Spruch:
Zulässigkeit der Unterlassungsklage gegen ein Bauunternehmen, wenn sich der Horizontalausleger und das Gegengewicht eines von diesem Unternehmen aufgestellten Baukrans im Luftraum über einem benachbarten Grundstück bewegen.
Entscheidung vom 27. August 1969, 5 Ob 193/69
I. Instanz: Bezirksgericht Bruck a. d. Mur; II. Instanz:
Kreisgericht Leoben.
Text
Der Kläger ist grundbücherlicher Eigentümer der Liegenschaft EZ. X. Das darauf befindliche Wohnhaus des Klägers ist zirka 12 m, die angebaute Garage zirka 5 m hoch. Mit Bescheid vom 19. April 1968 erteilte das Stadtbauamt L. der A.-Wohnbaugenossenschaft die Baugenehmigung auf der angrenzenden Grundparzelle Nr. 67/35 derselben KG. Die A. Wohnbaugenossenschaft übertrug der im Handelsregister als offene Handelsgesellschaft protokollierten Erstbeklagten (die zweit- bis viertbeklagten Parteien sind deren persönlich haftende Gesellschafter) die Durchführung des Baues. Das zu errichtende Wohnhaus ist von der Grundgrenze des Klägers zirka 4 m entfernt.
Zwecks Durchführung des Baues errichtete die Erstbeklagte zunächst in der südwestlichen Ecke des Baugrundstückes einen Turmdrehkran, der mit seinem Horizontalausleger und dem Gegengewicht fallweise in den Luftraum über der angrenzenden, den Eheleuten Albert O. und Emma O. gehörigen Liegenschaft EZ. Y. bzw. den Luftraum über der der Maria S. gehörigen Grundparzelle 67/17 derselben KG. hineinragte. Auf Grund der von diesen Grundnachbarn eingebrachten Besitzstörungsklagen kam es am 22. Oktober 1968 zum Abschluß eines gerichtlichen Vergleiches, in dem sich die Erstbeklagte verpflichtete, die Lage des Krans so zu verändern, daß sich weder dessen Horizontalausleger noch das Gegengewicht über den Grundstücken dieser Kläger befinden.
Die Erstbeklagte verschob daraufhin den Kran ostwärts, so daß er jetzt an der Südseite des Baugrundstücks steht. Auf dem derzeitigen Platz bewegen sich sowohl der Horizontalausleger als auch die Ausgleichslast über dem Grundstück des Klägers. Bei den gegebenen Verhältnissen ist es nicht möglich, den Kran so aufzustellen, daß dabei nicht fremder Grund, insbesondere der des Klägers, berührt wird.
Auf Grund dieses Sachverhalts wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, jede Verwendung des Turmdrehkrans, durch die dessen Horizontalausleger sowie insbesondere die Ausgleichslast im Luftraum über der Liegenschaft des Klägers, insbesondere über dessen Wohnhaus, bewegt oder ruhig gestellt werden, zu unterlassen, ab. Es führte hiezu in rechtlicher Hinsicht folgendes aus:
Der hier erhobene Anspruch, der sich aus § 364 ABGB. ableiten müsse, richte sich gegen den Eigentümer des Nachbargrundstücks, von dem die Einwirkung ausgehe, aber auch gegen Dritte, von denen unzulässige Störungen ausgingen, sofern sie mit dem Eigentümer des Grundstücks in einem Rechtsverhältnis über dessen Benützung für eigene Zwecke stunden. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Zwischen der A.- Wohnbaugenossenschaft und der Erstbeklagten bestehe nur ein Werkvertrag, auf Grund dessen der Erstbeklagten keine Benützungsbefugnis an dem Baugrundstück zustehe. Die Beklagten seien daher nicht Nachbarn im Rechtssinn und daher für die vorliegende Unterlassungsklage nicht passiv legitimiert.
Das Berufungsgericht gab der Klage zur Gänze statt und führte hiezu folgendes aus:
Auf § 364 ABGB. hätten sich zwar die Beklagten, nicht aber der Kläger berufen. Daß sich der Kläger auf § 297 ABGB. stütze, zeige im Zusammenhang mit dem Unterlassungsbegehren vielmehr, daß es sich um eine Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB. handle, mit der jeder unbefugte Angriff auf das Eigentum bekämpft werden könne. Diese Klage könne gegen jeden erhoben werden, durch dessen Willen der mit dem Inhalt des Eigentums im Widerspruch stehende Zustand aufrecht erhalten werde. Die Passivlegitimation der Beklagten sei demnach gegeben.
