Spruch:
Anträge müssen ausdrücklich zurückgenommen werden. Das Verfahrensrecht kennt keine stillschweigenden Parteihandlungen.
Entscheidung vom 21. Juni 1967, 5 Ob 80/67.
I. Instanz: Bezirksgericht Linz; II. Instanz: Landesgericht Linz.
Text
Der am 29. Jänner 1919 geborene N. N. wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß vom 14. August 1963 durch das Bezirksgericht Linz wegen Geisteskrankheit beschränkt entmundigt.
Das Erstgericht wies mit seinem Beschluß vom 18. August 1964 den Antrag des Kuranden auf Aufhebung seiner beschränkten Entmündigung ab.
Dem dagegen vom Kuranden erhobenen Widerspruch gab das Landesgericht Linz als Widerspruchsgericht mit seinem Beschluß vom 29. November 1966 nicht Folge.
In dem dagegen von dem gemäß § 65 (3) EntmO. bestellten Zustellkurator namens des Kuranden eingebrachten Rekurs wird gerügt, daß im Widerspruchsverfahren kein zweiter Sachverständiger beigezogen wurde.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs Folge, hob den angefochtenen Beschluß des Widerspruchsgerichtes auf und trug diesem Gericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt (1 Ob 313/60, 1 Ob 341/61 = EvBl 1961 Nr. 464, 6 Ob 368/61, 1 Ob 400/61, 7 Ob 58/62, 7 Ob 345/62, 8 Ob 103/64, 6 Ob 156/64, 1 Ob 1/65 u. a.) darauf verwiesen, daß gemäß § 33 (1) EntmO. über die Entmündigung wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche oder Mißbrauch von Nervengiften nur nach Untersuchung des zu Entmundigenden durch einen oder zwei Sachverständige entschieden werden darf und auf diese Untersuchungen § 18 (1) und (3) sowie § 19 EntmO. entsprechend anzuwenden sind. § 19 (3) EntmO. bestimmt aber, daß auf Verlangen des Angehaltenen - und daher auch des zu Entmundigenden oder seines Vertreters - ein zweiter Sachverständiger beizuziehen ist. Diese Vorschrift ist also zwingender Natur.
Das Widerspruchsgericht hat selbst zutreffend ausgeführt, daß gemäß § 52 EntmO. für das bei Aufhebung und Umwandlung der Entmündigung einzuhaltende Verfahren u. a. die Bestimmungen des § 33 (1) EntmO. entsprechend anzuwenden sind. Nach dieser Gesetzesstelle im Zusammenhang mit dem dritten Absatz des dort zitierten § 19 EntmO. hätte also das Widerspruchsgericht mit Rücksicht auf den vom Widerspruchswerber gestellten Antrag einen zweiten Sachverständigen beiziehen müssen. Deshalb, weil der Kurand in der Folge den Aufforderungen des Sachverständigen zum Erscheinen bei ihm zum Zwecke einer Untersuchung nicht Folge geleistet hat, kann noch keineswegs ein Verzicht des Widerspruchswerbers auf die Beiziehung des von ihm beantragten zweiten Sachverständigen angenommen werden. Denn ein Verzicht auf Zuziehung des beantragten zweiten Sachverständigen ist verfahrensrechtlich die Zurücknahme des gestellten Antrages. Jede Handlung der am Verfahren Beteiligten muß aber, soll sie verfahrensrechtlich wirksam sein, schriftlich oder mündlich ausgedrückt werden (Wortmitteilung; siehe für den Zivilprozeß Sperl, Lehrbuch der bürgerlichen Rechtspflege S. 244 f.). Nur wenn das Verfahrensrecht an die Untätigkeit einer Partei eine bestimmte verfahrensrechtliche Folge knüpft, ist diese Untätigkeit für das Verfahrensrecht von Bedeutung. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Widerspruchsgericht konnte also im vorliegenden Fall nicht davon ausgehen, daß der Widerspruchswerber auf die Vernehmung des von ihm beantragten zweiten Sachverständigen in der Folge wieder verzichtet und seinen diesbezüglichen Antrag zurückgezogen habe; es hätte vielmehr nach Erforschung der Gründe des Nichterscheinens des Kuranden beim Sachverständigen geeignete Maßnahmen (§ 32 (2) EntmO.) treffen müssen, wobei darauf hingewiesen wird, daß unter Umständen auch im Sinne des § 87 GOG. vorgegangen werden könnte (siehe hiezu 5 Ob 350/64 = EvBl. 1965 Nr. 274).
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