OGH 6Ob232/18p

OGH6Ob232/18p21.3.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M*, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und andere Rechtsanwälte in Graz, und deren Nebenintervenienten 1. Dr. G*, vertreten durch Mag. Karl Peter Resch, Rechtsanwalt in Knittelfeld, 2. A*, vertreten durch Dr. Peter Schaden und Mag. Werner Thurner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei S*gesellschaft m.b.H., *, vertreten durch ScherbaumSeebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 31.486,96 EUR sA (Revisionsinteresse 19.000 EUR) und Feststellung, über die außerordentliche Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 2. November 2018, GZ 2 R 165/18d‑118, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E124726

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Der Kläger verletzte sich am 14. 2. 2013 beim Schifahren an der rechten Hand und begab sich noch am selben Tag in das Landeskrankenhaus * (LKH), dessen Trägerin die Beklagte ist. Nachdem er dort mehrere Wochen behandelt worden war, indem ihm ein Kahnbeingips angelegt wurde, suchte er am 13. 5. 2013 das Unfallkrankenhaus * (UKH) auf, dessen Trägerin die Zweitnebenintervenientin ist, wo die bisherige Therapie zunächst weitergeführt wurde; erst am 6. 9. 2013 wurde eine Operation vorgenommen. Weder die Behandlung im LKH noch jene im UKH erfolgten lege artis. Die Ärzte im LKH hätten spätestens bei der ersten ambulanten Kontrolle am 1. 3. 2013 die Fehlstellung des Kahnbeinbruchs erkennen und eine operative Einrichtung und Stabilisierung des Bruchs durchführen müssen; durch das Zuwarten mit der Operation kam es trotz Ruhigstellung im Gips zur Bildung einer Zyste im Bruchbereich und einer Pseudarthrose (Falschgelenk) der Fraktur. Die Ärzte im UKH hätten die Operation sofort und nicht erst am 6. 9. 2013 durchführen müssen; darüber hinaus wurde bei der Operation eine zu lange Schraube eingesetzt, wodurch an den benachbarten Knochen zunehmende Veränderungen auftraten.

Das Berufungsgericht nahm Solidarhaftung von Beklagter und Zweitnebenintervenientin an. Das Erstgericht hatte noch eindeutige Abgrenzbarkeit der Fehler der jeweils behandelnden Ärzte angenommen (§ 1302 ABGB); im Übrigen habe der Kläger einen im LKH bereits fixierten Operationstermin eigenständig abgesagt (fehlender Adäquanzzusammenhang).

Rechtliche Beurteilung

1. Der erkennende Senat hat bereits in seiner– den Seitenwechsel der Zweitnebenintervenientin betreffenden – Entscheidung 6 Ob 105/18m (ErwG 3.1.) ausgeführt, es sei solidarische Haftung der Beklagten und der Zweitnebenintervenientin anzunehmen, sollte der Adäquanzzusammenhang zwischen der Fehlbehandlung des Klägers im LKH und jener im UKH nicht unterbrochen worden sein.

1.1. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein adäquater Kausalzusammenhang auch dann vorliegt, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden hinzu getreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten als wahrscheinlich zu erwarten ist, jedenfalls aber nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt; es kommt nur darauf an, ob nach den allgemeinen Kenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RIS‑Justiz RS0022918). Es genügt, dass die generelle Eignung zur Schadensherbeiführung von jedem vernünftigen Menschen erkannt werden konnte, wenn auch die Einzelfolge gerade nicht erkennbar war (RIS‑Justiz RS0022918 [T2]). Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs ist objektiv und nicht danach zu beurteilen, was dem Schädiger subjektiv voraussehbar war (RIS‑Justiz RS0022546 [T4]).

In der Entscheidung 6 Ob 182/18k hat der erkennende Senat in diesem Zusammenhang erst jüngst zum einen klargestellt, dass zwar die Folgen einer vorsätzlichen Fehlbehandlung eines Arztes dem Erstverletzer nicht zuzurechnen sind, dieser aber neben dem Arzt für die Vergrößerung der Folgen durch einen ärztlichen Kunstfehler haftet (ErwG 2.3.); maßgeblich ist vielmehr bei der gebotenen wertenden Betrachtung, ob die Möglichkeit eines bestimmten (weiteren) Schadenseintritts so weit entfernt war, dass nach der Lebenserfahrung vernünftigerweise eine solche Schädigung nicht in Betracht gezogen zu werden brauchte, dem Arzt also ein besonders schwerer Kunstfehler unterlaufen ist, wobei er in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat (ErwG 6.). Zum anderen wurde die von Harrer/Wagner (in Schwimann/Kodek, ABGB4 [2016] § 1295 Rz 32 f) vertretene Auffassung, die fehlerhafte Behandlung einer Verletzung durch einen Arzt komme – „statistisch gesehen“ – so selten vor, dass man nicht länger von einer adäquaten Schadensfolge sprechen sollte, ausdrücklich abgelehnt (ErwG 6.).

