OGH 5Ob260/70

OGH5Ob260/7018.11.1970

SZ 43/211

Normen

EO §7
EO §10
ZPO §562
EO §7
EO §10
ZPO §562

 

Spruch:

Materiellrechtliche Wirkung einer Kündigung, in der der Bestandgegenstand unrichtig bezeichnet ist; einen Exekutionstitel muß sich der Vermieter hier aber durch Einbringung einer Räumungsklage verschaffen

OGH 18. November 1970, 5 Ob 260/70 (LGZ Wien 45 R 320/70; BG Bruck/Leitha C 5/70 )

Text

Der am 14. Dezember 1960 verstorbene Franz R sen verpachtete dem Beklagten am 9. Mai 1952 das bis dahin von ihm im Hause H-Straße 7, betriebene Fleischhauergewerbe. Am 20. Dezember 1968 kundigten die beiden Klägerinnen sowie Franz R jun als Erben zu je 1/3 zu K 7/68 (später C 206/68 ) des Erstgerichtes das Pachtverhältnis auf. Dieser Kündigung wurde in zwei Instanzen stattgegeben, wobei niemandem auffiel, daß sowohl in der Kündigung als auch in den beiden Urteilen der Sitz des aufgekundigten Bestandobjektes statt mit H-Straße 7 unrichtig mit H-Straße 22 angegeben war. Hierauf wurde das Erstgericht erst am 9. Dezember 1969 von der Bezirkshauptmannschaft auf Grund der für 26. Februar 1970 angeordneten zwangsweisen Räumung aufmerksam gemacht.

Die Vermieter stellten daraufhin das Exekutionsverfahren ein und brachten die vorliegende Räumungsklage ein. Nach Einbringung der Klage verkaufte Franz R jun seinen Drittelanteil an der Liegenschaft den beiden Klägerinnen, die somit jetzt je zur Hälfte Eigentümerinnen der Liegenschaft sind. Franz R jun zog seine Klage unter Anspruchsverzicht zurück.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten "auf Grund des Urteils des Bezirksgerichtes B vom 11. April 1969 C 208/68-6, bestätigt mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 30. September 1969, 45 R 479/69" schuldig, den Klägerinnen die im Hause B, H-Straße 7, befindlichen Geschäftsräume, nämlich den Verkaufsraum, das anschließende Zimmer und die anschließende Küche, den Kühlraum, ein weiteres Zimmer, ein Vorzimmer mit noch einem Zimmer, das Wurstzimmer, den Selchraum, die große und die kleine Schlachtbank, den Stall und den Keller samt Zubehör binnen 14 Tagen geräumt zu übergeben und ihnen die Prozeßkosten zu ersetzen. Das Erstgericht traf folgende Feststellungen:

Nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsstreites, also nach dem 3. November 1969, wurde zwischen den Parteien keinerlei Vereinbarung über eine Verlängerung des Pachtverhältnisses getroffen. Der Beklagte überwies den Pachtzins, der ab 1. August 1968 von 500 S auf 3500 S monatlich erhöht wurde, weiterhin mit Dauerauftrag. Im Gegensatz zum Beklagten faßten ihn die Klägerinnen seit Beendigung des Kündigungsprozesses als Benützungsentgelt auf. Während des Kündigungsstreites bestand trotz der unrichtigen Hausnummer für beide Parteien kein Zweifel, daß Prozeßgegenstand der Fleischhauerbetrieb im Hause H-Straße 7 war, zumal dies der einzige derartige Betrieb in der H-Straße ist.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht folgendes aus:

Da im Vorprozeß nur die Hausnummer irrtümlich falsch bezeichnet wurde, die Parteien den Prozeß aber in der Überzeugung führten, es handle sich um die Aufkündigung des strittigen Bestandverhältnisses, könne das dort ergangene Urteil seine Bedeutung nicht verloren haben, auch wenn es infolge fehlerhafter Bezeichnung des Bestandobjektes in seinem die Räumung aussprechenden Teil nicht vollzogen werden könne. Es bedürfe daher keiner neuerlichen Aufkündigung, auch keiner Räumungsklage, sondern einer Feststellungsklage im Sinne des § 10 EO. Daß die Klägerinnen statt eines solchen Begehrens ein Räumungsbegehren stellten, hindere das Gericht nicht, seinen Urteilsspruch in der nach der Sachlage gebotenen Weise zu formulieren.

