OGH 6Ob181/59

OGH6Ob181/5910.6.1959

SZ 32/78

Normen

ABGB §786
ABGB §786

 

Spruch:

Der Ausmittlung des Pflichtteiles durch gerichtliches Urteil ist zwar die gerichtliche Schätzung des Nachlasses auf den Todestag zugrunde zu legen, jedoch sind auch Werterhöhungen bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz zu berücksichtigen.

Entscheidung vom 10. Juni 1959, 6 Ob 181/59.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Kläger begehrten die Zahlung von je 55.947 S 17 g samt 4% Zinsen seit dem Klagstag als den ihnen aus der Verlassenschaft ihrer Mutter Anna H. zustehenden Pflichtteil.

Die Beklagte bestritt nicht das Pflichtteilsrecht der Kläger im Ausmaß von je einem Sechstel des reinen Nachlasses, wendete aber ein, daß der Wert der Nachlaßliegenschaften von den Klägern zu hoch angenommen werde. Sie habe den Klägern als Pflichtteil den Betrag von insgesamt 40.000 S angeboten, doch sei das Anbot von den Klägern abgelehnt worden.

Außer Streit wurde gestellt, daß kein Pflichtteil ausgezahlt und auch ein Betrag für die Pflichtteile bei Gericht erlegt wurde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit dem Teilbetrag von je 34.679 S 66 g unter Vernachlässigung des Zinsenbegehrens statt und wies das Mehrbegehren ab. Es stellte fest, daß der Beklagten der Nachlaß nach ihrer Mutter als Alleinerbin eingeantwortet sei und die Beklagte dadurch das Eigentum an den Nachlaßliegenschaften EZ. 1030 Grundbuch M. mit den Grundstücken 306, 497/2, 521/8, 809/1 und 809/2 (zusammen 3266 m2) und EZ. 223 Grundbuch E. (7532 m2) erworben habe. Der übrige Nachlaß bestehe abzüglich der noch bestrittenen Passiven in einem Vermögenswert von 12.498 S. Die Liegenschaften seien für den Stichtag vom 7. Oktober 1955 (Abhandlungsverfahren) mit 120.688 S und bei der im gegenständlichen Verfahren zuletzt vorgenommenen Schätzung vom 21. Juni 1958 mit 195.580 S geschätzt worden. Der Berechnung des Pflichtteiles sei der für den Stichtag 21. Juni 1958 ermittelte Schätzwert der Liegenschaft zugrunde zu legen, da die Pflichtteilsberechtigten nach § 786 ABGB. bis zur Befriedigung ihrer Ansprüche an dem Zuwachs und der Minderung teilhätten. Zum Wert der Liegenschaft von 195.580 S komme der Wert des übrigen Nachlasses abzüglich der strittigen Forderung von 20.000 S, sohin noch 18.298 S hinzu, woraus sich die Aktiven im Wert von 213.878 S ergäben. Hievon seien die Passiven im Betrage von 5800 S abzuziehen, so daß sich ein reiner Nachlaß von 208.078 S ergebe. Der Pflichtteil eines jeden der beiden Kläger im Ausmaß von je einem Sechstel des reinen Nachlasses betrage demnach 34.679 S 66 g. Das Mehrbegehren sei daher abzuweisen gewesen.

Der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung wurde in der Hauptsache nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht, welches die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes zur Gänze übernahm, vertrat den Standpunkt, der Pflichtteilsberechnung sei zwar die Schätzung auf den Todestag zugrunde zu legen, doch müßten die Wertänderungen bis zur wirklichen Zuteilung berücksichtigt werden, da nach § 786 ABGB. bis zu dieser Zeit die Verlassenschaft in Ansehung des Gewinnes und der Nachteile als ein zwischen den Haupt- und Noterben verhältnismäßig gemeinschaftliches Gut zu betrachten sei. Die Gemeinschaft bestehe aber nicht in der Substanz des Nachlasses, sondern nur in Ansehung der Gewinne und Verluste (Riskengemeinschaft). Diese Gemeinschaft werde mit der "wirklichen Zuteilung" beendet. Unter "wirklicher Zuteilung" sei keine Realteilung, sondern die Festsetzung dessen zu verstehen, was den Pflichtteilsberechtigten gebühre. Mit der Einantwortung des Nachlasses an den Erben finde keine Festsetzung des Pflichtteiles statt. Die Festsetzung falle aber auch nicht mit der Auszahlung, der wirklichen Berichtigung des Pflichtteiles, zusammen. Die Festsetzung könne durch eine Vereinbarung der Haupt- und Noterben erfolgen. Komme es aber, wie im vorliegenden Fall, zu keiner Einigung, dann erfolge die Festsetzung erst durch das Urteil über den Pflichtteilsanspruch. Der Zeitpunkt der wirklichen Zuteilung sei demnach der Schluß der mündlichen Verhandlung. Das Erstgericht habe daher der Pflichtteilsausmittlung zutreffend die Bewertung der Liegenschaften für den Stichtag 21. Juni 1958 (zuletzt vorgenommene Schätzung) zugrunde gelegt, da gar nicht vorgebracht wurde, daß von dieser Zeit bis zum Schluß der mündlichen Streitverhandlung am 11. November 1958 eine wesentliche Änderung des Wertes eingetreten sei. Die vom Erstgericht zugrunde gelegte Höhe der übrigen Aktiven und Passiven sei nicht bekämpft worden. Das Erstgericht habe daher die Pflichtteile richtig errechnet.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsausführungen der Beklagten sind nicht geeignet, die mit Lehre und Rechtsprechung übereinstimmende Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes hinsichtlich des für die Ausmittlung des Pflichtteiles maßgeblichen Zeitpunktes der "wirklichen Zuteilung" (§ 786 ABGB.) zu widerlegen.

