Spruch:
Der Gewaltgeber hat die zivilrechtlichen Wirkungen einer Deliktshandlung seines Vertreters, die dieser beim Abschluß eines Vertrages für ihn setzt, zu verantworten (Irreführung des Kunden durch einen Agenten).
Entscheidung vom 10. Juni 1959, 5 Ob 274/59.
I.Instanz: Bezirksgericht Haag; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.
Text
Die Fa. P.-Werk lieferte dem Beklagten auf Grund seiner Bestellung Futtermittel, und zwar am 31. August 1957 30 kg Calcilecin und 300 kg Laktosan zum Preis von 1950 S, am 28. Oktober 1957 500 kg Perovit zum Preis von 3500 S und am 30. November 1957 1000 kg Perovit zum Preis von 7000 S, insgesamt daher um 12.450 S. Die Forderung auf Zahlung von 12.450 S wurde der Klägerin zediert.
In Abänderung des Ersturteiles verurteilte das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 3500 S für die von ihm verbrauchten 500 kg Perovit und wies das Mehrbegehren ab. Die Gegenforderung des Beklagten erklärte es gleich dem Erstgericht für nicht zu Recht bestehend. Auf Grund des von ihm zum Teil wiederholten Beweisverfahrens nahm das Berufungsgericht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:
Als der Vertreter Karl S. am 1. August 1957 den Beklagten aufsuchte, bot er ihm zunächst Futtermittel an. Der Beklagte lehnte eine Bestellung von Futtermitteln ab, weil er sie anderswo billiger geliefert bekäme. S. erklärte nunmehr, daß die Firma P.-Werk auch eine Rindermastaktion durchführe, Rinder zum Einstellen zur Verfügung stelle, die Futtermittel für die Rinder liefere und sie für einen Garantiepreis von 12 S pro Kilogramm wieder abnehme. Er erklärte dabei wohl, daß die Firma M. diese Aktion finanziere, daß aber die Aktion vom P.-Werk durchgeführt, also das Vieh von dieser Firma geliefert werde. Auf Grund dieses günstigen Angebotes vereinbarte der Beklagte mit S. nicht bloß die Einstellung von zehn Rindern durch die Firma P.-Werk, sondern auch die Lieferung von 30 kg Galcilecin und 300 kg Laktosan prompt (Auftrag-Nr. 10.284), 850 kg Laktosan ab 15. November 1957 (Auftrag-Nr. 10.285, nicht ausgeführt) und 2000 kg Perovit I (Auftrag-Nr. 10.286). Er erklärte dem Vertreter S. dabei ausdrücklich, daß er diese Futtermittel einschließlich des Schweinemastmittels Perovit I nur nehme, wenn er die Rinder zur Mast bekomme. Die gesamte Vereinbarung wurde nur wegen der Verschiedenheit der Liefertermine und der bestellten Futtermittel auf vier verschiedenen Auftragsformularen der Firma P.- Werk festgehalten, wobei der Auftragschein Nr. 10.283 einen nicht mehr deutlich lesbaren Vermerk "10 St. ... Rinder, garantiert mit S 12.-" enthält. Die Einstellrinder wurden nicht geliefert.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die als aktenwidrig gerügte Feststellung des Berufungsgerichtes, Karl S. sei weder Vermittlungs- noch Abschlußagent, sondern Angestellter der Firma P.