Spruch:
Entlassen die Mieter den Vermieter aus seiner Reinigungspflicht nach § 1096 ABGB und übernehmen diese selbst turnusweise, sind die gerade an der Reihe befindlichen Mieter nicht Erfüllungsgehilfen des Vermieters
OGH 6. Dezember 1973, 6 Ob 205/73 (OLG Wien 7 R 73/73; KG Wiener Neustadt 2 Cg 707/71)
Text
Der Kläger ist Mieter des der Beklagten gehörenden Hauses in N, P-Straße Nr. 25. Er erlitt am 10. Jänner 1970 im Hof des Hauses durch Sturz infolge Eisglätte Verletzungen. Er begehrte Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Schmerzengeldes von 25.000 S sowie die Feststellung der Haftung für alle künftigen Unfallsfolgen. Er warf der Beklagten vor, die Streuung des völlig vereisten Hofes zur Unfallszeit unterlassen zu haben. Ein Hausbesorger sei nicht vorhanden, doch werde das Haus durch die einzelnen Mieter turnusweise betreut. Am Unfallstag sei entweder Josef F oder Maria E zur Verrichtung der Schnee- bzw. Eissäuberungsarbeiten verpflichtet gewesen.
Die Beklagte berief sich auf eine Vereinbarung mit den Wohnparteien des Hauses einschließlich des Klägers, wonach die Wohnparteien wegen Ablehnung der Kosten eines Hausbesorgers erklärt hätten, die Reinigungsarbeiten selbst durchzuführen, was in der Folge auch geschehen sei. Die Beklagte sei deshalb den Mietern gegenüber zur Reinigung des Hofes und Gehsteiges nicht verpflichtet gewesen. Übrigens habe zur Unfallszeit Eisregen geherrscht. Die Beklagte machte "vorsichtsweise" ein Mitverschulden des Klägers im Umfang von 80% geltend, weil er den Unfall durch Beschreiten eines nicht vereisten Teiles des Hofes hätte vermeiden können.
Das Erstgericht sprach dem Kläger ein Schmerzengeld von 22.000 S samt Anhang zu und wies das Mehrbegehren sowie das Feststellungsbegehren ab. Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht die Entscheidung erster Instanz im Sinne der vollständigen Abweisung des Klagebegehrens ab. Den Urteilen der Vorinstanzen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte ist Eigentümerin des erwähnten Hauses sowie der dort anschließenden Häuser Nr. 21 und Nr. 23. Der Kläger ist Mieter im erstgenannten Haus. Für alle drei Häuser, die eine gemeinsame Hoffläche besitzen, war früher ein gemeinsamer Hausbesorger bestellt. In den Jahren 1960/1961 erklärten die Mieter des Hauses Nr. 25, einen Hausbesorger nicht bezahlen und die Arbeiten selbst verrichten zu wollen. So kam es zwischen dem überwiegenden Teil der Mieter und der Beklagten zu einer Vereinbarung, daß die Hausparteien die Hausbesorgerarbeiten künftig selbst durchführen werden. Einige Mieter sprachen sich wohl gegen eine solche Regelung aus, doch "mußten sie sich der Mehrheitsentscheidung beugen". Die Arbeiten wurden nach den Türnummern der einzelnen Wohnungen eingeteilt, wobei jeder Mieter in Abständen von fünf Wochen die sogenannte "Gangtour" und in Abständen von 15 Wochen die sogenannte "Hoftour" zu verrichten hatte. Zu den bei der Hoftour anfallenden Arbeiten gehörte im Winter auch die Streupflicht.
