OGH 6Ob142/21g

OGH6Ob142/21g22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* S*, vertreten durch Dr. Walter Hausberger und andere, Rechtsanwälte in Wörgl, wider die beklagte Partei J* H*, vertreten durch Rechtsanwaltskanzlei Dr. Wendling GmbH in Kitzbühel, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. April 2021, GZ 4 R 225/20x‑77, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 1. Oktober 2020, GZ 3 C 100/18w‑72, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00142.21G.1222.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

I. Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, verworfen.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger ist Eigentümer zweier Grundstücke. Der Beklagte ist Eigentümer eines von ihm 2015 gekauften Grundstücks samt dem darauf errichteten Gebäude „*‑Hütte“ (im Folgenden: „Hütte“).

[2] Mit rechtskräftigem Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 6. 10. 2000 wurde die Bringungsgemeinschaft A*weg II (im Folgenden „Bringungsgemeinschaft“ bzw „Bringungsweg“) gegründet. Diesem Bescheid waren mehrere Zusammenkünfte vorausgegangen, unter anderem eine am 17. 8. 2000 unter Teilnahme der Streitteile.Dabei ging es insbesondere um die Einbringung der Grundstücke (auch) der Streitteile; die Hütte des Beklagten wurde aber nicht in die Bringungsgemeinschaft eingebracht.

[3] Bei dieser Zusammenkunft wurden im Detail (auch) der Aufteilungsschlüssel sowie der Wegverlauf und die teilnehmenden Grundstücke an Hand der Mappengrenze besprochen. Zu diesem Zweck gab es vom Land Tirol konkrete Berechnungen mit Listen, die insbesondere auch die betroffenen Grundstücke und die Quoten enthielten. Alle Parteien des Verwaltungsverfahrens erhielten diese Listen, so auch der Beklagte und seine Mutter sowie der Kläger. Allen Beteiligten am Verwaltungsverfahren und auch den Streitteilen sowie der Mutter des Beklagten als dessen Rechtsvorgängerin war dabei bekannt, dass bei diesen Verhandlungen von den Mappengrenzen ausgegangen wurde. Auf dieser Basis wurde mit allen im Jahr 2000 am Verwaltungsverfahren Beteiligten, darunter den Streitteilen, über Abfindungszahlungen verhandelt, damit die Eigentümer zustimmen, dass die jeweiligen Grundstücke in die Bringungsgemeinschaft eingebracht werden.

[4] Letztlich einigten sich alle am Verwaltungsverfahren Beteiligten darauf, dass entsprechend den (nachfolgenden) rechtskräftigen Bescheiden die jeweiligen Grundstücke, darunter auch jene der Streitteile, entsprechend den Mappengrenzen in die Bringungsgemeinschaft eingebracht werden. Damit waren alle Beteiligten, darunter auch der Kläger und der Beklagte sowie dessen Mutter, ausdrücklich einverstanden. Sie taten dies im Wissen und Willen, dass derart gemäß den Mappengrenzen die Eigentumsgrenzen entlang dem bescheidmäßig festgestellten Bringungsweg tatsächlich verlaufen.

[5] Der Bringungsweg verläuft zumindest teilweise auf klägerischem Grund. In den 1970er‑Jahren war der Weg verbreitert, für Kraftfahrzeuge befahrbar gemacht und ungefähr auf seine heutige Wegstrecke verlegt worden. Anfang der 2000er‑Jahre erfolgte eine neuerliche Adaptierung.

[6] Es gibt für den Bringungsweg keinerlei forstrechtliche Bescheide.

[7] Beim Bringungsweg samt den in seinem Zuge befindlichen dazugehörigen Bauwerken handelt es sich um eine für den Verkehr von (zweispurigen) Kraftfahrzeugen oder Fuhrwerken bestimmte nicht öffentliche Straße, die dem wirtschaftlichen Verkehr sowie deren Verbindung zum öffentlichen Verkehrsnetz dient. Er ist für die Dauer von mehr als einem Jahr angelegt.

[8] Seit den 1960er‑Jahren führten zunächst die Eltern des Beklagten, später er selbst, Versorgungsfahrten (anfänglich mit Pferden, später mit Kraftfahrzeugen) zur Hütte in verschiedener Intensität durch. Weder der Kläger noch die Bringungsgemeinschaft hat den (Versorgungs‑)Fahrten des Beklagten oder dessen Rechtsvorgängern zur Hütte mit Fahrzeugen aller Art zugestimmt.

