OGH 6Ob19/19s

OGH6Ob19/19s27.2.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny sowie durch die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Becker Günther Polster Regner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Dr. A*****, vertreten durch Dr. Martin Löffler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F***** AG, *****, vertreten durch Frieders Tassul & Partner Rechtsanwälte in Wien, wegen Beschlussanfechtung und -feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. November 2018, GZ 1 R 89/18t‑22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00019.19S.0227.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Tagesordnung der ordentlichen Hauptversammlung der beklagten börsenotierten Aktiengesellschaft vom 30. 5. 2017 enthielt keinen Tagesordnungspunkt auf Beschlussfassung über die Durchführung einer Sonderprüfung.

Bei dieser Hauptversammlung waren nicht alle Aktionäre anwesend.

Als Punkt 3 der Tagesordnung war die Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2016 vorgesehen.

Dazu stellte die klagende Aktionärin einen Ad-hoc-Antrag auf Sonderprüfung zu 1. von der Gesellschaft ersetzten Reisekosten und 2. von der Gesellschaft ersetzten Aufwendungen jeweils des damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats, 3. den erfolgten Zuwendungen aus dem bereits in der Hauptversammlung 2016 beschlussmäßig genehmigten Aktienoptionsprogramm sowie 4. einer möglichen Verschleuderung stiller Reserven durch die Gewährung von Aktienoptionen. Zu den Punkten 1. und 2. sollte sich laut Antrag die Prüfung „über das Geschäftsjahr 2016 und rückwirkend für zumindest 5 Jahre“ erstrecken, für die Punkte 3. und 4. „über das Geschäftsjahr 2016 und rückwirkend bis zum Beginn des ersten Aktienoptionenprogrammes mit Beschluss des AR vom 1. 6. 2011“.

Der Antrag auf Sonderprüfung wurde ua aufgrund der NEIN‑Stimmen der Hauptaktionärin abgelehnt. Die Klägerin erklärte zu diesem Beschluss Widerspruch zur Niederschrift.

Dann wurde die Entlastung des Aufsichtsrats gemäß Punkt 3. der Tagesordnung ua aufgrund der JA‑Stimmen der Hauptaktionärin beschlossen.

Die Vorinstanzen gaben der Anfechtungsklage gemäß §§ 195 ff AktG betreffend die dargestellten Beschlüsse auf Ablehnung einer Sonderprüfung und Entlastung des Restaufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2016 rechtskräftig statt und erklärten diese Beschlüsse für nichtig. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass die Hauptaktionärin und eine weitere Aktionärin einem Stimmverbot unterlegen seien, bei dessen Beachtung die Beschlüsse nicht gefasst worden wären.

Das Berufungsgericht wies jedoch das Mehrbegehren auf positive Beschlussfeststellung, die Hauptversammlung vom 30. 5. 2017 habe die Sonderprüfung im Sinne des Antrags der Klägerin beschlossen, ab.

Gegen diese Klageabweisung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Unzulässigkeit der Abstimmung

1.1. Soweit die Revisionswerberin meint, die Abstimmung über die Sonderprüfung sei zulässig gewesen, weshalb bei Entfall der dem Stimmverbot unterliegenden Stimmen das positive Beschlussergebnis nicht anfechtbar wäre, wird sie auf die zutreffende Beurteilung des Berufungsgerichts verwiesen. Danach ist ein Ad‑hoc‑Antrag auf Sonderprüfung (also ohne Ankündigung in der Tagesordnung) für weiter zurückliegende oder spätere Vorgänge als das Geschäftsjahr, das Gegenstand eines Entlastungsbeschlusses ist, nicht zulässig, sodass über ihn nicht abzustimmen ist. Nach § 119 Abs 1 Satz 2 AktG darf über einen Gegenstand der Verhandlung, der nicht ordnungsgemäß als Tagesordnungspunkt bekannt gemacht wurde, kein Beschluss gefasst werden (vgl 6 Ob 31/11v Punkt 4.3. mwN; Oberlechner in Abraham/Oberlechner/Stelzl, Handbuch Hauptversammlung 422; Brix , Leitfaden für den Vorsitzenden der Hauptversammlung [Teil II], GesRZ 2016, 48 [52]; Schmidt‑Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG 2 [2012] § 130 Rz 15; dieselbe in MüKoAktG 4 [2018] § 142 Rz 138; Bydlinski/Potyka in Artmann/Karollus , AktG 6 [2018] § 130 Rz 7; für das deutsche Recht vgl Arnold in MüKoAktG 4 [2018] § 142 Rz 46). Davon ausgehend ist das Berufungsgericht zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass ein positiver Beschluss auf Sonderprüfung wegen Verstoßes gegen § 119 Abs 1 Satz 2 AktG anfechtbar wäre ( Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss , AktG 2 [2012] § 119 Rz 19; Bydlinski/Potyka in Artmann/Karollus , AktG 6 [2018] § 119 Rz 4).

