Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung
Der Kläger ist Biathlet. In der Tageszeitung Ö***** erschien am 16. 2. 2008 ein Artikel der auf der Titelseite mit der Überschrift „EXKLUSIV: Die Doping-Liste" angekündigt wurde. Weitere Artikel erschienen in den Ausgaben vom 17. 2. 2008 und vom 20. 2. 2008. In diesen Artikeln wurde über eine dem Bundeskriminalamt zugegangene anonyme Anzeige wegen Blutdopings und Verdachts des Versicherungsbetrugs berichtet. In dieser Anzeige werden mehrere Ärzte und Sportler, darunter auch der Kläger, des Blutdopings und Versicherungsbetrugs bezichtigt. In den Berichten vom 16. 2. 2008 und vom 17. 2. 2008 wird auch der Kläger genannt.
Der Kläger beantragte zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens die einstweilige Verfügung, der Beklagten werde die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerung verboten, er habe Blutdoping und/oder Versicherungsbetrug begangen; in eventu: er werde von anonymen Anzeigen des Dopings und/oder des Versicherungsbetrugs beschuldigt; in eventu: er stehe unter dem Verdacht des Blutdopings.
Die Vorwürfe seien unwahr, der Kläger habe niemals Blutdoping betrieben; sie seien sowohl ehrenrührig als auch kreditschädigend im Sinne des § 1330 ABGB. Die Beklagte habe mit der verfahrensgegenständlichen Veröffentlichung Rufmord begangen. Es existiere überhaupt kein behördlicher Tatverdacht und kein gegen den Kläger eingeleitetes Strafverfahren.
Die beklagte Partei wandte ein, sie habe lediglich über eine tatsächlich bestehende Verdachtslage berichtet, nämlich dahin, dass gegen einige österreichische Sportler eine Anzeige eingebracht worden sei, die diese verdächtige. Sie habe den Verdacht lediglich referiert.
Das Erstgericht gab dem Sicherungsbegehren im Sinne des Hauptbegehrens statt. Die inkriminierten Artikelinhalte seien sowohl ehrenbeleidigend als auch kreditschädigend. Die Berichterstattung sei auch nicht gerechtfertigt, weil keine neutrale Berichterstattung vorliege. Die beklagte Partei habe vielmehr die Anzeige als besonders „brisant" dargestellt, Lichtbilder der in der Anzeige genannten Sportler veröffentlicht und sich über diese Berichterstattung dahingehend selbst gerühmt, dass ihr Bericht einen „Schock" ausgelöst habe. Außerdem setze die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes voraus, dass der Betroffene gegen den Urheber der zitierten Äußerung vorgehen könne; dies scheide bei der vorliegenden anonymen Anzeige aus.
Das Rekursgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die „Zitatenjudikatur" sei bei einem wahrheitsgemäßen und insbesondere auch wertneutralen Bericht über einen strafrechtlich relevanten Tatverdacht nicht anwendbar (6 Ob 220/01y). Dem liege die fehlende Tatbestandsmäßigkeit sowohl nach § 1330 Abs 1 ABGB (Ehrenbeleidigung) als auch nach § 1330 Abs 2 ABGB (Kreditschädigung) zugrunde: Zum einen stelle der bloße Umstand, einer Straftat verdächtig zu sein, für sich allein weder eine verächtliche Eigenschaft oder Gesinnung, noch ein unehrenhaftes oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten dar. Eine Behauptung dieses Inhalts verwirkliche daher weder eine üble Nachrede im Sinne des § 111 Abs 1 StGB noch eine Ehrenbeleidigung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB. Zum anderen fehle es bei richtiger Wiedergabe des Inhalts behördlicher Erklärungen am Tatbestandsmerkmal der Unwahrheit der behaupteten Tatsache im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB, sofern die Wiedergabe im Artikel nicht einen falschen Eindruck über den Inhalt der behördlichen Erklärung vermittle (unter Berufung auf 6 Ob 270/99w).
Essentiell für die grundsätzliche Zulässigkeit der Äußerung sei demnach das Vorliegen eines wahrheitsgemäßen und neutralen Berichts über eine bestehende Verdachtslage, welche im Zeitpunkt der Berichterstattung auch tatsächlich existiert habe. Demgegenüber komme die Zitatenjudikatur zum Tragen, wenn darüber hinausgehend insgesamt der Eindruck vermittelt werde, der Kläger habe die ihm vorgeworfene Straftat begangen (unter Berufung auf 6 Ob 224/04s). Maßgeblich sei, ob sich der Beklagte den den Kläger betreffenden Inhalt der Strafanzeige zur eigenen Sicht der Dinge gemacht habe (unter Berufung auf 6 Ob 2071/96v).
