Spruch:
Für die Beachtlichkeit des Widerspruches der beklagten Partei genügt eine - durch eine Änderung des Verhaltens des Klägers - bedingte Beistandserklärung.
Entscheidung vom 18. Jänner 1962, 6 Ob 27/62.
I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Das Erstgericht wies die auf § 49 und § 55 EheG. gestützte Ehescheidungsklage zur Gänze ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil hinsichtlich der Abweisung der Klage nach § 49 EheG. und änderte es in Ansehung des Ausspruches zu § 55 EheG. nach Wiederholung der Parteienvernehmung im Sinne der Klagsstattgebung unter Ausspruch eines Verschuldens des Klägers ab. Diesem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der nun im 70. Lebensjahr stehende Kläger, ein Mittelschullehrer in Ruhe, und die im 53. Lebensjahr stehende Beklagte haben am 29. November 1943 die Ehe geschlossen. Die Beklagte hatte aus erster Ehe, die im Jahre 1939 geschieden worden war, eine im Jahre 1933 geborene Tochter. Aus ihrer Ehe mit dem Kläger entstammt eine am 10. Mai 1944 geborene Tochter. Die Beklagte wußte im Zeitpunkte der Eheschließung, daß der Kläger homosexuell veranlagt war. Die Ehe ließ jedoch erwarten, daß er gewillt war, auch in geschlechtlicher Hinsicht eine natürliche Ehe zu führen. Der Kläger wurde dennoch in den Nachkriegsjahren rückfällig. Die Ehegatten leben seit dem 9. Mai 1950, als die Beklagte krankheitshalber vorübergehend in ein Heim eingewiesen wurde, getrennt.
Bereits im Jahre 1950 war gegen den Kläger eine Voruntersuchung wegen Verdachtes des Verbrechens nach den §§ 129 Ib und 132 III StG. anhängig gewesen, welches jedoch gemäß § 109 StPO. wieder eingestellt worden war. Mit einem Urteil vom 12. Oktober 1956 wurde der Beklagte wegen Verbrechen nach den §§ 128, 129 Ib und 132 III StG. zur Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von 3 Jahren verurteilt. Er befand sich anschließend bis zum 1. Juli 1958 in Strafhaft. In dieser Zeit brachte er am 3. April 1957 die dem nunmehrigen Verfahren zugrunde liegende Klage wegen Ehescheidung aus dem Gründe des § 55 EheG., die er am 4. August 1958 auch auf Scheidung aus Gründen nach § 49 EheG. ausdehnte, ein. Das gesamte Verhalten des Klägers führte bei der Beklagten eine hochgradige Neurose herbei, unter deren Einwirkung sie verschiedene, den Kläger schwer belastende Eingaben an Behörden richtete.
Das Berufungsgericht traf auf Grund der Beweiswiederholung im Berufungsverfahren noch die Feststellung, daß beide Ehegatten nicht mehr an die Möglichkeit glauben, jemals wieder gemeinsam zu hausen. Der Kläger erkenne bei der Beklagten außer ihrem Interesse am Unterhalte keinen ehrlichen Willen zu einer Fortsetzung der Ehe mehr, auch die Beklagte habe bei ihrer Vernehmung im Berufungsverfahren als Partei sozusagen in einem Atem erklärt, zur Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft mit dem Gatten zwar bereit, aber wegen seines Verhaltens dazu nicht mehr imstande zu sein. Zur Bereitwilligkeit, dem Manne nötigenfalls beizustehen, habe sie sich sowohl im erstgerichtlichen als auch im Berufungsverfahren, insbesondere auch bei ihrer Parteienvernehmung mit keinem Worte bekannt; sie wolle den Weiterbestand des Ehebandes lediglich, um für den Fall ihrer mangelnden Selbsterhaltung gesichert zu sein und gesellschaftlich nicht als zweimal geschiedene Frau schief angesehen zu werden.
