Normen
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Spruch:
Gegen die Kündigung wegen dringenden Eigenbedarfes eines Deszendenten des Vermieters nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. kann auch Selbstverschulden des Deszendenten am Eintritt des Eigenbedarfes eingewendet werden.
Entscheidung vom 26. Februar 1958, 6 Ob 26/58.
I. Instanz: Bezirksgericht Klagenfurt; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Das Erstgericht hielt die auf dringenden Eigenbedarf nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. gestützte Aufkündigung von Wohnräumen samt Zubehör bis auf die Mitbenützung der Küche und des Kellerraumes aufrecht, jedoch nur unter der Bedingung, daß durch die Abmauerung einer Verbindungstür die abgesonderte Benützbarkeit hergestellt werde. Die Klägerin sei zur Hälfte Eigentümerin des in Frage stehenden Hauses, in dem der Beklagte seit dem Jahre 1935 eine aus drei Zimmern, zwei Kabinetten, Küche, Vorzimmer, Badezimmer, Hausgehilfinnenzimmer und Zubehör bestehende Wohnung gemietet habe. Mangels der Zustimmung des anderen Hälfteeigentümers des Hauses, des geschiedenen Gatten der Klägerin Hans N., habe das Bezirksgericht Klagenfurt die Klägerin zur Einbringung der vorliegenden Kündigung ermächtigt. Der einundsiebzigjährige Beklagte, der an Venenthrombose, Gefäßverengung und chronischer Bronchitis leide, benütze die Wohnung zusammen mit seiner an hoher, bei Aufregungen gefährlich werdender Blutdrucksteigerung laborierenden fünfundsechzigjährigen Frau, seiner siebenundsiebzigjährigen herzleidenden und auf fremde Pflege angewiesenen Schwester und der dreiundzwanzigjährigen Tochter, die in Graz Medizin studiere. Die Klägerin bewohne ein kleines Häuschen in K., das nur aus Zimmer und Wohnküche bestehe. Die Tochter der Klägerin, die Rechtsanwältin Dr. Johanna J., für die die gekundigten Räume benötigt würden, wohne derzeit noch in ihrer Wohnung im Haus des Dipl.-Ing. S. in der D.-Straße 30, wo sie seit dem Jahre 1938 Mieterin gewesen sei. Im Jahre 1956 sei Dr. J. von ihrem Vermieter gekundigt worden. Als Kündigungsgrunde seien unleidliches Verhalten und Unterlassen der Mietzins- und Betriebskostenzahlung geltend gemacht worden. Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 31. Jänner 1957, 10 C 255/56-10, sei die Kündigung für rechtswirksam erklärt worden. Dr. J. habe die von ihr gegen das Urteil eingebrachte Berufung zurückgezogen, nachdem sie mit dem Hauseigentümer vereinbart hatte, daß sie die aus Zimmer, Kabinett und Vorraum bestehende Wohnung bis 30. September 1958 räume und der Vermieter ihr einen Ablösebetrag bezahle. Das Zusammenleben zwischen Dr. J. und ihrem Vermieter, der das Haus im Oktober 1954 gekauft habe, sei von Anfang an nicht gut gewesen. Der dringende Eigenbedarf der Tochter der Klägerin, die ihre bisherige Wohnung verliere, müsse jedenfalls bejaht werden. Der Eigenbedarf könne nicht als selbstverschuldet angesehen werden. Dies könnte nur dann angenommen werden, wenn der Eigenbedarf durch ein Verhalten des Vermieters herbeigeführt worden wäre. Das Verhalten der Tochter der Vermieterin spiele keine Rolle. Abgesehen davon, sei auch der Tochter kein Verschulden anzulasten. Was die Abwägung der beiderseitigen Interessen betreffe, sei der Verlust der beiden Kabinette dem Beklagten, dem drei große geräumige Zimmer samt Küche und Nebenräumen im restlichen Gesamtausmaß von rund 110 m2 verblieben, zuzumuten. Die Tochter der Klägerin müsse in den aufgekundigten Räumen nicht nur wohnen, sondern auch ihre Rechtsanwaltskanzlei betreiben. Die Aufkündigung habe für wirksam erklärt werden müssen. Nur die Benützung der Küche habe der klagenden Partei nicht eingeräumt werden können, weil wegen der Erkrankung der Gattin des Beklagten Aufregungen infolge der gemeinsamen Benützung der Küche vermieden werden müßten und die Anbringung eines Wasserauslaufes in einem der aufgekundigten Räume ohne besonders hohe Kosten möglich sei. Auch die Mitbenützung des Kellers habe zu unterbleiben, weil das Abteil äußerst klein sei und zwei große Räume im Kellergeschoß vorhanden seien, die vollkommen unbenützt stunden.
