OGH 6Ob270/60

OGH6Ob270/6012.1.1961

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Deutsch als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lenk, Dr. Meyer-Jodas, Dr. Hammer und Dr. Lassmann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Erik Habernal, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*****, vertreten durch die öffentl. Verwalterin Hedwig L*****, diese vertreten durch Dr. Günther Rintelen, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigerklärung eines Bestandvertrages und Räumung (Streitwert 11.000 S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. April 1960, GZ 8 R 7/60-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Dezember 1959, GZ 25 Cg 179/59-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes und auch das Urteil des Erstgerichtes werden aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind gleich weiteren Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Aus dem Akteninhalt geht hervor, dass die klagende Partei von dem ihr gehörigen, zwischen den beiden Betriebsgebäuden der Streitteile gelegenen unverbauten Grundstück EZ *****, KG *****, jenen Teil im Ausmaß von ca. 600 m2, den die Beklagte bereits vorher in Benützung genommen hatte, mit dem Mietvertrag vom 19. 11. 1954 (Beilage 3) an die beklagte Partei gegen einen monatl. Mietzins von 200 S für die vereinbarte Vertragsdauer vom 1. 1. 1954 bis 31. 12. 1963 bei erstmaliger Kündbarkeit mit 31. 12. 1963 zum 31. 12. 1964 und einjähriger Kündigungsfrist vermietet hat.

Die klagende Partei begehrte, die Nichtigkeit dieses Mietvertrages festzustellen und die beklagte Partei schuldig zu erkennen, das Grundstück zu räumen, der klagenden Partei den bestehenden Bretterzaun als Ersatz für den mit Gewalt entfernten Drahtzaun zu überlassen und den von ihrem Betrieb auf das zu räumende Grundstück führenden Ausgang zuzumauern. Sie begründete dieses Begehren damit, dass der Vertrag nur durch Ausübung sitten- und gesetzwidrigen Zwanges (§ 870 ABGB) zustande gekommen sei, ferner, dass der vereinbarte Mietzins von monatlich 200 S in einem auffallendem Missverhältnis zu dem Nutzungswert der Liegenschaft stehe (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB), und schließlich, dass der Vertrag im Hinblick darauf, dass er auf Seiten der klagenden Partei der Nichtunterfertigung des zweiten kollektivvertretungsbefugten Vorstandsmitgliedes entbehre, unwirksam und daher nichtig sei. Endlich sei in der Weigerung der beklagten Partei zur Räumung ein nach § 1295 Abs 2 ABGB zu beurteilendes Verhalten zu erblicken.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab, das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Prozessgerichtes und sprach gemäß § 500 Abs 2 ZPO aus, dass der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 10.000 S übersteige.

Aus den wesentlichen Feststellungen der Untergerichte ergibt sich folgender Sachverhalt:

Zu Beginn des Jahres 1951 eröffnete ein auf der damaligen Kommandantur tätiger russischer Offizier dem Vorstandsmitglied der klagenden Partei Mag. E*****, dass ein Teil des Grundstückes der klagenden Partei von der beklagten Partei, deren Unternehmen damals unter USIA-Verwaltung stand, als Lagerplatz gebraucht werde. Ein etwa 600 m2 großer Teil wurde nach Entfernung eines Drahtzaunes eingeplankt und nach Schaffung einer Zugangstür in die Betriebsräume der beklagten Partei von dieser als Lagerplatz in Benützung genommen, wofür vorläufig ein Entgelt nicht geleistet wurde.