Die Annahme des vom Beklagten weiter überwiesenen Pachtzinses könne nach § 863 ABGB nicht als schlüssige Verlängerung des Pachtvertrages gewertet werden, weil die Klägerinnen durch die Einbringung der Kündigung, die Einleitung der zwangsweisen Räumung und die Einbringung der vorliegenden Klage keinen Zweifel daran ließen, daß sie eine Verlängerung des Pachtverhältnisses ablehnten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, daß der Beklagte zur Räumung des Bestandobjektes verurteilt wurde, jedoch ohne die vom Erstgericht vorgenommene Einschaltung "auf Grund des Urteils des Bezirksgerichtes B vom 11. April 1969, C 208/68 -6, bestätigt mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 30. September 1969, 45 R 479/69". Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige.

Das Berufungsgericht billigte die erstrichterliche Beweiswürdigung, übernahm die darauf gegrundeten Feststellungen, führte aber in rechtlicher Hinsicht folgendes aus:

Zweck der Klage nach § 10 EO sei der Nachweis der in den §§ 7 Abs 2 und 9 EO geforderten Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen. Das Urteil nach § 10 solle die fehlenden qualifizierten Urkunden ersetzen. Keiner dieser Fälle liege hier vor. Weder müsse eine Rechtsnachfolge hinsichtlich der im Exekutionstitel genannten betreibenden oder verpflichteten Partei (§ 9 EO), noch müsse der Eintritt der für die Fälligkeit oder Vollstreckbarkeit maßgebenden Tatsachen (§ 7 Abs 2 EO) bewiesen werden. Obwohl in der Entscheidung MietSlg 3332 eine derartige Lösungsmöglichkeit angedeutet sei, liege nach Ansicht des Berufungsgerichtes hier kein Fall einer Klage nach § 10 EO vor.

Der Sachverhalt sei vielmehr dahin zu beurteilen, daß die vorangegangene gerichtliche Aufkündigung trotz Angabe einer falschen Hausnummer des Bestandgegenstandes und der sich hieraus ergebenden Vollstreckungsschwierigkeiten jedenfalls materiellrechtlich wirksam geworden sei, da die Parteien nicht im Zweifel darüber waren, auf welche Räumung sich die Kündigung bezog. Der Beklagte benütze somit seither das Bestandobjekt ohne Rechtstitel und sei zu dessen Räumung verpflichtet.

In Übereinstimmung mit dem Erstgericht erblickte das Berufungsgericht in der weiteren Annahme des Mietzinses mit Rücksicht auf das festgestellte sonstige Verhalten der Klägerin keine stillschweigende Fortsetzung des Pachtverhältnisses. Dem vorliegenden Räumungsbegehren stehe auch die Rechtskraft des Urteils im Kündigungsprozeß nicht entgegen, weil zwischen Kündigung und Räumung wegen titelloser Benützung keine Identität des Anspruchs bestehe. Den Klägerinnen fehle auch nicht das Rechtsschutzinteresse, weil das im Kündigungsprozeß ergangene Urteil wegen fehlerhafter Bezeichnung des Bestandobjektes nicht vollstreckbar sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Beklagte vertritt zunächst die Ansicht, daß es im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichtes nicht entscheidend sei, daß sich die Parteien darüber klar waren, auf welche Räume sich die Kündigung bezog; vielmehr habe das vorangegangene Kündigungsverfahren infolge fehlerhafter Bezeichnung des Bestandobjektes das Bestandverhältnis nicht aufgelöst, weil sonst die topographische Bezeichnung des Bestandgegenstandes überhaupt völlig unerheblich wäre.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, daß eine Kündigung, wenn sie infolge unrichtiger Bezeichnung des Bestandgegenstandes oder aus anderen Gründen zu keinem Exekutionstitel führt, dann, wenn sich die Parteien darüber im klaren sind, welches Bestandobjekt aufgekundigt werde, trotz der unrichtigen Bezeichnung jedenfalls ihre materiellrechtliche Wirkung behält und zur Beendigung des Bestandverhältnisses führt (MietSlg 3332, 9923, 17.793 ua). Zutreffend ist daher das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Beklagte seit der rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsverfahrens das Bestandobjekt ohne Titel benützt.

