European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00076.23X.0703.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
1. Soweit die insoweit als (Revisions‑)Rekurs zu wertende Revision gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts und dessen Kostenentscheidung gerichtet ist, wird sie als unzulässig zurückgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
3. Die erst‑ und die zweitklagende Partei sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen jeweils 275,93 EUR (darin jeweils 45,99 EUR USt) an Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Zweitkläger ist grundbücherlicher Alleineigentümer einer Liegenschaft mit dem darauf errichteten Wohnhaus. Der Erstklägerin steht ein Wohnungsgebrauchsrecht daran zu. Der Beklagte ist (nach dem Tod seiner Mutter und vormaligen Miteigentümerin) nun ebenfalls Alleineigentümer der unmittelbar benachbarten Liegenschaft mit dem darauf erbauten Haus. Die Häuser der Streitteile sind in geschlossener Bauweise errichtet und grenzen mit den Feuermauern aneinander. Das Außenmauerwerk hat keine Abdichtung.
[2] Die Kläger begehren vom Beklagten, dafür Sorge zu tragen, dass kein Fäkalwasser oder sonstiges Abwasser von seinem Grundstück auf das Grundstück des Zweitklägers aufgrund eines Gebrechens bzw unsachgemäßer Bauführung hinübersickert, die „Beseitigung des Durchlasses von Abwasser vom Grundstück des Beklagten auf das Grundstück des Zweitklägers“ und Zahlung von 5.584,92 EUR an Kosten für die Beseitigung von Feuchtigkeitsschäden.
[3] Das Erstgericht gab dem Unterlassungs‑ und Beseitigungsbegehren statt und verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 2.792,46 EUR sA an die Kläger, während es das Zahlungsmehrbegehren abwies.
[4] Das Berufungsgericht hob dieses Urteil hinsichtlich des Zuspruchs von 2.792,46 EUR sA an den Zweitkläger sowie die diesbezügliche Kostenentscheidung auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Den Rekurs ließ es nicht zu. Im Übrigen gab es der Berufung teilweise Folge. Es bestätigte die erstgerichtliche Stattgebung des Unterlassungsbegehrens, wies hingegen das Beseitigungsbegehren beider Kläger ab. Die Abweisung eines Mehrbegehrens des Zweitklägers von 2.792,46 EUR sA bestätigte es. Das Zahlungsbegehren der Erstklägerin wies es insgesamt ab. Eine Kostenentscheidung traf es hinsichtlich des Verfahrens zwischen Erstkläger und Beklagtem.
[5] Den Entscheidungsgegenstand bewertete es mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Die Revision ließ es nachträglich zu, weil dem Obersten Gerichtshof eine klare Stellungnahme zur Abgrenzung zwischen Unterlassungs‑ und Beseitigungsbegehren im Zusammenhang mit § 364 Abs 2 ABGB zu ermöglichen sei.
[6] Den Beschluss auf Aufhebung, das Teilurteil in seinem die Klage abweisenden Teil und die Kostenentscheidung bekämpfen die Kläger mit ihrem als ordentliche Revision bezeichneten Rechtsmittel mit dem Antrag, das Berufungsurteil „ersatzlos aufzuheben“ bzw dahin abzuändern, dass das Ersturteil vollständig wiederhergestellt werde. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag und streben die Abänderung der Kostenentscheidung zwischen Erstklägerin und Beklagtem an.
[7] In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, die Revision hinsichtlich des Aufhebungsbeschlusses und der Kostenentscheidung als unzulässig, im Übrigen mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt er die Bestätigung des Berufungsurteils.
[8] Die Revision – die insoweit als (Revisions‑)Rekurs zu werten ist – ist absolut unzulässig, soweit sie den Aufhebungsbeschluss und die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts betrifft. Im Übrigen ist sie ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig, sie kann keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen.
Zu 1.:
Rechtliche Beurteilung
[9] 1.1. Das Berufungsgericht hat zu seinem Aufhebungsbeschluss den Rekurs nicht iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zugelassen. Wenn das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung einen Teil des erstgerichtlichen Urteils bestätigt (oder abändert), einen anderen Teil dieser Entscheidung aber aufhebt und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurückverweist, ist gegen den aufhebenden Teil der Berufungsentscheidung ein Rekurs auch dann nicht zulässig, wenn er mit der Revision gegen den bestätigenden Teil der Berufungsentscheidung verbunden wird (RIS‑Justiz RS0043854; 3 Ob 18/22a mwN).
