Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 350.000 S samt 4 % Zinsen seit 1. 1. 1993 zu zahlen.
Die beklagte Partei hat der klagenden Partei nachstehende Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen:
an Kosten des Verfahrens erster Instanz 71.578,50 S (darin 10.379,25 S Umsatzsteuer), an Kosten des Berufungsverfahrens 26.734 S (darin 4.449 S Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens 16.020 S (darin 2.670 S Umsatzsteuer).
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. 6. 1994, 6 c E Vr 6353/94, Hv 3821/94-49, wurde der Beklagte wegen des Vergehens der Unterlasung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB zu sechs Monaten Freiheitsstrafe bedingt für eine Probezeit von drei Jahren verurteilt. Er hat es am 5. 6. 1992 in Wien mit dem Vorsatz, daß eine mit Strafe bedrohte Handlung, nämlich ein Einbruchsdiebstahl beim Kläger begangen werde, unterlassen, die unmittelbar bevorstehende Ausführung (der Tat) zu verhindern. Der Kläger, der sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter angeschlossen hatte, wurde mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Der Kläger begehrt unter Hinweis auf diese Verurteilung vom Beklagten 350.000 S. Er brachte zunächst vor, der Beklagte habe diesen Betrag im Zuge eines Einbruchdiebstahls gemeinsam mit weiteren Komplizen in der Wohnung des Klägers gestohlen und sei deswegen strafgerichtlich verurteilt worden. Er hafte als Mittäter. Schließlich brachte der Kläger vor (ON 16), den Beklagten habe eine Verhinderungspflicht getroffen, er habe den unmittelbaren Tätern Tips zur Ausführung des Einbruchsdiebstahls gegeben.
Der Beklagte beantragte Klageabweisung. Im Zuge des wegen eines Einbruchdiebstahls in die Wohnung des Klägers anhängig gewesenen Strafverfahrens habe sich herausgestellt, daß er nicht daran beteiligt gewesen sei. Er sei auch nicht wegen Beteiligung am Einbruchsdiebstahl verurteilt worden. Auch habe er keinen Anteil am Diebsgut erhalten. Sein Verhalten sei für den eingetretenen Schaden weder kausal gewesen noch bestehe ein Rechtswidrigkeitszusammenhang.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, der Kläger habe am 2. 5. 1992 (richtig wohl 2. 6. 1992) von zwei Sparbüchern insgesamt 353.996 S abgehoben und in einem Kleiderkasten seiner Wohnung deponiert; er habe beabsichtigt, diese Ersparnisse am darauffolgenden Freitag mit nach Jugoslawien zu nehmen. Das Versteck habe er dann der Zorica oder dem Zoran D***** oder dessen Vater verraten. Der Beklagte habe am 4. 6. 1992 durch seinen Bruder Zoran D***** von diesem Geldbetrag erfahren. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte seinem Bruder Tips für einen Einbruchsdiebstahl in die Wohnung des Klägers gegeben oder einen solchen angeregt habe. Am 5. 6. 1992 habe der Beklagte seinen Bruder und zwei weitere Männer in der Nähe des klägerischen Wohnhauses getroffen, sein Bruder habe ihm mitgeteilt, daß ein Einbruch in die Wohnung des Klägers geplant sei und unmittelbar bevorstehe. Es könne nicht festgestellt werden, was der Beklagte darauf erwidert habe. Er habe sich daraufhin in die Wohnung seiner Eltern begeben und von dort aus beobachtet, wie sein Bruder mit den beiden anderen Personen das Stiegenhaus, in dem sich die Wohnung des Klägers befunden habe, betreten haben. Der Beklagte habe daraufhin die Wohnung seiner Eltern verlassen und sich nach Hause begeben. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte die Polizei oder den Kläger verständigt hätte. In der Zeit zwischen 11,00 und 12,00 Uhr dieses Tages sei es tatsächlich zu einem Einbruch in die Wohnung des Klägers gekommen, es seien 350.000 S gestohlen worden, wobei die Diebe nur das Versteck im Kasten gezielt aufgesucht und durchsucht hätten. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Beklagte einen Anteil am Diebsgut gefordert oder angenommen hätte.
