European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00181.23P.1109.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, Unionsrecht
Spruch:
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 19. Oktober 2023 zu 5 Ob 110/23i an den EuGH gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.
Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt von den Beklagten 18.547,67 EUR sA zur ungeteilten Hand. Er brachte im Wesentlichen vor, er habe bei einer maltesischen Gesellschaft, einer Limited, die über das Internet mit Ausrichtung auch auf Österreich hier ansässigen Spielern wie dem Kläger Glücksspiele angeboten habe, einen Gesamtspielverlust in Höhe des Klagebetrags erlitten. Die Gesellschaft habe keine österreichische Glücksspielkonzession gehabt. Die beiden Beklagten seien ihre Geschäftsführer gewesen und hafteten als solche nach dem österreichischen Schadenersatzrecht für das rechtswidrige Handeln der Gesellschaft. Die Spielerschutzvorschriften des österreichischen GSpG seien Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB. Überdies hätten die Beklagten es verabsäumt, notwendige Rücklagen für die in Österreich anhängigen Verfahren zu bilden, sodass die Limited insolvent geworden sei. Die internationale Zuständigkeit Österreichs ergebe sich aus Art 7 Nr 2 EuGVVO. Der Kläger habe als Verbraucher sein Vermögen an seinem Wohnsitz verloren.
[2] Das Erstgericht wies über Einrede der Beklagten die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück.
[3] Das Rekursgericht hob diese Entscheidung insoweit auf, als der Kläger seine Ansprüche auf den Rechtsgrund des deliktischen Schadenersatzes stützte, und trug dem Erstgericht insoweit die Einleitung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Die Voraussetzungen für den Gerichtsstand des Deliktsorts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO seien hinsichtlich des behaupteten Schadenersatzanspruchs wegen Schutzgesetzverletzung erfüllt, zumal der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 56/22s jüngst zum auch hier relevanten Ergebnis gekommen sei, dass sich der in Malta erliegende Spieleinsatz nach dem Erfolg oder Misserfolg des Spiels richte und der Erstschaden in Österreich eingetreten sei. Vor allem führe der behauptete Verstoß der Beklagten gegen öffentlich-rechtliche österreichische Eingriffsnormen zum Schadenserfolg in Österreich.
[4] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte für vergleichbare Klagen gegen Geschäftsführer von Glücksspielgesellschaften fehle.
[5] Mit ihrem Revisionsrekurs streben die Beklagten die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn der Verneinung der internationalen Zuständigkeit an und stellen hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
[6] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der erkennende Senat des Obersten Gerichtshofs hat jüngst mit Beschluss vom 19. 10. 2023 zu 5 Ob 110/23i in einem vergleichbaren Fall einer gegen einen „Direktor“ einer maltesischen Limited von einem Spieler eingebrachten Schadenersatzklage dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art 267 AEUV vorgelegt:
„1. Ist Art 1 Abs 2 lit d der Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ('Rom II‑VO') dahin auszulegen, dass er sich auch auf Schadenersatzansprüche gegen ein Organ einer Gesellschaft bezieht, die ein Gesellschaftsgläubiger auf deliktischen Schadenersatz wegen Verletzung von Schutzgesetzen (wie etwa Bestimmungen des Glücksspielrechts) durch das Organ stützt?
2. Für den Fall, dass die Frage 1 verneint wird:
Ist Art 4 Abs 1 der genannten Verordnung dahin auszulegen, dass sich der Ort des Schadenseintritts bei einer deliktischen Schadenersatzklage gegen ein Organ einer konzessionslos Online-Glücksspiel in Österreich anbietenden Gesellschaft wegen erlittener Spielverluste richtet nach
a) dem Ort, von dem aus der Spieler Überweisungen von seinem Bankkonto auf das von der Gesellschaft geführte Spielerkonto leistet,
b) dem Ort, wo die Gesellschaft das Spielerkonto führt, auf dem Einzahlungen des Spielers, Gewinne, Verluste und Boni gebucht werden,
c) dem Ort, von dem aus der Spieler Spieleinsätze über dieses Spielerkonto tätigt, die letztlich zu einem Verlust führen,
d) dem Wohnort des Spielers als Belegenheitsort seiner Forderung auf Auszahlung seines Guthabens auf dem Spielerkonto,
e) dem Belegenheitsort seines Hauptvermögens?“
[8] Begründend wurde ausgeführt:
„1.1. Für die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit sind nach der österreichischen Rechtsprechung die Klageangaben maßgeblich. Die ausdrückliche Berufung auf einen Gerichtsstand nach der EuGVVO ist nicht erforderlich. Der Kläger muss nur das erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen. Bei den sogenannten 'doppelrelevanten Tatsachen', also jenen, aus denen sowohl die internationale Zuständigkeit als auch die Begründetheit des Anspruchs abgeleitet wird, muss die Schlüssigkeit des Klagevorbringens ausreichen, um nicht die Zuständigkeitsprüfung mit einer weitgehenden Sachprüfung zu belasten. Die Frage der internationalen Zuständigkeit ist daher danach zu beurteilen, ob die Klageangaben schlüssig sind.
