Normen
JN §49 Abs2 Z7
ZPO §224 Abs1 Z6
JN §49 Abs2 Z7
ZPO §224 Abs1 Z6
Spruch:
Der Begriff des "Wirtes" in § 49 Abs 2 Z 7 JN und § 224 Abs 1 Z 6 ZP O ist weit zu fassen und auf alle analogen Verhältnisse der Gastaufnahme anzuwenden. Auch der Inhaber eines Heurigenlokals gehört zu diesem Personenkreis
OGH 6. 10. 1971, 5 Ob 232/71 (LGZ Wien 45 R 154/71; BG Döbling 6 C 888/70)
Text
Am 18. 2. 1970 gegen 21 Uhr besuchte der Kläger mit seinen drei Freunden das Heurigenlokal der Beklagten in G, um den Studienerfolg eines Kollegen zu feiern. Der Zugang vom Lokal führt von der Straße durch die Hauseinfahrt des Vordertraktes über einen kleinen Hof durch die Einfahrt des Hintertraktes weiter über eine Stiege. Diese besteht aus 13 1.50 m breiten, 15 cm hohen und 28 cm tiefen Stufen. Die Stufen weisen keine Abnützungserscheinungen auf und geben dem Fuß bei ordnungsgemäßer Benützung genügend Halt.
An beiden Seiten des Stiegenaufganges befinden sich massive Eisengeländer. Die Stiege ist zur Gänze überdacht. Das Dach reicht noch 2 m über das obere, ins Freie mundende Ende der Stiege hinauf. Die Seitenwände, die das den Stiegenaufgang schützende Dach tragen, bestehen jeweils aus drei 2.35 m großen Holzstehern, die durch kreuzweise angeordnete Holzleisten verbunden sind. Die eine Wand wird durch eine knapp daneben verlaufende Mauer vollkommen abgeschirmt. Von der letzten Stufe der Stiege aus führt in einem Winkel von 90[o] nach rechts ein 1.25 m breiter und 6 m langer Weg entlang dieser Mauer zum Lokaleingang. Die gegenüberliegende Wand wird durch einen 1.40 m hohen Holzverschlag geschützt. Es kann daher nur 95 cm vom Dach aus abwärts Regen und Schnee auf die Stiege gelangen. Hinter dem Stiegenaufgang links und rechts hinter dem Weg liegt der Heurigengarten.
Der Kläger und seine Freunde tranken insgesamt 3 Liter Wein, wovon drei bis vier Achtelliter auf den Kläger entfielen. Der Kläger und seine Freunde waren gut aufgelegt. Der Kläger war nicht betrunken. Gegen 23 Uhr brachen sie auf, weil der Kläger und seine Freunde noch die Straßenbahn erreichen wollten. Sie verließen das Lokal und gingen den 6 m langen Weg in Richtung Straße. Auf dem Weg lag wässriger, ungefährlicher Schneematsch. Der Kläger war der erste, der die Stufen erreichte.
Auch auf den Stufen lag wässriger, ungefährlicher Schneematsch. Der Kläger benützte wegen der Ungefährlichkeit der Stufen das Geländer nicht. Er benützte die rechte Hälfte des Stiegenaufganges. Es kamen ihm keine anderen Personen entgegen. Er stieg auf die erste Stufe, rutschte 4 bis 5 Stufen ab und stützte sich mit der rechten Hand auf, um den Sturz abzufangen. Als seine Freunde, die unmittelbar hinter ihm folgten, die Stiege erreicht hatten, stand er bereits wieder. Die Stufen waren eisfrei, doch befand sich auf ihnen Schneematsch; gestreut war nicht. Am Unfallstag schneite es in Wien bei trübem und schwach windigem Wetter von 18 Uhr 20 bis 20 Uhr. Die Schneehöhe betrug im freien Gelände um 21 Uhr 13 cm.