Vor diesem dogmatischen Hintergrund könne es keinen Unterschied machen, ob der Anzeiger namentlich bekannt oder anonym sei. Sei es nämlich schon nicht ehrenrührig, aufgrund der Angaben einer bekannten Person - und damit verhältnismäßig schwerwiegend - eines bestimmten Verhaltens verdächtig zu sein, könne es noch weniger ehrenrührig sein, wenn sich der Verdacht auf anonyme Angaben gründe. Am Tatbestandselement der Unwahrheit fehle es gleichermaßen, wenn auf wahre Weise berichtet werde, dass eine Anzeige - sei es eines namentlich bekannten, sei es eines anonymen Anzeigers - vorliege.
Die Beklagte habe im Kern wahrheitsgemäß und neutral über den Umstand der Existenz einer anonymen Anzeige des vom Kläger nunmehr inkriminierten Inhalts ohne jegliche positive, auf die Wahrheit der Vorwürfe hinzielende Wertung berichtet. Auch eine reißerische äußere Gestaltung eines Berichts oder allfälliges Eigenlob darüber, einen Bericht erstattet zu haben, ändere nichts an der Beurteilung dessen Inhalts. Die beklagte Partei habe auch nicht über eine Tatbegehung, sondern nur - neutral - über einen Tatverdacht berichtet.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig; die Bedeutung der vorliegenden Entscheidung gehe über den Einzelfall nicht hinaus.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig:
1. Ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar gewesen wäre (RIS-Justiz RS0107768), ob eine bestimmte Äußerung als Wertungsexzess zu qualifizieren ist (RIS-Justiz RS0113943), ob schutzwürdige Interessen des Verletzten beeinträchtigt wurden und zu wessen Gunsten die nach § 1330 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung ausschlägt (6 Ob 318/03p), sind Fragen des Einzelfalls, denen in der Regel keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Dies gilt auch für die Frage, wie eine Behauptung auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs im Einzelfall zu verstehen ist (4 Ob 18/04g; 6 Ob 153/06b).
2. In der Entscheidung 6 Ob 2071/96v hatte der Oberste Gerichtshof die Wiedergabe einer Anzeige eines Landesgendarmeriekommandos an die Staatsanwaltschaft über das sogenannte „Ebergassing-Attentat" durch einen Politiker zu beurteilen. In dieser Entscheidung sprach der Oberste Gerichtshof aus, bei der Interessenabwägung sei entscheidend, dass vom Beklagten teilweise nicht ein von einer Behörde tatsächlich geprüfter Tatverdacht weitergegeben worden sei, sondern nur ein noch nicht näher geprüfter weiterer Sachverhalt, der noch nicht zu konkreten behördlichen Verfolgungsschritten geführt habe. Bei gegenteiliger Auffassung müsse auch die Weitergabe privater und sogar anonymer Anzeigen als gerechtfertigt angesehen werden, was im Regelfall aber zu verneinen sei, weil sonst jede Rufschädigung unter dem Deckmantel, die Äußerung stamme von einem Dritten, ohne Sanktion bliebe. Ob und wann die Zitierung einer von einer Privatperson ausgesprochenen Verdächtigung gerechtfertigt sein könne, sei im Anlassfall nicht zu untersuchen, weil sich der Beklagte bei der Weitergabe fremder Äußerungen auf kriminalpolizeiliche Erkenntnisse, also auf einen behördlich geprüften Sachverhalt und damit eine höhere Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Vorwürfe, berufen habe.
3.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt den Medien in einer demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle zu (vgl EGMR Scharsach und News Verlagsgesellschaft v. Austria, Nr. 39394/98, Rz 30). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in zahlreichen Entscheidungen betont, dass im Rahmen des Art 10 Abs 2 EMRK wenig Spielraum für Beschränkungen von politischen Aussagen oder einer Debatte über Fragen des öffentlichen Interesses bestehe (vgl etwa EGMR Pfeifer v. Austria, Nr. 12556/03).
3.2. Andererseits betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung, dass der Schutz des Privatlebens nach Art 8 EMRK auch die Reputation eines Menschen umfasse (vgl abermals EGMR Pfeifer v. Austria Rz 35 ff). Art 8 EMRK beinhalte auch positive Verpflichtungen des Staates. Dabei müsse zwischen den widerstreitenden Interessen des Einzelnen und der gesamten Gesellschaft abgewogen werden. Zusammenfassend gelangte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu der Auffassung, die Äußerung, jemand habe als Mitglied einer „Jagdgesellschaft" durch journalistische Äußerungen zum Selbstmord eines anderen beigetragen, überschreite die zulässigen Grenzen.
4.1. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 6 Ob 266/06w ausgesprochen hat, muss vor dem Hintergrund der Medienfreiheit die Interessenabwägung regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen, ist doch die Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit andernfalls nicht im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK ausreichend konkretisiert. Es muss aber dem Handelnden ex ante erkennbar sein, ob seine Berichterstattung zulässig ist oder nicht. Die Furcht vor Inanspruchnahme aufgrund nicht ausreichend klar konturierter Persönlichkeitsrechte der Genannten könnte - im Sinne eines „chilling effect" (dazu Grabenwarter, EMRK3 § 23 Rz 37), die unverzichtbare Rolle der Presse als „öffentlicher Wachhund" und ihre Fähigkeit, präzise und zuverlässige Informationen zu liefern, beeinträchtigen (Grabenwarter aaO Rz 39).