Im Herbst 1954 wandte sich der damalige Direktor der beklagten Partei namens W***** an die jedenfalls seit 10. 10. 1953 kollektiv zur Vertretung der klagenden Partei berufenen Vorstandsmitglieder Mag. E***** und Erich J***** wegen Abschlusses eines Mietvertrages, wobei er auf die diesbezüglichen Wünsche des USIA-Generaldirektors verwies. J***** erklärte, er wolle mit der Sache nichts zu tun habe, Mag. E***** möge machen, was er wolle, und trachten, sich so gut wie möglich herauszuhalten (Aussage des Erich J***** auf S 58). In den nun zwischen Mag. E***** und Direktor W***** geführten Verhandlungen, die sich über mehrere Wochen erstreckten, wurden mehrere Entwürfe ausgearbeitet, die zunächst nicht die Billigung des Mag. E***** fanden. Erst mit 19. 11. 1954 wurde der oben angeführte Mietvertrag abgeschlossen, firmenmässig gezeichnet von Mag. E***** für die klagende Partei und von Direktor W***** für die beklagte Partei. Die beklagte Partei leistete das für die Zeit vom 1. 3. 1951 bis 31. 12. 1953 vereinbarte Zinspauschale von 6.000 S und für das Jahr 1954 weitere 2.400 S sowie ab 1. 1. 1955 die laufenden Zinszahlungen von monatlich 200 S. Erst im Frühjahr 1959 verwies Mag. E*****, der bis dahin bei der beklagten Partei zu wiederholten Malen wegen verschiedener Angelegenheiten vorgesprochen hatte, auf die Möglichkeit, das gesamte Grundstück günstig veräußern zu können, und ersuchte erstmalig um die Räumung des vermieteten Grundstücksteiles. Die beklagte Partei, die den Lagerplatz noch benötigte, wandte sich durch ihre öffentliche Verwalterin an die Aufsichtsbehörde, welche auf die seinerzeitige nach § 20 des 1. StVDG gegebene Möglichkeit der Aufkündigung des Mietverhältnisses innerhalb von 3 Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes sowie darauf verwies, dass die Interessen des verwalteten Unternehmens wahrzunehmen seien. Auf Grund dieses Sachverhaltes lehnten die Untergerichte die Annahme des Vorliegens einer ungerechten und gegründeten Furcht im Sinne des § 870 ABGB ab; denn es sei weder anlässlich der Inanspruchnahme des Grundstückes durch den Offizier der Besatzungsmacht im Jahr 1951 noch viel weniger anlässlich des Abschlusses des Mietvertrages im Jahre 1954 eine Drohung ausgesprochen worden. Der von Direktor W***** zum Ausdruck gebrachte Wunsch des USIA-Generaldirektors auf Abschluss eines Mietvertrages bezüglich der bis dahin mehr oder minder ohne Rechtstitel und untentgeltlich benützten Liegenschaft stelle keine Drohung dar. Die klagende Partei spreche zwar von einem durch Gewalt zustandegekommenen und von einem abgepressten Vertrag, ohne aber auch nur auf ein konkretes gewaltsames oder erpresserisches Verhalten des Vertragspartners beim Abschluss des Vertrages hingewiesen zu haben. Eine Nichtigkeit im Sinne des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB lehnten die Untergerichte schon mangels eines auffallenden Missverhältnisses zwischen den monatlichen Mietzins von 200 S und dem Wert des ca. 600 m2 großen Grundstückes ab.

Schließlich sei auch der Mietvertrag entgegen der Ansicht der klagenden Partei deshalb für diese verbindlich, weil Mag. E***** vom zweiten Vorstandsmitglied der klagenden Partei - Erich J***** - zum Vertragsabschluss ermächtigt worden sei.

Die Voraussetzungen des § 1295 Abs 2 ABGB sind nach der Ansicht des Berufungsgerichtes überhaupt nicht gegeben.

Die Revision der klagenden Partei bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes aus den Gründen des § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO; beantragt wird Abänderung dahingehend, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde, allenfalls Aufhebung und Rückverweisung der Sache an die zweite oder erste Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt Berechtigung zu.

Die behaupteten Aktenwidrigkeiten sind allerdings nicht gegeben. Die angeführten Stellen in der Begründung des Urteils des Berufungsgerichtes sind nur Zitate aus der Begründung des erstgerichtlichen Urteiles. Insofern damit Zeugen- und Parteienaussagen gewertet werden, handelt es sich um einen Akt der im Revisionsverfahren unanfechtbaren Beweiswürdigung der Vorinstanzen; rechtliche Schlussfolgerungen aus diesen Aussagen können aber niemals unter Berufung auf Z 3 des § 503 ZPO bekämpft werden. Auch die Rechtsrüge kann in den folgenden Punkten nicht durchschlagen.

1.) § 870 ABGB: Eine Furcht vor einem Übel, dessen Zufügung durch Abschluss des Vertrages abzuwenden versucht wird, das aber weder durch Worte noch durch schlüssiges Verhalten angedroht wurde, fällt nicht unter diese Gesetzesstelle (siehe Gschnitzer in Klang2 IV S. 102 zu § 870 ABGB, auch 2 Ob 951/52 u. a.).

