European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00164.22M.1102.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das erstinstanzliche Urteil einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.978,26 EUR (darin 329,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.408,57 EUR (darin 237,46 EUR USt und 1.983,80 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Streitteile sind Miteigentümer einer Liegenschaft verbunden jeweils mit Wohnungseigentum an näher bezeichneten Wohnungen. Mit dem Mindestanteil der Beklagten BLNr 18 ist im Grundbuch das Wohnungseigentum an der Wohnung 10 samt Keller, Balkon, Terrasse und Garten verbunden. Zwischen den Parteien ist strittig, in welchem Umfang der Garten der Wohnungseigentumsanlage Zubehör zur Wohnung 10 der Beklagten ist.
[2] Bei Klageeinbringung gab es neben den Streitteilen noch zwei weitere Mit‑ und Wohnungseigentümerinnen. Eine beteiligte sich zunächst als Nebenintervenientin am Verfahren, zog ihren Beitritt aber wieder zurück. Die weitere Mit‑ und Wohnungseigentümerin war am Verfahren nicht beteiligt.
[3] Die Kläger begehrten die Feststellung, der in der Beilage zu einem – näher bezeichneten – Kaufvertrag als integrierter Bestandteil des Urteils farblich gelb markierte Teil des Gartens der – näher bezeichneten – Liegenschaft stehe als allgemeiner Teil der Liegenschaft imMiteigentum sämtlicher Mit‑ und Wohnungseigentümer dieser Liegenschaft und stelle insbesondere kein Zubehör zum Wohnungseigentumsobjekt 10 dar. Weder im Nutzwertgutachten noch im Wohnungseigentumsvertrag sei der von der Beklagten als Zubehör beanspruchte Teil des Gartens dem Objekt Top 10 eindeutig zugeordnet worden. Den strittigen Gartenteil hätten alle Mit‑ und Wohnungseigentümer gemeinsam genutzt. Der Rechtsvorgänger der Beklagten habe ihr daher auch keinerlei ausschließliche Nutzungsrechte daran übertragen können.
[4] Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung der Klage. Die frühere Alleineigentümerin der Liegenschaft habe den strittigen Gartenanteil an ihren Rechtsvorgänger verkauft, von dem sie ihn wirksam erworben habe. Die Gartenflächen seien eindeutig zuordenbar, was sich aus einer dem Kaufvertrag zwischen der Beklagten und ihrem Rechtsvorgänger angeschlossenen Skizze eindeutig ergebe. Die Zugehörigkeit der Gartenfläche sei aus „der Titelurkunde“ daher ohne jeden Zweifel abzuleiten. Nutzwertgutachten und Wohnungseigentumsvertrag ließen keinen anderen Schluss zu.
[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Weder aus dem Wohnungseigentumsvertrag noch aus dem Nutzwertgutachten ergebe sich eine eindeutige Zuordnung des strittigen Gartenteils zur Top 10 der Beklagten. Die bloße Anführung der Nutzfläche des Gartens bei der Nutzflächenberechnung reiche nicht aus. Einen Plan enthalte weder Nutzwertgutachten noch Wohnungseigentumsvertrag. Dass sich eine Zuordnung aus anderen Urkunden als der Titelurkunde (= Wohnungseigentumsvertrag), nämlich einzelnen Kaufverträgen allenfalls ergebe, reiche nicht aus. Der strittige Gartenteil sei daher allgemeiner Teil iSd § 2 Abs 4 WEG.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Es übernahm die im Rahmen einer Beweisrüge bekämpften Feststellungen des Erstgerichts. Da es davon ausging, die Beklagte habe auch eine gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge erhoben, nahm es rechtlich aufgrund allseitiger rechtlicher Überprüfung die mangelnde Sachlegitimation der Kläger wahr, wobei dies keiner entsprechenden Einrede der Beklagten bedurft habe. Aufgrund des einheitlichen rechtserzeugenden Sachverhalts sei von einer einheitlichen Streitpartei auszugehen, zumal die begehrte Feststellung nur zugunsten aller Wohnungseigentümer getroffen werden könne. Die Nichtbeteiligung aller notwendigen Streitgenossen habe daher zur Abweisung des Klagebegehrens zu führen. Da weder die nachträgliche Einbringung einer Klage durch weitere Wohnungseigentümer noch deren Beitritt als Nebenintervenienten den Mangel der Sachlegitimation sanieren könnten, erübrige sich eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Erörterung dieser bislang nicht bedachten Rechtsansicht des Berufungsgerichts.
