Spruch:
Zum Begriff des Gemeingebrauches am öffentlichen Gut und der Anliegerrechte.
Entscheidung vom 22. März 1961, 5 Ob 93/61.
I. Instanz: Bezirksgericht Urfahr - Umgebung; II. Instanz:
Landesgericht Linz.
Text
Die F.-Gasse in U. steht als öffentliches Gut im Eigentum der klagenden Gemeinde. Die beklagten Parteien sind Eigentümer des an die F.-Gasse grenzenden Eckhauses in der A.-Gasse 1. Sie haben an der Hauswand, die an die F.-Gasse grenzt, eine Plakatierungstafel aus Holz angebracht. Die Tafel ist 360 cm lang und 170 cm hoch und unmittelbar auf dem Straßenpflaster aufgesetzt. Es steht außer, Streit, daß sie sich zur Gänze; im Luftraum über dem öffentlichen Gut befindet und bis zu einer Tiefe von 5 cm in den Luftraum hineinragt. Weiter ist unbestritten, daß diese Art der Benützung weder privatrechtlich vereinbart noch verwaltungsbehördlich genehmigt wurde. Die beklagten Parteien berufen sich gegenüber dem Begehren auf Entfernung dieser Tafel auf den Gemeingebrauch am öffentlichen Gut. Die Straße sei dem Verkehr gewidmet, und dieser Zweck werde durch die Tafel in keiner Weise beeinträchtigt. Eine besondere Vereinbarung mit der klagenden Partei oder eine behördliche Bewilligung sei nicht notwendig. Dem Anspruch stehe auch das Schikaneverbot entgegen.
Das Erstgericht hat der Klage stattgegeben.
Das Berufungsgericht hat das Urteil mit dem Beifügen bestätigt, daß der Streitwert 10.000 S übersteige. Die Untergerichte bejahten die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges und waren der Auffassung, die Anbringung der Reklametafel falle nicht unter den Gemeingebrauch, dem das öffentliche Gut gewidmet wurde und dem es seiner Natur nach üblicherweise zu dienen hat. Es liege eine qualitative Überschreitung des Gemeingebrauches vor, die einen besonderen Rechtstitel erfordere. Schikane liege nicht vor.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Rechtsansicht über die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtsweges wird in der Revision nicht entgegengetreten. Sie ist auch richtig, denn es handelt sich um eine auf das Eigentumsrecht gestützte Eigentumsfreiheitsklage (§ 523 ABGB.), über die die Gerichte zu entscheiden haben, mag es sich auch um öffentliches Gut und um Straßengrund handeln.
Die Revisionswerber wenden sich gegen die Ansicht, die Anbringung der Plakatierungstafel falle nicht unter den Gemeingebrauch einer öffentlichen Straße. Gewiß dienten öffentliche Wege vor allem zum Gehen, Fahren und Reiten, sie könnten aber auch - wenn auch polizeiwidrig, was hier außer Betracht zu bleiben habe - als Spielplatz für Kinder, zum Abstellen von Müllkübeln und zu ähnlichen Zwecken benützt werden. Auch Fenster könnten in den Luftraum über der Straße geöffnet werden, man könne sich hinausbeugen usw. Die Grenzen seien fließend. Eine positive Umschreibung des Begriffes "Gemeingebrauch" sei nicht möglich. Er könne nur negativ erfaßt werden, und zwar dürfe der Gebrauch weder den Widmungszweck noch den widmungsmäßigen Gebrauch durch andere beeinträchtigen. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Budw. 273 (A.) sei darunter ein solcher Gebrauch zu verstehen, der der Bestimmung des Objektes entspricht und nur diese Bestimmung nicht hindert. Durch die höchstens 5 cm vorspringende Tafel werde der Straßenverkehr in keiner Weise beeinträchtigt. Auch aus der Bauordnung und aus dem Bundesstraßengesetz lasse sich nicht ableiten, daß die Anbringung der Tafel nicht zulässig gewesen wäre.
Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden.