4.2. Im heiklen, weil die Persönlichkeitsinteressen der Betroffenen besonders tangierenden Bereich der Berichterstattung im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren hat der Gesetzgeber durch Einführung der (einfach gesetzlichen) Bestimmungen der §§ 7a ff MedienG eine Konkretisierung der grundrechtlichen Spannungslage zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz vorgenommen, deren Wertungen in erforderliche Abwägungen einzubringen sind (Aicher in Rummel, ABGB3 § 16 Rz 27; MR 1996, 32; ÖBl 1998, 88).
4.3. In diesem Sinne lässt auch § 7a Abs 1 MedienG die Veröffentlichung des Namens eines Verdächtigen oder eines Opfers einer Straftat dann zu, wenn wegen der Stellung der betreffenden Personen in der Öffentlichkeit, eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben und aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat.
5.1. Wendet man die im vorigen wiedergegebenen Grundsätze der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf den vorliegenden Sachverhalt an, so ist ein vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifender Rechtsirrtum des Rekursgerichts nicht zu erblicken: Schon das Rekursgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die beklagte Partei - trotz reißerischer Überschrift - im Wesentlichen sehr ausgewogen berichtet hat. Die beklagte Partei hat nicht nur floskelhaft auf die Unschuldsvermutung hingewiesen, sondern an mehreren Stellen der inkriminierten Artikel betont, dass es sich um noch nicht erwiesene Vorwürfe handelt. Ausdrücklich wurde auch betont, dass die Anzeige anonym und deshalb mit Vorsicht zu genießen sei.
5.2. Schließlich wurden einzelne Sportler auch mit den - ausdrücklich als „gewagt" bezeichneten - Behauptungen in der anonymen Anzeige konfrontiert. Deren Äußerungen wurden dahingehend zusammengefasst, sie hätten „glaubwürdig" beteuert, nichts mit Doping zu tun zu haben; es liege „Rufmord" vor. Auch die Äußerung eines Sprechers der Staatsanwaltschaft Wien, wonach die betroffenen Sportler strafrechtlich keine Unannehmlichkeiten zu erwarten hätten, ist zitiert. An prominenter Stelle findet sich auch ein Interview mit Stephan Eberharter, einem ehemaligen Skiass, worin dieser die Anzeige als den „größten Schmarrn" bezeichnet. Dazu kommt, dass der Name des Klägers nicht in der Überschrift vorkommt, sondern nur im Kleindruck angeführt ist. Damit hat aber der Inhalt des Artikels den gleichen Auffälligkeitswert wie die Nennung des Klägers.
5.3. Auch über den Fotos einzelner Angezeigter findet sich in Fettdruck der Hinweis „Es gilt die Unschuldsvermutung". Auch werden unter den Fotos einzelner angezeigter Sportler deren Stellungnahmen in denen die Vorwürfe bestritten werden, kurz zusammengefasst. Bundeskanzler und Sportminister Alfred Gusenbauer wird mit der Äußerung zitiert, er warne „vor jeder Art von Vorverurteilung". Auch ein weiteres Interview mit Hans Holdhaus, der als „Österreichs Doping-Fahnder Nr. 1" bezeichnet wird, relativiert die Vorwürfe insoweit, als er angab, nicht glauben zu können, dass der gesamte österreichische Sport dopingverseucht sei. Dann wäre ja die gesamte Schwimm- und Leichtathletikszene involviert. Wenn das so wäre, hätte er es bestimmt gewusst.
5.4. Bei dieser Sachlage ist aber die Einschätzung des Rekursgerichts, es liege insgesamt eine neutrale Berichterstattung über einen Verdacht und nicht eine unzulässige Identifikation mit den in der Anzeige erhobenen Vorwürfen vor, weil die reißerische Überschrift des inkriminierten Artikels durch dessen Inhalt ausreichend deutlich relativiert werde, nicht zu beanstanden. Im Hinblick auf das in breiten Teilen der Öffentlichkeit bestehende Interesse an Belangen des Sports und insbesondere der Lauterkeit des Leistungssports liegt auch ein berechtigtes öffentliches Interesse an einem - wahrheitsgemäßen - Bericht über die erhobenen Vorwürfe schon zum derzeitigen Zeitpunkt vor. Im Hinblick auf die besondere Rolle der Medien im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat gelten die dargelegten Grundsätze nicht nur für den zivilrechtlichen Ehrenschutz nach § 1330 ABGB, sondern auch für das Persönlichkeitsrecht nach § 16 ABGB.
6. Zusammenfassend bringt der Revisionsrekurswerber somit keine Rechtsfragen der in § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zur Darstellung, sodass der außerordentliche Revisionsrekurs spruchgemäß zurückzuweisen war.
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