Nach § 297 ABGB. sei der senkrecht über dem Grundstück des Klägers befindliche Luftraum dessen Zubehör. Die Herrschaft hierüber sei zwar im öffentlichen Interesse mehrfach von Gesetzes wegen beschränkt worden. Die baubehördliche Genehmigung der Errichtung einer Wohnbauanlage, die nichts über die Verwendung eines Turmkrans besage, könne aber derartigen öffentlichen Interessen nicht gleichgestellt werden. Das Unterlassungsbegehren sei daher berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß sich die vorliegende Klage als Negatorienklage im Sinne des § 523 ABGB. darstellt, die nach ständiger Rechtsprechung gegen jeden Störer gerichtet werden kann (SZ. XXXIV 156, EvBl. 1965 Nr. 197, JBl. 1957 S. 214, MietSlg. 20.028 u. v. a.). Der Kläger hat sein Begehren keineswegs auf § 364
(2) ABGB. gestützt, und es kann auch nicht - wie das Erstgericht und mit ihm die Revisionswerber meinen - gesagt werden, daß sich der Klageanspruch nur auf diese Gesetzesstelle stützen könne. Die Passivlegitimation der Beklagten ist somit gegeben.
Gemäß § 297 ABGB. untersteht der Luftraum über einem Grundstück der Herrschaft des Eigentümers, der Eingriffe in ihn verbieten kann (Klang im Kommentar[2] II 28). Nach den Entscheidungen GlU. 4926, GlUNF. 2129, 3995 und 5996 gehört die Luftsäule über einem Grundstück zu diesem, soweit eine Herrschaft über sie möglich ist, auch wenn sie augenblicklich ohne Interesse für den Eigentümer ist. Klang (a.a.O. 135) vertritt allerdings, davon etwas abweichend, den Standpunkt, daß diese Herrschaft nur insoweit anzuerkennen sei, als die Möglichkeit einer Einwirkung bestehe und ein rechtliches Interesse an einer solchen Einwirkung vorliege. In diesem Sinne kann beispielsweise nach § 905 dBGB. der Eigentümer Einwirkungen nicht verbieten, die in einer solchen Höhe oder Tiefe stattfinden, daß er an ihrer Ausschließung kein Interesse hat. Eine ähnliche, noch weitergehende Bestimmung enthält Art. 667 schwZGB. Eine andere Auffassung wäre nach Ansicht Klangs mit den Verkehrsbedürfnissen nicht in Einklang zu bringen.
Aber auch aus diesen Ausführungen ist für die Beklagten nichts zu gewinnen. Ein Turmdrehkran verletzt den Luftraum des Gründeigentümers keineswegs in einer Höhe, in der keine Möglichkeit einer Einwirkung des Gründeigentümers besteht, und es kann mit Rücksicht auf die mit der Arbeit eines derartigen Krans verbundene Gefährdung des darunterliegenden Grundstücks und seiner Bewohner keineswegs gesagt werden, daß der Gründeigentümer kein Interesse an der Ausübung seines Eigentumsrechtes an dem Luftraum in dieser Höhe hätte.
Zu den mehrfachen Behauptungen der Revision, daß "sowohl der Oberste Gerichtshof als auch die Rechtsprechung" in ähnlichen Fällen eine den modernen Erfordernissen angepaßte Lösung zu finden versucht hätten, kann mangels Zitierung dieser angeblichen Belegstellen nicht Stellung genommen werden. Keinesfalls ist es richtig, daß durch den Standpunkt des Berufungsgerichtes, dem der Oberste Gerichtshof beipflichtet, "die Verwendung jeder wie immer gearteten Baumaschine und auch anderer Maschinen kaum mehr möglich wäre," da sonstige Baumaschinen eben weder das Eigentum des Nachbarn am Grundstück noch an dem darüber befindlichen Luftraum verletzen.
Daß schließlich die verwaltungsbehördliche Baugenehmigung keine Grundlage für eine Verletzung des dem Baugrundstück benachbarten Grundstückes bietet, bedarf keiner Erörterung. Öffentliche Interessen, zu deren Gunsten gesetzliche Sonderregelungen getroffen wurden (z. B. für die Luftfahrt oder für elektrische Leitungen), kommen hier nicht in Betracht und können auch nicht analog angenommen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)