1.2. Nach zum österreichischen Recht schon vorliegender Rechtsprechung kann eine Außenhaftung eines Organs einer Gesellschaft bei schuldhafter Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB grundsätzlich bestehen, wobei Spielerschutzvorschriften des GSpG bereits als Schutzgesetze qualifiziert wurden. Eine dem vergleichbare Haftung kennt das maltesische Schadenersatzrecht nach den Behauptungen des Erstbeklagten nicht.
1.3. Die Behauptung von deliktischen Schadenersatzansprüchen gegen den Erstbeklagten ist – auf Basis österreichischen Schadenersatzrechts – somit nicht unschlüssig. Auf seine Schlüssigkeit zu prüfen ist aber die vom Kläger behauptete Anwendbarkeit österreichischen Sachrechts. Diesbezüglich liegt nach Auffassung des erkennenden Senats kein 'acte clair' vor, sodass die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof geboten erscheint.
2. Mit der Reichweite der Ausnahmebestimmung des Art 1 Abs 2 lit d der Rom II‑VO setzte sich der Europäische Gerichtshof – soweit überblickbar – noch nicht auseinander. Seiner Entscheidung in der Rechtssache C‑147/12 , ÖFAB, ist allerdings – für den Bereich des internationalen Zivilprozessrechts – zu entnehmen (Rn 42), dass der Begriff 'unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung' in Art 5 Nr 3 der (damals anzuwendenden) Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen war, dass er Klagen erfasste, die von einem Gläubiger einer Aktiengesellschaft erhoben werden, um ein Mitglied des Verwaltungsrats dieser Gesellschaft und einen Anteilseigner der Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftbar zu machen, weil sie es zugelassen hatten, dass die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb weiterführt, obwohl sie unterkapitalisiert war und einem Liquidationsverfahren unterworfen werden musste.
3. Nationale Rechtsprechung zur Reichweite dieser Ausnahmebestimmung fehlt. In der österreichischen und deutschen Literatur finden sich folgende Auffassungen:
3.1. Wagner, Die neue Rom II‑Verordnung, IPRax 2008, 1 meint, dass eine extensive Interpretation des Art 1 Abs 2 lit d zwar auch die Haftung von Gesellschaftern und Organen für Fehlverhalten gegenüber der Gesellschaft und gegenüber externen Gläubigern einbeziehen würde. Allerdings sprechen nach Wagner aus normativ‑funktionaler Sicht die besseren Gründe dafür, jedenfalls eine Außenhaftung der Gesellschafter gegenüber Gesellschaftsgläubigern deliktsrechtlich anzuknüpfen.
3.2. Nach Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht 2 (2021) Rz 5/14 ff sei bei der Ausnahme hinsichtlich der persönlichen Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft fraglich, ob sich diese bloß auf die korporative Haftungs‑(beschränkung) (dh in Abhängigkeit von der Gesellschaftsform, etwa die Durchgriffshaftung der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft) bezieht oder darüber hinaus auch die Haftung für sonstiges Fehlverhalten gegenüber der Gesellschaft und ihren Gläubigern erfasst. Sie weisen darauf hin, dass die Rechtsprechung des EuGH (Rs C‑147/12 ) jedenfalls im Bereich der internationalen Zuständigkeit eine deliktsrechtliche Qualifikation von Durchgriffshaftungsansprüchen annimmt.
3.3. Nach Neumayr in KBB 7 Art 1 Rom II‑VO Rz 6 gilt die Ausnahme nicht für deliktische Schadenersatzansprüche gegen Gesellschafter und Organwalter.
3.4. In Deutschland wird zur Ausnahmebestimmung vertreten, dass die Qualifikation im Gesellschaftsrecht radizierter Ansprüche als außervertragliche, insbesondere deliktische Ansprüche denkbar sei, wenn die persönliche gesetzliche Haftung der Gesellschafter und Organe für die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft betroffen sei (Junker in MüKomm 8 Art 1 Rz 36). Der deutsche BGH (II ZR 84/05, NJW 2007, 1529) beschäftigte sich damit, welches Recht auf die persönliche Haftung anzuwenden sei, wenn von einer GmbH niederländischen Rechts der auf die Haftungsbeschränkung hinweisende Formzusatz nicht geführt wird, und qualifizierte die persönliche Haftung des Gesellschafters nicht gesellschaftsrechtlich, sondern deliktsrechtlich, weil die Führung eines Firmenzusatzes nicht zu den spezifisch gesellschaftsrechtlichen Pflichten gehöre (vgl auch Junker aaO Rz 38).
