OGH 6Ob157/61

OGH6Ob157/6112.4.1961

SZ 34/56

Normen

ABGB §184a
AußStrG §9
ABGB §184a
AußStrG §9

 

Spruch:

Die Amtswegigkeit der Aufhebung der Adoption wegen ernstlicher Gefährdung des Wohles des Wahlkindes schließt das Antrags- und Beschwerderecht der Beteiligten nicht aus.

Entscheidung vom 12. April 1961, 6 Ob 157/61.

I. Instanz: Bezirksgericht Innsbruck; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Die Eheleute Karl und Albina G. haben die mj. Elfriede W. mit einem beim Stadtjugendamt 1. am 9. Juni 1956 abgeschlossenen, vom Erstgericht bestätigten Adoptionsvertrag an Kindesstatt angenommen. Das Wahlkind erhielt dadurch den Familiennamen G. Am 19. August 1960 hat der Wahlvater beim Erstgericht unter gleichzeitig erklärter Zustimmung der leiblichen Eltern des Wahlkindes "gemäß § 184a Z. 3 AsGs." die Aufhebung der Wahlkindschaft beantragt, da seine Gattin am 2. September 1958 gestorben sei und er allein für das Wohl des Wahlkindes nicht sorgen könne. Das Wahlkind hat einen gleichlautenden Antrag gestellt und wurde von seinen leiblichen Eltern nach Deutschland in deren Wohnsitz im Saargebiet mitgenommen. Das Stadtjugendamt I. hat die Richtigkeit der Angaben des Wahlvaters bestätigt. Die leibliche Mutter hat allerdings später in einem Schreiben vom 7. Oktober 1960 wegen Erziehungsschwierigkeiten mit der Minderjährigen gebeten, die Auflösung des Adoptionsvertrages zu verhindern.

Das Erstgericht hat den Antrag des Wahlvaters, "gemäß § 184a Abs. 1 Z. 2 ABGB." die Wahlkindschaft aufzuheben, abgewiesen, da eine ernstliche Gefährdung gemäß Art. IV § 2 Abs. 2 des G. vom 17. Februar 1960, BGBl. Nr. 58, nicht vorliege, im Gegenteil, die Aufrechterhaltung der Wahlkindschaft für die Minderjährige vorteilhafter sei.

Das Rekursgericht hat dem Rekurs des Wahlvaters keine Folge gegeben und aus Anlaß dieses Rekurses den erstgerichtlichen Beschluß in der Weise abgeändert, daß der Antrag des Wahlvaters auf Aufhebung der Wahlkindschaft zurückgewiesen wurde. Nach § 184a ABGB. (neue Fassung), der Anwendung finde, sei der Wahlvater nur gleichzeitig mit dem eigenberechtigten Wahlkind zu einem Aufhebungsantrag legitimiert. Wegen der Minderjährigkeit des Wahlkindes im gegenständlichen Fall hätte daher das Erstgericht den Antrag des Wahlvaters mangels Legitimation zurückweisen müssen. Die erstgerichtliche Entscheidung sei daher auf Zurückweisung des Antrages des Wahlvaters abzuändern, was zur Folge habe, daß der Rekurs des Wahlvaters gegen den erstgerichtlichen Abweisungsbeschluß erfolglos bleiben müsse. Das Erstgericht werde aber noch über den Antrag des Wahlkindes zu entscheiden haben, für das ein Kollisionskurator zu bestellen sei. Zu dieser Entscheidung seien noch weitere Erhebungen nötig, insbesondere in der Richtung, ob das geistig zurückgebliebene Wahlkind nicht jedenfalls in einem Heim untergebracht werden müsse; das Wahlkind sei neuerlich zu vernehmen, und die Lebensverhältnisse sowohl des Wahlvaters als auch der leiblichen Eltern des Wahlkindes seien genau festzustellen.

