OGH 5Ob540/94

OGH5Ob540/9420.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Rohrer und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mj. Florian P*****, geboren am 5.April 1982, Schüler, ***** vertreten durch Dr.Herwig Fuchs, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei B***** Gesellschaft m.b.H., ***** vertreten durch Dr.Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 100.000,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 14.April 1994, GZ 2 R 62/94-42, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 21. Dezember 1993, GZ 10 Cg 307/93z-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 5.706,-- (darin enthalten S 951,-- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit dem angefochtenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die Abweisung eines Schmerzengeldbegehrens des Klägers. Letzterer hatte sich bei einem Sturz vom Klettergerüst auf dem allgemein zugänglichen Kinderspielplatz einer Wohnanlage der Beklagten in V***** den rechten Arm gebrochen. Der zuletzt noch aufrechterhaltene Verschuldensvorwurf an die Beklagte geht dahin, in Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht die Abdeckung des in den Spielbereich hineinragenden Bodenbalkens verabsäumt zu haben, auf den der Kläger fiel.

Das Berufungsgericht verneinte ein Verschulden der Beklagten im wesentlichen mit der Begründung, daß es keinen Unterschied mache, ob der konstruktionsbedingte Bodenbalken bündig in das Klettergerüst integriert ist (was schon nach der ÖNORM S 4235 keine weiteren Vorsichtsmaßnahmen bedingt hätte) oder maximal 10 cm in das Innere des Spielturmes hineinragt. Es erklärte jedoch die ordentliche Revision für zulässig, weil kein höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, welche Sicherungsmaßnahmen bei Spielgeräten erforderlich und zumutbar sind.

Die jetzt vom Kläger erhobene Revision, in der die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Klagsstattgebung, hilfsweise dessen Aufhebung zum Zwecke der Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung beantragt wird, stützt sich vor allem auf einen Verstoß der Beklagten gegen Punkt 4.8 der ÖNORM S 4235, der auskragende Teile von Spielgeräten verbiete, wenn sie in den Laufbereich hineinragen oder den Spielgerätebereich beschränken. Die Beklagte hingegen meint, daß ihre Sorgfaltspflicht in unzumutbare Weise überspannt würde, wollte man sie zur Abdeckung des untersten Querbalkens des Spielturms (und dann vielleicht auch noch der darüberliegenden Querbalken) verpflichten. Maßgebend seien auch hier die allgemeinen, von der Judikatur bereits dargelegten Maßstäbe der Verkehrssicherungspflicht, weshalb - entgegen der Annahme des Berufungsgerichtes - gar keine erhebliche Rechtsfrage vorliege. Dementsprechend hat die Beklagte die Zurückweisung der Revision, hilfsweise die Bestätigung des angefochtenen Urteils beantragt.

Die Revision ist - was der Oberste Gerichtshof mangels Bindung an den Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichtes (§ 508a Abs 1 ZPO) auch jederzeit wahrnehmen kann - tatsächlich unzulässig; die daraus resultierende Zurückweisung des Rechtsmittels kann sich gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Rechtliche Beurteilung

Auch wenn an die Verkehrssicherheitspflicht auf die in der Nähe von Spielplätzen besonders strenge Anforderungen zu stellen sind (JBl 1990, 113 mwN), was eine besondere Verwantwortung für die Ausstattung und den Erhaltungszustand von Spielgeräten in sich schließt (vgl Geigel, Der Haftpflichtprozeß21, 14. Kap Rz 89; Wussow, Unfallhaftpflichtrecht13, Rz 504d jeweils mwN), ist doch auch in diesem Bereich die Grenze des Zumutbaren zu beachten. Absolut sicher können nämlich Spielgeräte, die dem Bewegungsdrang und der Abenteuerlust von Kindern Raum geben, nie sein; andererseits darf die Errichtung und Erhaltung von Spielplätzen nicht an einem übertriebenen Sicherheitsbedürfnis und an einer Überspannung der Sorgfaltspflicht ihrer Betreiber scheitern. Es ist daher in jeden Einzelfall abzuwägen, ob ein Sorgfaltsverstoß vorliegt; generelle Richtlinien für die Ausgestaltung von Spielplätzen und Spielgeräten, die über den Hinweis auf die allgemeine, wenngleich mit Rücksicht auf die Verkehrsbeteiligten erhöhte Verkehrssicherungspflicht hinausgehen, kann die Judikatur idR nicht geben, wovon auch der konkrete Fall kein Ausnahme macht.

Richtig ist, daß ÖNORMEN in besonderer Weise zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung zur Sicherheit Gebotenen geeignet sind, weil sie den Stand der für die betroffenen Kreise geltenden anerkannten Regeln der Technik wiederspiegeln (vgl BHG VI ZR 190/87 = NJW 1988, 2667). Bei der Konstruktion von Spielgeräten für Kinder kommt daher dem - im übrigen auch nach allgemeinen Sorgfaltsmaßstäben einleuchtenden - Umstand Bedeutung zu, daß nach Punkt 4.8 der ÖNORM S 4235 auskragende Teile nur dann zulässig sind, wenn sie nicht in den Laufbereich hineinragen oder den Spielgerätebereich beschränken. Schon der Begriff des Auskragens in den Lauf- oder Spielgerätebereich läßt jedoch einen Beurteilungsspielraum zu. Es ist daher mit der Rechtssicherheit durchaus zu vereinbaren, wenn die Vorinstanzen das bloße Aufsetzen statt Einfügen eines maximal 10 cm breiten, für die Statik des Klettergerüstes notwendigen Querbalkens im Bodenbereich nicht als "Auskragen" dieses Bauteils gewertet haben. Dazu kommt, daß das, was der Erzeuger eines Spielgerätes verabsäumt, nicht ohne weiteres auch ein Versäumnis dessen darstellen muß, der bei der Ausstattung eines Spielplatzes auf einen durchaus üblichen Kletterturm (wie sich an Hand unstrittiger Verfahrensergebnisse nachtragen ließe: eines renommierten Fachunternehmens) zurückgreift. Schließlich war auch das Unfallgeschehen so, daß erst eine außergewöhnliche und damit schwer vorherzusehende Verkettung von Umständen (Schwingen am kurzen Kletterseil in der Mitte des Gerätes, Verhaken im seitlich angebrachten Kletternetz mit den Füßen) zur Verletzung des Klägers führte. In der Exkulpierung der Beklagten ist daher keine grobe Fehlbeurteilung zu erkennen, die nach Maßgabe des § 502 Abs 1 ZPO eine Anrufung des Obersten Gerichtshofes rechtfertigen würde.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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