OGH 5Ob72/19b

OGH5Ob72/19b13.6.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Krüger/Bauer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. M*, 2. M*, beide vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 6.000 EUR) über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 27. Februar 2019, GZ 58 R 100/18f‑30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 13. August 2018, GZ 21 C 28/16i‑25, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E125635

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen deren mit 688,92 EUR (darin 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Streitteile sind bzw waren bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in O*. Die Wohnungseigentumsanlage besteht aus 13 Objekten. Deren Widmung ist zwischen den Parteien strittig.

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab, die Beklagten hätten es zu unterlassen, auf der Liegenschaft in den Räumlichkeiten der Wohneinheit Top Nr 5 eine Tierarztpraxis zu betreiben oder einen entsprechenden Betrieb zu dulden. Aus dem Wohnungseigentumsvertrag gehe eindeutig hervor, dass den Wohnungseigentümern umfassende Nutzungs‑ und Änderungsbefugnisse eingeräumt werden sollten, die ihre Grenze erst dort finden, wo eine Maßnahme den Bestand, die Sicherheit und/oder das architektonische bzw ästhetische/äußere (Erscheinungs‑)Bild des Gebäudes betreffe. Dieser Widmungsakt berechtige die Beklagte dazu, ihr Objekt sowohl zu Wohn‑ als auch zu Geschäftszwecken zu nutzen. Der Betrieb der Tierarztpraxis sei daher keine eigenmächtige Widmungsänderung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts. Zwar sei im Nutzwertgutachten von 13 selbständigen für Wohnzwecke genutzten Räumlichkeiten und nicht von Ordinationen oder Geschäftslokalen die Rede; der Kauf‑ und Wohnungseigentumsvertrag nehme aber nur auf Anteile, Nutzflächen und Nutzwert der Objekte Bezug. Das Nutzwertgutachten selbst sei nicht zum Vertragsbestandteil erhoben worden, eine Nutzung bloß zu Wohnzwecken sei dem Vertrag nicht zu entnehmen.

Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, im Hinblick darauf, dass ein Wohnpark betroffen sei, komme auch der Vertragsauslegung hier eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu.

Dagegen richtet sich die – von den Beklagten beantwortete – Revision der Klägerin, die eine Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagestattgebung anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1.1. Der in § 16 Abs 2 WEG verwendete Begriff „Änderungen“ ist weit auszulegen und umfasst insbesondere auch die im Gesetz ausdrücklich genannten Widmungsänderungen. Jede solche Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte, bedarf der Zustimmung aller Wohnungseigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG. Gegen einen Wohnungseigentümer, der eigenmächtig solche Änderungen vornimmt, kann jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg mit Unterlassungs‑ oder Beseitigungsklage nach § 523 ABGB vorgehen (RIS‑Justiz RS0005944 [T1]; RS0083156 [T15]; 5 Ob 224/15z).

1.2. Ob eine (eigenmächtige) Widmungsänderung vorliegt, folgt aus der Gegenüberstellung der gültigen Widmung des betreffenden Objekts mit der beabsichtigten (tatsächlichen) Verwendung des Objekts (RS0101800 [T1, T2, T4, T8]). Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage der Widmung auf die privatrechtliche Einigung der Wohnungseigentümer (in der Regel im Wohnungseigentumsvertrag) abzustellen (RS0120725 [T1]; RS0119528 [T4]). Spätere Widmungsänderungen können allenfalls konkludent die Zustimmung aller Mit‑ und Wohnungseigentümer finden (RS0120725 [T4, T9]; RS0119528 [T6]).

1.3. Soweit ein gesetzliches Schriftformgebot besteht, ist eine ergänzende Auslegung von Urkunden durch den Formzweck beschränkt (RS0117165). Bei der Ermittlung der konkreten privatrechtlichen Einigung der Mit‑ und Wohnungseigentümer über die Widmung eines bestimmten Objekts ist eine weitgehend objektive Betrachtung angezeigt (vgl RS0117166). Maßgeblich ist der objektive Erklärungswert der Willensäußerung (5 Ob 100/14p; 5 Ob 224/15z). Der Inhalt der Widmung ist durch Auslegung nach den Bestimmungen der §§ 914 f ABGB zu ermitteln.

1.4. Das rechtswirksame Zustandekommen und der Inhalt einer Widmung von Teilen einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft hängt regelmäßig von den Umständen des zu beurteilenden Falls ab (RS0120725 [T3]). Die Frage, ob die vertragliche Einigung der Mit‑ und Wohnungseigentümer im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, ist daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (vgl RS0042936; RS0042776; 5 Ob 224/15z).

1.5. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts vermag daran auch der Umstand nichts zu ändern, dass sich die Wohnungseigentumsanlage in einem Wohnpark befindet. Der Umstand alleine, dass eine Mehrzahl von Personen von einer Entscheidung betroffen ist, bewirkt noch nicht eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (3 Ob 54/03t; 2 Ob 118/03x). Aus den Feststellungen ergibt sich zwar, dass sich die Liegenschaft im „F* Wohnpark“ befindet, die Wohnungseigentumsanlage aber aus lediglich 13 Objekten besteht. Die auszulegende vertragliche Bestimmung betrifft daher auch nicht einen großen Personenkreis (vgl Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 87). Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO läge daher nur dann vor, wenn den Vorinstanzen bei der Auslegung der Widmungserklärung eine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. Dies ist hier nicht der Fall.

