OGH 5Ob145/07w

OGH5Ob145/07w28.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erika M*****, vertreten durch Dr. Stefan Duschel, Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei W***** KG, *****, vertreten durch Dr. Georg Mittermayer, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei Karl F. ***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Lessky, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 10.000 sA und Feststellung (Feststellungsinteresse:

EUR 1.000; Gesamtstreitwert EUR 11.000), über die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 3. April 2007, GZ 15 R 203/06t-36, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 29. August 2006, GZ 56 Cg 41/06w-31, aufgehoben wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei deren mit EUR 755,67 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin EUR 125,93 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht erklärte den weiteren Rechtszug an den Obersten Gerichtshof gegen seine aufhebende Entscheidung für zulässig, weil in Hinblick auf die Bedeutung der Wiener U-Bahn für den Massenverkehr einer Beurteilung der die Beklagte aus dem Beförderungsvertrag treffenden Verkehrssicherungspflicht, insbesondere betreffend die Ausgestaltung des Durchgangsbereichs von U-Bahnstationen mit Eisengittern, erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes (§ 526 Abs 2 ZPO) ist der Rekurs nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.

Das ist wie folgt kurz zu begründen.

Es entspricht ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung, dass das Beförderungsunternehmen aus einem Beförderungsvertrag die Nebenverpflichtung trifft, das körperliche Wohlbefinden des Beförderten nicht zu verletzen, und dass es zu dieser Pflicht auch gehört, Zugänge oder Abgänge zu bzw von den Verkehrsmitteln in einem Zustand zu erhalten, der die gefahrlose Benützung durch die Fahrgäste gewährleistet (RIS-Justiz RS0021735). Aus der das Beförderungsunternehmen treffenden Verkehrssicherungspflicht resultiert auch die Aufgabe, bei Auftreten von Glatteis im Bereich von Haltestellen entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung der daraus für die Fahrgäste erwachsenden Gefahren zu treffen (RIS-Justiz RS0023578). Das gilt für die gesamten, den Fahrgästen zur Verfügung gestellten Anlagen, insbesondere auch für jene Teile einer Straße, von denen aus die Fahrgäste die Verkehrsmittel betreten bzw auf die sie beim Aussteigen gelangen. Dazu gehört insbesondere die Verpflichtung zur Säuberung der Betriebsanlagen von Schnee und Eis. In einem unmittelbar vergleichbaren Anlassfall hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass von dieser Verkehrssicherungspflicht auch Eisengitter im Ausgangsbereich einer U-Bahn umfasst sind, weil diese mit der gesamten U-Bahnstation als Einheit betrachtet werden, wenn die zu befördernden Personen zwangsläufig beim Betreten oder Verlassen des U-Bahnbereichs ein solches Eisengitter überschreiten müssen (2 Ob 35/97d). Es besteht daher für die beklagte Partei die Nebenverpflichtung aus dem Beförderungsvertrag, solche Eisengitter so zu gestalten und erhalten, dass den Fahrgästen eine gefahrlose Benützung beim Überschreiten dieser Gitter möglich ist. Der vorliegende Fall ist mit dem der Entscheidung 2 Ob 35/97d zugrunde liegenden unmittelbar vergleichbar. Dort wie da musste der U-Bahnbenützer beim Betreten oder Verlassen der U-Bahn das an deren Ende gelegene Gitter, dass die ganze Ausgangsbreite einnimmt, überschreiten. Damit gehört es funktionell zum U-Bahnbereich und ist von der vertraglichen Verkehrssicherungspflicht umfasst (2 Ob 35/97d).

Die Beklagte hat sich im vorliegenden Fall nicht auf die Unzumutbarkeit möglicher Maßnahmen der Gefahrenabwehr (vgl RIS-Justiz RS0023397) sondern allein darauf berufen, dass es an der Voraussehbarkeit (als Verschuldensmerkmal: 4 Ob 216/99i = EvBl 2000/41) gemangelt habe.

Weil die Beklagte zur aktiven Schadensabwehr verpflichtet ist, hat sie aber auch geeignete Maßnahmen für eine rechtzeitige Gefahrenerkennung zu setzen. Dass bei den damaligen Witterungsverhältnissen eine Vereisung jederzeit binnen weniger Minuten möglich war, steht unbekämpft fest.

Wenn daher das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht des Erstgerichtes - aus dem festgestellten Sachverhalt eine Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts und damit eine rechtswidrige Unterlassung der Beklagten ableitete, stellt dies eine Verschuldensbeurteilung im konkreten Einzelfall dar, der keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt. Welche konkreten Witterungsverhältnisse jeweils Eisbildung auf den Ausgangsgittern der U-Bahnhöfe begünstigen und daher konkrete Maßnahmen zur Schadensabwehr gebieten, unterliegt ebenso der Beurteilung im Einzelfall wie die Frage, welche Maßnahmen sich dafür als geeignet erweisen.

Die Grundsätze der vertraglichen Verkehrssicherungspflicht des beklagten Beförderungsunternehmens waren bereits Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung (2 Ob 35/97d; 2 Ob 265/06v). Dass die Einhaltung verwaltungsbehördlicher Vorschriften nicht von Schadenshaftung befreit, sondern nur Mindestanforderungen an die vom Verantwortlichen zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen umreißen, entspricht ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung (vgl 5 Ob 533/84 = SZ 57/57; RIS-Justiz RS0023511).

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO waren daher die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 52 ZPO.

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