European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0050OB00604.840.1126.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.867,75 S (darin 715,25 S USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin und der Beklagte österreichischer Staatsbürgerschaft haben am 16. 4. 1962 vor dem Standesamt Wien Penzing die im Familienbuch Eintrag Nr ***** beurkundete Ehe geschlossen. Ihrer Ehe entstammt eine Tochter.
Am 17. 8. 1981 überreichte die Frau durch ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt die auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Mannes gerichtete Klage 30 Cg 256/81‑1 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien. Zu Beginn der Verhandlungstagsatzung am 15. 9. 1981 begehrten die Ehegatten gemeinsam die Scheidung ihrer Ehe im Einvernehmen nach § 55a EheG. Sie schlossen vor Gericht den Vergleich über ihre unterhaltsrechtlichen Beziehungen und die gesetzlichen vermögensrechtlichen Ansprüche im Verhältnis zueinander für den Fall der Scheidung und vereinbarten, dass der Mann der Frau bis 30. 9. 1982 einen monatlichen Unterhaltsbetrag leiste, die Frau aber für die Zeit ab dem 1. 10. 1982 auf jedweden Unterhaltsanspruch gegenüber dem Mann auch für den Fall der Not, geänderter Verhältnisse oder einer geänderten Rechtslage verzichte. Mit Beschluss vom 15. 9. 1981, GZ 30 Cg 256/81‑4, wurde die Ehe geschieden. Die Ehegatten verzichteten nach der mündlichen Verkündung dieses Beschlusses auf ein Rechtsmittel. Die Ausfertigung wurde ihren Rechtsanwälten jeweils am 13. 10. 1981 zugestellt. Mit Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses galt die Scheidungsklage der Frau nach § 81a Abs 2 der 1. DVEheG als zurückgenommen.
Das Klagebegehren der am 18. 2. 1983 zu Protokoll gegebenen Klage der Frau, mit der sie vom geschiedenen Mann die Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 6.000 S begehrte, weil sie bei ihrem Unterhaltsverzicht von der irrtümlichen Annahme ausgegangen sei, sie werde einen ihrer Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz finden und sich selbst erhalten können, wurde mit dem Urteil des Erstgerichts vom 19. 4. 1983, GZ 1 C 14/83‑7, abgewiesen. Die von der Frau gegen das ihr am 28. 4. 1983 zugestellte Urteil erhobene Berufung wurde am 6. 5. 1983 zur Verbesserung zurückgestellt jedoch nicht wieder angebracht.
Am 9. 9. 1983 gab die Frau eine neue Unterhaltsklage zu Protokoll. Sie begehrte Zahlung von monatlich 7.000 S ab dem 9. 9. 1983. Sie habe zwar auf Unterhalt verzichtet, die Verhältnisse hätten sich aber geändert. Alle ihre Bemühungen um eine Anstellung seien erfolglos geblieben. Sie müsse von der Sozialhilfe leben.
Vor Zustellung dieser Protokollarklage an den Mann veranlasste das Erstgericht am 23. 9. 1983 die Untersuchung der Klägerin auf ihre Prozessfähigkeit. Das am 13. 10. 1983 erstattete Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen führte dazu, dass am 10. 11. 1983 für die Klägerin im Entmündigungsverfahren ein vorläufiger Beistand bestellt wurde (GZ 1 L 40/83‑8), der die Klageführung genehmigte. In der Verhandlungstatsatzung am 30. 1. 1984 änderte die Klägerin ihr Begehren und verlangte nun die Zahlung eines Unterhalts in einem Bruchteil von 30 % der Bezüge des Mannes ab dem 9. 9. 1983.
Der Beklagte trat dem Unterhaltsbegehren mit der Berufung auf den wirksam abgegebenen Unterhaltsverzicht der Klägerin und das rechtskräftige abweisende Urteil vom 19. 4. 1983 entgegen, womit die Sache entschieden sei.
Das Erstgericht gab dem Begehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte.
Die Vorinstanzen gingen von den folgenden Feststellungen aus:
Die Klägerin leidet an einer endogenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit schweren Persönlichkeitsveränderungen, Denkstörungen, Antriebsstörungen und Körperhalluzinationen. Diese ihre psychische Krankheit besteht schon seit mindestens fünf oder sechs Jahren.
Der Beklagte hat für seine einem Hochschulstudium nachgehende Tochter zu sorgen und verdiente im Jahr 1983 im Monatsdurchschnitt 27.417 S. Die Klägerin erhält Leistungen der Sozialhilfe.