[7] Den Entscheidungsgegenstand bewertete das Berufungsgericht mit 5.000 EUR übersteigend. Die ordentliche Revision ließ es zu, weil Rechtsprechung zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage der notwendigen Streitgenossenschaft von Mit‑ und Wohnungseigentümern bei der Feststellung einer Fläche als Allgemeinfläche fehle.
[8] In ihrer dagegen erhobenen Revision beantragen die Kläger die Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob die Beklagte eine gesetzesgemäß ausgeführte Rechtsrüge erhoben hat, ein auch im Einzelfall korrekturbedürftiger Irrtum unterlaufen ist. Sie ist auch berechtigt.
[11] 1. Die Kläger machen als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, die Beklagte habe in ihrer Berufung nur den Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung ausgeführt und in ihren Hinweisen auf zwei höchstgerichtliche Entscheidungen nur eine – ohnedies nicht gegebene – Relevanz der von ihr begehrten Ersatzfeststellung zu begründen versucht. Beide genannten Entscheidungen hätten sich mit den Zustimmungserfordernissen der (anderen) Miteigentümer der Liegenschaft befasst, auf eine „Zustimmung“ aller Miteigentümer habe die begehrte Ersatzfeststellung der Beweisrüge abgezielt. Diese Entscheidungen seien im Übrigen für die hier zu beantwortende Frage nicht einschlägig. Da das Berufungsgericht gemäß § 462 Abs 1 ZPO nicht nur an die Berufungsanträge, sondern auch an die Berufungsgründe gebunden sei, wäre ihm die Überprüfung des Ersturteils in rechtlicher Hinsicht verwehrt gewesen.
[12] Diesen Ausführungen ist im Wesentlichen zu folgen.
[13] 2. Nach § 503 Z 4 ZPO kann die Revision begehrt werden, weil das Urteil des Berufungsgerichts auf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache beruht. Daraus leitet der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ab, dass eine im Berufungsverfahren unterbliebene (oder nicht gehörig ausgeführte) Rechtsrüge im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (RIS‑Justiz RS0043480; RS0043573).
[14] 3.1. Nach § 462 Abs 1 ZPO ist das Berufungsgericht nicht nur an die Berufungsanträge, sondern – mit hier nicht vorliegenden Ausnahmen – auch an die geltend gemachten Berufungsgründe gebunden (RS0041585 [T1]). Nur wenn der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung dem Gesetz gemäß ausgeführt ist, wenn also das angefochtene Urteil unter Zugrundelegung des von ihm festgestellten Sachverhalts als unrichtig bekämpft wird, kann das Berufungsgericht auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung eingehen. Dagegen ist dem Berufungsgericht die Überprüfung verwehrt, wenn die Rechtsrüge nur aus dem Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung abgeleitet und dieser Berufungsgrund vom Berufungsgericht nicht als gegeben angesehen wird (RS0041585). Ist das Rechtsmittelgericht allerdings in der Rechtsfrage angerufen, hat es die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu prüfen (RS0043352).
[15] 3.2. Die falsche Bezeichnung der Berufungsgründe allein schadet noch nicht, wenn auch Unklarheiten zu Lasten des Berufungswerbers gehen (Pimmer in Fasching/Konecny Zivilprozessgesetze3 Ⅳ/1 § 467 Rz 12). Es kommt nicht darauf an, wie die geltend gemachten Berufungsgründe bezeichnet werden, sondern darauf, welchem Berufungsgrund die Ausführungen im Rechtsmittel zuzuzählen sind (RS0111425). Eine gesetzesgemäß ausgeführte Rechtsrüge liegt daher immer dann vor, wenn in ihr– ausgehend vom festgestellten Sachverhalt – aufgezeigt wird, dass dem Untergericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. In der Rechtsrüge muss begründet werden, warum der festgestellte Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt wurde oder, dass infolge eines Rechtsirrtums eine entscheidungswesentliche Tatsache nicht festgestellt wurde (RS0043312 [T9]). Eine gesetzesgemäß ausgeführte Rechtsrüge liegt nur dann vor, wenn sie vom festgestellten Sachverhalt ausgeht (RS0043312 [T14]). Eine solche gesetzesgemäß ausgeführte Rechtsrüge lag hier nicht vor.