[10] 1.2. Ausnahmsweise kann zwar einem Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts durch eine inhaltliche Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofs selbst dann der Boden entzogen werden, wenn das Berufungsgericht keinen Zulassungsausspruch iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO getroffen hätte (vgl RS0040804). Ein solcher Sonderfall wurde weder behauptet noch liegt er vor. Der Aufhebungsbeschluss bezog sich auf einen Teil des Zahlungsbegehrens des Zweitklägers, zu dem das Berufungsgericht eine ausreichende Feststellungsgrundlage zur Beurteilung eines Verschuldens des Beklagten an Feuchtigkeitsschäden im Haus des Zweitklägers vermisste. Ein untrennbarer Zusammenhang mit den übrigen (teils wegen Verjährung, teils mangels Aktivlegitimation der Erstklägerin) abgewiesenen Zahlungsbegehren und/oder den Unterlassungs‑und Beseitigungsbegehren, der dazu führen würde, dass aufgrund einer Revisionsentscheidung gar keine weitere Behandlung des von der Aufhebung umfassten Klagebegehrens mehr stattzufinden hätte (vgl RS0040804 [T4]), besteht hier nicht. Die insoweit als Rekurs zu wertende Revision der Kläger gegen den Aufhebungsbeschluss ist mangels Zulassung durch das Berufungsgericht daher als absolut unzulässig zurückzuweisen.
[11] 1.3. Vergleichbares gilt für die Bekämpfung der Kostenentscheidung des Berufungsgerichts durch die Kläger. Insoweit ist das Rechtsmittel als Revisionsrekurs zu werten, der gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO über den Kostenpunkt aber jedenfalls unzulässig ist. Dieser Ausschluss der Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs bezieht sich auf alle Entscheidungen, mit denen in irgendeiner Form über akzessorische Prozesskosten abgesprochen wurde (RS0044233). Auch soweit eine isolierte Bekämpfung der Kostenentscheidung angestrebt wird, ist die Revision daher als absolut unzulässig zurückzuweisen.
Zu 2.:
[12] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wegen Überraschungsentscheidung wurde geprüft, sie liegt nicht vor. Zwar hat das Gericht, bevor es ein unbestimmtes, unschlüssiges oder widersprüchliches Begehren abweist, dessen Verbesserung anzuregen (RS0037166 [T1]). Das Gericht darf eine Partei in seiner Entscheidung nicht mit seiner Rechtsansicht überraschen (RS0037300), was auch für das Berufungsgericht gilt (RS0037300 [T38]). Die Unterlassung einer Erörterung könnte daher grundsätzlich einen Verfahrensmangel des Berufungsgerichts nach § 503 Z 2 ZPO begründen. Allerdings hat der Revisionswerber in einer Verfahrensrüge wegen Verletzung der Pflicht nach § 182a ZPO darzulegen, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (1 Ob 215/05g). Der Rechtsmittelwerber hat die Relevanz dieses Verfahrensmangels in seinem Rechtsmittel darzulegen und anzugeben, welches konkrete Sachvorbringen er erstattet hätte, um seinen Sachantrag schlüssig zu machen (RS0043027 [T7]). Dies ist hier nicht nur unterblieben, sondern die Revisionswerber führen aus, ihnen sei unklar, welches Vorbringen sie zur Substanziierung des geltend gemachten Beseitigungsanspruchs noch erstatten hätten können. Ein relevanter Mangel des Berufungsverfahrens wird damit nicht aufgezeigt.
[13] 2.1. Dem auf § 364 Abs 2 ABGB gestützten Unterlassungsanspruch der Kläger haben die Vorinstanzen – mittlerweile rechtskräftig – stattgegeben. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Abweisung ihres Beseitigungsbegehrens, das im konkreten Fall nach seiner Formulierung inhaltlich im Wesentlichen aber nicht über das Unterlassungsbegehren hinausgeht.
[14] 2.2. Inhalt des nachbarrechtlichen Untersagungsanspruchs nach § 364 Abs 2 ABGB ist, dass der Verpflichtete dafür Sorge zu tragen hat, dass sein Nachbar nicht durch die Immission beeinträchtigt wird, wobei die Art, wie dies zu geschehen hat, grundsätzlich dem Verpflichteten zu überlassen ist. Der Titel hat sich auf eine im materiellen Recht vorgezeichnete Verpflichtung auf dauerndes, künftiges, inhaltlich vom Verpflichteten zu bestimmendes Handeln zu richten (RS0004649). Erschöpft sich das widerrechtliche Verhalten des Störers nicht in einer vorübergehenden, abgeschlossenen Handlung, sondern hat einen Dauerzustand herbeigeführt, umfasst der Anspruch auf Unterlassung auch das Recht, vom Verpflichteten die Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands zu verlangen (RS0079560 [T1, T19]). Hat der Verpflichtete durch einen Verstoß einen Störungszustand geschaffen, stört er weiter, solange dieser Zustand nicht beseitigt ist. Der Beseitigungsanspruch setzt voraus, dass eine Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands in der Verfügungsmacht des Verpflichteten liegt (RS0079560 [T6, T19]). Dies ist vom Kläger zu behaupten und zu beweisen. Der Beseitigungsanspruch bezieht sich auf die Beseitigung der Immission selbst (4 Ob 43/11v).