Das öffentliche Gut steht im Privateigentum des Staates oder einer anderen Gebietskörperschaft, hier der Stadtgemeinde L., ist aber beschränkt durch den Gemeingebrauch. Dieser kann als eine Art öffentlich-rechtlicher Dienstbarkeit mit der Rechtswirkung angesehen werden, daß das Eigentumsrecht nur insoweit ausgeübt werden kann, als es mit dem Gemeingebrauch nicht im Widerspruch steht. Soweit der Gemeingebrauch nicht berührt wird, ist der Schutz des Eigentums auch beim öffentlichen Gut jedenfalls Sache der Gerichte (vgl. SZ. XXIII 331).
Der Begriff des Gemeingebrauches ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Folgt man der von den Revisionswerbern zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Budw. 273 (A.), so ist darunter ein Gebrauch zu verstehen, der der Bestimmung (Widmung) des Objektes entspricht und den gleichen Gebrauch seitens aller anderen Berechtigten nicht hindert, also ein rechtlich gleicher, keinerlei Vorrecht in sich schließender Gebrauch. Aus dieser mit der Lehre übereinstimmenden Begriffsbestimmung ergibt sich das Erfordernis der Gemeinverträglichkeit. Der jedermann gestattete Gebrauch muß so geartet sein, daß er den Mitgebrauch anderer nicht dauernd - sei es auch nur örtlich begrenzt - einschränkt oder ausschließt (Krzizek, Der Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen, ZVR. 1960 S. 121). An der Stelle, wo ein Kraftfahrzeug parkt, kann nicht gleichzeitig auch ein anderes parken. Dennoch ist das Parken eine unter den Gemeingebrauch fallende Benützung der öffentlichen Straße, weil nacheinander auch andere Fahrzeuge an der gleichen Stelle parken können und der Mitgebrauch nicht dauernd eingeschränkt oder ausgeschlossen wird. Die beklagten Parteien nehmen jedoch ein Sonderrecht am öffentlichen Gut in Anspruch, weil der Raum, den die Reklametafel einnimmt, dauernd benützt und ein Mitgebrauch dieses Raumes durch andere dauernd ausgeschlossen wird. Derartige Sonderrechte am öffentlichen Gute, beispielsweise die Errichtung und der Betrieb von Straßenbahnen, die Aufstellung von Zeitungskiosken, von Verkaufsbuden, von Wagen auf fixen Standplätzen, die Verlegung von Elektrizitätsleitungen im Straßengrund und im Luftraum über der Straße, die Aufstellung von Marktständen, Schaubuden, Plakatsäulen, die Anbringung von Auslagekästen, Windfängen, Sonnenschutzplachen usw., welchen Beispielen zwanglos auch die Anbringung von Plakat- oder Reklametafeln beigefügt werden kann, können einem einzelnen je nach ihrer Art nur auf Grund eines Privatrechtstitels oder einer verwaltungsbehördlichen Bewilligung zustehen (Klang 2. Aufl. II 6;
Hawelka, Die Rechte an öffentlichen Wegen in Österreich, S. 107 ff.;
Krzizek a. a. O. S. 122). Die Benützung der öffentlichen Straße durch die Anlieger, das sind Personen, die ein Grundstück oder ein Gebäude an einer öffentlichen Straße besitzen, ist nur Gemeingebrauch, weil der Gebrauch der Straße durch die Anlieger einen gleichartigen Gebrauch durch andere nicht ausschließt. Bei diesen sogenannten Anliegerrechten handelt es sich nur um besondere tatsächliche Vorteile, die den Anrainern vermöge dieser ihrer Eigenschaft zukommen (Krzizek a. a. O., Hawelka a. a. O. S. 97 f.). Das Anbringen von Plakatwänden im Luftraum über dem öffentlichen Gut kann nicht als ein Anliegerrecht angesehen werden, weil ein gleichartiger Gebrauch durch andere ausgeschlossen ist und öffentliche Straßen für solche Zwecke nicht allgemein gewidmet sind. Für eine derartige Benützung muß daher eine besondere Bewilligung gefordert werden.
Schließlich wird auch die Verneinung einer Schikane mit Unrecht bekämpft. Es liegt ein erheblicher Eingriff in fremdes Eigentum vor, dem die klagende Partei in Wahrung berechtigter Interessen entgegentritt. Dies schließt die Annahme einer schikanösen Rechtsausübung im Sinne des § 1295 Abs. 2 ABGB. aus.
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