OGH 6Ob244/16z

OGH6Ob244/16z22.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. H***** W*****, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei F*****, vertreten durch Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 19.620 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 17. November 2016, GZ 5 R 156/16x‑9, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00244.16Z.1222.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die beklagte Partei ist ein parlamentarischer Klub mit eigener Rechtspersönlichkeit und betreibt die Facebook‑Seite „*****“. Auf dieser Seite ist es anderen Facebook‑Nutzern möglich, Beiträge auf dieser Seite zu kommentieren, auf Kommentare anderer zu antworten und solche Kommentare zu speichern.

Am 25. 7. 2016 veröffentlichte der beklagte Klub auf dieser Facebook‑Seite einen Beitrag über den Sprengstoffanschlag von Ansbach in Bayern, den ein Facebook‑Nutzer am folgenden Tag mit der Äußerung „Was meint der enthirnte grüne Psychopath „W*****“ [= der Kläger, ein Abgeordneter zum Nationalrat und Mitglied des Grünen Klubs] dazu ???“ kommentierte. Diesen Kommentar konnte jeder Facebook‑Nutzer ohne Einschränkung abrufen. Obwohl er dem beklagten Klub bereits am 19. 8. 2016 zur Kenntnis gebracht worden war, wurde er erst am 28. 8. 2016 von der Facebook‑Seite gelöscht.

Rechtliche Beurteilung

1. Der beklagte Klub ermöglicht es Internet‑Nutzern, von ihnen eingegebene Informationen auf seiner Website zu speichern. Er ist damit – wie auch das Erstgericht ausdrücklich feststellte – Host‑Provider im Sinn des § 16 ECG, wobei unerheblich ist, ob der beklagte Klub diesen Dienst unentgeltlich oder entgeltlich bereitstellt (6 Ob 178/04a). Da der Leser eines derartigen Onlineforums regelmäßig nicht davon ausgehen wird, dass – etwa gegen § 1330 ABGB verstoßende – Postings von Nutzern die Meinung des Betreibers wiedergeben, wird ein solcher Eindruck vom Betreiber nicht erweckt und hat er auch die Postings nicht durch eigenes Verhalten provoziert, kommt es darauf an, ob er seiner Verpflichtung zur Entfernung im Sinn des § 16 Abs 1 Z 2 ECG fristgerecht nachgekommen ist (6 Ob 188/16i; vgl bereits auch 6 Ob 178/04a MR 2007, 79 [Thiele]). Dies ist hier zu verneinen (vgl 6 Ob 178/04a [Löschung nach 1 Woche jedenfalls verspätet]).

2. Bei Beurteilung der Frage, ob sich der Host‑Provider Tatsachen oder Umständen bewusst ist, aus denen eine rechtswidrige Tätigkeit oder Information offensichtlich wird, ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auf die Fähigkeit eines juristischen Laien abzustellen (6 Ob 188/14m jusIT 2015/22 [Staudegger] = ZIR 2015, 169 [Thiele] = ecolex 2015/198 [Zemann]; 6 Ob 145/14p; vgl auch RIS‑Justiz RS0114374).

Dies hat das Rekursgericht vertretbar bejaht. Die Äußerung, der Kläger sei „enthirnt“ und ein „Psychopath“, stellt ein beleidigendes Werturteil ohne jegliches Tatsachensubstrat dar und stand auch in keinerlei Zusammenhang mit dem auf der Facebook‑Seite veröffentlichten Beitrag über den Sprengstoffanschlag von Ansbach in Bayern; jedenfalls wird auch im Revisionsrekursverfahren nicht behauptet, der Kläger sei darin erwähnt oder hätte sich dazu geäußert. Auch wenn die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amts im Allgemeinen weiter gesteckt sind als bei Privatpersonen, weil sich Politiker unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen (RIS‑Justiz RS0115541), geht doch sowohl nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art 10 EMRK (siehe bloß Appl no 55495/08 [Genner/Austria] Rz 38 f) als auch jener dieses Senat (jüngst 6 Ob 52/16i) ein Werturteil über das hinaus, was in einer politischen Debatte zu tolerieren ist, wenn dem Werturteil eine hinreichende Tatsachenbasis fehlt; die Rechtsprechung berücksichtigt bei der Beurteilung, ob ein Werturteil diffamierenden Charakter hat, auch die Art der verwendeten Begriffe und insbesondere die zugrundeliegende Absicht, die andere Seite zu diffamieren oder zu stigmatisieren. Von dieser Rechtsprechung ist das Rekursgericht nicht abgewichen.

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