Der Oberste Gerichtshof hob die untergerichtlichen Beschlüsse auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Da das Rekursgericht nicht sachlich entschieden, sondern aus formellen Gründen eine Sachentscheidung abgelehnt hat - in richtiger Verfolgung seines Standpunktes hätte das Rekursgericht den Rekurs des Wahlvaters oder unter Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses den Antrag des Wahlvaters zurückweisen müssen, doch sind die Gründe des rekursgerichtlichen Beschlusses für die Auslegung des verfehlten Spruches heranzuziehen (SZ. XXV 121 u. a.) -, liegt keine bestätigende zweitinstanzliche Entscheidung vor, die nur aus den im § 16 Abs. 1 AußStrG. angeführten Gründen bekämpft werden könnte (SZ. XIII 278, SZ. XVIII 54 u. a.).

Das Rekursgericht hat die Legitimation des Wahlvaters zu Unrecht verneint. Zunächst ist dem Revisionsrekurs darin beizustimmen, daß gemäß Art. IV § 2 des G. BGBl. Nr. 58/1960 eine auf Grund der bis dahin geltenden Vorschriften begrundete Wahlkindschaft auch in Zukunft nach den bis dahin geltenden Vorschriften aufgehoben werden kann. Das neue Adoptionsrecht soll nach der Vorschrift des Art. IV § 2 des G. BGBl. Nr. 58/1960 nur auf solche Kindesannahmen anwendbar sein, deren Bewilligung nach dem Inkrafttreten des neuen Adoptionsrechtes am 1. Juli 1960 beantragt wird. Nur in einem einzigen Ausnahmefall soll die Neuordnung zurückwirken, nämlich dann, wenn eine nach dem früheren Recht begrundete Wahlkindschaft sich so gestaltet hat, daß das Wohl des minderjährigen Wahlkindes ernstlich gefährdet ist. In diesem einzigen Ausnahmefall soll die Anwendung des neuen Gesetzes, nämlich die Aufhebung der Wahlkindschaft nach § 184a Abs. 1 Z. 2 ABGB. (neue Fassung), eintreten (Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage, Nr. 107 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, IX. GP.). Da die gegenständliche Wahlkindschaft nach den vor dem 1. Juli 1960 geltenden Vorschriften begrundet wurde, kann sie daher auch nach diesen Vorschriften, also gemäß § 185 ABGB. (alte Fassung), durch Vertrag aufgehoben werden, und der Wahlvater ist nach diesen Vorschriften legitimiert, die Einwilligung des Gerichtes zur Aufhebung der Kindesannahme zu beantragen. Dem tut im vorliegenden Fall keinen Eintrag, daß der Wahlvater die Aufhebung "gemäß § 184a Z. 3 ABGB." (also offenbar nach der novellierten Fassung des Gesetzes) beantragt hat, da im Außerstreitverfahren die unrichtige rechtliche Begründung eines Antrages nicht schaden kann, zumal wenn der Antrag durch eine rechtsunkundige, nicht durch einen Rechtskundigen vertretene Partei gestellt worden ist, wobei darauf hinzuweisen ist, daß im erstrichterlichen Spruch schon eine andere Gesetzesstelle als die im Antrag angeführte bezogen ist. Überdies ist auch die Legitimation des Wahlvaters zur Antragstellung auf Aufhebung der Wahlkindschaft gemäß Art. IV § 2 Abs. 2 des G. BGBl. Nr. 58/1960 in Verbindung mit § 184a Abs. 1 Z. 2 ABGB. (neue Fassung) zu bejahen. Wenn in der zuletzt angeführten Gesetzesstelle verfügt wird, daß die Aufhebung der Wahlkindschaft von Amts wegen zu erfolgen habe, bedeutet dies nach Sinn und Zweck dieser Gesetzesstelle nicht nur, daß das Gericht das Recht hat, ohne Antragstellung einzuschreiten, sondern auch, daß das Gericht die Pflicht hat, einzuschreiten, ohne eine Antragstellung abzuwarten, wobei jedem Beteiligten offenstehen muß, das Gericht durch Antragstellung zur Erfüllung seiner Pflicht zu veranlassen, so wie die Parteieigenschaft und damit das Rechtsmittelrecht im grundsätzlich amtswegigen Außerstreitverfahren allen Personen zukommen, die ein rechtliches Interesse an der verhandelten Angelegenheit haben (SZ. XXIV 284 u. a.). Daß der Wahlvater an der Entscheidung, ob die Wahlkindschaft aufzuheben ist oder nicht, ein rechtliches Interesse hat, kann nicht bezweifelt werden, da er durch diese Entscheidung allenfalls von seinen aus der Wahlkindschaft entspringenden Pflichten befreit wird. Dazu kommt noch, daß im vorliegenden Fall mangels abweichender Regelung im Adoptionsvertrag gemäß § 152, §§ 183 f. ABGB. (alte Fassung) der Wahlvater der gesetzliche Vertreter des minderjährigen Wahlkindes und als solcher verpflichtet ist, auch die Rechte des Wahlkindes so lange zu wahren, bis für das Wahlkind ein besonderer Kurator ernannt ist.