[15] 2.3. Hier wurde der Beklagte rechtskräftig verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass kein Fäkalwasser oder sonstiges Abwasser von seinem Grundstück auf das Grundstück des Zweitklägers aufgrund eines Gebrechens oder unsachgemäßer Bauführung hinübersickert. Worin ein (zusätzlicher) Anspruch auf „Beseitigung des Durchlasses von Abwasser vom Grundstück auf das Grundstück des Zweitklägers“ überhaupt bestehen sollte, ist nach der im Einzelfall nicht korrekturbedürftigen Auffassung des Berufungsgerichts weder aus diesem Begehren selbst noch aus den dazu aufgestellten Prozessbehauptungen ableitbar. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist aber grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt. Auch ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht bzw wieweit ein bestimmtes Vorbringen einer Konkretisierung zugänglich ist, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0042828). Da dem Berufungsgericht insoweit keine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erforderte, stellt sich die in der Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage nach der Abgrenzung von Unterlassungs‑ und Beseitigungsbegehren bei nachbarrechtlichen Ansprüchen iSd § 364 Abs 2 ABGB gar nicht.
[16] 3.1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind auch die Schadenersatzansprüche der Kläger. Die Revision enthält hinsichtlich des – im Ausmaß von 2.792,46 EUR sA wegen Verjährung abgewiesenen – Ersatzanspruchs des Zweitklägers aber keine Ausführungen, die Verjährungsfrage wird nicht thematisiert. Eine erhebliche Rechtsfrage wird vom Zweitkläger dazu nicht aufgezeigt.
[17] 3.2. Die Erstklägerin wendet sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, ihr fehle es insoweit an der aktiven Klagelegitimation. Das Berufungsgericht ging – dem Klagevorbringen entsprechend – davon aus, dass den Klageanspruch ursprünglich der verstorbene Ehegatte der Erstklägerin (und Vater des Zweitklägers) als Wohnungsgebrauchsberechtigter aufgrund einer Inkassozession des Zweitklägers (als Liegenschaftseigentümer) an ihn geltend gemacht habe. Die Inkassozession sei uneigennützige Treuhand und gewähre dem Treuhänder die – auch prozessuale – Verfügungsgewalt über den zedierten Anspruch. Im Zweifel ende ein derartiges Treuhandverhältnis aber mit dem Tod des Treuhänders. Nach dem Tod des ursprünglichen Klägers sei der strittige Schadenersatzanspruch daher nicht als vererblicher Vermögenswert an beide Kläger als dessen Erben gefallen, anspruchsberechtigt sei vielmehr ab dem Tod des Inkassozessionars nur mehr der Zweitkläger als seinerzeitiger Zedent und Liegenschaftseigentümer.
[18] 3.3. Dass das Berufungsgericht hiebei von überschießenden Feststellungen ausgegangen wäre, ist nicht erkennbar. Im Übrigen wäre der Mangel der Sachlegitimation selbst ohne ausdrückliche Einwendung zu beachten, wenn er sich bereits aus dem Klagevorbringen ergibt oder der Beklagte Tatsachen behauptet hat, aus denen der Mangel der Sachlegitimation bei richtiger rechtlicher Beurteilung folgt (RS0035196). Die Frage der Sachlegitimation ist daher auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen dann zu prüfen, wenn sie sich als reine Rechtsfrage darstellt (RS0035196 [T4]). Dies war hier der Fall, weshalb auch der monierte Mangel des Berufungsverfahrens nicht vorliegt.
[19] 3.4. Aus welchen Gründen die vom Berufungsgericht auf höchstgerichtliche Rechtsprechung (8 Ob 86/99a; 5 Ob 163/12z) gestützte Auffassung, nach Beendigung des Inkassomandats durch Tod des Inkassozessionars sei die Forderung an den Treugeber, somit (nur) an den Zweitkläger zurückgefallen, unrichtig sein sollte, legt die Revision nicht dar. Mit einem bloßen Hinweis auf Wertungswidersprüche lässt sich dies nicht begründen. Warum auch die Erstklägerin als eingeantwortete Erbin Übernehmerin der Schadenersatzforderung sein sollte, ist im Übrigen auch deshalb unklar, weil sich der Schadenersatzanspruch ja ausschließlich auf das im Alleineigentum des Zweitklägers stehende Haus bezieht. Ihre Rechtsansicht vermag die Erstklägerin auch durch kein Zitat höchstgerichtlicher Entscheidungen oder einen Hinweis auf eine Literaturstelle zu begründen.
[20] 4. Damit war die Revision zurückzuweisen.
[21] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision (und des Rekurses/Revisionsrekurses) gegen das Teilurteil (und den Aufhebungsbeschluss) hat der Beklagte vollständig obsiegt. Da auch das gesamte Zahlungsbegehren beider Kläger formell Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof war, waren beide anteilig zur Zahlung der das tarifmäßige Ausmaß nicht übersteigenden Kosten der Rechtsmittelbeantwortung zu verpflichten.
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