OGH 5Ob518/93

OGH5Ob518/9313.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Schwarz, Dr.Floßmann und Dr.Ilse Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria P*****, Landwirtin, ***** M*****, R***** Nr. 3, vertreten durch Dr.Gerhard Folk und Dr.Gert Folk, Rechtsanwälte in Kapfenberg, wider die beklagte Partei B*****kommune M*****, ***** M*****, P*****-Platz Nr. 1, vertreten durch Dr.Harald Esser und DDr.Manfred Erschen, Rechtsanwälte in Leoben, wegen Zustimmung zur Einverleibung einer ersessenen Grunddienstbarkeit (Streitwert S 60.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 18.März 1993, GZ R 1153/92-20, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Mariazell vom 30.September 1992, GZ C 155/92 -15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 4.348,80 (darin enthalten S 724,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin, die behauptet, zugunsten ihrer Grundstücke 262/2, 259/1 und 259/3 der KG M***** (EZ ***** des Grundbuches ***** M*****) ein Fahrtrecht über das Nachbargrundstück 331/6 der beklagten Partei (EZ ***** desselben Grundbuches) ersessen zu haben, ist mit ihrem Begehren nach einer Aufsandungserklärung der beklagten Partei zum Zwecke der Verbücherung des Fahrtrechtes weder beim Erstgericht noch beim Berufungsgericht durchgedrungen. Ausschlaggebend für die Entscheidung des Berufungsgerichtes war dabei der Umstand, daß die beklagte Partei zwar von einer (stellenweise nur schwach ausgeprägten) Fahrspur über ihr Wiesengrundstück wußte, aber nicht erkennen konnte, ob diese Fahrspur von Fuhren der Klägerin oder von Bewirtschaftungshandlungen ihrer eigenen Pächter herrührte. Die Erkennbarkeit von Besitzausübungshandlungen dessen, der die Ersitzung einer Dienstbarkeit geltend macht, für den Eigentümer des belasteten Grundstücks sei nämlich Voraussetzung für den Rechtserwerb.

Rechtliche Beurteilung

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes enthält den Ausspruch, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und die Revision zulässig sei. Dennoch erweist sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung ihres Klagebegehrens (hilfsweise die Aufhebung des Berufungsurteils zum Zwecke einer Verfahrensergänzung) verfolgt, als unzulässig. Die beklagte Partei hat in ihrer fristgerecht erstatteten Revisionsbeantwortung auf diesen Umstand hingewiesen.

Faßt man die Gründe zusammen, die das Berufungsgericht und die Klägerin für die Zulässigkeit der Revision ins Treffen geführt haben, dann soll durch die Anrufung des Obersten Gerichtshofes geklärt werden,

a) ob die Ersitzung eines Rechtes an fremdem Grund die positive Kenntnis des Grundeigentümers von den Besitzausübungshandlungen des Gegners voraussetzt,

b) ob die positive Kenntnis von derartigen Besitzausübungshandlungen auch durch den Pächter oder ein Mitglied des genossenschaftlich organisierten Grundeigentümers vermittelt werden kann, und

c) ob für die Ersitzung die subjektive Erkennbarkeit der Besitzausübungshandlungen für den Grundeigentümer erforderlich ist oder ob die objektive Erkennbarkeit genügt.

Zu der unter Punkt a) aufgeworfenen Rechtsfrage ist dem Berufungsgericht (und der Klägerin) zuzugestehen, daß in Judikatur und Lehre noch keine einhellige Meinung darüber besteht, ob der Besitz eines Rechtes an fremder Sache die bewußte Duldung des Sacheigentümers, also dessen Kenntnis vom Gebrauch voraussetzt (vgl. Spielbüchler in Rummel**2, Rz 3 zu § 313 ABGB; Klang in Klang**2, II, 78; Ehrenzweig I/2, 80 ua). Zur Klärung einer strittigen Rechtsfrage kann jedoch der Oberste Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO nur dann angerufen werden, wenn die Entscheidung des anhängigen Rechtsstreites gerade diese Problemlösung verlangt. Die vom Berufungsgericht angeregte (oder vom Revisionswerber geforderte) Überprüfung einer nicht tragenden Hilfsbegründung reicht daher für die Überwindung der gesetzlichen Revisionsbeschränkungen nicht aus (vgl. WoBl 1991, 212/129 ua).

