European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00237.20V.0202.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragsteller mieteten gemeinsam zunächst befristet auf drei Jahre eine Wohnung im Haus des Antragsgegners. Etwa zehn Monate vor Ablauf der ursprünglichen Befristung vereinbarten die Parteien die Verlängerung des Mietverhältnisses um weitere fünf Jahre. Die Vereinbarung enthält die Erklärung der Mieter, dass aus dem bisherigen Mietverhältnis ihrerseits keine Forderungen bestehen bzw dass diese mit dem Abschluss dieser Vereinbarung verglichen und bereinigt sind. Die 74,79 m2 große Wohnung liegt in einem Haus in durchschnittlichem Bauzustand auf einer durch Straßenlärm beeinträchtigten Liegenschaft in einem Gründerzeitviertel. Das Haus hat keine besonderen allgemeinen Anlagen wie Aufzug, Garage oder eine gemeinsame Wärmeversorgung. Im Hof befindet sich ein Nebengebäude („Schupfen“), den mehrere Parteien und die Hausinhabung selbst zu Lagerzwecken verwenden, unter anderem werden dort auch Fahrräder abgestellt.
[2] Das Erstgericht stellte für einzelne Perioden den jeweils zulässigen Hauptmietzins sowie die daraus resultierenden Mietzinsüberschreitungen fest.
[3] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[5] 1.1. Gemäß § 27 Abs 3 MRG kann das, was entgegen der Bestimmungen der §§ 15 bis 26 MRG oder den Bestimmungen des § 27 Abs 1 MRG geleistet wird, samt gesetzlichen Zinsen zurückgefordert werden. Auf diesen Rückforderungsanspruch kann im Voraus nicht rechtswirksam verzichtet werden. Nach der Rechtsprechung des Fachsenats (5 Ob 189/15b; 5 Ob 141/17x) gilt die Rechtsprechung zum Verzicht auf die Rückforderung der verbotenen Ablöse iSd § 27 Abs 1 MRG auch für die anderen von § 27 Abs 3 MRG erfassten Rückforderungstatbestände.
[6] 1.2. Nach dieser Rechtsprechung ist ein Verzicht auf die Rückforderung einer verbotenen Ablöse iSd § 27 Abs 1 MRG bis zum Wegfall der Zwangslage des Mieters ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0034044; vgl RS0032360). Ob und zu welchem Zeitpunkt diese Zwangslage weggefallen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0034044). Eine verpönte Drucksituation liegt jedenfalls so lange vor, als der Mieter noch keine rechtlich gesicherte Position erlangt hat und daher in seiner Willensbildung beschränkt ist (5 Ob 141/17x; T. Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 27 MRG Rz 15). Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit befristeten Mietverträgen in § 16 Abs 8 MRG eine Frist von sechs Monaten nach Auflösung des Mietverhältnisses zur Einbringung eines Mietzinsüberprüfungsantrags eingeräumt.
[7] 1.3. Mit diesen Rechtsprechungsgrundsätzen stehen die Entscheidungen der Vorinstanzen im Einklang. Dass eine Zwangslage für die Mieter jedenfalls mit der Übergabe des Bestandobjekts weggefallen wäre, ist der Entscheidung 5 Ob 189/15b (die einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betraf) nicht zu entnehmen. Im Zusammenhang mit der von den Antragstellern gewünschten Verlängerung eines befristeten Mietverhältnisses von einer Drucksituation bis zum Zeitpunkt des Zustandekommens der schriftlichen Verlängerungsvereinbarung auszugehen, entspricht vielmehr den in der Entscheidung des erkennenden Senats 5 Ob 141/17x angestellten Überlegungen. Dort billigte der Fachsenat bei einem vergleichbaren Sachverhalt die Auffassung der Vorinstanzen, die anlässlich der Vertragsverlängerungen abgegebenen Erklärungen der (dortigen) Antragstellerin seien kein wirksamer Verzicht auf ihren Rückforderungsanspruch gewesen, weil gerade der Umstand, dass die Antragstellerin bei den Verlängerungen des Mietverhältnisses auf das Wohlwollen der Vermieterin angewiesen war, die vom Gesetzgeber verpönte Drucksituation zeigt. Warum der im Revisionsrekurs hervorgehobene Umstand, dass die Antragsteller hier bereits (fast) ein Jahr vor Beendigung des befristeten Mietverhältnisses wegen einer Verlängerung anfragten, daran etwas ändern sollte, ist nicht nachvollziehbar. Die im möglichen Auslaufen des befristeten Mietverhältnisses gelegene Drucksituation unabhängig davon als gegeben anzusehen, wann exakt die Verhandlungen über eine Fortsetzung des befristeten Mietverhältnisses aufgenommen werden, ist keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.
[8] 2.1. Die Berechtigung und die Höhe von Abschlägen oder Zuschlägen zum Richtwertmietzins hängen von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0116132 [T2]; RS0117881 [T1]). Mit der in § 16 Abs 2 MRG geforderten Orientierung an der allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens ist es unvereinbar, alle (auch die winzigsten) Ausstattungsdetails gesondert zu werten und die Zuschläge einfach zusammenzuzählen. Geboten ist vielmehr eine Gesamtschau, weil auch der Wert einer Wohnung nur insgesamt erfassbar ist oder erlebt wird. Die Auflistung und Bewertung der Faktoren kann – entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers – nur ein Kontrollinstrument sein (RS0117881). Das Ergebnis des Rekursgerichts hält sich im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall.
