OGH 5Ob264/15g

OGH5Ob264/15g22.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers H***** H*****, vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegnerin „d*****“ Gemeinnützige Wohnungs‑ und Siedlungsgesellschaft mbH, B*****, vertreten durch Dr. Adalbert Laimer, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 22 Abs 1 WGG iVm § 14a WGG, über den Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 10. Juni 2015, GZ 38 R 127/15f‑11, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 17. März 2015, GZ 26 Msch 11/14d‑7, bestätigt wurde, den

Sachbeschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00264.15G.0322.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass es lautet:

„Das Begehren, der Antragsgegnerin werde aufgetragen, die im Badezimmer der Wohnung des Antragstellers hohlliegenden, absturzgefährdeten Wandfliesen abzutragen und nach Vorbereitung des Untergrundes fachgerecht entsprechend dem Bestand zu verlegen, wird abgewiesen.

Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 609,07 EUR (darin enthalten 75,51 EUR USt und 156 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Der Antragsteller ist weiters schuldig, der Antragsgegnerin die mit 533,57 EUR (darin enthalten 49,93 EUR USt und 234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Antragsgegnerin ist eine gemeinnützige Bauvereinigung und Vermieterin der Wohnung top Nr 16 im Haus *****. Der Antragsteller ist Mieter dieser Wohnung.

Die Wände im Badezimmer des vom Antragsteller gemieteten Objekts, in dem sich auch das WC befindet, sind bis auf eine Höhe von 2 m verfliest. An der neben dem WC gelegenen Wand hoben sich im Jahr 2012 Fliesen großflächig ab und liegen seitdem teilweise hohl. Neun Fliesen sind bereits abgefallen. Der Antragsteller sicherte die übrigen hohlliegenden Fliesen provisorisch mit Klebebändern. Diese Wand liegt nicht im Spritzwasserbereich.

Der Antragsteller begehrt, der Antragsgegnerin aufzutragen, die hohlliegenden Fliesen im Badezimmer des von ihm angemieteten Objekts abzutragen und entsprechend dem Bestand der Wandfliesen fachgerecht zu erneuern.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, durch die WRN 2006 sei die Erhaltungspflicht des Vermieters ausgeweitet worden, indem dieser zur Beseitigung einer „vom Mietgegenstand ausgehenden erheblichen Gesundheitsgefährdung“ verpflichtet sei. Voraussetzung dafür sei, dass die (erhebliche) Gesundheitsgefährdung ihren Ursprung in der Beschaffenheit des Mietgegenstands selbst habe. Die hohlliegenden Fliesen stellten eine solche Gesundheitsgefährdung dar, weil sie jederzeit herabfallen und im Badezimmer aufhältige Personen verletzen könnten. Da sich neben der davon betroffenen Wand auch die Toilette befinde, sei die Gesundheit des Antragstellers täglich gefährdet.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rechtsmittel der Antragsgegnerin nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zum Ergebnis, anders als bei der übrigen Oberflächengestaltung einer Wohnung, die grundsätzlich in die Erhaltungspflicht des Mieters falle, handle es sich bei Fliesen um eine Ausstattung des Mietgegenstands, die sich im gegenständlichen Fall in einem gesundheitsgefährdenden Zustand befinde. Die Antragsgegnerin habe auch nicht dargelegt, warum das drohende Herabfallen von Wandfliesen keine Gesundheitsgefährdung darstellen solle, was bei der Toilettenbenützung auch nur bei Verwendung einer entsprechenden „Schutzausrüstung“ angenommen werden könne.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil „der Grenze der Erhaltungspflicht im Lichte der neueren Lehre, Rechtsprechung und auch Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt und zur konkreten Konstellation der Erhaltung der Verfliesung keine Rechtsprechung vorliegt“.

Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist zulässig, weil die vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht zu korrigieren ist; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Antragsgegnerin ist eine Bauvereinigung iSd § 1 Abs 1 WGG; deren Pflicht zur Erhaltung von aus dem Titel eines Miet‑ oder sonstigen Nutzungsvertrags zum Gebrauch überlassenen Wohnungen oder Geschäftsräume richtet sich nach § 14a WGG, der nach der Übergangsbestimmung des Art IV Abs 1r WGG auf das hier vorliegende Verfahren idF vor dem BGBl I 2015/157 anzuwenden ist.

