Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Rechtliche Beurteilung
1. Es entspricht herrschender Auffassung, dass der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO auch dann verwirklicht ist, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, nicht zur Gänze, sondern nur bei einer einzelnen Verhandlung durch ungesetzlichen Vorgang entzogen war (3 Ob 220/48 JBl 1948, 479; E. Kodek in Rechberger, ZPO³ [2006] § 477 Rz 7; weitere Nachweise bei Klauser/Kodek, MGA JN/ZPO16 [2006] § 477 ZPO E 72) und der Stoff dieser Verhandlung nicht bei einer folgenden Tagsatzung neuerlich erörtert und verhandelt wurde (Fasching 1 IV 128 Anm 23; E. Kodek aaO; LGZ Wien MietSlg 35.797). Im Übrigen wurde bereits ausgesprochen, dass die Erklärung einer unvertretenen beklagten Partei aufgrund einer Ladung zu einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, sie könne (etwa) infolge fehlender Bestreitungsmöglichkeit der Kosten einer Zureise zum Gericht nicht zur Verhandlung erscheinen, als Erstreckungsantrag nach § 134 Z 1 ZPO zu behandeln ist (4 Ob 149/59 Arb 7164). Im vorliegenden Verfahren war der Erstrichter anlässlich der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 7. 6. 2010 (bei der Beweismittel aufgenommen und die Verhandlung geschlossen wurde) von mehreren Anrufen der unvertretenen Beklagten in der Gerichtskanzlei in Kenntnis; darin hatte die Beklagte behauptet, sich in einem Krankenhaus im Ausland aufzuhalten und deshalb zum Verhandlungstermin nicht zureisen zu können (dies erscheint zwischenzeitig auch bescheinigt zu sein).
2. Die Beurteilung, ob das Erstgericht durch seine Vorgangsweise, ohne neuerlichen Verhandlungstermin dem Zahlungs- und Räumungsbegehren sofort statt zu geben, sein Verfahren mit einer Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO oder einer Mangelhaftigkeit belastet hat, ist dem Obersten Gerichtshof jedoch verwehrt.
2.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist nämlich die Wahrnehmung einer Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens in dritter Instanz nicht mehr möglich, wenn das Berufungsgericht in die Prüfung der Frage einer allfälligen Nichtigkeit eingegangen ist und eine solche verneint hat (RIS-Justiz RS0042981). Daran ändert auch die Entscheidung 5 Ob 2102/96w nichts, wonach „eine vom Rekursgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens dann vom Obersten Gerichtshof wahrgenommen werden kann, wenn die Nichtigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache verworfen wurde und daraus Feststellungsmängel resultieren“. E. Kodek, auf den sich die Entscheidung beruft, präzisiert nämlich an der bezogenen Stelle (in Rechberger, ZPO³ [2006] § 503 Rz 3), dies gelte nur dann, wenn beim Rekursgericht „gar kein Entscheidungswille, eine Nichtigkeit zu verneinen, vorhanden war“ (vgl dazu auch 4 Ob 165/07d). Im vorliegenden Verfahren hat aber das Berufungsgericht das Vorliegen der in der Berufung behaupteten Nichtigkeit ausdrücklich verneint.
2.2. Das Berufungsgericht hat außerdem das erstinstanzliche Verfahren für mängelfrei erkannt. Damit kann aber ein allfälliger Mangel dieses Verfahrens in der Revision ebenso nicht mehr (zulässigerweise) aufgegriffen werden (E. Kodek aaO Rz 9 mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).
3. Dass das Berufungsgericht die beantragte mündliche Berufungsverhandlung nicht durchgeführt hat, macht das Berufungsverfahren im Hinblick auf die Aufhebung des § 492 ZPO durch das BBG 2009 weder nichtig noch mangelhaft.
4. Das Berufungsgericht selbst bezeichnet die von der Beklagten „geschilderten Vorfälle in Polen … als unabwendbares und unvorhergesehenes Ereignis“, womit grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 146 ZPO gegeben sein könnten. Die Beklagte hat - damals noch unvertreten - binnen 2 Wochen nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils beim Erstgericht ein Schreiben überreicht, das zwar als „Berufung“ bezeichnet ist, in dem jedoch die „Annullierung des Gerichtsurteils“ unter Hinweis auf jene Umstände beantragt wird, die die Beklagte am Erscheinen zum Verhandlungstermin vom 7. 6. 2010 hinderten. Da die fehlerhafte Bezeichnung eines Antrags der Partei insbesondere dann nicht schadet, wenn er von einer unvertretenen Partei stammt, der gegenüber Manuduktionspflicht des Gerichts nach § 432 ZPO besteht, ist dieses Schreiben nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs nicht (lediglich) als Berufung (zu deren rechtswirksamer Erhebung in weiterer Folge der Beklagtenvertreter als Verfahrenshelfer bestellt wurde), sondern (auch) als Wiedereinsetzungsantrag zu behandeln.
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