3.5. Auch die vom BGH auf materiell‑deliktsrechtlicher Grundlage entwickelte Existenzvernichtungshaftung (§ 826 BGB), die eine unbestimmte Zahl von Gläubigern schützen soll, denen der Gesellschafter durch sittenwidriges Handeln Schaden zugefügt hat, wird in Deutschland überwiegend deliktsrechtlich qualifiziert (vgl Junker aaO Rz 38 f mwN auch auf davon abweichende Meinungen).
3.6. Die vom Europäischen Gerichtshof zu C‑147/12 , ÖFAB, vertretene deliktische Anknüpfung von Schadenersatzansprüchen externer Gesellschaftsgläubiger im internationalen Zivilverfahrensrecht könnte nach Auffassung des erkennenden Senats auch für den Bereich der Rom II‑VO dafür sprechen, die Ausnahmebestimmung in deren Art 1 Abs 2 lit d ungeachtet ihres weiten Wortlauts eng auszulegen und deliktische Schadenersatzansprüche von Gläubigern der Gesellschaft als davon nicht erfasst anzusehen.
4. Sollte die Ausnahmebestimmung hier nicht anzuwenden sein, wäre nach der Rom II‑VO primär nach einer Rechtswahl iSd Art 14 der Verordnung anzuknüpfen, dann nach den Sonderanknüpfungen der Art 5 bis 9, schließlich nach der Grundregel des Art 4 Rom II‑VO (Neumayr in KBB 7 Vor Art 1 Rom II‑VO Rz 3; 6 Ob 186/21b).
4.1. Eine Rechtswahl wurde nicht behauptet. Die Sonderanknüpfungen der Art 5 bis 9 Rom II‑VO betreffen Produkthaftung, unlauteren Wettbewerb, Umweltschädigung, Verletzung von Rechten geistigen Eigentums und Arbeitskampfmaßnahmen, sie sind nicht einschlägig,
4.2. Abzustellen ist daher auf Art 4 Rom II‑VO. Der in dessen Absatz 2 geregelte Fall, dass die Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und die Person, die geschädigt wurde, zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hatten, liegt nach den Klagebehauptungen nicht vor. Maßgeblich ist somit die Grundregel des Art 4 Abs 1 Rom II‑VO.
4.3. Danach ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Mit 'Schaden' ist der Primärschaden gemeint, Bezug genommen wird auf den Ort, an dem das haftungsauslösende Ereignis den unmittelbar Betroffenen direkt geschädigt hat (Neumayr in KBB 7 Art 4 Rom II‑VO Rz 3 mwN).
4.4. Bei reinen Vermögensschäden ohne Verletzung absoluter Rechte – wie sie auch hier zur Diskussion stehen – ist die Bestimmung des Erfolgsorts iSd Art 4 Abs 1 Rom II‑VO nach der Literatur schwierig (Melcher, Reine Vermögensschäden im internationalen Zuständigkeits‑ und Privatrecht, VbR 2017, 126; Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht 2 Rz 5/37 ff mwN insbesondere in Fn 81). Bezug zu nehmen ist im Sinn der auch laut ErwG 7 Rom II‑VO vorgesehenen Kohärenz auch auf das Zuständigkeitsrecht gemäß Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012.
4.5. Für die Bestimmung des Erfolgsorts nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ist auf den Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs abzustellen (EuGH C‑709/19 , Vereniging van Effechtenbezitters, Rn 26 ff), wobei besondere zuständigkeitsrechtliche Zuweisungskriterien von vornherein für einen Erfolgsort im Wohnsitzmitgliedsstaat des Klägers sprechen können, was zu einem Klägergerichtsstand führt (EuGH C‑12/15 , Universal Music; C‑304/17 , Löber, Rn 34). Als derartige Kriterien kommen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs etwa der Verstoß gegen die Prospektpflicht oder die Verletzung von gesetzlichen Informationspflichten im Wohnsitzstaat des Klägers (EuGH C‑709/19 , Vereniging van Effechtenbezitters) oder die Führung der anlage- und schadenstypischen Konten (Bankkonto und Wertpapierdepot) bei Banken im Wohnsitzstaat des Klägers (EuGH C‑304/17 , Löber) in Betracht. Für den Ort, an dem sich ein reiner Vermögensschaden unmittelbar auf einem Bankkonto verwirklicht hat, gilt, dass dort ein Gerichtsstand iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO nur dann begründet werden kann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Sachverhalts eine solche Zuständigkeit stützen (vgl Lurger/Melcher, Handbuch Internationales Privatrecht 2 Rz 5/37).