[16] 4.1. Dass die Beklagte ihre Berufung ausdrücklich nur wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung erhoben und den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung formell nicht geltend gemacht hat, reicht nach der zitierten Rechtsprechung zwar noch nicht aus, um vom Nichtvorliegen einer Rechtsrüge ausgehen zu können. Die – nach der Revisionsbeantwortung – angeblich als Rechtsrüge zu wertenden inhaltlichen Ausführungen der Beklagten finden sich auf der vorletzten Seite ihres Rechtsmittels in insgesamt vier Absätzen und werden von dem Satz eingeleitet: „Diese Ersatzfeststellung ist wesentlich, weil aufgrund der begehrten Ersatzfeststellung sich die rechtliche Beurteilung wie folgt ändert:“ Die Argumentation mit der Entscheidung 5 Ob 31/07f, die sich mit den Voraussetzungen der Bezeichnung von Wohnungseigentumsobjekten anlässlich deren Eintragung befasste, nimmt neuerlich auf die – als Ersatzfeststellung begehrte – Zustimmung der anderen Eigentümer als wesentliche Voraussetzung für die Zuordnung von Wohnungseigentumsobjekten Bezug. Die Entscheidung 5 Ob 92/15p – die sich mit den Voraussetzungen für die Anmerkung der Zusage der Einräumung von Wohnungseigentum gemäß § 40 Abs 2 WEG befasste und die Zustimmung sämtlicher Miteigentümer und des Wohnungseigentumsorganisators verlangte – zitiert die Beklagte in ihrer Berufung ebenso in diesem Zusammenhang. Ihr Satz, „die Bezeichnung der strittigen Gartenfläche (sei) daher als ausreichend zu sehen“, kann vom Wortsinn und dem systematischen Zusammenhang ihrer Ausführungen nur so verstanden werden, dass dies ausgehend von der von ihr begehrten Ersatzfeststellung der Fall ist. Dies ergibt sich auch daraus, dass sie mit dem Satz schließt, „die Ersatzfeststellung entspreche ihrem Vorbringen vom 6. 7. 2021“. Dass die Beklagte mit diesen Ausführungen tatsächlich – ausgehend vom festgestellten Sachverhalt des Erstgerichts – eine unrichtige rechtliche Beurteilung unabhängig von der von ihr als Ersatzfeststellung begehrten Zustimmung sämtlicher übriger Wohnungseigentümer geltend machen hätte wollen, lässt sich aus ihren Ausführungen daher nicht ableiten.
[17] 4.2. Im Übrigen enthielt das Nutzwertgutachten (./9) nach den Feststellungen des Erstgerichts keine planerische oder deskriptive Darstellung, welche Flächen in der Natur den Wohnungseigentumsobjekten und insbesondere den beiden Gärten zugeordnet sind. Feststellungen dahin, dass der im Nutzwertgutachten zitierte, behördlich genehmigte Auswechslungs- und Einreichplan vom 19. 11. 1997 dazu Aufschlüsse bieten hätte können, gab es nicht. Auch der Wohnungseigentumsvertrag enthielt nach den Feststellungen – abgesehen von der zitierten Nutzfläche – keine näheren Ausführungen zur Zuordnung des Gartens. Auf welche konkreten Baupläne – deren Inhalt auch festgestellt hätte werden müssen – die Beklagte ihr Argument stützen hätte wollen, die Bezeichnung in einem Bauplan sei ausreichend, ist ihren Ausführungen nicht zu entnehmen. Selbst wenn man also von einer Rechtsrüge unabhängig von der begehrten Ersatzfeststellung ausgehen wollte, würde es ihr an der gesetzmäßigen Ausführung mangeln.
[18] 5. Damit hat das Berufungsverfahren den Grundsatz des § 462 Abs 1 ZPO verletzt, weil es aufgrund der Berufung den Sachverhalt allseitig rechtlich geprüft hat, ohne in der Rechtsfrage angerufen gewesen zu sein. Dies ist im Sinn der Einzelfallgerechtigkeit vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmen (vgl RS0041122).
[19] 6. Da die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts mangels gesetzmäßig ausgeführter Rechtsrüge vom Berufungsgericht nicht zu überprüfen war, scheidet auch eine rechtliche Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof aus. Auf die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Rechtsfrage kommt es nicht an. Weitere Ausführungen zur Zulassungsfrage erübrigen sich daher.
[20] 7. Aus diesem Grund war das Ersturteil einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederherzustellen.
[21] 8. Gemäß §§ 41, 50 ZPO hat die Beklagte den Klägern die tarifgemäß verzeichneten Kosten des Berufungs‑ und des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
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