Im gegenständlichen Fall wurde die erstgerichtliche Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung bestätigt, daß der beklagten Partei die Inanspruchnahme ihres Wiesengrundstückes für Wirtschaftsfuhren der Klägerin nicht erkennbar war. Das Berufungsgericht stützte sich dabei auf die in Judikatur und Lehre bereits gefestigte Rechtsansicht, daß nur eine dem Grundeigentümer (zumindest) erkennbare Rechtsausübung zur Ersitzung eines Rechtes an seinem Grund führen kann (E 11 zu § 1460 ABGB, MGA33; Petrasch in Rummel**2, Rz 3 zu § 480 ABGB; Schubert in Rummel**2, Rz 2 und 3 zu § 1460 ABGB; Pimmer in Schwimann, Rz 7 zu § 480 ABGB). Die Frage, ob nicht darüber hinaus die positive Kenntnis des Grundeigentümers von den Rechtsbesitzanmaßungen des Gegners zu fordern wäre, bedarf daher im konkreten Fall gar keiner Klärung.

Die positive Kenntnis der beklagten Partei von den Besitzausübungshandlungen der Klägerin könnte die Entscheidung des Rechtsstreites nur insofern beeinflussen, als die strittige Erkennbarkeit der Ausübung des behaupteten Fahrtrechtes gar nicht mehr zu prüfen wäre, wenn feststeht, daß die beklagte Partei davon wußte. Das haben jedoch die Vorinstanzen eindeutig verneint. Es steht nämlich fest, daß kein Organ der beklagten Partei und auch kein von ihr mit Überwachungsaufgaben betrauter Angestellter jemals eine Fuhre der Klägerin (oder ihrer Familie) über das angeblich mit einem Fahrtrecht belastete Grundstück beobachtete.

Die in diesem Zusammenhang unter Punkt b) aufgeworfene Rechtsfrage, ob sich die beklagte Partei nicht das Wissen ihres Pächters oder ihrer Mitglieder zurechnen lassen müßte (letzteres würde einen Feststellungsmangel begründen, da eine diesbezügliche Zeugenaussage unbachtet blieb), gibt - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes und der Klägerin - für die Zulässigkeit der Revision ebenfalls nichts her. Unter welchen Voraussetzungen einer juristischen Person die Kenntnis einer Tatsache (oder auch das Kennenmüssen) unterstellt werden kann, ist nämlich in der Judikatur bereits geklärt. Die diesbezüglichen Grundsätze lassen sich dahin zusammenfassen, daß es primär auf den Wissensstand der organschaftlichen Vertreter ankommt (mögen sie auch nur zur passiven Vertretung befugt sein) und eine Zurechnung des Wissens anderer Personen deren Vertretungskompetenz in der betreffenden Angelegenheit (im übertragenen Wirkungsbereich) voraussetzen würde (SZ 52/167; SZ 54/165; SZ 60/204 u.a.; Schubert aaO, Rz 3 zu § 1489 ABGB; vgl. auch König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung**2, Rz 260).

Von einem Wissen der beklagten Partei um Besitzausführungshandlungen der Klägerin kann demnach keine Rede sein. Ob ein Mitglied der beklagten Partei (der Zeuge Hans M*****) ein Befahren des streitgegenständlichen Grundstücks durch die Klägerin wahrnahm, wurde zu Recht nicht weiter erörtert, weil die bloße Mitgliedschaft bei einer Forstkommune keinerlei Vertretungs- oder Überwachungsfunktion verschafft. Es scheiden aber auch die langjährigen Pächter der beklagten Partei als Wissensvermittler iSd vorhin zitierten Judikatur aus, weil ihnen gemäß § 1091 ABGB zwar das Recht auf eigenverantwortliche Bewirtschaftung des streitgegenständlichen Grundstücks, nicht jedoch die Wahrnehmung von Eigentümerbefugnissen - etwa bei der Abwehr oder Gestattung von Besitzanmaßungen Dritter - zukam.