-Werk gewesen, ist nicht wesentlich. Für die Entscheidung genügt das, was in der Revisionsschrift zugegeben wird, nämlich daß er von der Firma zur Entgegennahme von Bestellungen beauftragt war und sich der Umfang seiner Vollmacht aus den ihm zur Verfügung gestellten Bestellscheinformularen ergibt. Die Firma konnte aus den von Karl S. aufgenommenen Bestellungen nur insoweit Rechte erwerben, als dieser innerhalb der Grenzen seiner offenen Vollmacht handelte. Von Karl S. wurden bei der Aufnahme der Bestellungen Formulare folgenden Wortlautes verwendet: "Ich bestelle hiemit gegen feste Rechnung, Frankolieferung, nachfolgende Artikel .... Die Bestellung ist rechtskräftig. Annullierung oder Rücksendung wird nicht anerkannt. Mundliche Vereinbarungen oder Sonderabmachungen haben keine Gültigkeit." Es kann daher unterstellt werden, daß Karl S. zu mündlichen Vereinbarungen oder zu Sonderabmachungen nicht bevollmächtigt war und daß dies dem Beklagten aus dem Inhalt des Bestellscheines bekannt sein mußte. Es liegt aber keine mündliche Vereinbarung oder Sonderabmachung vor, weil im Bestellschein kein Vertrag, sondern nur ein Offert des Beklagten beurkundet ist und der Inhalt des Antrages, wenn auch unvollständig, aber doch erkennbar durch den handschriftlichen Vermerk auf dem Bestellschein: "10 Stück Rinder garantiert mit 12 S" festgehalten wurde. Die Firma P.-Werk mußte aus diesem Vermerk ersehen, daß der Antrag des Beklagten von der Norm abwich, und hatte die Möglichkeit, sich von ihrem Vertreter die nötige Aufklärung zu verschaffen. Die Firma muß daher den vollen Inhalt des Offertes und nicht nur jenen Teil, der die Futtermittelbestellung zum Gegenstand hat, gegen sich gelten lassen. Trifft es zu, was in der Revision behauptet wird, daß S. nur zur Entgegennahme von Bestellungen beauftragt war, ist kein Vertrag zustandegekommen, denn der Geschäftsherr hat das Offert des Beklagten nicht genehmigt, sondern zu anderen als den vom Beklagten erklärten Bedingungen angenommen. In diesem Fall fehlt es an er Willensübereinstimmung. Sollte S. zum Abschluß berechtigt gewesen sein, wäre der Vertrag zustandegekommen, aber zu den Bedingungen, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes festgelegt wurden. In diesem Fall wäre der Rücktritt des Beklagten vom Vertrag begrundet, weil feststeht, daß sich die Firma P.-Werk nicht mit Rindermastaktionen befaßt und weder in der Lage noch gewillt war, die Vertragsbestimmung, daß der Beklagte 10 Rinder zur Mast erhalten solle, zu erfüllen (§ 918 ABGB.). Der Beklagte, ist daher nur zur Zahlung der Futtermittel verpflichtet, die er abnahm und verbrauchte, nicht aber jener, die er zur Verfügung stellte.
Im übrigen geht aus den Feststellungen des Berufungsgerichtes hervor, daß der Vertreter S. den Beklagten nur unter der Vorspiegelung des besonders günstigen Angebotes einer Teilnahme an einer Rindermastaktion zur Bestellung veranlaßt hat. Daß es sich dabei um eine List handelte, steht fest, weil sich das P.-Werk niemals mit Rindermastaktionen befaßte. Der Beklagte konnte daher das Geschäft allenfalls wegen Irreführung durch den Vertreter gemäß § 870 ABGB. anfechten. Bei der unmittelbaren Vertretung wirken die Rechtshandlungen des Vertreters für den Vertretenen. Dieser kann nur dann redlich erwerben, wenn sowohl er als auch der Vertreter redlich sind. Der Gewaltgeber hat die zivilrechtlichen Wirkungen einer Deliktshandlung (Irreführung, Drohung, Zwang) seines Vertreters, die dieser beim Abschluß eines Vertrages für ihn setzt, zu verantworten (Ehrenzweig 1. Aufl. I/1 S. 265; GlUNF. 826; 5 Ob 50/59 u. a.). Dies muß insbesondere dann gelten, wenn, wie hier, der Gewaltgeber sich den ihm aus dem Geschäft erwachsenden Vorteil zuwenden will (§ 1016 ABGB.).
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