Spruch:
1. Dem Revisionsrekurs der Gesellschaft wird Folge gegeben. Punkt I. des angefochtenen Beschlusses (Zurückweisung des Rekurses der Gesellschaft) wird aufgehoben und dem Rekursgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Gesellschaft aufgetragen.
2. Der Revisionsrekurs der Geschäftsführer wird zurückgewiesen.
3. Die Anträge der Revisionsrekurswerber auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof und auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung werden zurückgewiesen.
Text
Begründung
Im Firmenbuch des Landes- als Handelsgerichtes Feldkirch ist die G***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in L***** eingetragen. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. 12.. Die Gesellschaft wird durch den Zweit- und Drittrevisionsrekurswerber als kollektivzeichnungsberechtigte Geschäftsführer vertreten.
Nachdem das Erstgericht die Geschäftsführer erfolglos aufgefordert hatte, die Jahresabschlüsse für die Jahre 1997 und 1998 offenzulegen, verhängte es die ihnen angedrohte Zwangsstrafe von je 10.000 S und forderte sie neuerlich unter Androhung weiterer Zwangsstrafen von je 30.000 S auf, die Jahresabschlüsse binnen zwei Monaten ab Rechtskraft dieses Beschlusses einzureichen oder darzutun, dass diese Verpflichtung nicht bestehe. Es sprach aus, dass ihrer Anregung der Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) nicht Folge geleistet werde.
Das Rekursgericht wies den Rekurs der Gesellschaft (Punkt I.) und den Antrag der Rekurswerber auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof zurück (Punkt II.). Im Übrigen gab es den Rekursen der Geschäftsführer nicht Folge (Punkt III.). Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil zur Frage der Verfassungskonformität der handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und der Grundrechtskonformität der dadurch umgesetzten Publizitäts- und Bilanzrichtlinie eine gesicherte Judikatur des Obersten Gerichtshofes vorliege.
Entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Ansicht, dass die Gesellschaft durch die im angefochtenen Beschluss verhängten Zwangsstrafen nicht beschwert sei, ist die Beteiligtenstellung und Rechtsmittelbefugnis auch der Gesellschaft anzunehmen. Mit dem gegen die Geschäftsführer verhängten Zwangsstrafen soll eine Offenlegung von Gesellschaftsdaten als unmittelbare Verpflichtung (auch) der Gesellschaft selbst bewirkt werden, hängt doch diese Verpflichtung nicht davon ab, welche konkreten Personen jeweils die Vertretungsbefugnis innehaben. Die Rechtsmittellegitimation (auch)
der Gesellschaft ist daher zu bejahen (6 Ob 9/94 = EvBl 1994/145 =
GesRZ 1994, 222 = WBl 1994, 240; 6 Ob 101/99t; RIS-Justiz RS0112094),
weshalb der den Rekurs der Gesellschaft zurückweisende Teil des Beschlusses des Rekursgerichtes aufzuheben und ihm insoweit eine neuerliche Entscheidung aufzutragen ist.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Gesellschafter ist mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig.
Soweit sich ihr Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung ihres Antrages auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof richtet, ist er schon deshalb unzulässig, weil den Rechtsmittelwerbern diesbezüglich kein Antragsrecht zukommt. Sie können die Einleitung dieses Verfahrens nur anregen (JBl 1994, 57; EvBl 1999/69 ua).