Rechtlich verneinte das Erstgericht eine (Mit)Haftung des Beklagten. Er habe sich am Einbruchsdiebstahl weder beteiligt, noch zu diesem angestiftet, noch einen Anteil der Diebsbeute gefordert oder angenommen. Für einen aus der Verurteilung des Beklagten nach § 286 Abs 1 StGB abgeleiteten Schadenersatzanspruch fehle es an einem entsprechenden Parteivorbringen.
Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe seine Ersatzansprüche (auch) auf die Verletzung einer Verhinderungspflicht gestützt, die Feststellungen über seine strafgerichtliche Verurteilung nach § 286 StGB seien somit in seinem Vorbringen noch gedeckt. Nach diesem rechtskräftigen Strafurteil stehe fest, daß der Beklagte es mit dem Vorsatz, daß der Einbruchsdiebstahl beim Kläger begangen werde, unterlassen habe, die unmittelbar bevorstehende Ausführung der Tat zu verhindern. Daran sei das Zivilgericht gebunden. Auch die Höhe des entstandenen Schadens stehe fest. Fraglich sei nur mehr, ob der Beklagte für diesen Schaden nach § 286 StGB haftbar gemacht werden könne. Während die Verletzung der besonderen Pflicht, ein bestimmtes Gut gegen verbrecherische Angriffe zu stützen, nach den allgemeinen Bestimmungen über Mitschuld an nicht gehinderten Verbrechen zu beurteilen sei, sei die Verletzung der allgemeinen, jedermann treffenden Pflicht, verbrecherisches Unrecht zu verhüten, § 286 StGB zu unterstellen. Für diese Unterscheidung sei somit maßgeblich, ob der (Unterlassungs-)Täter in bezug auf das angegriffene Schutzobjekt Garantenstellung im Sinn des § 2 StGB habe. Der Beklagte könne im Falle einer Verletzung des § 286 StGB - wie hier - nur dann zur zivilrechtlichen Haftung herangezogen werden, wenn man diese Bestimmung als Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB ansehe, was aber dann ausscheide, wenn die betreffende Norm nur eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit anordne. Dies sei hier der Fall.
Selbst wenn man den Schutzgesetzcharakter des § 286 StGB bejahen wollte, bestünde der Schadenersatzanspruch aus der Haupttat nur gegenüber den unmittelbaren Tätern und somit außerhalb des Schutzzwecks der verletzten Norm. Es fehle damit an einem Rechtswidrigkeitszusammenhang. Der Beklagte hafte jedenfalls nicht für Schäden aus der Haupttat.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob § 286 StGB ein Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB sei und ob ein danach Verurteilter zivilrechtlich auch für den Schaden aus der Haupttat hafte, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Der Kläger macht in seiner Revision geltend, er habe seinen Anspruch auch auf die Verletzung einer den Beklagten treffenden Verhinderungspflicht gestützt. Der Beklagte habe gegen § 286 StGB verstoßen, eine Bestimmung, die in erster Linie jenes Rechtsgut schützen soll, das durch die fremde Straftat bedroht wird. Die Übertretung dieser Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB mache den Beklagten für den durch die Übertretung verursachten Schaden (den die Schutznorm gerade habe verhindern wollen) haftbar.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Der Kläger hat seinen Anspruch - wenngleich mit der Behauptung, der Beklagte habe Tips zur Ausführung des Einbruchsdiebstahls gegeben - auf die Verletzung einer den Beklagten treffenden Verhinderungspflicht gestützt und sich unter anderem auf das gegen den Beklagten rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren bezogen, das seine Verurteilung wegen vorsätzlicher Nichtverhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung ergab. Das Vorbringen des Klägers in erster Instanz läßt daher im Zusammenhang mit der strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten eine Beurteilung seines Verhaltens aus dem Blickwinkel einer Schutzgesetzverletzung (noch) zu.
Die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten und deren Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren ist nicht strittig (zur Bindungswirkung SZ 68/195; Albrecht, Probleme der Bindung an strafgerichtliche Verurteilungen im Zivilverfahren ÖJZ 1997, 201 ff). Es ist daher davon auszugehen, daß der Beklagte den im Strafverfahren als erwiesen angenommenen konkreten Sachverhalt verwirklicht hat. Danach hat er es mit dem Vorsatz, daß eine mit Strafe bedrohte Handlung, nämlich ein Einbruchsdiebstahl beim Kläger begangen werde, unterlassen, die unmittelbar bevorstehende Ausführung der Tat zu verhindern.