4.6. In den zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 in Glücksspielfällen gegen die Gesellschaft selbst kürzlich ergangenen Entscheidungen 10 Ob 56/22s und 8 Ob 172/22k ging der Oberste Gerichtshof davon aus, es sei nicht entscheidend, wo die Zweitbeklagte die Spielerkonten führt. Die Einzahlung des Spielers schädige sein Vermögen noch nicht, weil ihm in gleicher Höhe eine Forderung gegen die Zweitbeklagte gegenüberstehe, die er sich jederzeit auf Verlangen wieder auszahlen lassen könne. Erst ein die Gewinne übersteigender Verlust aus dem verbotenen Glücksspiel schädige das Vermögen des Spielers, indem sich sein Auszahlungsanspruch dadurch um den Verlustbetrag vermindere. Als nach Österreich weisend wurde dort der Umstand gewertet, dass die den Schadenersatz begründende Rechtswidrigkeit aus dem Verstoß gegen das österreichische Glücksspielrecht resultiert, also einem Verstoß gegen öffentlich‑rechtliche österreichische Eingriffsnormen.
4.7. Wendet man diese zum Erfolgsort nach Art 7 Nr 2 EuGVVO vertretene Auffassung – aufgrund der gebotenen Kohärenz von internationalem Zuständigkeitsrecht und internationalem Privatrecht – auch auf den Ort des Schadenseintritts nach Art 4 Abs 1 Rom II‑VO an, wäre als Belegenheitsort für die Forderung des Klägers auf Auszahlung des Guthabens auf dem Spielerkonto wohl sein gewöhnlicher Aufenthalt heranzuziehen.
4.8. In diese Richtung ging die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 6 Ob 233/18k zu einem Sachverhalt, in dem ein Kläger von Österreich aus seine Vermögensdisposition getroffen und die Überweisung getätigt hatte. Die Anwendung österreichischen Sachrechts wurde dort bejaht. Der 6. Senat beanstandete – im Rahmen des dort gegen einen in der Schweiz ansässigen Notar, der unrichtige Prüfberichte zu Edelmetallbeständen ausstellte, geführten Verfahrens – nicht, den nach Art 4 Rom II‑VO maßgeblichen Erfolgsort in Hinblick auf die spezifischen Gegebenheiten dieser Situation in Österreich zu lokalisieren.
4.9. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist für die Beurteilung des Ortes des Eintritts des Primärschadens einerseits maßgeblich, worin dieser besteht, und andererseits, wo dieser – im Sinn einer erstmaligen Verringerung des entsprechenden Vermögensbestandteils – erstmals eingetreten ist. In Betracht kommen hier der Ort, von dem aus der Kläger Überweisungen von seinem Bankkonto auf sein Spielerkonto tätigt – wenn man davon ausgeht, die Forderung des Klägers auf Buchgeld gegenüber seiner Bank sei werthaltiger als diejenige auf Auszahlung eines rechnerischen Guthabens auf dem Spielerkonto gegenüber der Zweitbeklagten, sodass dadurch bereits eine nachteilige Vermögensveränderung eingetreten wäre. Ebenso denkbar wäre, im Sinn der Einwendungen der Beklagten eine endgültige Vermögensverminderung erst durch den auf dem Spielerkonto eingetretenen Verlust anzunehmen und dies – da das Konto in Malta geführt wird – als in Malta eingetretenen Erstschaden zu werten. Da ein solcher Verlust aber davon abhängt, dass der Kläger wieder spielt (und verliert), könnte auch erst dieses zum Verlust führende (weitere) Spiel als erstschadenauslösend beurteilt und auf den Ort dieses Spiels abgestellt werden. Sieht man erst den (endgültigen) Verlust des Anspruchs auf Auszahlung eines Guthabens auf dem Spielerkonto als Erstschaden an, stellt sich die Frage, wo der Ort dieses Anspruchs liegt – in Malta, wo das Konto geführt wird, am Wohnort des Klägers, am Belegenheitsort seines Hauptvermögens oder anderswo.
4.10. Sollte der Ort des Eintritts des Primärschadens in Österreich liegen, wäre nach Auffassung des erkennenden Senats – im Sinn der genannten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 – auch für die Frage des anzuwendenden Rechts aber davon auszugehen, dass die spezifischen Gegebenheiten der Situation für eine Zuweisung an das materielle nationale Recht des Erfolgsorts sprechen. Eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat im Sinn des Art 4 Abs 3 der Rom II‑VO wäre diesfalls nach Auffassung des erkennenden Senats nicht erkennbar.“
[9] Da dieselben Erwägungen betreffend Auslegungszweifel gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften auch für die vorliegende Rechtssache gelten, ist es zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zu jener des Europäischen Gerichtshofs zuzuwarten und das Revisionsverfahren zu unterbrechen, zumal der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und dies auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat (RS0110583; vgl auch 8 Ob 94/23s zu den auch hier Beklagten).
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