[9] Mit Abtretungserklärung vom 12. 11. 2018 trat die Bringungsgemeinschaft sämtliche ihr zustehenden Ansprüche aufgrund unzulässiger Benützung der Bringungsanlage durch Nichtberechtigte zur gerichtlichen Geltendmachung an den Kläger ab. Die Abtretung beinhaltete insbesondere Unterlassungs- und Feststellungsansprüche wegen unzulässiger Fahrten gegenüber Nichtberechtigten über die Bringungsanlage zur Hütte.

[10] Der Beklagte möchte auch künftig Versorgungsfahrten mit Fahrzeugen aller Art zur Hütte über den Bringungsweg über die klägerischen Grundstücke durchführen.

[11] Der Kläger begehrt vom Beklagten die Unterlassung der Benützung des auf den Grundstücken * und * in EZ * KG * im Eigentum des Klägers verlaufenden (Bringungs‑)Weg zum Zwecke der Nutzung der auf Grundstück * KG * befindlichen *‑Hütte, *, mit Fahrzeugen aller Art. Er stützt sein Begehren auf § 523 ABGB.

[12] Der Beklagtewendete ein, der Rechtsweg sei nicht zulässig, weil es hier um Streitigkeiten der Mitglieder der Bringungsgemeinschaft untereinander gehe. Zudem sei der Kläger nicht aktiv klagslegitimiert, weil er nicht Eigentümer der genannten Liegenschaften sei, zumal die Grenzen in der Natur anders verlaufen würden als nach den Mappengrenzen.

[13] Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Der Kläger sei Eigentümer der streitgegenständlichen Bereiche des Bringungswegs; der Beklagte habe hingegen keine rechtliche Befugnis zur Benützung des Wegs. Bei diesem handle es sich nicht um eine Forststraße; § 33 Abs 4 ForstG sei auch nicht analog anzuwenden.

[14] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteigt und dass die Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob das Tiroler Güter- und Seilwege‑Landesgesetz GSLG 1970 eine Gesetzeslücke aufweise, die durch analoge Anwendung des § 33 Abs 4 ForstG zu schließen sei.

Rechtliche Beurteilung

[15] Die Revision des Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

[16] Der Beklagte argumentiert, die Entscheidungen der Vorinstanzen wie auch das gesamte Verfahren seien nichtig gemäß § 477 Abs 1 Z 6 ZPO, weil über eine nicht auf den Rechtsweg gehörige Sache entschieden worden sei; nach § 19 Abs 1 GSLG sei die Agrarbehörde für Streitigkeiten über Bringungsrechte zuständig. Das Berufungsgericht habe sich mit der Beweisrüge der Berufung unzureichend befasst und weiche hinsichtlich des angenommenen Grenzverlaufs von oberstgerichtlicher Rechtsprechung ab. § 33 Abs 4 ForstG sei unmittelbar, hilfsweise analog auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden.

Hierzu wurde erwogen:

1. Nichtigkeit

[17] Die Revision behauptet unzutreffend, bereits in der Berufung die Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 6 ZPO geltend gemacht zu haben. Wurde aber die Geltendmachung der Nichtigkeit in der Berufung unterlassen, können Nichtigkeitsgründe in der Revision vorgebracht werden (RS0042925 [T5]). Die gerügte Nichtigkeit ist jedoch nicht gegeben: Hier liegt nicht eine Streitigkeit über Bringungsrechte vor, sondern die gerichtliche Geltendmachung von Abwehrrechten, die aus dem Eigentum resultieren. In diesem Sinn wurde bereits die Klage in erster Linie auf § 523 ABGB gestützt. Für die Zulässigkeit des Rechtswegs sind zunächst der Wortlaut des Klagebegehrens und der behauptete Sachverhalt in der Klage maßgeblich; Natur und Wesen des geltend gemachten Anspruchs sind zu berücksichtigen (Ballon in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 I § 1 JN Rz 72). Bei der Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB handelt es sich um einen Anspruch geradezu aus dem „Kernbereich“ des Zivilrechts. Es liegt somit eine bürgerliche Rechtssache iSd § 1 JN vor.