Nach dem Sturz verspürte der Kläger sofort Schmerzen im rechten Arm. Er verständigte die Beklagten aber nicht. Die Intensität der Schmerzen nahm während der Heimfahrt mit der Straßenbahn zu. Der Kläger suchte am nächsten Tag das Spital auf, wo festgestellt wurde, daß er sich den Unterarm gebrochen hatte. Er wies dabei auf ein Fremdverschulden nicht hin. Der Kläger verständigte die Beklagten auch nicht nach Kenntnis seiner Verletzung.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, ihm den Betrag von S 12.900.- samt 4% Zinsen seit dem Klagstag (14. 5. 1970) zu bezahlen. Die Klage wird darauf gestützt, daß die Beklagten es versäumt hätten, den Stiegenaufgang von Schnee und Schneematsch zu räumen. Dadurch sei der Kläger zum Sturz gekommen. Es werde ein Betrag von S 8900.- als Schmerzengeld und ein weiterer Betrag von S 4000.- für Verdienstentgang begehrt.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Prozeßgericht ging davon aus, daß die Niederschläge am Unfallstag einen wässrigen, ungefährlichen Schneematsch mit sich gebracht hätten. Den Beklagten könne ein schuldhaftes Verhalten nicht angelastet werden, wenn sie die Stufen nicht ununterbrochen gesäubert hätten. Es treffe vielmehr den Kläger ein Verschulden, weil er sich auf das vorhandene Geländer der Treppe nicht gestützt und dadurch die Gefahr eines Abrutschens nicht abgewendet habe. Die Sorgfaltspflicht der Beklagten bei der Sicherung der Wege zum Lokal dürfe nicht überspannt werden.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Prozeßgerichtes unter Setzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß das Prozeßgericht zwar alle Feststellungen getroffen habe, die den Kläger betreffen, vor allem jene, daß der Kläger die Benützung des Treppengeländers unterlassen habe und offenbar beim Betreten der Treppe nicht die nötige Vorsicht habe walten lassen. Die getroffenen Feststellungen reichten aber nicht zur Beurteilung der Frage, ob ein Mitverschulden der Beklagten vorliege, aus. Wenn der Kläger selbst den am Unfallstag auf der Straße gelegenen Schneematsch als ungefährlich bezeichne, so handle es sich um eine subjektive Auffassung. Das mache aber eine Prüfung der objektiven Gefährlichkeit der Situation nicht hinfällig, da der Kläger angegeben habe, er sei auf dem auf der Stiege befindlichen Schneematsch ausgerutscht. Es seien daher Feststellungen darüber erforderlich, ob sich überhaupt Schneematsch zur Unfallszeit auf der Treppe befunden habe. Den Beklagten sei es seit dem Aufhören des Schneefalles um 20 Uhr bis zum Verlassen des Lokals durch den Kläger um 23 Uhr zumutbar gewesen, die Treppe zu reinigen. Erst wenn die angeführten Tatsachen feststehen, könne beurteilt werden, ob ein Mitverschulden der Beklagten am Unfallsereignis vorliege.
Der Oberste Gerichtshof wies den Rekurs der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes von den Beklagten eingebrachte Rekurs ist verspätet.
Nach § 224 Abs 1 Z 6 ZPO sind Ferialsachen Streitigkeiten zwischen Wirten, Schiffern, Flößern oder Fuhrleuten einerseits und ihren Gästen, Reisenden oder Auftraggebern anderseits über die aus diesen gegenseitigen Verhältnissen entspringenden Verpflichtungen. Die angeführte Gesetzesstelle deckt sich mit den in § 49 Abs 2 Z 7 JN angeführten Streitigkeiten. Schon auf Grund des Textes der beiden angeführten Gesetzesstellen ergibt sich, daß sie nicht auf die Gast- und Schankwirte beschränkt sein sollten. Es wurde vom Gesetzgeber vielmehr der weitergehende Begriff "Wirt" gewählt. Darunter fallen aber auch Inhaber anderer Betriebe, bei denen eine Gastaufnahme erfolgt, als solche des Gast- und Schankgewerbes, so zB Inhaber von Kaffeehäusern, Espressi und Heurigenlokalen.
Der Standpunkt, daß der Begriff des Wirtes iS des § 224 Abs 1 Z 6 ZPO und des § 49 Abs 2 Z 7 JN weit zu fassen und auf alle analogen Verhältnisse der Gastaufnahme anzuwenden ist, teilt auch das Schrifttum (Fasching I Anm 22 zu § 49 JN, II Anm 3 zu § 224 ZPO) und die Rechtsprechung (JBl 1912, 395, 540), sodaß auch die Beklagten als Inhaber eines Heurigenbetriebes unter diese Gesetzesstellen fallen.
Daß alle Streitigkeiten zwischen Gästen und Wirten, gleichgültig, ob es sich um Klagen aus dem Gastaufnahmevertrag oder um Deliktsklagen handelt, vor das Bezirksgericht gehören und Ferialsachen sind, ergibt sich gleichfalls aus der Fassung der beiden angeführten Gesetzesstellen, die ganz allgemein die aus den Verhältnissen zwischen Wirt und Gast entspringenden Verpflichtungen regeln und keine Einschränkung auf die vertraglichen Ansprüche vornehmen. Diese Auffassung teilt auch das Schrifttum (Neumann[4] 128; Fasching II 1023) und die Rechtsprechung (EvBl 1957/45).
Liegt aber eine Streitigkeit vor, die als Ferialsache anzusehen ist, dann begann der Lauf der Rekursfrist gegen den dem Beklagtenvertreter am 19. 7. 1971 zugestellten Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes am 20. 7. 1971 (ungeachtet der Gerichtsferien) zu laufen. Der am 6. 9. 1971 überreichte Rekurs wurde demgemäß nach dem Ablauf der Rekursfrist von 14 Tagen eingebracht und ist somit verspätet.
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