OGH 5Os819/54 (5Os820/54)

OGH5Os819/54 (5Os820/54)19.8.1955

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 1954 unter dem Vorsitze des Senatspräsidenten Dr. Sommer, in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hochmann und Dr. Prinz, sowie des OLGR Dr. Freiinger und des Rates des Oberlandesgerichtes Dr. Köhler als Richter, dann des Richters Dr. Müllner als Schriftführers, in der Strafsache gegen Karl G***** wegen der Übertretung der Ehrenbeleidigung nach § 487 StG über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 10. April 1953, GZ 3 U 74/53-5, und das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 4. November 1953, GZ 16 b Bl 953/53, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters OLGR Dr. Freiinger und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Aggermann zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 10. April 1953, 3 U 74/53-5, womit Karl G***** schuldig erkannt wurde, am 12. Dezember 1952 in Wien im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung beim Strafbezirksgerichte Wien die Zeugenaussage des Privatanklägers Johann S***** mit der Bemerkung "Sie haben gut gedichtet" apostrohiert und hiedurch den Privatankläger, ohne daß sich diese Tat als das Verbrechen der Verleumdung oder als das Vergehen der falschen Verdächtigung darstellt, fälschlich des Verbrechens der falschen Zeugenaussage beschuldigt und hiedurch die Übertretung nach § 487 StG begangen zu haben und hiefür gemäß dem § 493 StG unter Anwendung des § 261 StG zu einer Geldstrafe von S 300,-, im Uneinbringlichkeitsfall zu 24 Stunden Arrest, und gemäß § 389 StPO zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens und Strafvollzuges verurteilt wurde, und das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 4. November 1953, 16 b Bl 953/53 (ONr. 14 in 3 U 74/53), womit in der eben bezeichneten Sache die Berufung des Angeklagten zurückgewiesen, der Berufung des Privatanklägers aber Folge gegeben und das angefochtene Urteil im Ausspruch über die Strafe dahin abgeändert wurde, daß über den Angeklagten gemäß dem § 493 StG unter Anwendung der §§ 266 und 261 StG eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,- (eintausend Schilling), im Falle der Uneinbringlichkeit 48 Stunden Arrest, verhängt und gemäß § 390 a StPO ausgesprochen wurde, daß dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last fallen,

verletzen das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 279 und 263 StPO, das Urteil des Berufungsgerichtes überdies in den Bestimmungen des § 477 Abs 1 StPO.

Beide Urteile, wie auch die darauf beruhende Verfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 27. November 1953, 3 U 74/53-16, womit die Einhebung der Geldstrafe und der Pauschalkosten verfügt wurde, werden aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Der Angeklagte Karl G***** wird von der Anklage, er habe am 12. Dezember 1952 in Wien im Rahmen seiner öffentlichen Hauptverhandlung beim Strafbezirksgericht Wien die Zeugenaussage des Privatanklägers Johann S***** mit der Bemerkung "Sie haben gut gedichtet" apostrohiert und diedurch den Privatankläger, ohne daß sich diese Tat als das Verbrechen der Verleumdung oder als das Vergehen der falschen Verdächtigung darstellt, fälschlich des Verbrechens der falschen Zeugenaussage beschuldigt, er habe hiedurch die Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre nach § 487 StG begangen, gemäß § 259 Z 1 StPO freigesprochen.

Gemäß den §§ 390 und 390 a StPO hat der Privatankläger alle infolge seines Einschreitens aufgelaufenen Kosten erster und zweiter Instanz zu ersetzen.

Text

Gründe:

In der über die Privatanklage der Gertrude C***** gegen den Kohlengroßhändler Karl G***** wegen Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre vom Strafbezirksgerichte Wien unter 3 U 1331/52 für den 12. Dezember 1952 angeordneten Hauptverhandlung wurde Johann S*****, der Bruder der Privatanklägerin, als Zeuge vernommen. Nach seiner Einvernahme machte der Beschuldigte die Bemerkung: "Sie haben gut gedichtet."

Wegen dieser Äußerung brachte Johann S***** am 19. Jänner 1953 gegen den Beschuldigten Karl G***** die Privatanklage wegen Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre ein.