2. Mangelhaftigkeit

[18] Nach ständiger Rechtsprechung kann die Beweiswürdigung im Revisionsverfahren nicht überprüft werden, es sei denn, das Berufungsgericht hätte sich mit der Beweisfrage überhaupt nicht auseinandergesetzt (RS0043371). Das Berufungsgericht ist gehalten, sich mit der Beweisrüge überhaupt auseinanderzusetzen und seine Überlegungen dazu in seinem Urteil festzuhalten (RS0043150). Dabei ist es aber nicht verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (vgl RS0040180). Im Ergebnis kommt es also nicht darauf an, dass das Berufungsgericht sich besonders ausführlich mit den beweiswürdigenden Erwägungen auseinandersetzt, sondern darauf, dass es sich mit den Kernargumenten des Rechtsmittelwerbers inhaltlich befasst und sich in logisch nachvollziehbarer Weise dazu äußert (Lovrek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 IV/1, § 503 ZPO Rz 79). Das Berufungsgericht hat hier zwar die Beweisrüge in wenigen Sätzen und mit teils eher pauschalen Ausführungen zum Wesen der richterlichen Beweiswürdigung abgehandelt. Dennoch hat eine noch ausreichende Auseinandersetzung mit den wesentlichen, vom Beklagten gerügten Kritikpunkten stattgefunden.

[19] Abgesehen davon bezog sich das Vorbringen des Beklagten zur Beweisrüge in seiner Berufung teilweise nicht auf die Beweiswürdigung, sondern auf in den (hier insoweit nicht wiedergegebenen) „Feststellungen“ enthaltenenRechtsausführungendes Erstgerichts: So ist etwa die Frage, ob es sich bei der Hütte um eine Schutzhütte im Sinn des Forstgesetzes handelt, keine Tatsachen-, sondern eine Rechtsfrage. Auch die Frage, ob die Bringungsgemeinschaft dem Kläger Rechte übertragen konnte, betrifft die rechtliche Beurteilung.

[20] Der gerügte Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens liegt somit nicht vor.

3. Rechtsrüge

3.1. Angenommener Grenzverlauf

[21] Die Revision macht geltend, die Vorinstanzen seien von der Rechtsprechung abgewichen, wonach im Fall eines Streits über den eigentumsrechtlichen Grenzverlauf nicht auf die Mappengrenzen abzustellen ist, sondern sich dieser nach unbedenklichen objektiven Grenzzeichen oder nach der Naturgrenze bestimmt (RS0130738). Dem ist aber entgegenzuhalten, dass nach den Feststellungen der Wille der Parteien darauf gerichtet war, die Grundstücksgrenzen an Hand der Mappengrenzen festzulegen. Insoweit ist die von der Revision zitierte Judikatur nicht einschlägig:

[22] Nach ständiger Rechtsprechung ist zwar für den Umfang des Eigentumserwerbs an einer Liegenschaft nicht die Grundbuchsmappe, sondern der Wille der Parteien entscheidend (RS0011236), der sich vor allem in sichtbaren „natürlichen Grenzen“ manifestieren kann (8 Ob 39/13p); weder die Katastralmappe noch die Grundbuchsmappe machen einen Beweis über die Größe und die Grenzen des Grundstücks (RS0038593; RS0049554 [T5]). Anderes gilt aber (nur), wenn das Grundstück nach dem übereinstimmenden Parteiwillen in dem aus der Mappe hervorgehenden Umfang ohne Bestimmung der Grenzen in der Natur verkauft worden ist (RS0011236 [T4]). Dann ist für den Umfang des (derivativen) Eigentumserwerbs an einer Liegenschaft – der stets nur im Rahmen der wahren Eigentumsgrenzen der Beteiligten stattfinden kann – ausnahmsweise die Grundbuchsmappe maßgebend (1 Ob 12/19z; 8 Ob 16/20s). Nach dem Grundsatz der Privatautonomie steht es den Parteien frei, die (strittige) Grenze unter Hinweis auf die Katastralmappe festzulegen, ohne dass dies die Kenntnis voraussetzt, wie diese Grenze in der Natur tatsächlich verläuft (RS0013881 [T4]).