§ 786 Abs. 2 ABGB. bestimmt, daß die Verlassenschaft bis zur wirklichen Zuteilung in Ansehung von Gewinn und Nachteilen als ein zwischen den Haupt- und Noterben verhältnismäßig gemeinschaftliches Gut anzusehen ist. Das Hofdekret vom 27. März 1847, JGS. Nr. 1051, wiederholt dies und gibt dem Pflichtteilsberechtigten das Recht, für den erwähnten Zeitraum Rechnungslegung zu fordern. Damit will also der Gesetzgeber sagen, daß Gewinn und Nachteil, die den Nachlaß in der Zeit zwischen dem Todestag des Erblassers und der wirklichen Zuteilung treffen, bei der Pflichtteilsermittlung zu berücksichtigen sind, so beispielsweise Kursverluste an den zum Nachlaß gehörigen Wertpapieren. Daß der Ausmittlung des Pflichtteiles die gerichtliche Schätzung des Nachlasses auf den Todestag zugrunde zu legen ist, schließt die Berücksichtigung mittlerweiliger Wertänderungen nicht aus. Die Unterstellung der Rechtslage unter den Gesichtspunkt der Gemeinschaft hat jedoch nicht die Bedeutung, daß die etwaige Überlassung der Besorgung und Verwaltung des Nachlasses (§ 810 ABGB.) oder gar die Einantwortung gemeinsam an den Erben und den Pflichtteilsberechtigten zu erfolgen hätte. Wesentlich ist, daß der Pflichtteilsberechtigte an dem Besitz und der Verwaltung der gemeinschaftlichen Sache (§ 833 ABGB.) keinen Anteil hat und daß er sich nach Aufhebung der Gemeinschaft einer Teilung der Sache zu widersetzen nicht berechtigt ist (§ 841 ABGB.). Er muß also die Zuteilung auf der Grundlage des sich zu diesem Zeitpunkt ergebenden Nachlaßwertes entgegennehmen. Demgemäß sind von den Bestimmungen der §§ 830 ff. ABGB. über die Rechte des Teilhabers auf das Verhältnis zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten nur die Gewährung des Rechtes auf Rechnungslegung, nicht aber über die Verwaltung und Teilung der Gemeinschaft (§§ 833, 841 ABGB.) anwendbar. Dennoch kann im Sinne des vorzitierten Hofdekretes, welches die Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten durch Berufung auf §§ 830, 837 ABGB. umschreibt, unter "wirklicher Zuteilung" nur die Beendigung des Gemeinschaftsverhältnisses im Verhältnis zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten im Sinne der für Teilung gemeinschaftlicher Sachen bestehenden Grundsätze verstanden werden. Es kommt daher nicht auf die Ausschüttung (Auszahlung, wirkliche Entrichtung) an, sondern es ist "wirkliche Zuteilung" gleichbedeutend mit der Festsetzung dessen, was dem Pflichtteilsberechtigten wirklich (effektiv) aus dem Nachlaß gebührt, also die ziffernmäßige Feststellung des Pflichtteiles durch gerichtliche Entscheidung oder Vergleich (vgl. Ehrenzweig 3. Aufl. II/2 S. 57 Anm. 29 a; Klang 2. Aufl. III 917 ff.; 2 Ob 86/56). Da Wertveränderungen in der Zeit zwischen der im gegenständlichen Verfahren vorgenommenen letzten Schätzung (21. Juni 1958) und dem Verhandlungsschluß erster Instanz (11. November 1958) nicht behauptet wurden, haben die Vorinstanzen der Ausmittlung des Pflichtteiles zutreffend die Bewertung der Liegenschaften bei der Schätzung vom 21. Juni 1958 zugrunde gelegt.

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