2.) § 1295 Abs 2 ABGB: Dafür, dass die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Ablehnung der Räumung des Grundstückes durch die beklagte Partei bilden soll (vgl die in der Manzschen Ausgabe von Kapfer26 zu § 1295 Abs 2 unter Nr. 50 auf S. 936 zit. Entscheidungen), fehlt jede Grundlage.

3.) Auch die Ansicht der Untergerichte, dass das Vorstandsmitglied Erich J***** der klagenden Aktiengesellschaft den Mag. E***** zum Abschluss des Mietvertrages mit der beklagten Partei ermächtigt gehabt habe, weil er ihm gesagt habe, er solle machen, was er wolle, ist nicht rechtsirrig.

4.) Ob und warum es zu keiner Aufkündigung des Bestandvertrages nach § 20 des 1. StVDG gekommen ist, ist für den vorliegenden Rechtsstreit nicht entscheidungswesentlich, weil der Klagsanspruch in keiner Weise auf eine Kündigung nach dieser Gesetzesstelle gestützt wurde. Der Revision kommt aber insofern Berechtigung zu, als das Verfahren zur Entscheidung der Frage, ob nicht der Tatbestand des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB gegeben ist, noch nicht spruchreif ist.

Zwangslage im Sinne des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB ist gegenüber dem Zwang im Sinne des § 870 ABGB der weitere Begriff. Zwar führt jeder Zwang eine Zwangslage herbei, aber nicht jeder in einer Zwangslage befindliche ist es durch ungerechten Zwang. Der Revision ist darin beizupflichten, dass die Verhältnisse im Jahre 1954 nicht rückwirkend unter dem Gesichtspunkte des Abschlusses des Staatsvertrages im Jahre 1955 betrachtet und gewertet werden dürfen; denn damals stand es noch keineswegs fest, dass es in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Abschluss des Staatsvertrages und zum Abzug der Besatzungsmächte aus Österreich kommen werde. Im Jahre 1954 konnte sehr wohl für die klagende Partei mit Rücksicht auf mehr oder minder intensive Wünsche des damaligen USIA-Generaldirektors eine Zwangslage begründet worden sein, wenn auch keine Drohung mit erheblichen Nachteilen ausgesprochen wurde. Der Revision ist auch darin beizustimmen, dass deshalb, weil die klagende Partei erst 4 Jahre nach dem Abschluss des Staatsvertrages den gegenständlichen Bestandvertrag anficht, noch nicht ausgeschlossen werden kann, dass er im Jahre 1954 doch in einer Zwangslage abgeschlossen wurde.

Eine Zwangslage der klagende Partei beim Abschluss des Bestandvertrages im Jahre 1954 wird dann zu bejahen sein, wenn die klagende Partei damals nur die Wahl hatte, entweder auf den Vertrag einzugehen oder noch größerer Nachteile zu erleiden, wobei die Zwangslage eine verschuldete oder unverschuldete, eine wirkliche oder auch nur eine vermeintliche gewesen sein kann; auch vermeintlicher Zwang wirkt nicht schwächer als wirklicher (Gschnitzer in Klang2 VI. S. 203 zu § 879 Abs 2 Z 4 ABGB).

Um die Nichtigkeit des Geschäftes nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB zu bewirken, müsste allerdings eine Zwangslage der klagenden Partei von der beklagten Partei dadurch ausgebeutet worden sein, dass sie sich eine Leistung versprechen ließ, deren Vermögenswert zum Werte der eigenen Leistung in einem auffallenden Missverhältnis stand. Für die Beurteilung eines solchen auffallenden Missverhältnisses könnte freilich nur die im Jahre 1954 bestehende Situation herangezogen werden, also der Wert des Grundstückes im damaligen Zeitpunkte. Das Gericht kann aber nicht auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrung entscheiden, ob ein solches Missverhältnis gegeben war oder nicht. Es wird hiezu erforderlich sein, den von der klagenden Partei gestellten Beweisanträgen näher zu treten und allenfalls auch einen Sachverständigen beizuziehen. Deshalb und weil auch die Frage der Zwangslage im Sinne der obigen Ausführungen noch einer eingehenderen Erörterung bedarf, um die Sache in der Richtung einer allfälligen Nichtigkeit nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB einer richtigen rechtlichen Beurteilung unterziehen zu können, war das angefochtene Urteil und, da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, gemäß § 510 ZPO auch das Urteil des Prozessgerichtes aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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