[23] Diese Grundsätze gelten auch hier: Auch wenn die Einigung über den Grenzverlauf nicht im Rahmen eines Kaufvertrags, sondern eines Verwaltungsverfahrens im Zusammenhang mit der Errichtung einer Bringungsgemeinschaft erfolgte, wurde doch zwischen den Parteien eine Willenseinigung über den Grenzverlauf an Hand der Mappengrenzen getroffen.

3.2. Unmittelbare Anwendung von § 33 Abs 4 erster Halbsatz ForstG

[24] 3.2.1. Soweit es die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Wälder zulässt, hat gemäß § 33 Abs 4 erster Halbsatz ForstG der Erhalter der Forststraße deren Befahren durch Fahrzeuge im Rettungseinsatz oder zur Versorgung von über die Forststraße erreichbaren Schutzhütten zu dulden.

[25] Die Revision argumentiert nun, Erst- und Berufungsgericht hätten verkannt, dass der Weg alle Merkmale einer Forststraße iSd § 59 Abs 2 ForstG aufweise und schon aus diesem Grund eine Legalservitut für das Befahren gemäß § 33 Abs 4 ForstG bestehe.

[26] 3.2.2. § 59 ForstG trägt die Überschrift „Forstliche Bringungsanlagen“; dessen Abs 1 subsumiert unter diesen Begriff auch die Forststraßen. Forststraßen dienen demnach der forstlichen Bringung, das ist der Transport von für die Waldbewirtschaftung benötigten Gütern sowie vor allem der Abtransport von Holz aus dem Wald. Die für das Vorliegen einer Forststraße erforderliche Nutzung zu spezifisch forstlichen Zwecken gebietet sich dabei nicht nur aufgrund der Systematik des Forstgesetzes, sondern auch aus kompetenzrechtlichen Erwägungen:

[27] Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten des Straßenbaus und der -erhaltung kommen (sofern es sich nicht um Bundesstraßen iSd Art 10 Abs 1 Z 9 B‑VG handelt) mangels Nennung in den Art 10 bis 14b B‑VG gemäß Art 15 Abs 1 B‑VG den Ländern zu. Von der Bundeskompetenz „Forstwesen“ (Art 10 Abs 1 Z 10 B‑VG) sind Normen über die Errichtung von Straßen nur insoweit erfasst, als Straßen der Bewirtschaftung des Waldes dienen. Beschränkte der Forstgesetzgeber den Begriff der „Forststraße“ nicht von vornherein auf jene Wege, die forstlichen Zwecken dienen, wären derartige Bestimmungen kompetenz- und somit verfassungswidrig.

[28] In diesem Sinn judiziert auch der Verwaltungsgerichtshof, dass es für das Vorliegen einer Forststraße auf die Zweckwidmung für die Waldbewirtschaftung, insbesondere die Bringung, ankommt (19. 2. 2001, 98/10/0333).

[29] Dass aber der Bringungsweg spezifisch forstlichen Zwecken dient, hat der Beklagte gar nicht behauptet. Der Bescheid vom 6. 10. 2000 über die Bildung der Bringungsgemeinschaft führt in seiner Begründung zwar aus, dass die Bringung auf dem Bringungswegauch forstwirtschaftlichen Zwecken dient, in erster Linie wird darin aber die Landwirtschaft genannt.

[30] 3.2.3. Nach den Feststellungen existieren „keinerlei forstrechtliche Bescheide“. Handelte es sich beim Bringungsweg um eine Forststraße, so wäre allerdings schon aufgrund der in der Vergangenheit erfolgten Bauarbeiten am Weg damit zu rechnen, dass solche Bescheide vorliegen:

[31] Der Weg wurde Anfang der 1970er‑Jahre verbreitert, befahrbar gemacht und ungefähr auf seine heutige Wegstrecke verlegt. Anfang der 2000er‑Jahre erfolgte eine neuerliche Adaptierung.

[32] Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (29. 2. 2012, 2010/10/0259; 27. 5. 2014, 2012/10/0163) ist nicht nur die Neuanlage, sondern auch die Sanierung eines alten Weges und dessen Verbreiterung zwecks Befahrbarkeit mit LKW als Anlage einer Forststraße zu qualifizieren (sodass dann Bewilligungs- oder jedenfalls Anzeigepflichten bestehen). Hier wurde aber weder festgestellt noch gibt es Hinweise darauf, dass anlässlich der festgestellten Bauarbeiten am Weg irgendwann einmal ein Kontakt mit der Forstbehörde stattgefunden hat. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Weg keinem forstlichen Zweck gedient hat oder dient.