Während die Verletzung der besonderen Pflicht, ein bestimmtes Gut gegen verbrecherische Angriffe zu schützen, nach den allgemeinen Bestimmungen über die Mitschuld an nicht gehinderten Verbrechen beurteilt wird (§ 12 StGB), statuiert § 286 StGB als echtes Unterlassungsdelikt eine jedermann treffende Verhinderungspflicht, sobald eine mit Strafe bedrohte Handlung unmittelbar bevorsteht oder schon begonnen hat (RIS-Justiz RS0089488). Dem an der Tat unbeteiligten Dritten wird geboten, die Ausführung der Tat selbst zu verhindern oder ihre Verhinderung durch Mitteilung an den Bedrohten oder an eine Behörde zu ermöglichen (Hinterhofer, Zum Anwendungsbereich des § 286 StGB ÖJZ 1995, 495 ff).
Der Beklagte vermeint nun, § 286 StGB bezwecke vorrangig den Schutz des öffentlichen Friedens und trage nur am Rande dazu bei, den Eintritt von Vermögensschäden zu verhindern. Demgegenüber vertreten Lehre und Rechtsprechung zu § 286 StGB (Steininger in Wiener Kommentar zum StGB Rz 2 zu § 286; Leukauf/Steininger, StGB3 Rz 1 zu § 286; EvBl 1983/176) vertreten die Auffassung, diese Bestimmung - wenngleich in den 20. Abschnitt des besonderen Teiles eingeordnet - bezwecke nur am Rande den Schutz des öffentlichen Friedens, sie solle jedoch in erster Linie jenes Rechtsgut schützen, das durch die fremde Straftat bedroht werde. Die Strafbarkeit der Nichtverhinderung sei nämlich davon abhängig, daß diese Straftat zumindest versucht werde; tragender Strafgrund sei demnach die darin gelegene Gefährdung des Rechtsgutes, gegen das die Straftat gerichtet sei. Damit werde aber auch klargestellt, daß die Unterlassung der Verhinderung einer Straftat kein Angriff auf die Rechtspflege sei; es handle sich vielmehr um eine sachliche Begünstigung anderer Straftäter durch einen an sich unbeteiligten Dritten, der durch vorsätzliches Nichthindern deren Tatbegehung ermögliche.
Auch Karollus (Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung 217) erblickt in Straftatbeständen nur vordergründig das Recht des Staates, Strafgewalt auszuüben. Dahinter verberge sich in Wahrheit ein strafrechtlich relevantes Verhaltensgebot. Für die schadenersatzrechtliche Anknüpfung stehe fest, daß den Straftatbeständen unmittelbar Verhaltenspflichten zu entnehmen seien, die als Bezugsnormen unter anderem für § 1311 Satz 2 Fall 2 ABGB in Betracht kämen.
Objektive Bedingungen der Strafbarkeit bestimmen nach Auffassung der Lehre (Karollus aaO 225 f) weder ein Unrechtsurteil noch sind sie Bestandteil des Verhaltenstatbestandes oder des Schuldbezuges. Sie legen vielmehr fest, unter welchen zusätzlichen Voraussetzungen eine an sich strafwürdige Tat als strafbar erklärt wird. Der Umstand, daß § 286 StGB nur die vorsätzliche Nichtverhinderung von mit mehr als einem Jahr bedrohten strafbaren Handlungen unter Strafe stellt und in seinem Absatz 2 besondere Strafausschließungsgründe regelt, steht somit dem von der Lehre als vorrangig angesehenen Zweck des § 286 StGB (Schutz des durch die strafbare Handlung bedrohten Rechtsgutes) nicht entgegen.
