259 ZPO) Gebrauch gemacht hätten.
Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf § 52 ZPO.
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