Das Erstgericht kam aufgrund dieser Feststellungen zu dem Ergebnis seiner rechtlichen Beurteilung, der Verzicht auf jeden Unterhalt ab dem 1. 10. 1982 im gerichtlichen Vergleich vom 15. 9. 1981 sei wegen der schon damals bestandenen Geisteskrankheit der Klägerin unwirksam geblieben. Der Klägerin könne ein eigener Erwerb nicht zugemutet werden. Sie könne daher vom geschiedenen Mann den angemessenen Unterhalt von 30 % seines Nettoeinkommens verlangen.
Das Berufungsgericht führte noch aus, das Erstgericht habe aufgrund des eingeholten Gutachtens festgestellt, dass die Klägerin auch schon zur Zeit des Vergleichsabschlusses an der Geisteskrankheit gelitten habe, wodurch sie völlig geschäfts‑ und prozessunfähig war. Eine gesetzliche Unterhaltspflicht nach Scheidung der Ehe im Einvernehmen habe das Gesetz nicht vorgesehen, weil es die Regelung der unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Ehegatten untereinander für die Zeit nach der Scheidung als Voraussetzung für den Scheidungsausspruch verlangt habe. Es handle sich um eine Gesetzeslücke. Die durch Analogie zu schließen sei. Dafür biete sich die Regelung des § 69 Abs 3 EheG an, wonach der Ehegatte, der die Scheidung verlangt hat, dem anderen Unterhalt zu gewähren hat, wenn das Scheidungsurteil keinen Schuldausspruch enthalte. Da bei der Scheidung im Einvernehmen ein gemeinsames Begehren gefordert werde, bestehe ein gegenseitiger Anspruch auf Billigkeitsunterhalt, wenn die Regelung der unterhaltsrechtlichen Beziehung ausbleibe oder nicht wirksam sei. Der Scheidungsbeschluss enthalte keinen Schuldausspruch. In Analogie zu § 69 Abs 3 EheG stehe der Frau ein nach den Grundsätzen der Billigkeit zu beurteilender gesetzlicher Unterhaltsanspruch zu.
Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob bei Unwirksamkeit der Vereinbarung der Eheleute über ihre unterhaltsrechtliche Beziehung zueinander in analoger Anwendung jedem der nach § 55a EheG geschiedenen Eheteil bei Bedürftigkeit und Billigkeit ein Unterhaltsanspruch gegen den anderen zustehe, fehle.
Die Revision ist bei dem 60.000 S nicht aber 300.000 S übersteigenden Geldwert des auf Zahlung gerichteten Unterhaltsbegehrens (§ 58 Abs 1 JN) nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO aus dem zutreffend vom Berufungsgericht für den Zulassungsausspruch angegebenen Grund zulässig.
Der Revisionswerber kann die Revision nach § 503 Abs 2 ZPO nur begehren, weil das Urteil des Berufungsgerichts auf der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts beruht, der erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukommt.
Seinen Revisionsantrag auf Abänderung in die Abweisung des Begehrens, hilfsweise auf Aufhebung stützt der Beklagte nicht nur auf unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache, sondern unzulässig, auch auf eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens. Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Die Revision ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Einen Mangel des Berufungsverfahren kann der Beklagte nicht als Revisionsgrund vortragen. Seine dazu bestimmten Ausführungen, die Klägerin habe doch seinerzeit die Scheidung verlangt, was festzustellen unterlassen wurde, stehen mit der Rechtsrüge in untrennbarem Zusammenhang. Der Einwand, die Klägerin könne Unterhalt in Analogie zu § 69 Abs 3 EheG schon deshalb nicht fordern, weil sie die Scheidungsklage erhoben habe, ist allerdings unberechtigt, weil nach dem gemeinsam gestellten Antrag auf Scheidung der Ehe nach § 55a EheG der wegen Ehescheidung anhängige Rechtsstreit nach § 81a Abs 1 der 1. DVEheG zu unterbrechen war und die Scheidungsklage nach Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses als zurückgenommen galt (§ 81a Abs 2 der 1. DVEheG). Der Scheidungsprozess spielt daher bei der Beurteilung der unterhaltsrechtlichen Stellung der im Einvernehmen geschiedenen Ehegatten keinerlei Rolle mehr und es kann daher auf die ausstehenden Antworten keinen Einfluss haben, ob die Frau oder der Mann die als zurückgenommen geltende Scheidungsklage eingebracht hatte. Die Scheidungsklage hat nämlich nicht zur Scheidung der Ehe geführt. Nur darauf stellt jedoch § 69 Abs 3 EheG ab.
Nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei der Erklärung eines auch den Fall einschließenden Unterhaltsverzichts, dass sie in Not gerate, und wohl auch schon zur Zeit, als sie ihrem sie damals vertretenden Rechtsanwalt Vollmacht erteilte, des Gebrauchs der Vernunft beraubt war.
Es geht nicht darum, ob die Klägerin durch einen Rechtsanwalt vertreten die Folgen der getroffenen Regelung der unterhaltsrechtlichen Beziehung der geschiedenen Ehegatten untereinander abschätzen konnte, sondern darum, dass sie, des Gebrauchs der Vernunft beraubt, weder wirksam Vollmacht erteilen noch dann einen gerichtlichen Vergleich schließen konnte. Die Wirksamkeit des Unterhaltsverzichts konnte und musste in diesem Rechtsstreit durchaus als Vorfrage untersucht und beantwortet werden.
Von der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses muss ‑ solange dieser nicht rechtskräftig behoben ist ‑ ausgegangen werden.
Die entscheidende Frage, die hier beantwortet werden muss, ist die, ob überhaupt und bejahendenfalls auf welcher Rechtsgrundlage im Falle einer Scheidung gemäß § 55a EheG ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch eines Teils gegen den anderen Teil besteht, wenn sich die als gesetzliche Voraussetzung für die Zulässigkeit der Scheidung nach dieser Gesetzesstelle postulierte Unterhaltsvereinbarung nachträglich als rechtsunwirksam erweist. An einer gesetzlichen Regelung dieses Problems fehlt es, denn der Gesetzgeber hat ganz offenkundig diesen Fall nicht bedacht. Er setzte die Rechtswirksamkeit der dem freien Gestaltungswillen der Eheleute überlassenen Unterhaltsvereinbarung für den von ihm allein verfolgten Zweck voraus, durch diese Scheidungsvoraussetzung eine nachträgliche Auseinandersetzung über den Unterhaltsanspruch als typische Scheidungsfolge zu vermeiden, und beabsichtigte durch die Bestimmung des § 69a EheG lediglich, dass ‑ mit Rücksicht auf die Vollstreckungsprivilegien des gesetzlichen Unterhalts (vgl Schwind in Ehrenzweig , Familienrecht 2 72) ‑ der nach § 55a Abs 2 EheG vereinbarte Unterhalt, soweit er den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessen ist, dem gesetzlichen Unterhalt gleichzuhalten ist. Erkennt man die der gesetzlichen Regelung der nachehelichen Unterhaltsansprüche zugrunde liegende Rechtfertigung an, dass mit der Auflösung des Ehebandes nicht alle Rechtswirkungen der Ehe beendet sind, sondern gerade die mit der Eheschließung eingegangene gegenseitige Beistandspflicht, die der wechselseitig übernommenen Verantwortung für den Partner entspringt, lebenslänglich fortdauert, so ergibt sich die Notwendigkeit, im Falle der Rechtsunwirksamkeit einer nach § 55a EheG getroffenen Unterhaltsvereinbarung, die auch in einem Verzicht bestehen kann, eine gesetzliche Regelungslücke anzuerkennen, die infolge ihrer Planwidrigkeit im Wege der Analogie geschlossen werden muss. Dem Berufungsgericht ist darin beizustimmen, dass der zunächst verwandte Tatbestand des § 69 Abs 3 EheG heranzuziehen ist, wie auch Ent‑Hopf (Das neue Eherecht 90) richtig erkannt haben. Es ist völlig herrschende Ansicht, dass auch bei Klage und Widerklage ‑ entgegen dem Wortlaut des Gesetzes, dass nur dem Beklagen ein Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten, der die Scheidung begehrte, zustehe ‑ in sinnvoller Weise jenem Ehegatten einen Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 3 EheG zuzuerkennen ist, bei dem die entsprechenden Billigkeitsvoraussetzungen vorhanden sind ( Schwind , Eherecht 2 , 283 und in Ehrenzweig aaO 128; Pichler in Rummel , ABGB Rdz 2 zu § 69 EheG; EvBl 1955/169). Eine einvernehmliche Scheidung nach § 55a EheG ist aber nicht anders zu werten als eine Scheidung aufgrund von Klage und Widerklage im Sinne des § 55 Abs 3 EheG. Aus diesen Überlegungen ist der Rechtsansicht der Vorinstanzen zuzustimmen, dass der Klägerin in analoger Anwendung des § 69 Abs 3 EheG nach Billigkeit ein Unterhaltsanspruch zusteht.
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