OGH 6Ob159/12v

OGH6Ob159/12v16.11.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache des am 9. April 2009 verstorbenen V***** K***** über den Revisionsrekurs des Erben F***** K*****, vertreten durch Mag. Georg Ammann, Rechtsanwalt in Frohnleiten, wegen Bestimmung eines Anerben, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 3. Mai 2012, GZ 5 R 70/12v‑106, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Frohnleiten vom 18. Oktober 2011, GZ 11 A 82/11w‑100, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) ‑ Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob eine weit zurückliegende und jahrzehntelang nicht praktizierte, nicht mehr zeitgemäße und nicht dem Stand der Technik und den Bedürfnissen einer modernen Land‑ und Forstwirtschaft entsprechende land‑ und forstwirtschaftliche Ausbildung des ansonsten heranzuziehenden älteren Anerben auch bei Vorhandensein weiterer, über eine aktuellere, auch allenfalls umfassendere land‑ und forstwirtschaftliche Ausbildung (durch regelmäßiges praktisches Arbeiten am Erbhof auch noch nach der Kinder‑ und Jugendzeit) verfügender potenzieller Anerben zur Berücksichtigung des älteren Anwärters führt.

1. Im Revisionsrekursverfahren ist nicht mehr strittig, dass sowohl der Sohn als auch die Tochter des Erblassers iSd § 3 Abs 1 AnerbenG a) auf dem Erbhof aufwuchsen, b) zur Land- und Forstwirtschaft erzogen wurden und c) anderweitig versorgt sind. Damit kommen die subsidiären Regeln des § 3 Abs 2 AnerbenG zur Anwendung (6 Ob 2403/96t). Da beide potenziellen Anerben Kinder des Erblassers sind und in der Steiermark Jüngstenrecht nicht besteht, gilt nach § 3 Abs 2 Z 2 Satz 1 AnerbenG Ältestenrecht. Dies haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt. Damit ist aber die Tochter zur Anerbin zu bestimmen.

2.1. Der Sohn sieht insoweit einen Vorteil für sich selbst in dem Umstand begründet, als die Tochter seit ihrem 20. Lebensjahr (demnach seit rund 44 Jahren) den Erbhof nicht mehr aufgesucht hat, während er selbst bis in die Gegenwart einen Großteil seiner Freizeit dort verbracht habe und bei der Betriebsführung behilflich gewesen sei. Allerdings finden sich in § 3 AnerbenG keine Anhaltspunkte dafür, dass jenseits der dort ausdrücklich aufgezählten Kriterien, die der Gesetzgeber als für die Bestimmung des Anerben maßgeblich erachtete, eine Entscheidungsbefugnis des Gerichts dahin bestünde, den fähigeren Anerben zu bestimmen. Dass der fähigste Nachkomme Anerbe wird, ist nämlich bereits durch das Kriterium der Erziehung zur Land- und Forstwirtschaft gewährleistet (Fellner, Zur Novellierung des Anerbengesetzes, NZ 1990, 294; Ferrari in Ferrari/Likar-Peer, Erbrecht [2007] 99 FN 265). Dieser Auffassung steht auch die im Revisionsrekurs zitierte Entscheidung 6 Ob 212/07f nicht entgegen: Dort ging es nicht um die Frage der Befähigung der beiden potenziellen Anerben, sondern darum, ob sie die Erhaltung des Erbhofs als Ganzes beabsichtigen bzw auch gewährleisten können.

2.2. Eine derartige Entscheidungsbefugnis des Gerichts sieht § 3 AnerbenG nur in dem Fall vor, dass ‑ bei ansonsten gleichen Voraussetzungen ‑ die potenziellen Anerben gleich alt sind. Dann ist nach § 3 Abs 2 Z 2 Satz 3 AnerbenG derjenige zum Anerben zu bestimmen, der als Landwirt am fähigsten ist oder zu werden verspricht. Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben, besteht doch zwischen den Geschwistern ein Altersunterschied von rund 19 Monaten, während „gleiches Alter“ Geburt am selben Tag oder aufgrund einer Zwillings‑ oder Mehrlingsgeburt bedeutet (Kralik, Das Erbrecht³ [1983] 380; Kathrein, Anerbenrecht [1990] § 3 Anm 23; vgl EB, zit bei Edlbacher, Das Anerbengesetz [1961] 29 [„nicht sehr häufiger Fall“] und Probst in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge § 6 Rz 43 [„wohl selten vorkommender Fall“]). Eine Auslegung dieser Bestimmung dahin, dass bei „annähernd gleichem Alter“ die Frage der Befähigung der potenziellen Anerben zu prüfen wäre, verbietet ihr Wortlaut; im Übrigen könnte ja auch bei einem deutlichen Altersunterschied der andere Anwärter fähiger sein.

2.3. Der Hinweis des Revisionsrekurses auf die zwischenzeitig gestiegene Lebenserwartung und das damit regelmäßig verbundene höhere Alter der potenziellen Anerben sowie eine damit entstandene „Regelungslücke im Höferecht“ muss sich an den Gesetzgeber richten.

3. Da sich das Rekursgericht auf eine eindeutige Gesetzeslage gestützt hat, liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor; der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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