Am 10. Jänner 1970 war die Mieterin Maria E mit der Hoftour an der Reihe. Diese Mieterin ist aus gesundheitlichen Gründen zur Verrichtung der Arbeiten nicht in der Lage und hat die Gangtour meistens durch eine Ersatzkraft vornehmen lassen, die Hoftour aber nicht verrichtet. In den Morgenstunden des 10. Jänner 1970 herrschte Eisregen. Der Kläger verließ um etwa 7 Uhr das Haus und hatte die Möglichkeit wahrzunehmen, daß es infolge der niedrigen Temperaturen zu einer Vereisung kommen könnte. Knapp vor 9 Uhr verließ er das Haus neuerlich, und zu diesem Zeitpunkt waren der in das Haus führende Betonstreifen und die anschließende Hoffläche mit einer Eisschicht überzogen. Es war spiegelglatt und nicht gestreut. Der Kläger betrat die an die Betonstreifen anschließende Hoffläche und ging vorsichtig innerhalb des Hofes wenige Meter weit bis zur
Hausecke. Dort stürzte er infolge des Glatteises und erlitt verschiedene Verletzungen.
Das Erstgericht ging bei der rechtlichen Beurteilung von der Verpflichtung des Vermieters gemäß § 1096 ABGB aus, das Bestandobjekt in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten. In den einzelnen Mietern erblickte es Erfüllungsgehilfen der Beklagten, welche deren Obliegenheiten übernommen haben. Ein Mitverschulden des Klägers verneinte es.
Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus: Dem Erstgericht sei wohl darin beizupflichten, daß der Bestandgeber gemäß § 1096 ABGB verpflichtet sei, die Bestandsache in brauchbarem Zustand zu übergeben und zu erhalten und es sei auch die Überlegung richtig, daß hiezu die freie Benützung der Zugänge gehöre. Das Erstgericht übersehe aber, daß die Verpflichtung aus § 1096 ABGB abbedungen werden könne, weil es sich um eine Vorschrift nachgiebigen Rechtes handle. Eine Vereinbarung, wonach der Bestandgeber nicht verpflichtet sei, die Bestandsache oder einzelne Teile hievon in brauchbarem Zustande zu erhalten, sei zulässig. Nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes sei eine solche Vereinbarung zwischen der Beklagten und den Mietern des Hauses Nr. 25 zustande gekommen. Zwar sei nicht festgestellt, daß sich auch der Kläger unter jenen Mietparteien befunden habe, die seinerzeit die Übernahme der Hausbesorgerarbeit durch die Hausparteien vereinbart hätten, doch bedürfe es einer solchen Feststellung nicht. Es sei nämlich festgestellt, daß die Vereinbarung mit dem überwiegenden Teil der Mieter zustandegekommen sei, daß sich einige Mieter gegen eine solche Regelung ausgesprochen hätten, sich dann aber der Mehrheitsentscheidung gebeugt hätten. Daraus ergebe sich, daß bezüglich dieser Minderheit von Mietern eine schlüssige Zustimmung im Sinne des § 863 ABGB erfolgt sei, weil die turnusmäßige Übernahme der Reinigungsarbeiten auch durch die Minderheit mit Überlegung aller Umstände keinen anderen Schluß als den der Einwilligung in die von der Mehrheit getroffene Vereinbarung erlaube. Der Kläger habe als Partei vernommen, selbst zugegeben, daß die Arbeiten von seiner Gattin verrichtet worden seien, wenn die Hoftour auf ihn gefallen sei. Der Kläger habe nicht behauptet, daß er sich von der Betreuung ausgeschlossen hätte. In dieser Vereinbarung sei aber ein Verzicht der Mieter und damit auch des Klägers auf die Erbringung der Reinigungsarbeiten von seiten der Beklagten zu erblicken. Durch die Übernahme der Verpflichtung auch der Bestreuung des Hofes hätten die Mieter die Beklagte aus der bestehenden Erhaltungspflicht des § 1096 ABGB entlassen. Daraus ergebe sich, daß die Beklagte dem Kläger als Mieter gegenüber nicht zur Leistung der Bestreuung des Hofes bei Glatteis verpflichtet gewesen sei. Es könne der Ansicht des Klägers nicht gefolgt werden, daß die Beklagte ihm gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden ihrer Erfüllungsgehilfen hafte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Von entscheidender Bedeutung ist die rechtliche Würdigung der Feststellungen über die Vereinbarung zwischen den Mietern und der Beklagten. Fest steht, daß es zwischen dem überwiegenden Teil der Mieter und der Beklagten zu der mehrfach erwähnten Vereinbarung kam, gegen welche sich "einige Mieter" zunächst aussprachen, sich aber dann der Mehrheitsentscheidung beugten. Der Schluß ist nicht zwingend, daß diese "einige Mieter" durch schlüssiges Verhalten der Vereinbarung beitraten, weil die Möglichkeit offen ist, daß auch sie ausdrückliche Willenserklärungen nach anfänglichem Widerstreben abgegeben haben. Doch mag diese Frage auf sich beruhen, weil es nicht auf die Form ankommt, in welcher sich die Minderheit der Entscheidung der Mehrheit beugte. Wesentlich ist, daß schließlich die Gesamtheit der Mieter in dieser Vereinbarung der Beklagten als Vermieterin gegenüberstand. Der Revision ist zuzugeben, daß das Berufungsgericht die Worte "einige Mieter" im Sinne von "die übrigen" verwendet hat. Doch trifft das Berufungsgericht nicht der Vorwurf, durch diese Ausdrucksweise etwas "umfunktioniert" zu haben. Es gibt doch kamen Zweifel, daß die Feststellungen so gemeint waren. Übrigens hat sich das Berufungsgericht damit nicht begnügt, sondern als Tatsacheninstanz auch aus dem Beweisverfahren abgeleitet, daß die Person des Klägers von dieser Vereinbarung mitumfaßt war, weil er in den Turnus einbezogen war und seine Gattin in diesem Sinn Arbeiten geleistet hat.
Unter dem Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO bekämpft der Kläger auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, aus der festgestellten Vereinbarung ergebe sich ein Verzicht der Mieter auf die ihnen gemäß § 1096 ABGB gegen den Vermieter zustehenden Ansprüche. Aus seiner Sicht war die Vereinbarung dahin auszulegen, wer nach dem Turnus der Mieter als Erfüllungsgehilfe der Beklagten anzusehen war. Der Revision muß eingeräumt wenden, daß bei einer Mehrheit von Mietern jeder einzelne Mieter in einem gesonderten Rechtsverhältnis zum Vermieter sieht und daß die Möglichkeit einer sinnvollen Vereinbarung durchaus besteht, daß von der Beschäftigung eines Hausbesorgers abgesehen und ein Turnus der Mieter dergestalt vereinbart wird, daß der jeweils an der Reihe befindliche Mieter gegenüber den anderen Mietern der Erfüllungshilfe des Vermieters ist. Dieser Fall liegt nicht vor. Mit Recht hat das Berufungsgericht die Entlassung des Vermieters aus den diese Verrichtungen betreffenden Pflichten aus § 1096 ABGB angenommen. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes führt eine Auslegung der festgestellten Vereinbarung im Sinne des § 914 ABGB in Übereinstimmung mit der Ansicht des Berufungsgerichtes dazu, daß die Mieter die Mühe und das Risiko der Reinigungsarbeiten mit Wirkung für die Gemeinschaft aller Mieter auf sich genommen haben, ohne damit eine Obliegenheit des Vermieters in wessen Namen zu erfüllen. Die Verteilung der Leistung auf eine größere Zahl von Wohnungsmietern und die Unentgeltlichkeit der Leistung - eine Entgeltlichkeit wurde nicht behauptet und die Nichtbestellung eines Hausbesorgers sollte Kosten sparen - legt diese Auslegung näher als die gegenteilige. Sie entspricht den Regeln des redlichen Verkehrs. Somit tritt der Oberste Gerichtshof der Auffassung des Berufungsgerichtes bei, daß die Gesamtheit der Mieter, also auch der Kläger, die Beklagte aus der Reinigungspflicht entlassen hat und daß die jeweils an der Reihe befindlichen Mieter keine Erfüllungsgehilfen der Beklagten waren.
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