Damit bleibt als einzige entscheidungsrelevante Rechtsfrage die der Erkennbarkeit der Fahrtrechtsausübung. Die Klägerin mißt auch ihr besondere Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO bei, weil noch nicht geklärt sei, ob es dabei auf subjektive Momente ankommt oder ob die Erkennbarkeit fremder Besitzausübungshandlungen allein nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist, doch spielt diese (in der Tat strittige) Unterscheidung (vgl. Klang aaO, 78; Mader in Schwimann, Rz 4 zu § 1460 ABGB) im konkreten Fall keine Rolle. Ob die in einer seit Jahrzehnten verpachteten Wiese vorhandenen (streckenweise kaum sichtbaren) Fahrspuren auf Bewirtschaftungsmaßnahmen des Pächters zurückzuführen sind oder ob sie von einem Dritten herrühren, der - ohne jemals vom Eigentümer des betreffenden Grundstücks beim Fahren gesehen worden zu sein - ein Fahrtrecht über fremden Grund beansprucht, gehört nämlich zu den objektiven Kriterien der Erkennbarkeit einer Fahrtrechtsausübung. Die notwendige Sinnfälligkeit einer solchen Rechtsausübung ist nämlich durch das bloße Vorhandensein von Fahrspuren nicht gegeben, wenn außer dem das Fahrtrecht Behauptenden dort auch Personen gefahren sein können, denen dies kraft besonderer Rechtsbeziehungen zum Grundeigentümer gestattet war. Wenn das Berufungsgericht genau damit Zweifel an der Erkennbarkeit von Besitzausübungshandlungen der Klägerin verband, dann sind diese Zweifel ohnehin in der objektiven Sachlage begründet, sodaß es eines Eingehens auf die Frage, ob für die Verneinung eines ersessenen Fahrtrechts nicht auch subjektive Erschwernisse der Erkennbarkeit genügen würden, gar nicht bedarf.

Damit fehlt es an erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO, die die Zulässigkeit der vorliegenden Revision begründen könnten. Die Lösung der letztlich entscheidenden Rechtsfrage, ob der beklagten Partei die langjährige Inanspruchnahme ihres Grundstückes für Wirtschaftsfuhren der Klägerin erkennbar war, hängt nämlich von den Umständen des konkreten Falles ab (vgl. SZ 36/92; 6 Ob 666/85 ua zum vergleichbaren Beispiel der Offenkundigkeit einer Servitut). Eine solche Entscheidung ist nach dem Rechtsmittelsystem der ZPO dem Berufungsgericht überantwortet und nicht weiter überprüfbar, wenn sie den durch bestimmte Gesetzesbegriffe oder die Judikatur abgesteckten Beurteilungsspielraum nicht verläßt (vgl. GesRZ 1992, 202; EWr II/26/11; WoBl 1993, 80/59). Hier sind derart grobe Fehler des Berufungsgerichtes bei der Beurteilung des (auch durch Lichtbilder veranschaulichten) Sachverhalts nicht zu erkennen. Das einzige Argument der Revisionswerberin, mit dem sie einen aus Gründen der Rechtssicherheit nicht zu tolerierenden Denkfehler des Berufungsgerichtes aufzuzeigen vesucht, besteht darin, daß die sichtbare (auch von der beklagten Partei wahrgenommene) Fahrspur der Klägerin zugerechnet werden mußte, also gar nicht von den Pächtern der beklagten Partei stammen konnte, weil sie zu einem Tor an der Grenze des Anwesens der Klägerin führte. Diese Argumentation ist schon deshalb nicht zwingend, weil nicht feststeht, wann das fragliche Tor errichtet wurde. Die erkennbare Rechtsausübung während der gesamten erforderlichen Ersitzungszeit (vgl. Petrasch aaO) wäre also auch durch dieses Detail des nur einer Gesamtbeurteilung zugänglichen Sachverhalts nicht dargetan.

Aus allen diesen Gründen war wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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