Das Berufungsgericht beurteilte gleich dem Erstgericht die Klage nach § 49 EheG. in rechtlicher Beziehung dahin, daß es der Kläger gewesen sei, der das eheliche Verhältnis unheilbar zerrüttet habe, daß sich die den Kläger belastenden Anzeigen und Eingaben der Beklagten nur als eine Reaktion auf sein eigenes grob ehewidriges Verhalten darstellten und daß aus diesem Gründe die Scheidung sittlich nicht gerechtfertigt werden könne. In Ansehung des Scheidungstatbestandes nach 55 EheG., dessen Voraussetzungen nach Abs. 1 jedenfalls erfüllt seien, erachtete das Berufungsgericht ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Erstgericht den Widerspruch der Beklagten gegen die Scheidung (wegen des "zumindest überwiegenden Verschuldens des Klägers") zwar für zulässig, es sprach ihm jedoch die Beachtlichkeit im Sinne des Abs. 2 der zit. Gesetzesstelle ab. Hiezu führte es aus, daß die Sicherung der wirtschaftlichen Versorgung der Ehegattin zwar als Widerspruchsgrund nach § 55 (2) EheG. in der Rechtsprechung anerkannt werde. Dies sei jedoch nur mit der Einschränkung der Fall, daß zu der Beistandsbedürftigkeit der Beklagten ihre Bereitschaft hinzutrete, im Falle der Hilfsbedürftigkeit des klagenden Ehepartners auch diesem Beistand zu gewähren. Die Verpflichtung der Ehegatten, sich gegenseitig Beistand zu leisten, gehöre nach § 44 ABGB. mit der Verpflichtung, Kinder zu zeugen und in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, zum Grundbestande der Ehe und bilde nach dem Wegfalle dieser beiden Verpflichtungen das einzige Band zwischen den Ehegatten, das die Aufrechterhaltung ihrer Ehe noch sittlich rechtfertigen könne. Der Ehe der Streitteile seien jedoch sämtliche vorangeführten Grundlagen entzogen. Der biologische Zweck der Ehe komme infolge des fortgeschrittenen Alters der Streitteile nicht mehr in Betracht; die tiefgreifende unheilbare Zerrüttung stehe unbestritten fest; die Ehegatten lebten schon über 10 Jahre voneinander getrennt und schlössen beide die Möglichkeit, gemeinsam zu hausen, aus. Die von der Beklagten im Berufungsverfahren angegebenen Beweggrunde (Existenzsicherung und Vermeidung einer zweiten Scheidung) reichten für sich allein bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und ihres bisherigen Verlaufes zwischen den Ehegatten nicht aus, die Aufrechterhaltung dieser Ehe sittlich zu rechtfertigen, zumal die Beklagte schon längst nicht mehr an der Ehe hänge, was sie unter anderem durch eine von ihr im Jahre 1950 eingebrachte - allerdings samt der Widerklage des Mannes - abgewiesene Scheidungsklage bewiesen habe. Der Widerspruch der Beklagten gegen die Scheidung sei daher in diesem besonders gelagerten Falle nicht zu beachten gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Berufungsgerichtes in seinem das Ersturteil abändernden Ausspruch dahin ab, daß das Urteil des Prozeßgerichtes zur Gänze wiederhergestellt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Frage, ob einem Widerspruch nach § 55 (2) EheG., dessen Zulässigkeit im vorliegenden Falle feststeht und im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist, die Beachtlichkeit versagt werden kann, ist besonders strenge zu prüfen. Der Grundsatz, daß der zulässige Widerspruch auch beachtlich ist, kann nach der Rechtsprechung (so insbesondere die Entscheidungen JBl. 1951 S. 42 und RZ. 1959 S. 71) nur in ganz besonderen Ausnahmefällen durchbrochen werden, dann nämlich, wenn das Beharren auf dem Fortbestand der zerrütteten Ehe sittenwidrig wäre. Die Aufrechterhaltung der Ehe muß bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens beider Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt sein (§ 55 (2) letzter Satz EheG.).
Das Wesen der Ehe besteht in der seelischen Bindung der Ehegatten aneinander, aus der die Verpflichtung zur Beistandsleistung jedenfalls im Falle der Beistandsbedürftigkeit des anderen Ehegatten folgt. Lehre (Schwind: Kommentar zum Eherecht S. 202) und Rechtsprechung (SZ. XXI 40, SZ. XXIV 275, u. v. a.) haben Ausnahmefälle von der Beachtlichkeit des Widerspruches dann grundsätzlich nicht für gegeben erachtet, wenn auf seiten des dem Scheidungsbegehren widersprechenden Ehegatten eine erhebliche Beistandsbedürftigkeit bestanden hat. Auch ein Festhalten an der Ehe bloß aus materiellen Gründen ist in derartigen Fällen nicht als verwerflich angesehen worden (EvBl. 1957 Nr. 334, RZ. 1959 S. 71).
Die Voraussetzungen für die Beachtlichkeit des Widerspruches der Beklagten aus dem Gründe ihrer Beistandsbedürftigkeit sind zweifellos gegeben. Die Beklagte steht im 53. Lebensjahr und hat für eine minderjährige Tochter aus der Ehe mit dem Kläger zu sorgen. Sie ist nach den getroffenen Feststellungen kränklich (der Facharzt für innere Medizin Primarius Dr. X. bestätigte am 6. November 1958 das Bestehen eines Gallen- und Leberleidens sowie einer Herzmuskelschädigung). Sie ist, wie die Untergerichte auf Grund eines umfassenden Sachverständigengutachtens gleichfalls festgestellt haben, infolge der in der Ehe, auch nach der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft, erlittenen Qualen und Entbehrungen in einen Nerven- und Gemütszustand geraten, der eine weitgehende Beeinträchtigung ihrer Urteils- und Kritikfähigkeit zur Folge hatte. Sie hält aber auch, wenngleich vorwiegend aus materiellen Gründen, an der Ehe fest. Ihr Festhalten an der Ehe ergibt sich auch aus ihrem sittlich durchaus vertretbaren, im Zuge der Beweiswiederholung bekundeten Standpunkt, daß sie nicht eine Beeinträchtigung ihrer gesellschaftlichen Stellung als zweimal geschiedene Frau hinnehmen wolle.