[9] 2.2. Zwar zählt zu den in § 16 Abs 2 Z 1 bis 5 MRG taxativ (5 Ob 175/20a) genannten Umständen, die zu Zuschlägen oder Abstrichen vom Richtwert führen können, auch (§ 16 Abs 2 Z 3 MRG) die Lage (Wohnumgebung) des Hauses. § 16 Abs 3 MRG enthält genaue Anweisungen über die Ermittlung dieses Lagezuschlags oder Lageabschlags der Höhe nach (vgl RS0114795). § 16 Abs 4 MRG knüpft die Zulässigkeit eines derartigen Zuschlags daran, dass die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage nach § 2 Abs 3 RichtWG, und die für den Lagezuschlag maßgebenden Umstände dem Mieter in Schriftform spätestens bei Zustandekommen des Mietvertrags ausdrücklich bekanntgegeben worden sind. Nach § 2 Abs 3 RichtWG ist die durchschnittliche Lage (Wohnumgebung) zwar nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen, eine Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat, ist aber als höchstens durchschnittlich einzustufen. Die hier nicht mehr strittige Lage innerhalb eines Gründerzeitviertels schließt nach der eindeutigen Gesetzeslage die Zuerkennung eines Lagezuschlags im konkreten Fall daher unabhängig davon aus, ob die Infrastruktur in einzelnen Bereichen hier allenfalls als überdurchschnittlich angesehen werden könnte (vgl Lovrek/Stabentheiner in GeKo Wohnrecht I § 16 MRG Rz 59 mwN). Die Auffassung des Revisionsrekurswerbers, auch wenn ein „Lagezuschlag iSd § 16 Abs 3 MRG“ wegen der Lage im Gründerzeitviertel ausscheide, sei das Kriterium der Lage nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG trotzdem zu berücksichtigen, findet keine Grundlage im Gesetz.
[10] 2.3. Das Vorhandensein von im typischen Althaus üblicherweise fehlenden Räumen, Flächen oder Anlagen wie etwa Heizung, Lift, Antenne, Garage, Kinderwagen‑ oder Fahrradabstellraum kann die Vereinbarung eines Zuschlags rechtfertigen, wenn diese Einrichtungen vom Mieter (mit‑)benützt werden können und nicht ohnedies ein gesondertes Entgelt dafür vereinbart ist (5 Ob 42/15k mwN). Die Vorinstanzen werteten das als „Schupfen“ bezeichnete, nicht versperrbare Nebengebäude nicht als solche zuschlagsbegründende Anlage, auch wenn Mieter und die Hausverwaltung dort Gegenstände (so auch Fahrräder) lagern. Dies sei kein „Fahrradabstellraum“, selbst wenn dort einzelne Fahrräder abgestellt seien. Eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt darin nicht, zumal selbst der Revisionsrekurswerber – dem Rekursgericht folgend – damit argumentiert, derartige „Schupfen“ seien in Wiener Gründerzeithäusern weit verbreitet, was bereits ausschließt, dass es sich dabei um ein – Zuschlagsvoraussetzung bildendes – ausnahmsweises Vorhandensein von im typischen Althaus fehlenden Räumen handelt (vgl 5 Ob 42/15k). Für eine höchstgerichtliche Klarstellung des Begriffs des „Fahrradabstellraumes“ besteht daher kein Anlass.
[11] 2.4. Der in der Judikatur geforderten Gesamtschau entsprach die Vorgangsweise der Vorinstanzen, für den Erstbezug nach Sanierung, Telefon‑, Telekabel‑ und Waschmaschinenanschluss sowie die Gegensprechanlage einen Zuschlag von insgesamt 15 % zu gewähren, wovon nach der Entscheidung des Rekursgerichts ohnedies 12 % auf den Erstbezug nach Sanierung entfielen. Dies bewirkt nach den Kriterien der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung (vgl 5 Ob 133/10k – 10 % Zuschlag für Erstbezug nach Generalsanierung und 2 % für den sehr guten Zustand des Hauses; 5 Ob 240/10w – 10 % Zuschlag für den Erstbezug nach Sanierung) jedenfalls keine Fehlbeurteilung zu Lasten des Antragsgegners. Einen Zuschlag für die Isolierglasfenster nahmen die Vorinstanzen im Ergebnis ohnedies in der Form vor, als sie den Abschlag für die überdurchschnittliche Lärmbeeinträchtigung der Wohnung (nur) mit 5 % veranschlagten. Damit wurde der Umstand, dass die Fenster auf die Hauptstraße Schallschutzfenster sind, im Ergebnis berücksichtigt. Dessen ungeachtet einen Abschlag für Verkehrslärm in Höhe von 5 % für berechtigt anzusehen, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall, zumal bei geöffneten Fenstern im Sommer oder beim Lüften der Straßenlärm trotz Schallschutzfenstern die Wohnqualität beeinträchtigt.
[12] 3. Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).
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