2. Nach § 14a WGG in der hier anzuwendenden Fassung hat der Vermieter nach Maßgabe der rechtlichen, wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten und Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass die Baulichkeit, die vermieteten oder zur Nutzung überlassenen Wohnungen oder Geschäftsräume und die der gemeinsamen Benützung der Bewohner der Baulichkeit dienenden Anlagen im jeweils ortsüblichen Standard erhalten und erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Bewohner beseitigt werden (Abs 1).

Der Umfang der Erhaltungsarbeiten iSd Abs 1 wird durch den Katalog des § 14a Abs 2 WGG bestimmt. Die Erhaltung umfasst danach unter anderem die Arbeiten, die zur Erhaltung der allgemeinen Teile der Baulichkeit erforderlich sind (Z 1) sowie die Arbeiten, die zur Erhaltung der Wohnungen, Geschäftsräume, Einstellplätze (Garagen) oder Abstellplätze der Baulichkeit erforderlich sind; diese Arbeiten jedoch nur dann, wenn es sich um die Behebung von ernsten Schäden der Baulichkeit oder um die Beseitigung einer vom Miet‑ oder sonstigen Nutzungsgegenstand ausgehenden erheblichen Gesundheitsgefährdung handelt (Z 2).

3.1 Die Bestimmung des § 14a WGG aF entspricht für den hier maßgeblichen Anwendungsbereich inhaltlich § 3 MRG, sodass insoweit auf die zu dieser Gesetzesstelle ergangene Judikatur zurückgegriffen werden kann (vgl Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht²³ § 14a WGG Rz 1). Grundsätzlich ziehen Unzulänglichkeiten an der Oberflächengestaltung im Inneren eines Bestandobjekts keine ernsten Schäden nach sich und gehören damit auch nicht zur Erhaltungspflicht des Vermieters (vgl RIS‑Justiz RS0020909; Hausmann/Riss in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 3 MRG Rz 16b mwN). Zu Recht sind die Vorinstanzen daher davon ausgegangen, dass mit dem Lösen von Fliesen im Sanitärraum des Bestandobjekts keine ernsten Schäden der Baulichkeit iSd § 14a Abs 2 Z 2 erster Fall WGG verbunden sind. Solche werden auch vom Antragsteller in seiner Revisionsrekursbeantwortung nicht angesprochen.

3.2 Nach der Rechtsprechung (5 Ob 83/06a; 5 Ob 143/14m ua) und Lehre (vgl Hausmann/Riss aaO § 3 MRG Rz 10; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 3 MRG Rz 6 je mit Judikaturnachweisen) fallen Arbeiten an den Wandoberflächen im Inneren eines Bestandobjekts und damit auch die Wiederherstellung der Wandverfliesung nur dann in die Erhaltungspflicht des Vermieters, wenn sie Folgearbeiten zu einer Erhaltungsmaßnahme sind (so auch die Materialien zur Wohnrechtsnovelle 2006, 1183 BlgNR 22. GP  35). Solche Folgearbeiten sind hier nicht zu beurteilen.

4.1 Die durch die Wohnrechtsnovelle 2006 BGBl I 2006/124 (WRN 2006) sowohl für den Bereich des MRG als auch für den Geltungsbereich des § 14a WGG in der hier anzuwendenden Fassung eingeführte Verpflichtung des Vermieters zu Erhaltungsarbeiten im Inneren des Mietgegenstands, wenn von diesem eine erhebliche Gesundheitsgefährdung ausgeht, hatte ihren Ausgangspunkt in gefährlichen, weil nicht geerdeten Elektroinstallationen, sowie in der Diskussion über Blei im Trinkwasser. Ausdrücklich wurde dazu in den Materialien (RV 1183 BlgNR 22. GP  35) festgehalten, dass durch die Gesetzesänderung die in der Schieflage, wonach den Vermieter zwar eine Erhaltungspflicht auch für das Innere des Mietgegenstands trifft, wenn der fragliche Mangel einen ernsten Schaden des Hauses darstellt, nicht aber dann, wenn vom Zustand des Mietgegenstands eine Gefahr für Leib oder Leben des betreffenden Mieters ausgeht, ohne dass die Substanz des Hauses betroffen ist, geortete Wertungsinkongruenz beseitigt werden soll. Zur Klarstellung wurde auch festgehalten, dass eine „erhebliche Gesundheitsgefährdung“ nicht nur von Wasserleitungen aus Blei und ungeerdeten Elektroinstallationen, sondern beispielsweise auch von Asbest und anderen gefährlichen Baustoffen ausgehen kann.

4.2 Der Hinweis, dass es sich um eine erhebliche Gesundheitsgefährdung handeln muss, bringt zum Ausdruck, dass nicht jede Bagatellbeeinträchtigung die Erhaltungspflicht des Vermieters auslöst. Ob ein bestimmter Mangel die Erheblichkeitsschwelle überschreitet und damit die Pflichten des Vermieters zur Gefahrenabwehr begründet, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen (Stabentheiner, Die Änderungen des Mietrechts durch die Wohnrechtsnovelle 2006, ÖJZ 2006/48, 743 ff; Hausmann/Riss aaO § 3 MRG Rz 17 aE).

4.3 Zwar wird die Erheblichkeitsschwelle nicht als allzu hohe Hürde vor der Inanspruchnahme der Erhaltungspflicht des Vermieters verstanden, sodass dessen Erhaltungspflicht nicht erst bei extremen, gar lebensbedrohenden, besonders intensiven Gefahren gegeben ist, sondern bei jeder signifikanten Gefährdung der körperlichen Integrität zum Tragen kommt (Stabentheiner aaO; vgl auch Hausmann/Riss aaO § 3 MRG Rz 17ad). Die in den Gesetzesmaterialien (RV 1183 BlgNR 22. GP  35) genannten Beispiele, wie Wasserleitungen aus Blei, ungeerdete Elektroinstallationen, Asbest oder auch andere gefährliche Baustoffe machen aber deutlich, dass es sich um einen Zustand handeln muss, der sich unmittelbar negativ auf die Gesundheit des Mieters auswirkt und dabei die geforderte Erheblichkeitsschwelle übersteigt, jedenfalls aber geeignet ist, eine solche Gesundheitsbeeinträchtigung konkret herbeizuführen, insbesondere wenn dabei die Gefahr von deren Gefährdung umso größer wird, je länger der Zustand andauert. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall, bei dem sich ‑ im Gegensatz zu den Fällen, die der Gesetzgeber der WRN 2006 vor Augen hatte ‑ der Zustand des Mietgegenstands unmittelbar überhaupt nicht negativ auf die Gesundheit des Antragstellers auswirkt. Eine Gefährdung der körperlichen Integrität des Antragstellers erscheint bloß theoretisch unter der Voraussetzung möglich, dass er sich im Zeitpunkt des Ablösens einer Fliese von der Wand direkt in deren Falllinie oder aber zumindest im unmittelbaren Nahebereich der betroffenen Wand befindet. Einer solchen Gefahr kann der Antragsteller im Wissen um die Möglichkeit einer Ablösung schon dadurch leicht begegnen, indem er die von einer potenziellen Ablösung betroffenen Fliesen entfernt bzw ‑ wie er es ohnedies getan hat ‑ sonst sichert. Nach objektiven Kriterien ist eine unmittelbar vom Mietgegenstand ausgehende, erhebliche Gefährdung der körperlichen Integrität des Antragstellers daher zu verneinen. Aus diesen Erwägungen kann auch den Ausführungen des Rekursgerichts nicht näher getreten werden, das aus der Notwendigkeit einer Nutzung der seitlich von dieser Wand befindlichen Toilettenanlage auf eine erhebliche Gesundheitsgefährdung des Antragstellers schloss. Ob der Antragsgegnerin die begehrten Maßnahmen im Hinblick auf § 14c Abs 1a WGG überhaupt aufgetragen werden könnten, muss damit nicht mehr geprüft werden.

4.4 Zusammengefasst ergibt sich daher, dass das drohende Ablösen von Wandfliesen im Badezimmer des Antragstellers keine erhebliche Gesundheitsgefährdung iSd § 14a Abs 2 Z 2 zweiter Fall WGG darstellt und daher auch keine Erhaltungspflicht der Beklagten als Vermieterin begründet. Das führt in Stattgebung des Revisionsrekurses der Antragsgegnerin zur Abweisung des Begehrens des Antragstellers.

5. Die Kostenentscheidung beruht in allen drei Verfahrensinstanzen auf § 22 Abs 4 WGG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Zu berücksichtigen war, dass die Bemessungsgrundlage gemäß § 10 Z 3a sub lit cc RATG 1.000 EUR beträgt, sodass die verzeichneten Kosten entsprechend zu reduzieren waren.

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