Infolge Berufung beider Parteien änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil nur dahin ab, daß der klagenden Partei auch die Mitbenützung der Küche zur Versorgung mit dem erforderlichen Trink- und Nutzwasser eingeräumt wurde. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und im wesentlichen auch dessen rechtliche Beurteilung der Sache. Auf das allfällige Verschulden des Deszendenten zu dessen Gunsten die Kündigung eingebracht werde, komme es beim Eigenbedarf nicht an. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, könnten nach der Meinung des Berufungsgerichtes die Unkorrektheiten der Dr. Johanna J., die an sich schon kaum als sehr schwerwiegend zu bezeichnen seien, mit Rücksicht auf das unfreundliche Verhalten ihres Vermieters Dipl.- Ing. S. nicht als besonders arg bezeichnet werden. Es sei daher sehr fraglich, ob die Kündigung in der zweiten Instanz aufrechterhalten worden wäre. Es sei auch zweifelhaft, ob Dr. J. am Zinsrückstand ein grobes Verschulden hätte angelastet werden können.
Der Oberste Gerichtshof änderte das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß die Kündigung aufgehoben wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Gesetz sieht im § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. vor, daß der Vermieter die gemieteten Räume entweder für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigt. Der Vermieter wird durch diese gesetzliche Bestimmung ermächtigt, einen Eigenbedarf geltend zu machen, den er selbst nicht hat, der vielmehr Kinder oder Enkel betrifft und nach deren Verhältnissen beurteilt werden muß. Der Grund für die erwähnte Ermächtigung des Ermieters liegt nicht darin, daß er für seine Deszendenten sorgen müsse und daher deren Eigenbedarf zugleich auch der Eigenbedarf des Vermieters selbst wäre. Die Möglichkeit, den Eigenbedarf von Kindern und Enkeln ins Treffen zu führen, ist nämlich nach dem gesetzlichen Wortlaut nicht von einer Sorgepflicht des Vermieters für sie abhängig. Auch wenn die Kinder und Enkel längst nicht mehr unterhaltsberechtigt sind, kann sich der Vermieter auf ihren Eigenbedarf berufen.
Daß es sich beim Eigenbedarf der Deszendenten um deren dringendes Bedürfnis und keineswegs um das des Vermieters handeln muß, ergibt sich aus der Begründung der Regierungsvorlage zum Mietengesetz (Nr. 723 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VI. Band S. 31, wo davon gesprochen wird, daß die Streitfrage, ob der damals als Voraussetzung der Eigenbedarfskündigung anzusehende bedeutende Nachteil dem Vermieter oder dem Angehörigen drohen müsse, im Sinne des Nachteils des Angehörigen gelöst worden sei (vgl. auch Sternberg, Die Wohnungsgesetze, 4. Aufl. S. 367; Swoboda, Kommentar zum Mietengesetz, 2. Aufl. S. 207 f.). Im zweiten Halbsatz des ersten Satzes des § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. wird deshalb die Abwägung der Interessen des Verwandten in absteigender Linie ("der Person, für die der Mietgegenstand benötigt wird") einerseits und des Mieters andererseits angeordnet. Würde es sich um einen dringenden Eigenbedarf des Vermieters selbst handeln, müßten auch nur seine und des Mieters Interessen gegeneinander abgewogen werden. Daraus, daß das Gesetz davon spricht, daß der Vermieter die aufgekundigten Wohnräume für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigen müsse, geht gleichfalls hervor, daß es sich um einen dringenden Eigenbedarf des Deszendenten handelt, mit dem sich der Vermieter nach der gesetzlichen Ermächtigung identifizieren und den er gegen den Mieter geltend machen kann.