2.1. Die Klägerin meint, entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sei das Nutzwertgutachten ausdrücklich als Bestandteil in den Wohnungseigentumsvertrag aufgenommen worden. Der Kauf‑ und Wohnungseigentumsvertrag, der detailliert auch die Bade‑ und Golfspielberechtigung regle, verwende die Begriffe „Wohnung“, „Wohnpark“, „Wohneinheit“, „Wohnimmobilie“, „Wohnobjekt“ und „Wohnhaus“. Daraus sei die Widmung als Wohnung abzuleiten.

2.2. Grundsätzlich kann die Beschreibung des Wohnungseigentumsobjekts oder die Bezeichnung der betreffenden Räume und der daraus resultierende Verwendungszweck in einem Nutzwertgutachten ein bei der Auslegung zu berücksichtigender Aspekt sein, soweit ein Konnex auf die Einbeziehung dieser Umstände in die Widmungsvereinbarung der Mit‑ und Wohnungseigentümer indiziert ist (5 Ob 105/16a = immolex 2016/108 [Pfiel] = EvBl 2017/38 [Pesek] = wobl 2017/107 [Vonkilch]; 5 Ob 198/16b = immolex 2017/62 [Räth]). Dort war das Nutzwertgutachten aber jeweils Teil des Wohnungseigentumsvertrags. In 5 Ob 224/15z, wo ebenso die Zulässigkeit einer gemischten Verwendung des Objekts zu Wohn‑ und Geschäftszwecken zu beurteilen war, sprach der Fachsenat aus, dass der Umstand, dass sich aus der Beschreibung des Objekts im Nutzwertgutachten dessen Verwendung für geschäftliche Zwecke ergibt, sich diese aber nicht in der im Wohnungseigentumsvertrag und Nutzwertgutachten gewählten Bezeichnung des Wohnungseigentumsobjekts widerspiegelt, bloß ein im Zug der Auslegung zu berücksichtigender Aspekt ist. Die Bedeutung dieses Umstands für die Ermittlung der Widmung lässt sich nicht abstrakt und losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilen. Dort maß der Senat dem Nutzwertgutachten deshalb besondere Bedeutung und Aussagekraft zu, weil die dortige Widmung die Nutzwertfestsetzung und damit auch die Beitragspflichten der einzelnen Wohnungseigentümer nachhaltig beeinflusst.

2.3. Der hier zu beurteilende Fall ist aber anders gelagert. Entgegen den Revisionsausführungen enthielt der in Punkt ./B bereits vereinbarte Wohnungseigentumsvertrag selbst keine Bezugnahme auf das Nutzwertgutachten. Dass die Vorinstanzen (nur) § 19 Punkt 3 des Vertrags Beilage ./B als maßgeblich für die Widmungserklärung ansahen, entspricht dem objektiven Inhalt dieser Urkunde, wurde doch der Wohnungseigentumsvertrag dort detailliert ausformuliert und letztlich (wie sich aus dem Grundbuchstand ergibt) auch als Grundlage für die Wohnungseigentumsbegründung herangezogen. Im Rahmen dieses Vertragspunktes fand aber weder das Nutzwertgutachten noch dessen Beschreibung der Objekte Erwähnung. Der Begriff „Wohnung“ wird in diesem Vertragspunkt vermieden, dort ist von Wohnungseigentumsobjekten, Räumlichkeiten oder Einheiten die Rede. Im Hinblick darauf, dass den Mit‑ und Wohnungseigentümern auch das Anbringen von Hinweistafeln und Ankündigungseinrichtungen gestattet wurde, für die bei einer reinen Wohnraumnutzung kaum Bedarf zu erkennen ist, beruht das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen, § 19 Punkt 3 lit c sehe eine sehr weite und sämtlichen Wohnungseigentümern gleichermaßen eingeräumte gemischte Nutzung der Objekte sowohl zu Wohn‑ als auch Geschäftszwecken vor, nicht auf einer groben Verkennung der Rechtslage. Das in 5 Ob 224/15z herangezogene Argument der auf die Nutzwertfestsetzung beruhenden Beitragspflicht schlägt bei dieser Interpretation nicht durch, weil hiemit allen Wohnungseigentümern eine derart uneingeschränkte Nutzung eingeräumt wurde. Dass der Bezeichnung der Objekte im Nutzwertgutachten – die zu einer wesentlichen Einschränkung dieser unspezifischen Nutzungsbefugnisse führen würde – im konkreten Einzelfall nicht die von der Klägerin unterstellte Bedeutung zukommt, ist daher nicht korrekturbedürftig. Dies steht vielmehr im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung (RS0118149), dass die Nutzwertfestsetzung keinen eigenen Rechtsgrund für die Nutzung schafft, sondern die Widmung nur nachzuvollziehen hat. Eine Nutzwertfestsetzung, die von der im Wohnungseigentumsvertrag nach der nicht korrekturbedürftigen Auslegung der Vorinstanzen vereinbarten Nutzung in einer solchen Weise abweicht, dass dies einen Verzicht der Wohnungseigentümer auf ursprünglich eingeräumte Nutzungsbefugnisse zur Folge hätte, wäre bei Auslegung der Widmungserklärung nur dann relevant, wenn es – anders als hier – noch weitere Anhaltspunkte dafür gäbe, dass eine derartige Beschränkung ernstlich gewollt war (vgl RS0014190).

3. Damit war die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.

4. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb ihnen gemäß §§ 41, 50 ZPO die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zuzusprechen waren.

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