Auf Grund der vom Strafbezirksgerichte Wien unter 3 U 74/53 für den 10. April 1953 angeordneten Hauptverhandlung wurde der Beschuldigte wegen dieser Äußerung der Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre nach § 487 StG schuldig erkannt und hiefür nach § 493 StG unter Anwendung des § 261 StG zu einer Geldstrafe im Betrage von S 300,-

(im Nichteinbringlichkeitsfall 24 Stunden Arrest) verurteilt. Gegen dieses Urteil brachte der Beschuldigte die Berufung wegen Schuld und Strafe, der Privatankläger die Berufung wegen der Strafe ein; beide Berufungen waren rechtzeitig.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht wies mit Urteil vom 4.November 1953, 16 b Bl 953/53, ON 14 des Aktes, die Berufung des Angeklagten als unbegründet zurück; der Berufung des Privatanklägers wurde Folge gegeben und das Urteil im Ausspruch über die Strafe dahin abgeändert, daß der Angeklagte zu einer Geldstrafe im Betrage von S 1.000,- (im Nichteinbringlichkeitsfalle 48 Stunden Arrest) verurteilt wird.

Rechtliche Beurteilung

Beide Urteile stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang. Nach § 279 StPO finden die Bestimmungen des § 263 volle Anwendung, wenn der Angeklagte während der Hauptverhandlung eine strafbare Handlung begangen hat.

Nach § 263 StPO kann der Gerichtshof, wenn der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen Tat beschuldigt wird, als wegen welcher er angeklagt war, unter anderem auf Begehren des zur Privatanklage Berechtigten die Verhandlung und das Urteil auch auf diese Tat ausdehnen. Die Zustimmung des Angeklagten ist nur dann erforderlich, wenn derselbe bei seiner Verurteilung wegen dieser Tat unter ein Strafgesetz fiele, welches strenger ist als dasjenige, welches auf die in der Anklageschrift angeführte strafbare Handlung anzuwenden wäre. Verweigert in einem solchen Falle der Angeklagte seine Zustimmung zur sofortigen Aburteilung ..... so hat sich das Urteil auf den Gegenstand der Anklage zu beschränken und dem Ankläger - auf sein Verlangen - die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Tat vorzubehalten, außer welchem Falle wegen dieser letzteren eine Verfolgung nicht mehr stattfindet. - Der Ankläger muß binnen 3 Tagen (§§ 27 u. 46) seine Anträge wegen Einleitung des gesetzlichen Verfahrens anbringen.

Nach § 447 StPO sind in allen jenen Punkten, worüber in dem XXVI. Hauptstück über das Verfahren in Übertretungsfällen keine besondere Vorschrift erteilt ist, in dem Verfahren in Übertretungsfällen jene Bestimmungen in Anwendung zu bringen, welche für das Verfahren bei Verbrechen und Vergehen gelten. Demnach finden auch die eben zitierten Bestimmungen der §§ 279 und 263 StPO im Verfahren in Übertretungsfällen Anwendung.

Im vorliegenden Fall hat das StBG Wien aus den Akten 3 U 1331/52 wohl festgestellt, daß bei der Hauptverhandlung vom 12. Dezember 1952 Karl G***** die inkriminierte Äußerung getan hat, Johann S***** hat aber nach dem Inhalt der Akten nicht gleich in der Hauptverhandlung, in der die ihn beleidigende Äußerung gefallen war, die Privatanklage gegen G***** wegen dieser Äußerung erhoben und nicht verlangt, daß ihm für den Fall, daß seinem Antrag auf Bestrafung nicht sogleich entsprochen werden könnte, die selbständige Verfolgung des G***** wegen dieser Äußerung im Urteil vorbehalten werde.

Es lagen somit die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verfolgung des Beschuldigten Karl G***** wegen der von ihm in der Hauptverhandlung vom 12.12.1952 vorgebrachten gegenständlichen Äußerung nicht vor und es verletzen daher die Urteile des StBG Wien vom 10.4.1953, 3 U 74/53, und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 4.11.1953, 16 b Bl 953/53, das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 279 und 263 StPO.

Das Berufungsgericht hat es überdies unterlassen, die dem Ersturteil wegen dieser Gesetzesverletzung zum Nachteil des Beschuldigten anhaftende Nichtigkeit nach Z 9b des § 281 StPO von Amts wegen aufzugreifen, obwohl es dies nach § 477 Abs 1 StPO hätte tun müssen und es verletzt daher das zitierte Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien das Gesetz auch in der zuletzt angeführten Gesetzesstelle. (vgl SSt VII/92, SSt XX/136).

Es war daher der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben und wie im Spruche zu erkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogenen Gesetzesstellen (vgl KH 3148 und SZ 225 v. 14.II.1900).

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