Wenn der dringende Eigenbedarf des Deszendenten nach dem Gesetz auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist, seine Interessen an der Kündigung mit denen des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages verglichen werden müssen und der Vermieter an der Kündigung nur insofern beteiligt ist, als er den Wünschen seiner Kinder oder Enkel seine prozessuale Unterstützung leihen muß, liegt die Annahme nahe, daß alle rechtlich relevanten Umstände, die sich beim Eigenbedarf des Vermieters selbst auf dessen Person beziehen, im Falle des dringenden Eigenbedarfes von Deszendenten deren Person betreffen müssen.
Die Rechtsprechung geht seit langem von dem Grundsatz aus, daß der als Kündigungsgrund herangezogene dringende Eigenbedarf vom Vermieter nicht verschuldet worden sein dürfe. Wenn sich dieser schuldhaft in eine seine Unterbringung betreffende Notlage gebracht hat, die er durch die Kündigung eines Mieters beheben will, kann er mit der Kündigung nicht durchdringen, weil sein schuldhaft herbeigeführter Verlust anderer Wohnungsmöglichkeiten nicht auf Kosten eines Mieters ausgeglichen werden darf.
Die Meinung des Berufungsgerichtes, nur das Verschulden des Vermieters am eingetretenen Eigenbedarf, nicht aber auch das des Deszendenten, dessen Bedürfnissen abgeholfen werden soll, sei von Bedeutung, weil ja nur er Vertragspartner des Mieters sei, ist nicht zutreffend. Es kommt nämlich nicht auf die vertraglichen Beziehungen allein, sondern darauf an, daß der Vermieter in Wahrheit einen fremden Eigenbedarf, an dem er nicht beteiligt ist, geltend macht. In einem solchen Fall sind alle Voraussetzungen auf die Person, deren Eigenbedarf in Frage steht, abzustellen. So wie das Ausmaß ihres Wohnbedürfnisses und ihr Interesse an der Kündigung im Verhältnis zu dem des Mieters an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages nur ihre Person, nicht aber die des Vermieters zum Gegenstand hat, muß dies auch vom Verschulden am Eigenbedarf gelten. Hat das Kind oder der Enkel des Vermieters seinen Eigenbedarf verschuldet, kann dies der gekundigte Mieter der Kündigung mit Erfolg entgegensetzen. Andernfalls ergäbe sich die nicht zu rechtfertigende Folge, daß der Vermieter seinen eigenen dringenden Eigenbedarf nicht verschuldet haben dürfte, die Tochter aber, zu deren Gunsten gekundigt wird, trotz des Fehlens direkter Rechte am Haus jeden dringenden Eigenbedarf auf die Mieter überwälzen könnte.
Im vorliegenden Fall ist die Tochter der Klägerin in ihrer bisherigen Wohnung von ihrem Vermieter wegen grob ungehörigen Verhaltens, erheblich nachteiligen Gebrauchs des Mietgegenstandes und Nichtzahlung des Mietzinses gekundigt worden. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes sind die Verfehlungen, die der Dr. Johanna J. zum Vorwurf gemacht und vom Erstgericht im Kündigungsstreit als erwiesen angenommen worden sind (schikanöses Verhalten im Haus, eigenmächtige Abzüge vom Mietzins), keineswegs geringfügig. Aber auch wenn sie es wären, hätte Dr. J. einen Räumungsvergleich nicht eingehen dürfen, sondern es auf den weiteren Rechtsstreit ankommen lassen müssen. War aber nach ihrer Meinung der Kündigungsstreit aussichtslos und wollte sie ihn aus diesem Grund beenden, müssen ihr die zur Last gelegten Verfehlungen zum Verschulden angerechnet werden, durch das sie die bisherige Wohnung verloren hat. Der Einwand der Klägerin, das Verhältnis zwischen ihrer Tochter und deren Vermieter sei schon seit dem Kauf des Hauses unleidlich gewesen und Dr. J. habe deshalb, schon wegen der ungehinderten Ausübung ihrer Rechtsanwaltspraxis, ausziehen müssen, ist ohne Belang. Denn von einer dadurch bewirkten Dringlichkeit des Wohnungswechsels kann keinesfalls gesprochen werden.
Der von der Klägerin in Anspruch genommene dringende Eigenbedarf ihrer Tochter ist als selbstverschuldet anzusehen und kann daher als Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 5 MietG. nicht herangezogen werden.
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