Da er es nicht räumte, waren die Klägerinnen gezwungen, eine Räumungsklage einzubringen, um sich einen Exekutionstitel zu verschaffen, auf Grund dessen sie die zwangsweise Räumung des Bestandobjektes herbeiführen können.

Die gerichtliche Aufkündigung stellt eine formenstrenge Prozeßhandlung dar; sie muß nach § 562 ZPO den aufgekundigten Bestandgegenstand so genau bezeichnen, daß kein Zweifel bestehen kann, auf welches Objekt sich die Aufkündigung erstreckt. Nur bei unwesentlichen Fehlern in der Bezeichnung des Bestandgegenstandes, die keinen Zweifel an seiner Identität aufkommen lassen, ist eine Präzisierung oder Richtigstellung des Bestandgegenstandes zulässig (MietSlg 18.689, 18.691, 18.692, 21.829, 21.830 ua). Die gleichen Anforderungen gelten für ein auf Grund einer Kündigung und der dagegen erhobenen Einwendungen ergehendes Urteil.

Die im vorliegenden Fall unterlaufene Unrichtigkeit in der Bezeichnung des Bestandobjektes ist - abgesehen davon, daß das Kündigungsverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen ist - nicht so geringfügig, daß auf Grund des Urteils, welches auf Räumung eines Bestandgegenstandes in B, H-Straße 22, lautet, die zwangsweise Räumung eines in B, H-Straße 7, befindlichen Bestandobjektes hätte erwirkt werden können. Wenn die Klägerinnen daher, nachdem sie auf den Fehler im Titel aufmerksam gemacht wurden, das Exekutionsverfahren einstellten, so liegt darin keineswegs ein Verzicht auf die materiellrechtliche Wirkung der Kündigung, nämlich auf die Auflösung des Bestandverhältnisses.

Zu Unrecht meint die Revision, die Klägerinnen hätten die unrichtige Bezeichnung des Bestandobjektes durch eine Klage nach § 10 EO korrigieren können. Diese Möglichkeit wurde zwar in der oberstgerichtlichen Entscheidung MietSlg 3332 angedeutet, doch ist diese Ansicht dort nicht näher begrundet. Die Frage bildete auch nicht den Gegenstand jener Entscheidung, sondern wurde nur zusätzlich gestreift. Der erkennende Senat vermag sich ihr nicht anzuschließen.

Die Klage nach § 10 EO dient - wie das Berufungsgericht richtig dargelegt hat - der Erbringung des Nachweises bestimmter Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen für einen bereits vorhandenen Titel. Hiefür kommen nur die in § 7 Abs 2 und § 9 EO vorgesehenen Fälle in Betracht, wenn der dort geforderte urkundliche Beweis auf die dort vorgesehene Art nicht erbracht werden kann. Dagegen können Mängel des Inhalts des Exekutionstitels nach § 7 Abs 1 EO durch Beibringung von öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden nicht beseitigt werden, daher können solche Mängel des Titels auch nicht durch eine Klage nach § 10 EO ergänzt werden (Heller - Berger - Stix in Neumann - Lichtblau, Kommentar zur EO[4], 245). Da dem im Kündigungsprozeß ergangenen Urteil kein Mangel im Sinne des § 7 Abs 2 oder des § 9 EO, sondern vielmehr ein solcher im Sinne des § 7 Abs 1 EO anhaftet, wäre demnach eine Klage nach § 10 EO fehl am Platz gewesen. Vielmehr entspricht der von den Klägerinnen gewählte Weg einer Räumungsklage der Sach- und Rechtslage, weshalb ihr vom Berufungsgericht mit Recht in dieser Form stattgegeben wurde.

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