1.2. Die ebenfalls ständige Rechtsprechung lehnt zwar dann, wenn der zunächst eingetretene Schaden durch Handlungen des Verletzten selbst vergrößert wird, die eine nicht ungewöhnliche Reaktion auf das schädigende Ereignis darstellen und daher mit diesem in einem adäquaten Kausalzusammenhang stehen, trotz Bejahung der Adäquanz die Zurechnung der Schadensfolge dem Schädiger gegenüber ab, wenn diese auf einem selbständigen, durch den haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgeforderten Entschluss des Verletzten selbst beruht, der sie deshalb auch allein zu verantworten hat (RIS‑Justiz RS0022912). Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass sich der Kläger aufgrund der fast drei Monate nach dem Unfall immer noch anhaltenden Schmerzen und der nicht eingetretenen Besserung seiner Verletzung eine Zweitmeinung im UKH einholte, was ihm tatsächlich nicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Dieses Verhalten war eine verständliche Reaktion auf das schädigende Ereignis, nämlich den Behandlungsfehler im LKH; erst durch das pflichtwidrige Verhalten der dort behandelnden Ärzte kam der Kläger überhaupt in die Lage, eine solche Entscheidung treffen zu müssen (2 Ob 74/12i [ErwG 8.3.] ZFR 2013/195 [Baier, 332] = ÖBA 2014/2015 [Oppitz]).

1.3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, das den Adäquanzzusammenhang bejahte, ist angesichts dieser Rechtsprechungslage jedenfalls vertretbar; ob im Einzelfall ein Schaden noch als adäquate Folge eines schädigenden Ereignisses anzusehen ist, betrifft im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0110361).

2. Nach § 1302 ABGB soll in den Fällen, in denen die Beschädigung in einem Versehen gegründet ist und die Anteile sich bestimmen lassen, jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden verantworten. Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugeführt worden ist oder wenn sich die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung nicht bestimmen lassen, so haften alle für einen und einer für alle, doch bleibt demjenigen, welcher den Schaden ersetzt hat, der Rückersatz gegen die übrigen vorbehalten. § 1302 ABGB umfasst nicht nur die Haftung von Mittätern, sondern auch von Nebentätern; es kommt daher nicht auf ein einverständliches Handeln der Täter an, es genügt die Beteiligung an der Kausalkette (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJR_19870326_OGH0002_0070OB00723_8600000_001/JJR_19870326_OGH0002_0070OB00723_8600000_001.html ); eine solche Nebentäterschaft liegt auch dann vor, wenn zu einer Verletzung ein Kunstfehler eines Arztes hinzutritt (Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 [Stand 1. 1. 2018, rdb.at] § 1302 Rz 14 unter Berufung auf 2 Ob 653/38 SZ 20/253).

2.1. Es ist im Revisionsverfahren nicht strittig, zu welchen Anteilen die Beklagte und die Zweitnebenintervenientin für die Beeinträchtigungen des Klägers ursächlich waren. Allerdings hat bereits Reischauer dargestellt, dass in Fällen, in denen der Ersttäter eine rechtswidrige Handlung dem Geschädigten gegenüber setzte und es durch die dem Zweittäter vorwerfbare oder ihm sonst zurechnende Handlung zur Schadensentstehung oder Weiterung kommt, in der Regel beide solidarisch haften. Eine Anteilshaftung iSd § 1302 S 1 ABGB greife grundsätzlich nicht, weil jeder Täter für den gesamten Enderfolg kausal sei und es sich um Fälle addierter Kausalität handle. Die addierte Kausalität könne auch nur einen Teil des Schadens betreffen: Hat zunächst der Lenker A den C verletzt und dann der Lenker B dem C weitere Schäden zugefügt, so sind für das Plus an Schäden sowohl A als auch B kausal; ebenso, wenn A den C verletzt und der einen Kunstfehler begehende Arzt den C zusätzlich schädigt (Reischauer in Rummel, ABGB³ [2007] § 1295 ABGB Rz 20 und § 1302 Rz 13a).

2.2. Der Entscheidung 1 Ob 797/79 (https://rdb.manz.at/document/rdb.tso.EN0920007463?execution=e3s2 ) lag folgender Sachverhalt zu Grunde: A beschimpfte B, es kam zu einem Wortgefecht und B schlug auf A ein. Nach den Angriffen des B fing A an, B zu attackieren und stieß ihn durch eine Glasscheibe, wodurch diese zu Bruch ging. Der Oberste Gerichtshof bejahte den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des B und der Tätlichkeit des A, wodurch die Scheibe zu Bruch ging. Da demnach der Schadenserfolg von mehreren verursacht wurde, habe jeder einzelne zum ganzen Schaden beigetragen, sodass schon aus diesem Grund die Solidarhaftung von A und B bejaht wurde. Auf die Frage der Bestimmbarkeit der Anteile iSd § 1302 ABGB kam es gar nicht mehr an.

2.3. Den Ausführungen Reischauers und der genannten Entscheidung ist im Sinn der conditio-sine-qua-non-Lehre zu folgen. Hätten die Ärzte im LKH der Beklagten den Kläger rechtzeitig und richtig behandelt, wären verspätete Behandlung und Fehlbehandlung im UKH der Zweitnebenintervenientin gar nicht möglich gewesen. Die Beklagte hat somit für den gesamten Schaden des Klägers einzustehen, die Frage der Bestimmbarkeit der Anteile iSd § 1302 ABGB ist auch hier nicht relevant.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte