OGH 5Ob242/03d

OGH5Ob242/03d13.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Isabella G*****, vertreten durch Mag. Alexander Wirth, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei V***** mbH, ***** vertreten durch Dr. Rolf und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen EUR 7.544 samt Anhang und Feststellung (Streitwert EUR 2.400; Gesamtstreitwert EUR 9.944), über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 4.000) gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 26. Juni 2003, GZ 4 R 93/03m-19, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 12. März 2003, GZ 3 C 934/02p-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin zog sich durch eine übergroße, plötzliche Kraftanstrengung beim Öffnen eines Kaffeerahmdeckels am 11. 8. 2000 einen Abriss/Riss der langen Daumenbeugesehne links zu. Am darauffolgenden Tag suchte sie das Landeskrankenhaus F*****, Unfallchirurgische Ambulanz, auf. Obwohl die Erstbefunde eine Verletzung der langen Daumenbeugesehne (Riss oder Abriss) dringend vermuten ließen, wurde dies nicht erkannt. Die primäre (unrichtige) Erstdiagnose einer möglichen "Schidaumen-Verletzung" hat den weiteren Verlauf der Behandlung geprägt und zur verspäteten Diagnose einer Ruptur der langen Beugesehne links erst knapp drei Wochen nach dem Unfall geführt. Hätte man den Beugesehnenschaden sofort erkannt, hätte man die Lage der Stümpfe abklären und je nach ihrer Lage eine sogenannte primäre Naht durchführen müssen. Der Daumen wäre damit zwar funktionell nicht voll wiederhergestellt worden, aber im Gegensatz zum jetzigen Zustand wäre eine gewisse Beugefähigkeit im Endgelenk zu erreichen gewesen. Eine gesicherte wesentliche Besserung durch einen sekundären Eingriff konnte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zugesagt werden, sodass einvernehmlich von einer Operation abgesehen wurde. Durch die fehlende Beugefähigkeit des Daumens kann die Klägerin ihrer liebsten Freizeitbeschäftigung, dem Häkeln, nicht mehr nachgehen. 50 % davon ist auf die Fehlbehandlung und 50 % auf den schicksalshaften Verlauf der Grundverletzung zurückzuführen. Bei kunstgerechter, operativer Erstversorgung hätte die Klägerin "mittelstarke und leichte Schmerzen" zu erdulden gehabt. Die Geschicklichkeit der Gesamthand wäre bei kunstgerechter Erstversorgung insgesamt gesehen besser. Da die Klägerin nun einen steifen Daumen hat, belastet sie vermehrt die Stellen, die sie nun als schmerzempfindlich angibt. Wenn sie den Daumen beugen könnte, hätte sie diese Art von Schmerzen nicht.

Vor dem Unfall häkelte die Klägerin fünf bis sechs Stunden pro Tag. Sie nahm auch Häkelaufträge von Kunden an. Seit ca 20 Jahren verdiente sie durchschnittlich S 1.000 im Monat als "Zubrot". Sie hat aber auch aus Spaß und Freude an der Arbeit gehäkelt und leidet nunmehr besonders darunter, dass sie dieser Lieblingsbeschäftigung bis ans Lebensende nicht mehr nachgehen kann. Auch bei Arbeiten in der Küche schmerzt der verletzte Daumen. Bei verschiedenen anderen Haushaltsarbeiten ist die Klägerin eingeschränkt.

Die Klägerin begehrt - soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist - EUR 5.000 an Schmerzengeld.

Die Beklagte wandte - soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist - ein, dass sich die Klägerin bei der Schmerzengeldbemessung im Sinne der Vorteilsausgleichung anzurechnen habe, dass sie sich die Schmerzen und Beschwerden aufgrund der unterlassenen Operation erspart habe.

Das Erstgericht sprach der Klägerin ein Schmerzengeld in der Höhe von EUR 5.000 zu. Gehe man davon aus, dass die Klägerin mit der Gewissheit leben müsse, bis an ihr Lebensende ihrer Lieblingsbeschäftigung, für die sie täglich ca fünf bis sechs Stunden aufgewendet habe, nicht mehr nachgehen zu können, so sei schon allein aufgrund dieses Ungemachs bei vernünftiger globaler Betrachtung des Gesamtbildes das von der Klägerin geltend gemachte Schmerzengeld von EUR 5.000 keineswegs überhöht. Hiebei sei bereits berücksichtigt, dass die rein körperlichen Schmerzen der Klägerin bei ordnungsgemäßer Behandlung (es wäre eine Operation notwendig gewesen) geringer gewesen wären.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, die einen Zuspruch von EUR 1.000 an Schmerzengeld an die Klägerin unbekämpft ließ, nicht Folge. Der Schmerzengeldbetrag von EUR 5.000 sei angemessen. Für die Klägerin sei es selbstverständlicherweise eine große psychische Belastung, dass sie ihrer Lieblingsbeschäftigung nicht mehr nachgehen könne. Im Übrigen sei sie durch die Versteifung des Daumenendgelenkes auch in ihren sonstigen Alltagsverrichtungen behindert und vermehrt schmerzempfindlich. Das Schmerzengeld sei kein Ersatz für Vermögensschäden, sondern eine Entschädigung für einen ideellen (immateriellen) Schaden. Ein Vorteilsausgleich sei nur bei Vermögensschäden möglich, da Geld gegen Geld aufgewogen werden könne, nicht jedoch bei immateriellen Schäden. Die Klägerin habe sich durch den Wegfall der Operation zwar die mit dieser verbundenen Schmerzen erspart, jedoch hätte sie diese sicherlich im Ausgleich für einen beweglicheren Daumen in Kauf genommen. Durch die Ersparnis der Operation habe die Klägerin vielmehr den Nachteil erlitten, ihren Daumen nicht mehr abbiegen zu können. Der Wegfall der Operation sei nicht als Vorteil zu werten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, da zur Frage der Vorteilsausgleichung für ersparte körperliche Schmerzen keine hinreichend klärende Rechtsprechung vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin macht geltend, dass die Klägerin durch die Behandlung des Landeskrankenhauses F***** keine körperlichen Schmerzen, die über jene der Grundverletzung hinausgegangen wären, erduldet habe. Vielmehr wäre der Schmerzverlauf - abgestellt auf körperliche Schmerzen - bei kunstgerechter operativer Versorgung im Gegensatz zur durchgeführten konservativen Ruhigstellung intensiver gewesen. Die Klägerin habe sich aufgrund dieser Feststellung beim Zuspruch von Schmerzengeld im Rahmen der Vorteilsausgleichung jedenfalls jene körperlichen Schmerzen, die sie aufgrund des Behandlungsfehlers nicht erdulden habe müssen, anrechnen zu lassen. Es stünden einander gleichartige Ansprüche gegenüber, weil körperliche und seelische Schmerzen (aus der unterlassenen Primäroperation) gegen körperliche und seelische Schmerzen (aus den Folgen der unterlassenen Primäroperation) aufgewogen werden könnten. Wäre dies vom Berufungsgericht berücksichtigt worden, so wäre für die ersparten Schmerzen vom Schmerzengeldbetrag zumindest ein Abzug von EUR 2.000 zu machen gewesen. Zur Höhe des Schmerzengeldes wurde vorgebracht, dass der Klägerin höchstens für das aufgrund des Behandlungsfehlers entstandene Ungemach (gewisse zusätzliche Funktionseinschränkungen des Daumens) sowie allenfalls für die durch die Unmöglichkeit des Häkelns entstandenen Unlustgefühle zuzusprechen sei. Der Klägerin sei rechtskräftig Verdienstentgang dafür zugesprochen worden, dass sie "kein Zubrot" mehr durch Häkeln verdienen könnte. Dies sei die Hauptursache ihrer Unlustgefühle. Es stehe der Klägerin jedenfalls nur ein Betrag von EUR 3.000 zu. Berücksichtige man nun noch im Hinblick auf die Vorteilsausgleichung, dass sich die Klägerin EUR 2.000 anrechnen lassen müsse, so stünde ihr lediglich der bereits rechtskräftig zugesprochene Betrag von EUR 1.000 zu.

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Bemessung des Schmerzengeldes die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen. Das Schmerzengeld stellt grundsätzlich eine Globalabfindung für alle eingetretenen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Unfallsfolgen dar. Für seine Bemessung ist das Gesamtbild der Verletzungsfolgen maßgebend. Dabei müssen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einbezogen werden (2 Ob 154/03s uva).

Voraussetzung für eine Vorteilsausgleichung ist die Kausalität des haftbar machenden Ereignisses für den Nachteil und einen entstandenen Vorteil (vgl Reischauer in Rummel II3 § 1312 ABGB, Rz 2 f). Der verschaffte Nutzen ist gegen den verursachten Schaden in Rechnung zu bringen (§ 1312 ABGB). Der Begriff der Vorteilsausgleichung ist also ausschließlich auf materielle Schäden (Vermögensschäden) zugeschnitten (10 Ob 209/02m = ZVR 2002/94 mwN; Danzl, Schmerzengeld8, S 196f). Der Zweck der Ersatzpflicht ist es, den im Vermögen des Geschädigten entstandenen Schaden auszugleichen. Es sind also grundsätzlich alle durch das schädigende Ereignis verursachten Vorteile vom Schaden abzurechnen (10 Ob 209/02m, Koziol, Haftpflichtrecht I3, Rz 11/19). In der Rechtsprechung wird auch betont, dass die Anrechnung eines Vorteils dem Zweck des Schadenersatzes entsprechen muss und nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen darf (10 Ob 209/02m, RIS-Justiz RS0023600). Während somit bei Vermögensschäden die in Geld messbare Minderung des Vermögens die Höhe des Ersatzes angibt, kann für ideelle Schäden ihrer Natur nach das Geld kein Maßstab sein. Ein immaterieller Schaden kann eben nicht in Geld gemessen werden (10 Ob 209/02m, Koziol aaO; Harrer in Schwimann 2, § 1293 ABGB, Rz 21; Danzl aaO).

Wie aber bereits in der vorhin zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 10 Ob 200/02m muss auch im vorliegenden Fall nicht abschließend dazu Stellung genommen werden, ob von diesem Grundsatz in bestimmten Fällen bei der Bemessung von Schmerzengeld eine Ausnahme zu machen ist, wenn "erlittene" Schmerzen "ersparten" Schmerzen gegenüber stehen, da im vorliegenden Fall ein Vorteilsausgleich schon aus einem anderen Grund jedenfalls nicht in Betracht kommt.

Wie bereits oben dargelegt, ist Voraussetzung für einen Vorteilsausgleich, dass aus demselben schädigenden Ereignis ein Schaden und ein Vorteil für den Geschädigten entstanden ist. Damit überhaupt im Gesundheitsbereich - wie hier bei einem Behandlungsfehler - von einem Vorteil durch Ersparen von operativen Eingriffen - und damit von Schmerzzuständen - gesprochen werden kann, müsste jedenfalls trotz Fehlbehandlung ein vergleichbarer körperlicher Zustand wie ohne Fehlbehandlung erzielt worden sein. Das heißt, ein Vorteilsausgleich "erlittener" Schmerzen gegen "ersparte" Schmerzen kann überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn bei der Beurteilung der "Vor- und Nachteile" in Form von Schmerzzuständen von zwei vergleichbaren körperlichen Zuständen ausgegangen werden kann (etwa: mit und ohne Fehlbehandlung ein steifer Daumen oder ein bewegungseingeschränkter Daumen). Nur in dem Fall könnte geprüft werden, ob bei dem, durch das schädigende Ereignis verursachten "Endzustand" (wie bei Vermögensschäden) auch anrechenbare "Vorteile" entstanden sind. Dies ist hier aber gerade nicht der Fall. Wegen der unterlassenen Primäroperation ist der Daumen der Klägerin steif. Wäre die richtige Diagnose gestellt worden und die Operation durchgeführt worden, hätte die Klägerin zwar zusätzliche Schmerzen auf sich nehmen müssen, hätte aber eine geringe Beweglichkeit des Daumens erreicht. Diese zwei Zustände sind nicht vergleichbar, sodass sich die Klägerin vom "Endzustand" aus betrachtet nichts "erspart" hat, was sie sich anrechnen lassen könnte. Die Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung liegen schon aus diesem Grund hier nicht vor.

Zur Frage der Höhe des Schmerzengeldes kann auf die Ausführungen des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Durch die unterlassene Primärversorgung ist das Daumengelenk der Klägerin steif, sodass sie - nach den Feststellungen der Vorinstanzen - ihrer Lieblingsbeschäftigung, für die sie fünf bis sechs Stunden am Tag aufgewandt hatte, bis ans Lebensende nicht mehr nachgehen kann. Unter Berücksichtigung dieser seelischen Beeinträchtigungen, der körperlichen Einschränkungen und der festgestellten Schmerzen infolge der durch den Daumen bedingten Fehlhaltung ist der von den Vorinstanzen ausgemittelte Schmerzengeldbetrag angemessen.

Der unberechtigten Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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