Da das Rekursgericht die sachliche Entscheidung über den Rekurs des Wahlvaters zu Unrecht unterlassen hat, kann der Oberste Gerichtshof sachlich entscheiden, ohne vorher den Beschluß des Rekursgerichtes aufheben zu müssen (SZ. XXIII 87, SZ. XXIII 390 u. a.).

Nach dem vor dem 1. Juli 1960 geltenden, somit im allgemeinen auf diese Wahlkindschaft anwendbaren Recht (§ 185 ABGB. (alte Fassung)) bedarf es zur Aufhebung der Kindesannahme eines Vertrages, der zwischen dem Wahlvater und - da, wie erwähnt, im vorliegenden Fall der Wahlvater der gesetzliche Vertreter des Wahlkindes ist - einem gemäß § 271 ABGB. für das Wahlkind zu bestellenden besonderen Kurator hätte abgeschlossen werden müssen (Klang 2. Aufl. I/2 S. 280 Anm. 5). Wenn der Antrag des Wahlvaters als Antrag auf gerichtliche Genehmigung eines solchen Vertrages angesehen würde, ginge er schon mangels Vorliegens eines solchen mit einem besonderen Kurator abgeschlossenen Aufhebungsvertrages ins Leere.

Die Entscheidung, ob die Wahlkindschaft nach § 184a Abs. 1 Z. 2 ABGB. (neue Fassung) in Verbindung mit Art. IV § 2 Abs. 2 des G. BGBl. Nr. 58/1960 aufzuheben ist, ist bei dem derzeitigen Stand des vorliegenden Verfahrens noch nicht möglich. Von einer ernstlichen Gefährdung des minderjährigen Wahlkindes durch die Aufrechterhaltung der Wahlkindschaft im Sinne der angeführten Gesetzesstelle könnte jedenfalls dann nicht gesprochen werden, wenn durch die Aufhebung der Wahlkindschaft für das minderjährige Wahlkind eine gleich große oder eine noch größere Gefahr entstunde. Wenn nach dem Bericht des Stadtjugendamtes I. auch schon angenommen werden kann, daß bei Aufrechterhaltung der Kindesannahme das Wahlkind das für seine Entwicklung wichtige Aufwachsen inmitten eines geordneten Familienlebens entbehren müßte, kann anderseits noch nicht verläßlich beurteilt werden, welche Gefahren dem Wohl des Wahlkindes bei Aufhebung der Adoption drohen würden. In diesem Punkte hat sich das Erstgericht bei Begründung seiner abweislichen Entscheidung lediglich auf das Schreiben der leiblichen Mutter des Wahlkindes vom 7. Oktober 1960 und auf die Mitteilung des Stadtjugendamtes, der dasselbe oder ein ähnliches Schreiben der leiblichen Mutter des Wahlkindes zugrunde liegt, berufen. Das tatsächliche Vorbringen der leiblichen Mutter des Wahlkindes in ihren Briefen erscheint aber für sich allein, ohne jede Überprüfung, nicht als eine genügend verläßliche Grundlage für die Entscheidung der erwähnten Tatfrage, und das Erstgericht wird daher das Verfahren in der im rekursgerichtlichen Beschluß angegebenen Richtung zu ergänzen haben.

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