Im Übrigen hat der erkennende Senat wiederholt ausgesprochen, das gegen die Offenlegungsvorschriften des HGB weder Bedenken gegen deren Gemeinschaftsrechtskonformität noch deren Verfassungsmäßigkeit
bestehen (vgl insbesondere 6 Ob 5/00d = GesRZ 2000, 173; 6 Ob 14/00b
= WBl 2000, 286 [Gruber 251]; 6 Ob 77/00t = RdW 2000, 472; 6 Ob
126/00y, 6 Ob 163/00i und 6 Ob 165/00h). Die zitierten Entscheidungen behandelten zum Teil Rechtsmittel, die ähnlich wie der vorliegende Revisionsrekurs argumentierten und die durch die in der Publizitätsrichtlinie und Bilanzrichtlinie vorgegebenen und in den Offenlegungsvorschriften des HGB umgesetzten Offenlegungspflichten dieselben Grundrechtsverletzungen erblickten, die auch hier geltend gemacht werden (das Recht auf Gleichheit, Datenschutz, Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses, wirtschaftliche Betätigung und Erwerbsfreiheit, Privatautonomie, Privatsphäre, Unverletzlichkeit des Eigentums sowie auf Beachtung des Sachlichkeitsgebotes und der Verhältnismäßigkeit).
Der erkennende Senat sieht trotz der umfangreichen Ausführungen des Revisionsrekurses ein neuerlichen Eingehen auf die Frage der Verfassungskonformität der Offenlegungsvorschriften keinen Anlass. Soweit der Revisionsrekurs hiezu unter anderem darauf verweist, dass das Bezügebegrenzungsgesetz im Verfassungsrang stehe und eine personenbezogene Grundbuchsabfrage nur öffentlichen Stellen und Notaren, nicht aber der "Allgemeinheit" möglich sei, fehlt es allein schon am konkreten Bezug der jeweiligen Materien auf die Veröffentlichungsbestimmungen des HGB und der damit umgesetzten Richtlinien. Die in den Richtlinien vorgesehene Offenlegung bezieht sich auf Wirtschaftsdaten der Gesellschaft, denen angesichts des Interesses von Dritten an deren Offenlegung von vornherein nur eingeschränkter Schutz zukommt. Beschränkungen des Schutzes sind aber aufgrund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art 8 Abs 2 MRK genannten Gründen (hier: Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) notwendig sind. Gerade dies ist hier der Fall, dient doch die gesetzliche Regelung der Offenlegungspflicht ausschließlich dem Schutz der Rechte Dritter (vor allem Gläubiger oder Vertragspartner der Gesellschaft), um ihnen die in aller Regel sonst nicht zugängliche Information über die finanzielle Lage der Gesellschaft zu ermöglichen (6 Ob 5/00d, 6 Ob 14/00b, 6 Ob 77/00t).
Die Einholung einer Vorabentscheidung sieht der Revisionsrekurs unter anderem deshalb für erforderlich, weil eine materielle Derogation der Bilanzrichtlinie und der Publizitätsrichtlinie durch nachfolgende Richtlinien und Verordnungen eingetreten sei. Auch insoweit werden jedoch keine überzeugenden neuen Argumente vorgetragen. Im vorliegenden Revisionsrekurs werden zwar neben der Datenschutzrichtlinie, der Telekomunikationsrichtlinie und der Amtshilfeverordnung (VO [EG] Nr 515/97), auf deren mangelnde Beziehung der erkennende Senat zu den hier relevanten Offenlegungspflichten bereits im Einzelnen in Vorentscheidungen hingewiesen hat (6 Ob 163/00, 6 Ob 165/00h), eine Vielzahl weiterer Rechtsakte der Gemeinschaft ins Treffen geführt, deren jeweilige Regelungen einerseits die Primärrechtswidrigkeit der beiden hier maßgebenden Richtlinien und andererseits deren Derogation unter Beweis stellen sollen (unter anderem die Umweltverträglichkeitsprüfungsrichtlinie 1985 und ihre Aktualisierung 1997, die Verpackungsrichtlinie, die Wettbewerbsverordnung, die Fusionskontrollverordnung sowie mehrere Urteile des EuGH). Der Umstand, dass in Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen der jeweils hiefür zuständigen Gemeinschaftsorgane und Entschlussanträgen des Generalanwaltes (hier wird wiederholt dessen Schlussantrag in einem die Tabakwerberichtlinie betreffenden Verfahren vor dem EuGH zitiert) die besondere Gewichtung des Datenschutzes zum Ausdruck kommt, mag zwar zeigen, dass die Abwägung gegenläufiger Interessen verschiedener Gruppierungen bei bestimmten, konkret zu würdigenden oder generell zu regelnden Sachverhalten des Wirtschaftslebens zugunsten des Geheimnisschutzes ausfällt. Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass der Geheimnisschutz in jedem Fall über gegenläufigen Interessenlagen stehen müsse. Der erkennende Senat hat in seinen Vorentscheidungen bereits ausführlich dargelegt, dass keine zur Einholung einer Vorabentscheidung Anlass gebenden Bedenken dagegen bestehen, dass bei der Frage der Offenlegung von Unternehmensdaten im Sinn der beiden einschlägigen Richtlinien die Informationsinteressen Dritter höher zu gewichten sind, wie insbesondere aus der sogenannten "Daihatsu-Entscheidung" des EuGH (vom 4. 12. 1997, C-97/96 Slg 1997 I-6843) hervorgeht. Die abermalige Kritik an den Ausführungen der Vorentscheidungen des erkennenden Senates, es sei aufgrund der "Daihatsu"-Urteile davon auszugehen, dass der EuGH die in den beiden Richtlinien festgelegten Offenlegungsvorschriften als nach wie vor materiell-rechtlich gültig erachte, hält der erkennende Senat für nicht überzeugend. Insoweit ist nur nochmals darauf hinzuweisen, dass der Rechtsvertreter der Revisionsrekurswerber selbst in einer 1997 veröffentlichten Abhandlung ausführte, der EuGH prüfe aus Anlass von Vorabentscheidungsersuchen die Primärrechtskonformität jeder Sekundärrechtsnorm (Weh, Vom Stufenbau zur Relativität 183).
Der Umstand, dass der Vertreter der Revisionsrekurswerber inzwischen die Darlegungen im vorliegenden Revisionsrekurs weitgehend inhaltsgleich in einer Fachzeitschrift publizierte (Weh, Die Bilanzoffenlegungsrichtlinien und die Grundrechte in GesRZ 2000, 114 ff), vermag diesen kein größeres Gewicht zu verleihen, kann doch bei der Veröffentlichung einer naturgemäß vom Parteiinteresse getragenen, der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes widersprechenden Lehrmeinung noch nicht von einer sich abzeichnenden Tendenz der Lehre zur Abkehr von bisher überwiegend vertretenen Ansichten gesprochen werden, wozu der Oberste Gerichtshof nunmehr im Einzelnen Stellung nehmen müsste (zustimmend im Übrigen Gruber, Neues zur Bilanzpublizität 14, WBl 2000, 251 ff).
Soweit im Revisionsrekurs hervorgehoben wird, die Erstrevisionsekurswerberin sei eine kleine Kapitalgesellschaft nach § 221 Abs 1 HGB, ist darauf hinzuweisen, dass bislang nicht einmal die Merkmale für die Einordnung in die Größenklassen bekanntgegeben wurden. Unterlässt die Gesellschaft die fristgerechte Mitteilung, so gelten die von der Größe der Gesellschaft abhängigen Vorschriften gemäß § 282 Abs 1 HGB; es besteht die gesetzliche Vermutung, dass es sich bei der Gesellschaft um eine große Gesellschaft handelt (6 Ob 307/99m, insoweit nicht veröffentlicht in ZfRV 2000, 116 = RdW 2000, 283; Zehetner, Folgen der Nichtoffenlegung des Jahresabschlusses in ecolex 1998, 482 ff). Schon deshalb können aus dieser Behauptung keine Rechtsfolgen zugunsten der Revisionsrekurswerber abgeleitet werden.
Wie der erkennende Senat ebenfalls bereits mehrfach ausgesprochen hat, besteht kein Anlass, eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung der Revisionsrekurswerber abzuhalten (vgl 6 Ob 126/00i, 6 Ob 165/00h und insb die dort zitierten Entscheidungen des EGMR).
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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