[33] 3.2.4. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, es liege keine Forststraße vor, weshalb § 33 Abs 4 ForstG nicht (unmittelbar) anwendbar sei, erweist sich somit als zutreffend.

3.3. Analoge Anwendung von § 33 Abs 4 erster Halbsatz ForstG

[34] Die analoge Anwendung einer Norm setzt eine planwidrige Lücke des Gesetzes oder der Rechtsordnung voraus (RS0106092; RS0008866). Eine solche Lücke ist jedoch nicht erkennbar.

[35] 3.3.1. Die von der Revision ins Treffen geführte Notwendigkeit, Rettungsdiensten das Befahren auch von Privatstraßen zu genehmigen, berücksichtigt § 9 Tiroler Rettungsdienstgesetz 2009 (LGBl 69/2009 idF LGBl 138/2019), wonach für Rettungseinrichtungen tätige Personen unter anderem zum Befahren von fremden Grundstücken befugt sind.

[36] 3.3.2. Für die Bewirtschaftung (auch) von Schutzhütten, die keine Verbindung zum öffentlichen Straßennetz aufweisen, schafftdas Notwegegesetz die notwendige Abhilfemöglichkeit.

[37] 3.3.3. Unterschiedliche Regelungen ver-schiedener Gesetzgeber sind der Kompetenzverteilung und der bundesstaatlichen Struktur Österreichs geschuldet und nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs auch in Hinblick auf Art 7 B‑VG unbedenklich (vgl VfSlg 9804/1983): Dass der Bundesgesetzgeber sich dafür entschieden hat, eine Legalservitut zu Lasten bestimmter Grundstücke zu normieren, wenn darauf Forststraßen verlaufen, bedeutet somit nicht, dass schon dann eine Lücke besteht, wenn ein Landesgesetz (hinsichtlich Grundstücken mit Nicht‑Forststraßen) eine solche Legalservitut nicht vorsieht.

[38] 3.3.4. Gegen die Analogie sprechen hier aber vor allem auch grundrechtliche Erwägungen: Durch die Einräumung einer Servitut ex lege greift der Forstgesetzgeber in das Grundrecht auf Schutz des Eigentums (Art 1 1. ZPEMRK) jenes Grundeigentümers ein, auf dessen Grundstück die Forststraße verläuft. Dem Eigentümer wird gesetzlich eine Duldungspflicht auferlegt, die ihn in seiner Befugnis einschränkt, mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren und andere Personen davon auszuschließen. Nun ist der Schutz des Eigentums zwar nicht absolut gewährleistet. Art 1 1. ZPEMRK sieht jedoch vor, dass Einschränkungen des Grundrechts (unter anderem) nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen dürfen. Zur Frage, wie bestimmt eine hinreichende gesetzliche Grundlage zu sein hat, judiziert der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass an Gesetze, die in aller Regel in Grundrechte eingreifen („eingriffsnahe Gesetze“), hinsichtlich ihrer Bestimmtheit ein besonders hoher Maßstab anzulegen ist. Gesetze, die nicht nur ausnahmsweise zu Grundrechtseingriffen ermächtigen, müssen so formuliert sein, dass insbesondere Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, „die Folgen eines bestimmten Verhaltens mit einem den Umständen entsprechenden Grad an Gewißheit zu erkennen“ (so etwa VfSlg 10.737/1985 zu Eingriffen in Art 8 EMRK).

[39] Dass die Anwendung einer Norm auf Sachverhalte, die von ihrem Wortsinn nicht umfasst sind, diesem Determinierungserfordernis genügen und eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Grundlage für Eingriffe in Art 1 1. ZPEMRK darstellen würde, ist in Anbetracht dieser Rechtsprechung (vgl etwa auch VfSlg 11.455/1987; VfSlg 13.336/1993; VfSlg 20.213/2017) zu verneinen. Ein auf die analoge Anwendung von § 33 Abs 4 ForstG gestützter Eingriff in das Grundrecht auf Schutz des Eigentums durch die Einräumung einer Eigentumsbeschränkung (Legalservitut) erwiese sich somit als verfassungswidrig.

[40] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.

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