Diese Erwägungen machen deutlich, daß § 286 StGB - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes - nicht nur eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung gegenüber der Allgemeinheit anordnet (mit Strafe bedrohte Handlungen zu verhindern), sondern - und vor allem - einen individuellen Schutzzweck gegenüber demjenigen verfolgt, der durch die strafbare Handlung in seinen geschützten Rechten bedroht wird. Er soll durch diese Bestimmung vor der durch eine unmittelbar bevorstehende oder schon begonnene strafbare Handlung zu befürchtende Verletzung seiner Rechtsgüter geschützt werden, zumal die in der vorsätzlichen Nichtverhinderung gelegene sachliche Begünstigung des Täters durch den unbeteiligten Dritten die Tatbegehung erst ermöglicht. Wurde eine Vorschrift auch zum Schutz von Individualinteressen erlassen, genügt dies grundsätzlich zur Bejahung des Schutzgesetzcharakters (SZ 68/242). Dies ist hier der Fall: § 286 StGB soll bestimmte (bzw nach der jeweils bevorstehenden Straftat bestimmbare) Personen vor der Verletzung ihrer Rechtsgüter (zu denen - wie hier - auch Vermögensrechte zählen können, vgl Harrer in Schwimann, ABGB2 Rz 6 zu § 1311) schützen (Harrer aaO Rz 6 und 7; 3 Ob 2273/96b).
Für die Haftung des Beklagten ist es im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, ob es sich bei § 286 StGB im Sinn der Lehre um ein Schutzgesetz ieS des § 1311 ABGB handelt (das "zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht"). § 286 StGB ist jedenfalls ein Schutzgesetz iwS (zum Begriff S. Koziol Haftpflichtrecht II 2, 104), das eine besondere gesetzliche Pflicht festsetzt, die drohende Beschädigung eines Dritten abzuwehren. Der geschädigte Kläger kann daher vom Beklagten den ihm auch von diesem schuldhaft und rechtswidrig (durch Verstoß gegen ein Strafgesetz) zugefügten Schaden schon nach § 1295 Abs 1 ABGB verlangen.
Die Haftung des Beklagten ergibt sich aber auch aus § 1301 ABGB, wonach auch derjenige für einen widerrechtlich zugefügten Schaden haftet, der durch Unterlassen der besonderen Verbindlichkeit, das Übel zu verhindern, dazu beigetragen hat. Die dabei vorausgesetzte Handlungspflicht ergibt sich aus den § 286 StGB unmittelbar zu entnehmenden Verhaltenspflichten (s. Hinterhofer aaO 495 ff; Karollus aaO 217), wobei der dem Beklagten hier zur Last fallende Vorsatz nach § 1302 Satz 2 ABGB zur solidarischen Haftung führt.
Ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der verletzten Norm und dem im vorliegenden Fall eingetretenen Erfolg ist gegeben. Die vom Beklagten zu verantwortete Verletzung der Verhaltens(Schutz)norm begründet seine Haftung für jene Schäden, die diese verhindern wollte (Koziol, Haftpflichtrecht II2 108; Koziol/Welser, Grundriß I10, 453; Harrer aaO Rz 8; SZ 67/198; 3 Ob 2273/96b; 2 Ob 329/98s). Es ist dies der durch den vorsätzlich nicht verhinderten Einbruchsdiebstahl im Vermögen des Bestohlenen eingetretene Schade, dessen Ersatz der Kläger begehrt.
Bei Verletzung eines Schutzgesetzes fordert die ständige Rechtsprechung keinen strengen Beweis des Kausalzusammenhanges (Harrer aaO Rz 30 mwN), spricht doch in diesen Fällen der Beweis des Anscheins dafür, daß der von der Norm zu verhindernde Schade durch das verbotene Verhalten verursacht wurde (Harrer aaO Rz 30; ZVR 1978, 89). Es obliegt dann dem Beklagten, andere - gleichfalls in Betracht zu ziehende - Schadensursachen darzulegen. Er hat dies im vorliegenden Fall jedoch unterlassen. Der Beklagte hat auch nicht unter Beweis gestellt, daß der Schade auch dann eingetreten wäre, wenn er sich rechtmäßig verhalten hätte (zur Beweislast für rechtmäßiges Alternativverhalten vgl Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 8 zu § 1311; Koziol aaO 109 f).
Aus diesen Erwägungen wird die Haftung des Beklagten für den dem Kläger entstandenen Schaden bejaht.
Der Revision des Klägers wird Folge gegeben und die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechend abgeändert.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.
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