Das Berufungsgericht hat dem Widerspruch der Beklagten dennoch die Beachtlichkeit abgesprochen, indem es ihr zum Vorwurf machte, daß sie sich nicht zu ihrer eigenen Beistandspflicht gegenüber dem Kläger bekannt habe. Es ist dabei offensichtlich von dem in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Rechtssatz ausgegangen, daß zum Beistandsbedürfnis des beklagten Ehegatten seine Bereitschaft, dem Kläger seinerseits Beistand zu leisten, hinzutreten müsse. Dieser Rechtssatz, der in Auslegung des Schlußsatzes des § 55 (2) EheG. aufgestellt worden ist, darf jedoch nicht dahin verstanden werden, daß ein solches unbedingtes Bekenntnis des geklagten Ehegatten auch in Fällen gefordert werden müsse, in denen die ethischen Grundlagen für das Bekenntnis durch das Verhalten des klagenden Ehegatten selbst zerstört worden sind und dieses Bekenntnis der Beklagten aus diesem Gründe gar nicht zugemutet werden kann. Die Beklagte hat in ihrer Parteienvernehmung nach der Sachlage vollkommen verständlich ausgesagt, daß sie zu jeder Zeit bereit sei, die häusliche Gemeinschaft mit dem Kläger wiederaufzunehmen, aber dies nach dem bisherigen Verhalten des Klägers in der Ehe nicht mehr könne. Diese bedingte Beistandserklärung muß als ausreichend betrachtet werden, weil der Kläger es gewesen ist, der durch sein grob ehewidriges, zum Teil sogar verbrecherisches Verhalten die Ehe unheilbar zerrüttet und dadurch eine Neurose bei der Beklagten herbeigeführt hat, die jeden persönlichen Kontakt - das ist die normale Voraussetzung für die Erfüllung von Beistandspflichten zwischen Ehegatten - für die Beklagte unzumutbar macht. Er hat keinen Beweis für eine Änderung seines Verhaltens erbracht. In den Verfahrensergebnissen findet sich auch kein Hinweis darauf, daß der Kläger auch nur den Versuch gemacht hätte, die durch ihn selbst zerstörten ethischen Grundlagen der Ehe - durch eine grundlegende Änderung seines Gesamtverhaltens - wenigstens teilweise wiederherzustellen. Die Art, wie er aus der von ihm selbst erkannte Unzumutbarkeit seines persönlichen Kontaktes mit der Beklagten vielmehr noch für sich Vorteile zu ziehen suchte, hat er besonders deutlich zum Ausdruck gebracht, als er in den Unterhaltsvergleich vom 12. Jänner 1956 die Bestimmung aufnehmen ließ, daß er nur so lange auf eine Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft mit der Beklagten "verzichte", als die Beklagte einen höheren Unterhaltsbetrag als den damals vereinbarten Betrag von 600 S monatlich nicht begehre. Bei dieser Sachlage muß der der Ehescheidung widersprechenden Beklagten das Recht zugebilligt werden, ihr Bekenntnis zur Erfüllung der Beistandspflicht nur bedingt für den Fall einer grundlegenden Änderung des Verhaltens des Klägers abzugeben. Gerade aus dem Gesamtverhalten des Klägers selbst kann nicht gesagt werden, daß die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt wäre. Dieses Verhalten und seine Folge einerseits und die besonders große Beistandsbedürftigkeit der Beklagten andererseits lassen ihr Beharren auf dem Fortbestand der Ehe keineswegs sittenwidrig erscheinen.
Unerheblich für die Beurteilung der Beachtlichkeit des Widerspruches sind die vom Berufungsgericht noch herangezogenen Tatsachen, daß die Streitteile schon über 10 Jahre lang voneinander getrennt leben und die Beklagte Selbst im Jahre 1950 eine Ehescheidungsklage eingebracht hat. Die Trennung hat - gleichgültig, wie lange sie dauerte - ihre Ursache in dem dargestellten schuldhaften Verhalten des Klägers. Wenn die Beklagte aber in den Jahren 1950 bis 1952 der Meinung war, ihre ungünstige Lage nur durch eine Scheidung vom Kläger bereinigen zu können, so kann dies ihrem heutigen Widerspruch keinen Abbruch tun. Es ist zu berücksichtigen, daß der Gesundheitszustand der Beklagten seither noch erheblich gelitten hat und sie um die seither verstrichenen Jahre älter, also noch wesentlich mehr beistandsbedürftig geworden ist. Auch die zahlreichen Eingaben der Beklagten mit einem den Kläger verletzenden Inhalt, auf welche der Revisionsgegner in der Revisionsbeantwortung besonders hinweist, können nicht als Argument gegen die Beachtlichkeit des Widerspruches mit Erfolg geführt werden. Sie sind, wie die Untergerichte zutreffend erkannten, aus der vom Kläger selbst bei der Beklagten hervorgerufenen Neurose entschuldbar.
Es war der sohin begrundeten Revision Folge zu geben und in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes das erstgerichtliche Urteil im Sinne der Abweisung der Klage zur Gänze wiederherzustellen.
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