1.2. Die Revisionswerberin führt dagegen Schmidt‑Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 [2012] § 130 Rz 14, ins Treffen. Diese Ausführungen betreffen Sonderprüfungen, die in der Tagesordnung angekündigt wurden, was sich aus der Kommentierung in der folgenden Randzahl ergibt. Auch die Entscheidung 6 Ob 213/16s ist nicht einschlägig, weil sie eine GmbH betrifft, bei deren Generalversammlung alle Gesellschafter anwesend waren, was auf die gegenständliche Hauptversammlung nicht zutrifft. § 105 Abs 5 AktG ist somit nicht anwendbar, abgesehen davon, dass die beklagte Aktiengesellschaft börsenotiert ist.

1.3. Die Revisionswerberin bringt vor, eine Sonderprüfung könne zum Tagesordnungspunkt „Entlastung des Aufsichtsrats“ auch ohne Ankündigung über einzelne, mit der Geschäftsführung während des letzten Geschäftsjahrs zusammenhängende und für die Entlastung relevante Vorgänge beschlossen werden (vgl 6 Ob 31/11v Punkt 4.3. mwN). Die über das Geschäftsjahr 2016 hinausgehenden beantragten Sonderprüfungen würden mit diesem Geschäftsjahr zusammenhängen.

Dies kann nicht überzeugen: Insoweit zu den Punkten 1. und 2. des Antrags (ersetzte Reisekosten und Aufwendungen des Vorsitzenden des Aufsichtsrats) die Sonderprüfung beantragt wurde, kann sich dies nur auf Reisekosten und Aufwendungen im Geschäftsjahr 2016 beziehen, weil nur für dieses Geschäftsjahr über die Entlastung abgestimmt wurde. Reisekosten und Aufwendungen in früheren Jahren könnten nur bei Beschlussfassung der Entlastung betreffend die früheren Jahre Gegenstand einer ad-hoc beantragten Sonderprüfung sein. Dass in der gegenständlichen Hauptversammlung auch für frühere Geschäftsjahre über die Entlastung des Aufsichtsrats abgestimmt worden wäre, hat die Klägerin nicht behauptet.

Gleiches gilt sinngemäß für die Punkte 3. und 4. des Antrags (Zuwendung aus Aktienoptionen, Verschleuderung stiller Reserven durch Aktienoptionen). Auch dabei kann es nur um Vorgänge im Geschäftsjahr 2016 gehen.

1.4. Dass die behauptete allfällige Kenntnis des Vorsitzenden des Aufsichtsrats vom Begehren der Klägerin auf Sonderprüfung bereits vor der Hauptversammlung die Anordnung des § 119 Abs 1 Satz 2 AktG nicht entkräften kann, bedarf keiner Erörterung.

2. Keine positive Beschlussfeststellung bei Anfechtbarkeit wegen Verfahrensverstößen

Die Revisionswerberin vertritt weiter die Ansicht, einer positiven Beschlussfeststellung stünde nur ein Verstoß gegen materielles Recht, somit ein inhaltlicher Mangel des Beschlusses entgegen. Die Frage, ob eine Beschlussfassung auch ohne Ankündigung in der Tagesordnung zulässig sei, betreffe jedoch das Verfahrensrecht.

Dem ist folgende Rechtsprechung entgegenzuhalten: In der Entscheidung 6 Ob 203/97i hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, eine positive Beschlussfeststellungklage könnte nur dann erfolgreich sein, wenn nur strittig ist, ob die von den anwesenden Gesellschaftern oder ihren Vertretern abgegebenen Stimmen gültig sind, nicht aber, wenn darüber hinausreichende, nicht nur die Abstimmung selbst – also die Abgabe einer Willenserklärung durch die Gesellschafter – betreffende Mängel vorliegen. Hier habe schon die Einberufung der Generalversammlung der GmbH nicht dem Gesetz entsprochen, eine Gesellschafterin sei wegen Verletzung ihres Rechts auf Teilnahme an der Generalversammlung als abwesend zu behandeln. Ein positives Beschlussfeststellungsurteil komme daher, unabhängig davon, ob ein Feststellungsinteresse der Kläger bestehe, jedenfalls nicht in Betracht (vgl auch RIS‑Justiz RS0109612; 6 Ob 169/16w).

Nach ständiger Rechtsprechung bewirken ua Einberufungsmängel und Ankündigungsmängel die Anfechtbarkeit eines Gesellschafterbeschlusses gemäß § 41 GmbHG (RIS‑Justiz RS0111765).

Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich für das GmbH-Recht eindeutig, dass auch ein Beschluss, mag dieser auch inhaltlich nach materiellem Recht unbedenklich sein, dann nicht erfolgreich Gegenstand einer positiven Beschlussfeststellungsklage sein könnte, wenn er wegen Verfahrensverstößen (nach dem GmbHG) anfechtbar wäre.

Im Aktienrecht ist die Interessenlage dieselbe, weshalb diese Grundsätze auch für die Aktiengesellschaft anzuwenden sind. Da – wie ausgeführt – der von der Klägerin begehrte Hauptversammlungsbeschluss wegen Verstoßes gegen § 119 Abs 1 Satz 2 AktG anfechtbar wäre, kann das Klagebegehren insoweit nicht erfolgreich sein.

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